Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Übung im öffentlichen Dienst

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist im Bereich des öffentlichen Dienstes eine über Jahre hinweg erfolgte Anpassung einer vertraglich vereinbarten Vergütung an die jeweilige Erhöhung der Beamtenbesoldung daraufhin zu würdigen, ob eine betriebliche Übung entstanden ist, so ist dabei für die Erwägungen kein Raum, die bei freiwilligen oder übertariflichen Leistungen im Bereich des öffentlichen Dienstes gegen das Vorliegen einer betrieblichen Übung sprechen (Abgrenzung zu BAG Urteil vom 10. April 1985 - 7 AZR 36/83 = AP Nr 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).

 

Normenkette

BGB §§ 242, 611

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 28.09.1984; Aktenzeichen 5 Sa 2171/83)

ArbG Bochum (Entscheidung vom 20.09.1983; Aktenzeichen 4 Ca 137/83)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land aufgrund betrieblicher Übung verpflichtet ist, die nach dem Arbeitsvertrag durch Erlaß des Ministers für Wissenschaft und Forschung festzulegende Pauschalvergütung des Klägers 1982 entsprechend dem Rhythmus der vergangenen Jahre zeitgleich mit der Beamtenbesoldung zu erhöhen.

Der Kläger ist ab 12. Juni 1979 bis zum 31. August 1983 als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Pädagogik an der Ruhr-Universität Bochum aufgrund mehrfach befristeter Arbeitsverträge beschäftigt worden. Der schriftliche, formularmäßig gestaltete Arbeitsvertrag hat - soweit es hier interessiert - folgenden Wortlaut:

"§ 1

(1) Herr L wird entsprechend den mit Erlaß

des Ministers für Wissenschaft und Forschung

vom 18. Dezember 1975 - I B 4 3812 - getrof-

fenen Bestimmungen über die Beschäftigung und

Vergütung wissenschaftlicher und studentischer

Hilfskräfte an den wissenschaftlichen Hoch-

schulen einschließlich Gesamthochschulen und

den Fachhochschulen für die Zeit 1.5.1979 bis

30.4.1980 als wissenschaftliche Hilfskraft im

Fachbereich/in der Fakultät

Institut für Pädagogik

- eingestellt.

- weiterbeschäftigt.

§ 3

(1) Für die Dauer der Beschäftigung wird eine Pau-

schalvergütung des in § 1 Abs. 1 genannten Er-

lasses in der jeweils gültigen Fassung zum

Monatsende gezahlt. Die Vergütung beträgt zur

Zeit monatlich ................"

In den im Vertrag erwähnten Richtlinien heißt es unter

anderem:

"5. Für wissenschaftliche Hilfskräfte gelten die

Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertra-

ges vom 23. Februar 1961 (BAT) nicht (§ 3

Buchs. g BAT), soweit in diesen Richtlinien

oder in dem Dienstvertrag nichts anderes be-

stimmt ist.

6. Wissenschaftliche Hilfskräfte erhalten ohne

Rücksicht auf den Familienstand eine Pauschal-

vergütung, die bei Vollbeschäftigung monatlich

1.132 DM beträgt. Werden wissenschaftliche

Hilfskräfte durchschnittlich weniger als wö-

chentlich 20 Stunden beschäftigt, so erhalten

sie eine entsprechend geringere Vergütung. Die

Pauschalvergütung wird am Monatsende nachträg-

lich gezahlt."

Zumindest seit Februar 1976 sind die Vergütungspauschalsätze für wissenschaftliche Hilfskräfte jeweils durch Erlaß des zuständigen Ministers durchweg zum gleichen Zeitpunkt und um denselben Prozentsatz erhöht worden wie die Beamtenbesoldung. Dies beruhte auf einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz vom 9./10. Mai 1963 darüber, wie die Bezüge der wissenschaftlichen Hilfskräfte bemessen werden sollten.

Im Jahr 1982 sind die Bezüge für die Tarifangestellten des öffentlichen Dienstes ab 1. Mai 1982 um 3,6 % erhöht worden, die Beamtenbesoldung ab 1. Juli 1982 um den gleichen Prozentsatz. Die Vergütung der wissenschaftlichen Hilfskräfte wurde dagegen erst durch Erlaß des Ministers für Wissenschaft und Forschung vom 9. August 1982 mit Wirkung vom 1. Oktober 1982 an um ca. 3,6 % erhöht.

Mit Schreiben vom 11. November 1982 verlangte der Kläger den erhöhten Betrag rückwirkend ab 1. Mai 1982. Er hat die Auffassung vertreten, er habe aufgrund betrieblicher Übung Anspruch darauf, den Erhöhungsbetrag von 52,-- DM monatlich zeitgleich mit der Erhöhung der Gehälter der BAT-Angestellten zu erhalten; darüber hinaus ergebe sich ein entsprechender Anspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz.

