Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft an Vertreter des Arbeitgebers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Voraussetzungen, unter denen der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer eingreift (Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft oder entsprechender Antrag beim Versorgungsamt vor Zugang der Kündigung, Mitteilung dieser Umstände bei Unkenntnis des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer innerhalb einer Regelfrist von einem Monat nach Zugang der Kündigung), sind auch nach der ab 1. August 1986 geltenden Fassung des Schwerbehindertengesetzes anzuwenden.

2. Adressat einer danach erforderlichen Mitteilung von der festgestellten oder beantragten Schwerbehinderteneigenschaft kann auch ein Vertreter des Arbeitgebers sein, der kündigungsberechtigt ist oder eine ähnlich selbständige Stellung bekleidet, nicht dagegen ein untergeordneter Vorgesetzter mit rein arbeitstechnischen Befugnissen.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 07.06.1989; Aktenzeichen 9 Sa 1765/88)

ArbG Münster (Entscheidung vom 26.08.1988; Aktenzeichen 1 Ca 2063/87)

 

Tatbestand

Der im Jahre 1931 geborene Kläger war bei der G Elektrogerätebau GmbH in A (künftig: Gemeinschuldnerin) seit dem 21. April 1955 als Monteur zu einem monatlichen durchschnittlichen Bruttoentgelt von zuletzt DM 3.100,-- beschäftigt. Die Gemeinschuldnerin beschäftigte rund 90 Arbeitnehmer im Bereich Montage.

Der Kläger zählt gemäß seinem amtlichen Ausweis vom 15. April 1986 seit dem 22. November 1985 zum Kreis der Schwerbehinderten i.S. des § 1 SchwbG.

Am 4. September 1987 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt.

Mit Schreiben vom 9. September 1987, das dem Kläger spätestens Ende September 1987 zugegangen ist, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1987. Auch alle anderen Arbeitnehmer wurden entlassen. Einige von ihnen beschäftigte der Beklagte bis zum Stillegungszeitpunkt, dem 23. Februar 1988, mit der Fertigstellung von Halbfertigprodukten.

Mit der am 16. Dezember 1987 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem Beklagten am 22. Dezember 1987 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt.

Er hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei bereits gem. § 13 Ziff. 10 des auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1980 (künftig: MTV) unwirksam, da er zur Zeit der Kündigung 56 Jahre alt, seit über zehn Jahren bei der Gemeinschuldnerin beschäftigt gewesen sei und daher sein Arbeitsverhältnis nur noch aus wichtigem Grund habe gekündigt werden können.

Die Kündigung sei auch wegen fehlender Zustimmung der Hauptfürsorgestelle unwirksam. Er habe etwa ein Jahr vor Kündigungsausspruch dem Mitarbeiter G , der die Funktion eines Betriebsleiters bei der Gemeinschuldnerin ausgeübt habe, seine Schwerbehinderung mitgeteilt.

Etwa zur gleichen Zeit habe er den Lohnbuchhalter L ebenfalls hiervon unterrichtet und auf den ihm nunmehr zustehenden Sonderurlaub für Schwerbehinderte hingewiesen. Auch dem damaligen Betriebsleiter F sei seine Schwerbehinderung bekannt gewesen.

Der Kläger hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - beantragt

festzustellen, daß das zwischen dem Kläger und

der Gemeinschuldnerin, der Firma G Elektro-

gerätebau GmbH, bestandene Arbeitsverhältnis

durch die Kündigung des Beklagten vom 9. September

1987 nicht zum 31. Dezember 1987 aufgelöst wird.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers sei vor Ausspruch der Kündigung weder ihm noch der Gemeinschuldnerin bekannt gewesen. Er habe hiervon erst durch die Klageschrift erfahren. Der Kläger könne deshalb den Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter nicht mehr in Anspruch nehmen.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen G , L und F die Klage abgewiesen.

