Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonderzahlung. Nichtverlängerung einer Befristung. Rückzahlung. Tarifauslegung. Gratifikation/Sondervergütung

 

Orientierungssatz

§ 20 Ziff. 5 MTV knüpft eine Pflicht zur Rückzahlung einer Zuwendung nur an ein Ausscheiden infolge eigener Kündigung oder durch Arbeitgeberkündigung, deren Gründe der Arbeitnehmer ausschließlich zu vertreten hat. Die Weigerung, dem Angebot der Fortsetzung eines befristeten Arbeitsverhältnisses zuzustimmen, ist diesen Kündigungstatbeständen nicht gleichzustellen.

 

Normenkette

Manteltarifvertrag vom 23. Juni 1997 für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels § 20 Ziff. 5

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 21.08.2001; Aktenzeichen 8 Sa 431/01)

ArbG München (Urteil vom 25.04.2001; Aktenzeichen 38 Ca 2001/01)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. August 2001 – 8 Sa 431/01 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine tarifliche Sonderzahlung.

Sie schlossen am 27. November 1998 einen Arbeitsvertrag, wonach die Klägerin in der Zeit vom 4. Januar 1999 bis zum 3. Januar 2001 als kaufmännische Angestellte für die Beklagte tätig sein sollte. Diese betreibt ein Im- und Exportunternehmen für Obst, Gemüse und Südfrüchte.

Im Arbeitsvertrag heißt es in § 2 II. “Befristetes Arbeitsverhältnis”:

“Der Arbeitsvertrag wird auf die Dauer von 24 Monaten … befristet abgeschlossen und endet somit am … ohne daß es einer Kündigung bedarf. …”

Unter § 5 “Vergütung” ist geregelt, daß die Klägerin ein Tarifgehalt nach Gehaltsgruppe III des Gehaltstarifvertrages für die Angestellten in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels in Höhe von 3.235,00 DM sowie eine freiwillige Zulage von 765,00 DM erhält. § 5 Ziff. 5 enthält Regelungen zu freiwilligen Zuwendungen. Es heißt ua.:

“Scheidet der Arbeitnehmer nach Gewährung einer Weihnachtsgratifikation aus, so ist die Gratifikation zurückzuzahlen. § 21 MTV (siehe § 12) bleibt unberührt.

Die Rückzahlungspflicht entfällt jedoch,

a. wenn die Zuwendung bis zu DM 200,00 beträgt,

…”

In § 12 heißt es:

“Grundlage des Arbeitsvertrages sind die jeweils gültigen Tarifverträge für die Arbeitnehmer in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels. …”

In § 15 “Besondere Vereinbarungen” ist geregelt:

“1) Urlaub, Urlaubsgeld, VWL, Sonderzahlung lt. Tarifvertrag für den Groß- und Außenhandel,

…”

Der für allgemeinverbindlich erklärte Manteltarifvertrag vom 23. Juni 1997 für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels, gültig ab 1. Juli 1997 (im folgenden: MTV) enthält ua. folgende Vorschriften:

“§ 3 Anstellung auf Probe, auf Zeit, zur Aushilfe

2. Ist das Arbeitsverhältnis auf Zeit abgeschlossen worden, so endet es mit Ablauf der Zeit.

§ 5 Ende des Arbeitsverhältnisses

Das Arbeitsverhältnis endet:

1. durch Kündigung,

2. nach Ablauf der vereinbarten Zeit,

§ 20 Sonderzahlung

1. Anspruchsberechtigung

Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen und Auszubildende, die am 1. Dezember eines Kalenderjahres dem Betrieb/Unternehmen mindestens elf Monate ununterbrochen angehören, haben kalenderjährlich einen Anspruch auf Sonderzahlung.

2. Die Höhe der Sonderzahlung beträgt 50 % des dem/der Anspruchsberechtigten jeweils zustehenden monatlichen Tarifentgelts bzw. der tariflichen Ausbildungsvergütung.

3. Fälligkeit

Die Sonderzahlung ist grundsätzlich mit dem Novembergehalt, spätestens jedoch bis zum 10. Dezember des Jahres fällig.