Der Kläger hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an den

Kläger 260,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen

seit dem 30.06.1982 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, nach dem Anstellungsvertrag werde die Höhe der Vergütung jeweils durch Erlaß des Ministers für Wissenschaft und Forschung festgesetzt; es stehe deshalb in dessen Ermessen, wann und in welcher Höhe die Vergütungssätze angehoben werden, wobei insbesondere die Vorgaben des Haushaltsgesetzes und die finanzielle Situation des Landes zu berücksichtigen seien. Darüber hinaus hätten in der Vergangenheit weder die Erhöhungssätze noch der Erhöhungszeitpunkt den Änderungen der Vergütung der BAT-Angestellten oder der Beamten entsprochen. Auch aus der Empfehlung der Kultusministerkonferenz vom 9./10. Mai 1963 - in der Fassung vom 20. Januar 1972 - über die Vergütung der wissenschaftlichen Hilfskräfte ergebe sich nichts anderes. Die Empfehlung sei in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt worden; die erhöhte Vergütung sei jeweils neu berechnet worden und nicht etwa nur um den Erhöhungsprozentsatz der Beamtengehälter aufgestockt worden. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz begründe keinen Anspruch des Klägers, weil er als wissenschaftliche Hilfskraft nicht hauptberuflich angestellt sei. Der wesentliche Zweck seiner Beschäftigung sei die Förderung seiner wissenschaftlichen Aus- und Fortbildung.

Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Auf die zugelassene Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht die Klage, soweit der Kläger mit ihr die Erhöhung für die Monate Mai und Juni 1982 begehrt hat, abgewiesen und die Berufung im übrigen zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im wesentlichen unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf die erhöhte Vergütung bereits ab 1. Juli 1982 aufgrund betrieblicher Übung; Zinsen stehen ihm jedoch nur aus dem dem Bruttobetrag entsprechenden Nettobetrag zu.

1. Der Kläger kann seinen Anspruch auf die erhöhte Vergütung bereits ab 1. Juli 1982 weder auf gesetzliche Bestimmungen noch auf tarifvertragliche Vorschriften stützen, da die Geltung des BAT vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen wurde und für eine Tarifbindung des Klägers nichts vorgetragen worden ist.

2. Nach § 3 des zwischen den Parteien am 12. Juni 1979 abgeschlossenen Dienstvertrags steht dem Kläger für die Dauer der Beschäftigung eine Pauschalvergütung nach den Bestimmungen des in § 1 Abs. 1 genannten Erlasses des Ministers für Wissenschaft und Forschung vom 18. Dezember 1975 in der jeweils gültigen Fassung zu. Der genannte Erlaß des Ministers besagt in seiner Ziffer 6, wissenschaftliche Hilfskräfte erhalten ohne Rücksicht auf den Familienstand eine Pauschalvergütung, die bei Vollbeschäftigung monatlich 1.132,-- DM beträgt. Ausgehend von dieser Vertragsgrundlage hatte der Kläger einen vertraglich zugestandenen Anspruch auf eine höhere Vergütung nur aufgrund eines neuen Erlasses. Nach dem unstreitigen Sachverhalt hat das beklagte Land jedoch bis zu dem hier streitigen Geschehen die Pauschalvergütungen der wissenschaftlichen Hilfskräfte durch entsprechende Erlasse jeweils im Umfang und zu dem Zeitpunkt angehoben, zu dem die Besoldungen im öffentlichen Dienst, und zwar nach der zu den Akten gereichten Auskunft des Finanzministers des Landes Nordrhein--Westfalen, im Bereich des Bundesbesoldungsgesetzes angehoben wurden. Diese Handhabung beruhte auf einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz aus dem Jahre 1963. Entgegen der Behauptung des beklagten Landes gilt dies auch für das Jahr 1981. In diesem Jahr ist zwar die Besoldungserhöhung für die Beamten erst zum 1. Mai 1981 in Kraft getreten, während die Bezüge des Klägers mit Wirkung vom 1. März erhöht worden sind. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, daß für die Monate März und April 1981 eine einmalige Zahlung in Höhe von 120,-- DM für jeden Kalendermonat an die Beamten erfolgt ist, so daß die vorzeitige Erhöhung des Vergütungssatzes für wissenschaftliche Hilfskräfte keine abweichende Handhabung bedeutet.