Mit seiner Berufung hat der Kläger geltend gemacht, entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setze der besondere Kündigungsschutz der Schwerbehinderten nicht die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bei Zugang der Kündigung oder spätestens einen Monat danach voraus. Jedenfalls habe im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falles für ihn die Regelfrist nicht gegolten. So habe es aufgrund der Erkennbarkeit der Schwerbehinderung - er sei hochgradig schwerhörig und sehbehindert - einer besonderen Mitteilung nicht bedurft. Er habe ferner alles Zumutbare unternommen, um seine Vorgesetzten zu unterrichten. Die Kenntnis des Zeugen G müsse sich sowohl die Gemeinschuldnerin als auch der Beklagte zurechnen lassen. Der Zeuge sei als sein Vorgesetzter abmahnungsberechtigt und aus seiner, des Klägers Sicht, auch kündigungsberechtigt gewesen. Er habe darauf vertrauen können, daß der Zeuge die Mitteilung von der Schwerbehinderteneigenschaft weiterleiten werde. In diesem Zusammenhang sei die von dem Zeugen tatsächlich ausgeübte Funktion entscheidend. Sie habe der eines Betriebsleiters entsprochen, da zu seinen Aufgaben die Überwachung des Betriebsablaufs und die Ausstellung und Weiterleitung von Urlaubsanträgen gehört habe.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung des Beklagten ist wirksam.

I. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Kläger den Sonderkündigungsschutz des § 15 SchwbG in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl I, S. 1421 - SchwbG 1986) nicht in Anspruch nehmen kann und die Kündigung des Beklagten deshalb nicht wegen der fehlenden Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nach § 134 BGB unwirksam ist.

1. Nach dem unstreitigen Sachverhalt ist der Kläger Schwerbehinderter im Sinne des § 1 SchwbG und seine Schwerbehinderteneigenschaft bereits vor Ausspruch der Kündigung des Beklagten gemäß § 3 SchwbG 1979 (nunmehr § 4 SchwbG 1986) festgestellt worden.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 1978 - 2 AZR 462/76 - BAGE 30, 141 = AP Nr. 3 zu § 12 SchwbG; zuletzt Senatsurteil vom 31. August 1989 - 2 AZR 8/89 - AP Nr. 16 zu § 12 SchwbG) steht dem Schwerbehinderten der volle Sonderkündigungsschutz nach den §§ 12 ff. SchwbG 1979 im Grundsatz dann zu, wenn er im Zeitpunkt der Kündigung entweder einen Bescheid im Sinne des § 3 SchwbG 1979 über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten oder zumindest einen entsprechenden Antrag beim Versorgungsamt gestellt hatte. Hat der Arbeitgeber jedoch von der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung vor der Kündigung nichts gewußt, so muß der Schwerbehinderte ihn zur Erhaltung des Sonderkündigungsschutzes von der Feststellung oder der Antragstellung innerhalb einer angemessenen Frist, die regelmäßig einen Monat beträgt, unterrichten. Unterläßt er diese Mitteilung, ist die Kündigung jedenfalls nicht bereits wegen der fehlenden Zustimmung der Hauptfürsorgestelle unwirksam.

3. An diesen Grundsätzen ist in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht auch weiterhin festzuhalten.

a) Wie der Senat in seinem Urteil vom 23. Februar 1978 (BAGE 30, 141, 151 f. = AP, aaO, zu B III 3 der Gründe) näher begründet hat, erfordert das Gebot der Rechtssicherheit im Kündigungsrecht eine zeitliche Begrenzung sowohl bei der Ausübung der Kündigungsbefugnis durch den Arbeitgeber als auch bei der Geltendmachung des Kündigungsschutzes durch den Arbeitnehmer. Aus der verfahrensrechtlichen Regelung der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach § 3 SchwbG 1979 (jetzt § 4 SchwbG 1986) folgt, daß bis zur Antragstellung in diesem Feststellungsverfahren für den Arbeitgeber das Zustimmungsverfahren nach §§ 12 ff. SchwbG 1979 objektiv nicht durchführbar ist. Deshalb kann der Sonderkündigungsschutz erst dann eingreifen, wenn vor Zugang der Kündigung zumindest der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt worden ist. Hat der Arbeitgeber jedoch keine Kenntnis von diesen den Sonderkündigungsschutz begründenden Umständen, so ist der Schwerbehinderte aufgrund einer in seinem eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit gehalten, nach Zugang der Kündigung den Arbeitgeber nunmehr auf die festgestellte oder mögliche Schwerbehinderteneigenschaft hinzuweisen, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz erhalten will. Die Rechtssicherheit gebietet in diesem Bereich weiter, für diese Mitteilung eine Regelfrist einzuführen. Damit wird einerseits vermieden, daß durch eine feste Frist die Besonderheiten des Einzelfalls überhaupt nicht berücksichtigt werden können, andererseits gewährleistet, daß nicht die Frist von Fall zu Fall verschieden ist. Der Arbeitgeber soll grundsätzlich von einem objektiv bestimmten Zeitpunkt an darauf vertrauen können, daß die Wirksamkeit der Kündigung nicht mehr wegen einer ihm nicht bekannten Schwerbehinderung in Zweifel gezogen werden kann (vgl. BAG Urteil vom 16. Januar 1985 - 7 AZR 373/83 - AP Nr. 14 zu § 12 SchwbG, zu III 4 a der Gründe). Wegen ihrer einschneidenden Bedeutung für die Fortdauer des besonderen Kündigungsschutzes darf die Frist nicht zu kurz sein. Für ihre Dauer ist auf die in § 15 Abs. 1 SchwbG 1979 (jetzt § 18 Abs. 1 SchwbG 1986) der Hauptfürsorgestelle zur Entscheidung über den Zustimmungsantrag eingeräumte Frist zurückzugreifen. Danach wird dem Arbeitgeber zugemutet, einen Monat lang die Ungewißheit hinzunehmen, ob er die Kündigung eines Schwerbehinderten durchsetzen kann. Deswegen ist ihm auch zuzumuten, für den gleichen Zeitraum nach Ausspruch der Kündigung das Risiko zu tragen, ob die Kündigung wegen einer ihm unbekannten Schwerbehinderteneigenschaft unwirksam ist.

b) Zu Unrecht sieht der Kläger einen Wertungswiderspruch zwischen diesen Entscheidungen und dem Senatsurteil vom 20. Mai 1988 - 2 AZR 711/87 - (AP Nr. 5 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung). Danach kann das Recht, eine Klage zu erheben, verwirkt werden, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebt (Zeitmoment) und dadurch ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen wird, er werde nicht mehr gerichtlich belangt (Umstandsmoment). Dabei ist für die Bestimmung des Zeitmoments nicht auf eine starre Höchst- oder Regelfrist, sondern auf die konkreten Umstände des Falles abzustellen. Wie der Senat jedoch hervorgehoben (aaO, zu II 2 d der Gründe) und auch das Berufungsgericht richtig gesehen hat, handelt es sich um unterschiedliche Fallkonstellationen. Dem Schwerbehinderten sind die den Sonderkündigungsschutz begründenden Umstände (Feststellungsbescheid über die Schwerbehinderung oder entsprechende Antragstellung) bekannt, während der Arbeitgeber die schützenswerte Position des Arbeitnehmers nicht kennt und deshalb bald die Aufklärung erwarten kann. Beruft sich der Arbeitnehmer dagegen, wie in dem dem vorbezeichneten Senatsurteil zugrundeliegenden Falle, auf die Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Betriebsüberganges nach § 613 a BGB, wird vom Arbeitnehmer gerade die vom Arbeitgeber realisierte Kenntnis des Sachzusammenhangs angegangen.

c) Das Berufungsgericht hat ferner zu Recht keinen Anlaß gesehen, die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze im Hinblick auf die ab 1. August 1986 in Kraft getretene Novellierung des Schwerbehindertengesetzes durch das Erste Gesetz zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes vom 30. Juli 1986 (BGBl I, S. 1110) aufzugeben.