3. Das Landesarbeitsgericht hat bei dieser Sachlage zutreffend die Frage geprüft, ob nicht in dem Verhalten des beklagten Landes, die Pauschalvergütung jeweils zu dem Zeitpunkt und in dem Umfange anzuheben, in dem die Besoldung der Beamten angehoben wurde, eine betriebliche Übung liegt.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine betriebliche Übung vor, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers folgern können, es handele sich um eine auf Dauer angelegte Handhabung, die auch künftig eingehalten werde. Die Bindungswirkung einer solchen betrieblichen Übung für die Zukunft bezieht sich auf das Bestehen einer Verpflichtung des konkreten Inhalts, mit dem ein Bindungswille des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer nach Treu und Glauben angenommen werden konnte. Zwar kommt es hierfür nicht auf das tatsächliche Vorliegen eines Verpflichtungswillens des Arbeitgebers an. Entscheidend ist allein, ob der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben aus dem Verhalten des Arbeitgebers - insbesondere aus einer über längere Zeit vorbehaltlos geübten Praxis - auf das Vorliegen eines Verpflichtungswillens bestimmten Inhalts schließen durfte (vgl. BAG 23, 213, 220 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG 39, 271, 276 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost; BAG Urteil vom 29. November 1983 - 3 AZR 491/81 - AP Nr. 15 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG Urteil vom 6. März 1984 - 3 AZR 340/80 - AP Nr. 16 zu § 242 BGB Betriebliche Übung = EzA § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 13; zuletzt BAG Urteil vom 10. April 1985 - 7 AZR 36/83 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) Entgegen der Meinung des beklagten Landes sind die Grundsätze der betrieblichen Übung vorliegend nicht etwa schon deshalb ausgeschlossen, weil sich die Übung nicht auf den Beschäftigungsbetrieb, die Universität Bochum, beschränkte, sondern darüber hinaus für alle wissenschaftlichen Hilfskräfte des beklagten Landes in Betracht kommt. Arbeitgeber des Klägers ist das beklagte Land und nicht die Universität Bochum. Es kommt deshalb entscheidend darauf an, ob das beklagte Land einen Tatbestand gesetzt hat, von dem der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben annehmen konnte, daß er Vertragsinhalt geworden ist.

Inwieweit eine betriebliche Übung bei dem Arbeitnehmer das Vertrauen in eine gleichförmige Handhabung durch den Arbeitgeber erwecken konnte, wird zwar für den Bereich des öffentlichen Dienstes gegenüber dem der Privatwirtschaft nach §§ 133, 157 BGB bei Zulagen und sonstigen freiwilligen Leistungen einschränkend zu beurteilen sein. Dies beruht nach der oben zitierten ständigen Rechtsprechung darauf, daß der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes aufgrund des Haushaltsrechts erkennbar grundsätzlich nur die Leistungen gewähren will, die er nach haushaltsrechtlichen Grundsätzen auch gewähren darf; das sind die gesetzlich oder tariflich vorgesehenen Mindestleistungen. Etwas anderes hat jedoch zu gelten, wenn es wie vorliegend um die Vergütung als Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erwartete Arbeitsleistung geht. Die Festlegung des Entgelts für wissenschaftliche Hilfskräfte in Höhe von 50 % der Dienstbezüge der Besoldungsgruppe A 13 unter Annahme eines fiktiven Besoldungsdienstalters entsprechend der Empfehlung der Kultusministerkonferenz beinhaltet die Annahme der für die Tätigkeit der Hilfskräfte als angemessen angesehenen Vergütung. Wenn diese, wie geschehen, der Besoldungsentwicklung der Beamten angepaßt wird, liegt darin eine betriebliche Übung, die den Dienstvertrag in entsprechender Weise gestaltet hat. Der Umstand, daß sich der entsprechende Wille des Arbeitgebers durch Ministerialerlasse verdeutlicht hat, spielt insoweit keine Rolle.

c) Entgegen der Auffassung der Revision kann der so gestaltete Dienstvertrag nicht durch haushaltsrechtliche Maßnahmen abgeändert werden. Das Haushaltsrecht des öffentlichen Dienstes hat keinen unmittelbaren Einfluß auf die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen; es kann nicht unmittelbar in Rechte Dritter und damit in das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien eingreifen (BAG 37, 283, 293 f. = AP Nr. 64 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu B II 1 der Gründe). Das Haushaltsrecht ist vielmehr nur insoweit heranzuziehen, als es um die Frage geht, ob der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes darauf vertrauen kann, der Arbeitgeber wolle durch betriebliche Übung Leistungen zum Vertragsgegenstand machen, die gesetzlich oder tariflich nicht vorgesehen sind.

4. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht jedoch dem Kläger Zinsen jeweils aus dem Bruttobetrag der Erhöhung zugesprochen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Kläger bei der gerichtlichen Geltendmachung von Bruttolöhnen Zinsen nur aus den den Bruttobeträgen entsprechenden Nettobeträgen verlangen (vgl. BAG 42, 244, 258 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II; BAG Urteil vom 13. Februar 1985 - 4 AZR 295/83 - AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Presse, jeweils m.w.N.). Der Senat hat den Tenor des Urteils des Landesarbeitsgerichts dementsprechend klargestellt.

Dr. Thomas Michels-Holl Schneider

Döring Fischer

 

Fundstellen

Haufe-Index 440360

BAGE 51, 113-119 (LT)

BAGE, 113

DB 1986, 2190-2190 (LT1)

NJW 1986, 2593

NZA 1986, 605-606 (LT1)

RdA 1986, 271

AP § 242 BGB Betriebliche Übung (LT1), Nr 21

AR-Blattei, Öffentlicher Dienst Entsch 317 (LT1)

DÖD 1986, 271-273 (LT1)

EzA § 242 BGB Betriebliche Übung, Nr 18 (LT1)

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