Das Änderungsgesetz enthält vom bisherigen Recht abweichende Regelungen über Ausnahmen vom Sonderkündigungsschutz (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3), den besonderen Kündigungsschutz für Gleichgestellte (§ 12 Abs. 1 Satz 2), über die Einschränkung der Ermessensentscheidung der Hauptfürsorgestelle (§ 19 Abs. 1 Satz 3) und die Frist für die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung (§ 21 Abs. 3). Im übrigen ist die Regelung des besonderen Kündigungsschutzes unverändert geblieben. Zutreffend hat das Berufungsgericht daraus gefolgert, daß der Gesetzgeber an der durch die ihm bekannte langjährige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geschaffenen Rechtslage nichts ändern wollte. Der vom Arbeitsgericht Darmstadt (Urteil vom 27. August 1987 - 1 Ca 31/87 - AiB 1988, 47) vertretenen und von der Revision geteilten Ansicht, eine Mitteilungsfrist widerspreche nunmehr dem Willen des Gesetzgebers, weil im Gegensatz zu früheren punktuellen Änderungen nunmehr eine vollständige Überarbeitung des Gesetzes vorliege und der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik keine Mitteilungsfrist eingeführt habe, kann nicht gefolgt werden. Die Novelle sieht Neuregelungen in einer Vielzahl von Punkten vor, die Konzeption des Gesetzes ist jedoch im Hinblick auf die Notwendigkeit der Mitteilung nicht geändert worden. Umstritten waren u.a. die Änderungen beim Kündigungsschutz, insbesondere das Einsetzen des Kündigungsschutzes einheitlich nach einer Dauer des Arbeitsverhältnisses von sechs Monaten (vgl. Jung/Cramer, SchwbG, 3. Aufl., Einf. D II 4, § 20 Rz 2 a). Für die Frage, ob durch die Novelle eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung einer bestimmten Norm korrigiert werden sollte, ist deshalb auf die Neuregelung des Komplexes abzustellen, zu der die Norm gehört, und nicht auf die Tatsache einer Vielzahl von Änderungen ohne Berücksichtigung des Normzusammenhanges. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Sonderkündigungsschutz der §§ 1, 12 SchwbG 1979 beruht auf einer den Gesetzeswortlaut einschränkenden, am Normzweck ausgerichteten Auslegung (teleologische Reduktion). Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis dieser Rechtsprechung gleichwohl diese Normen unverändert gelassen hat, spricht dies dafür, daß sich insoweit auch sachlich nichts ändern sollte. Anderenfalls hätte eine ausdrückliche Klarstellung nahegelegen, ob die sich nach dem reinen Wortlaut ergebende oder eine von der Rechtsprechung abweichende modifizierte Regelung gelten solle. Im Ergebnis entspricht dies auch der im Schrifttum ohne nähere Problematisierung vertretenen Ansicht, soweit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt worden ist (vgl. Dörner, SchwbG, § 15 Anm. IV 8 c und d; Gröninger/Thomas, SchwG, Stand Dezember 1988, § 4 Rz 25, 26; Jung/Cramer, aaO, § 15 Rz 4; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 6. Aufl., § 179 I 1 c, S. 1182, 1183; Weber, SchwbG, Stand Februar 1987, § 15 Anm. 8 bis 13).

4. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, daß der Kläger den Sonderkündigungsschutz des Schwerbehindertengesetzes nicht rechtzeitig geltend gemacht und damit verwirkt hat.

a) Der Kläger behauptet selbst nicht, seine festgestellte Schwerbehinderteneigenschaft vor Konkurseröffnung gegenüber den gesetzlichen Vertretern der Gemeinschuldnerin und danach vor Erhebung der Kündigungsklage gegenüber dem Beklagten geltend gemacht zu haben. Er beruft sich vielmehr darauf, er habe etwa ein Jahr vor der Kündigung drei Mitarbeiter der Gemeinschuldnerin hiervon unterrichtet. Soweit dies zutrifft, könnte sich der Kläger hierdurch den Sonderkündigungsschutz nur erhalten haben, wenn sich die Gemeinschuldnerin und damit auch der Beklagte die Kenntnis des betreffenden Mitarbeiters als eigene zurechnen lassen müßte.

b) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger habe Mitarbeiter der Gemeinschuldnerin in solcher Stellung nicht unterrichtet. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Der Zeuge G sei zwar unterrichtet worden. Seine Kenntnis habe sich die Gemeinschuldnerin jedoch nicht zurechnen lassen müssen. Der Zeuge sei, anders als der Zeuge L , auch nach dem Vortrag des Klägers in erster Linie für den technischen Ablauf in der Montagehalle verantwortlich gewesen. Seine Tätigkeit in Personalangelegenheiten habe sich auf die Entgegennahme von Urlaubsanträgen und deren Weiterleitung bei Vereinbarkeit mit betrieblichen Belangen beschränkt. Er sei - für den Mitarbeiter erkennbar - für die Bewilligung der Urlaubsanträge nicht zuständig gewesen. Ihm habe lediglich die Prüfung oblegen, ob betriebliche Gründe einer Bewilligung entgegenständen. Ihm seien die Sorge für den betrieblichen Ablauf, nicht aber Entscheidungen in Personalangelegenheiten übertragen gewesen. Mitarbeitern, denen in erster Linie die Erfüllung arbeitstechnischer Aufgaben obliege, hätten keine arbeitgeberähnliche Funktion, die sie zum Empfang personeller, die Rechtsstellung des Arbeitnehmers grundlegend beeinflussender Mitteilungen berechtigt erscheinen ließen.

Von einer positiven Kenntnis zumindest des für Personalangelegenheiten zuständigen Lohnbuchhalters L von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers habe nicht ausgegangen werden können. Der Zeuge G habe verneint, die Mitteilung des Klägers weitergegeben zu haben, und die Zeugen L und F hätten ausgeschlossen, hierüber unterrichtet worden zu sein.

Gegen diese Würdigung wendet sich die Revision ohne Erfolg.

c) Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, muß sich die Gemeinschuldnerin die Kenntnis des Zeugen G von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht zurechnen lassen.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muß der Schwerbehinderte seine festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen. Das bedeutet nicht, daß nur der Arbeitgeber selbst oder bei juristischen Personen deren gesetzliche Vertreter Adressaten dieser Mitteilung seien können. Soweit es sich um Mitarbeiter handelt, die kraft Rechtsgeschäft (Erteilung von Prokura oder Generalvollmacht) allgemein oder durch Übertragung der selbständigen Entlassungsbefugnis für Kündigungen zu seiner Vertretung berechtigt sind, ergibt sich dies aus einer entsprechenden Anwendung des § 164 Abs. 3 i.V. mit Abs. 1 BGB. Danach wirkt eine Willenserklärung, die gegenüber dem Vertretenen abzugeben ist und gegenüber dem Vertreter abgegeben wird, unmittelbar gegen den Vertretenen (vgl. zu der vergleichbaren Rechtslage nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG: Meisel/Sowka, Mutterschutz, Mutterschaftshilfe, Erziehungsgeld, 3. Aufl., § 9 MuSchG Rz 86). Die Mitteilung der festgestellten oder zur Feststellung beantragten Schwerbehinderung an den Arbeitgeber ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften über Willenserklärungen jedenfalls entsprechend anzuwenden sind.

Aus dem Zweck der dem Schwerbehinderten auferlegten Obliegenheit, die festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft in der Regel spätestens einen Monat nach Zugang der Kündigung dem Arbeitgeber mitzuteilen, folgt, daß der Kreis der als Adressaten der Mitteilung in Betracht kommenden Mitarbeiter nicht auf allgemein zur Vertretung des Arbeitgebers oder zumindest zur Kündigung von Arbeitnehmern ermächtigte Vertreter des Arbeitgebers beschränkt ist. Der Arbeitgeber soll durch das Inkenntnissetzen von der Schwerbehinderteneigenschaft in die Lage versetzt werden, das Zustimmungsverfahren nach §§ 15 ff. SchwbG 1986 durchzuführen. Dies rechtfertigt es, auch die Kenntnis solcher Mitarbeiter ausreichen zu lassen, die zwar keine Entlassungsbefugnis haben, jedoch eine ähnlich selbständige Stellung wie ein rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers innehaben. Dagegen kommen untergeordnete Mitarbeiter in der Personalabteilung oder Vorgesetzte, deren Befugnisse sich auf den rein arbeitstechnischen Bereich beschränken, als Adressaten der Mitteilung nicht in Betracht. Wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlagen ist insoweit auf die in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Grundsätze zu § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG zurückzugreifen, der zur Erhaltung des Sonderkündigungsschutzes eine fristgebundene Unterrichtung des Arbeitgebers durch die Arbeitnehmerin vorschreibt (vgl. Senatsurteil vom 18. Februar 1965 - 2 AZR 274/64 - AP Nr. 26 zu § 9 MuSchG; KR-Becker , 3. Aufl., § 9 MuSchG Rz 36; Bulla/ Buchner, MuSchG, 5. Aufl., § 9 Rz 77, 87 i.V.m. § 5 Rz 36, 37; Gröninger/Thomas, MuSchG, Stand Oktober 1989, § 9 Rz 16; Meisel/ Sowka, aaO).

Entgegen der Ansicht der Revision genügt danach eine bloße Abmahnungsberechtigung nicht, den betreffenden Mitarbeiter einem kündigungsberechtigten gleichzustellen, so daß eine solche Befugnis des Zeugen G unterstellt werden kann. Die Schwerbehinderteneigenschaft wirkt sich unmittelbar auf das vom Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung zu beachtende Verfahren aus, da er dann das Zustimmungsverfahren vor der Hauptfürsorgestelle durchführen muß. Die Erweiterung des Kreises der Abmahnungsberechtigten auf die Mitarbeiter, die befugt sind, verbindliche Anweisungen hinsichtlich des Ortes, der Zeit sowie der Art und Weise der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu erteilen (vgl. BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 75/78 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; Urteil vom 8. Februar 1989 - 5 AZR 47/88 - ZTR 1989, 314) ist als Ausnahme von dem Grundsatz zu verstehen, daß Gläubigerrechte vom Gläubiger wahrzunehmen sind. Diese Arbeitnehmer haben im Bereich der Leistungszuteilung und Leistungsüberwachung eine mit dem Arbeitgeber vergleichbare oder diesem angenäherte Position inne. Die Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft berührt jedoch andere Bereiche als die Kenntnis von Leistungsmängeln. Die Einbeziehung Weisungsberechtigter in den Kreis der Abmahnungsberechtigten kann nicht dazu führen, ihnen auch in anderen Bereichen eine dem Arbeitgeber ähnliche Stellung einzuräumen.

bb) Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, hat der Zeuge G im Betrieb der Gemeinschuldnerin keine einem kündigungsberechtigten Vertreter ähnliche selbständige Stellung bekleidet. Ihm oblag die technische Leitung der Montageabteilung. Zu seinen Aufgaben zählte die Vorabprüfung der Urlaubsanträge auf die Vereinbarkeit der Urlaubsgewährung mit betrieblichen Belangen sowie die Weiterleitung dieser Anträge. Zuständig für Personalangelegenheiten war dagegen der Lohnbuchhalter, der Zeuge L . Zu Unrecht leitet die Revision aus der Befugnis des Zeugen G zur Vorabprüfung der Urlaubsanträge eine arbeitgeberähnliche Stellung ab, die ihn zur Entgegennahme der Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft ermächtigen soll.

d) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dem Lohnbuchhalter L sei die Schwerbehinderung des Klägers nicht bekannt gewesen. Hieran ist das Revisionsgericht gebunden, weil kein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist (§ 561 Abs. 1 ZPO).

Die Revision rügt, das Berufungsgericht sei zu Unrecht dem Antrag des Klägers nicht nachgegangen, ihn als Partei darüber zu vernehmen, daß er auch dem Zeugen L eine Schwerbehinderung mitgeteilt habe. Dieser Vernehmung habe die Beklagte nicht widersprochen.

Damit rügt die Revision zwar nicht unter Anführung der Gesetzesvorschrift, aber in der Sache erkennbar eine Verletzung des § 447 ZPO durch das Berufungsgericht. Sie hat jedoch die Verletzung dieser Vorschrift nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form beanstandet. Prozeßrügen müssen nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO die Bezeichnung der Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben. Dabei sind an den Vortrag des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen (BAG Urteil vom 23. Februar 1962 - 1 AZR 49/61 - AP Nr. 8 zu § 322 ZPO, zu I der Gründe). Das erforderliche Einverständnis des Prozeßgegners ist eine Parteiprozeßhandlung, die notwendig ausdrücklich zu erfolgen hat (Zöller/Stephan, ZPO, 16. Aufl., § 447 Rz 2). Im Schweigen des Gegners ist keinesfalls stets die Zustimmung zu sehen. Ferner steht die Vernehmung der beweisbelasteten Partei auch im Rahmen des § 447 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., § 447 Anm 1). Die Revision hat nicht näher dargelegt, aufgrund welcher Tatsachen das Schweigen des Beklagten als Zustimmung hätte gewertet werden müssen und das Gericht mit dem Unterlassen der Vernehmung des Klägers sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe.

e) Der Kläger hat somit seine Schwerbehinderung erstmals dem Beklagten gegenüber in der am 16. Dezember 1987 bei Gericht eingegangenen Klageschrift und damit mehr als zwei Monate nach Ablauf der Regelfrist von einem Monat nach Zugang der Kündigung (Ende September 1987) geltend gemacht.

aa) Das Berufungsgericht hat das Vorliegen besonderer Umstände, die ein Überschreiten der Regelfrist rechtfertigen könnten, verneint. Es hat sich in diesem Zusammenhang mit dem vom Kläger in den Vorinstanzen erhobenen Einwand auseinandergesetzt, er habe abwarten dürfen, ob sich nicht aus dem Gesichtspunkt des Betriebsübergangs die Nichtigkeit der Kündigung gem. § 613 a Abs. 4 BGB ergeben könnte. Seine eingehenden Ausführungen hierzu lassen keinen Rechtsfehler erkennen und werden auch von der Revision nicht angegriffen.

bb) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, der Kläger könne sich auf den Sonderkündigungsschutz trotz Versäumung der einmonatigen Regelfrist berufen, weil seine Schwerbehinderteneigenschaft offenkundig gewesen sei.

Das Bundesarbeitsgericht hat bisher dahinstehen lassen, ob bei offenkundiger Schwerbehinderteneigenschaft eine Ausnahme von seiner Rechtsprechung zu machen ist (vgl. BAGE 43, 148, 151 f. = AP Nr. 11 zu § 12 SchwbG, zu A II der Gründe, m.w.N.). Diese Frage braucht auch für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht beantwortet zu werden, weil nach dem eigenen Sachvortrag des Klägers seine Schwerbehinderung im Zeitpunkt der Kündigung nicht offenkundig war. Offenkundig muß nicht nur die Schwerbehinderung, sondern auch ein hierauf beruhender Grad der Behinderung von 50 % sein (BAGE 43, 148, 151 f. = AP, aaO, zu A II der Gründe). Für eine solche Annahme reicht der von der Revision als übergangen gerügte pauschale Vortrag des Klägers, er sei hochgradig sehbehindert und schwerhörig, nicht aus.

II. Die Kündigung der Beklagten ist schließlich auch nicht aus tarifrechtlichen Gründen unwirksam. Die vom Berufungsgericht übernommene Würdigung des Arbeitsgerichts, der Ausschluß der ordentlichen Kündigung greife gem. § 13 Ziff. 10 Satz 2 MTV nicht ein, weil der Betrieb der Gemeinschuldnerin stillgelegt worden und ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz für den Kläger nicht mehr vorhanden gewesen sei, läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von der Revision nicht angegriffen.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Ascheid

Dr. Roeckl Rupprecht

 

Fundstellen

Haufe-Index 438259

DB 1991, 2676-2677 (LT1-2)

NJW 1991, 1908

NJW 1991, 1908 (L)

ARST 1991, 136-137 (LT1-2)

NZA 1991, 667-669 (LT1-2)

RdA 1991, 380

RzK, IV 8a 20 (LT1-2)

ZAP, EN-Nr 728/91 (S)

AP § 15 SchwbG 1986 (LT1-2), Nr 1

EzA § 15 SchwbG 1986, Nr 3 (LT1-2)

PersF 1991, 956 (T)

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