5. Rückzahlungsklausel

Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen und Auszubildende, die vor dem 31. März des Folgejahres infolge eigener Kündigung oder durch Arbeitgeberkündigung, deren Gründe der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin oder Auszubildende ausschließlich zu vertreten hat, ausscheiden, müssen die Sonderzahlung bis auf einen Restbetrag von 200,00 DM zurückerstatten.

Steht bei Fälligkeit der Sonderzahlung diese Rückzahlungsverpflichtung bereits fest, so ist vom Arbeitgeber nur noch der Restbetrag zu leisten.”

Die Klägerin wies im Dezember 2000 den Buchhalter der Beklagten auf ihr bevorstehendes Ausscheiden hin. Daraufhin führte die Tochter des Geschäftsführers der persönlich haftenden Gesellschafterin der Beklagten ein Gespräch mit der Klägerin. Die Parteien einigten sich dabei nicht über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte zahlte an die Klägerin nur 200,00 DM als Sonderzahlung aus.

Die Klägerin verlangte mit Schreiben vom 16. Januar 2001 den Restbetrag der tariflichen Weihnachtsgratifikation. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 22. Januar 2001 ab. Mit der am 7. Februar 2001 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage hat die Klägerin 50 % des Tarifentgelts von 3.235,00 DM, das sind 1.617,50 DM abzüglich gezahlter 200,00 DM geltend gemacht.

Die Klägerin, die ein Fortsetzungsangebot der Beklagten bestreitet, meint, sie habe die tariflichen Voraussetzungen für die Sonderzahlung erfüllt. Eine Rückzahlungsverpflichtung bestehe nicht, da die Tarifvertragsparteien die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Ablauf der Befristung nicht als die Rückzahlungspflicht auslösenden Tatbestand geregelt hätten.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.417,50 DM brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatzüberleitungsgesetzes vom 9. Juni 1998 seit dem 23. Januar 2001 zu zahlen.

Die Beklagte beruft sich zu ihrem Klageabweisungsantrag darauf, daß die Klägerin es abgelehnt habe, das Arbeitsverhältnis über den 3. Januar 2001 hinaus fortzusetzen, obwohl ihr auch eine Halbtagstätigkeit angeboten worden sei. Die tarifliche Rückzahlungsverpflichtung sei auf alle solchen Fälle entsprechend anwendbar, in denen die fehlende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf den Arbeitnehmer zurückgehe. Die Klägerin sei nicht anders zu behandeln, als hätte sie das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die tarifvertragliche Sonderzahlung in der geltend gemachten und rechnerisch unstreitigen Höhe.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß der der Klägerin zustehende tarifliche Anspruch nicht der Rückzahlungsregelung des § 20 Ziff. 5 MTV unterliege, da hierin der Ablauf der Befristung nicht vorgesehen sei. Eine ergänzende Tarifauslegung sei nicht möglich, weil nach dem Wortlaut nur die einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung zur Rückzahlung führe. Der Ablauf einer Befristung sei ein völlig eigenständiger Beendigungstatbestand. Eine analoge Anwendung scheide aus, weil weder eine planwidrige Tariflücke noch ein vergleichbarer Lebenssachverhalt vorliege.
  • Dem folgt der Senat.

    1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die geltend gemachte Sonderzuwendung erworben, da sie am 1. Dezember 2000 dem Betrieb elf Monate ununterbrochen angehörte.

    2. Die Vorinstanzen haben zu Recht allein auf den tarifvertraglichen Anspruch abgestellt und nicht auf die arbeitsvertraglichen Regelungen zur Sonderzuwendung, da der tarifvertragliche Anspruch günstiger ist (§ 4 Abs. 3 TVG). Auf ist ihn ist in § 15 des Arbeitsvertrages noch einmal ausdrücklich hingewiesen worden.

    3. Eine Rückzahlungsverpflichtung gemäß § 20 Abs. 5 MTV, die zur Folge hätte, daß von vornherein nur 200,00 DM zu leisten gewesen wären, besteht nicht. Dies folgt aus der Auslegung der Vorschrift.

    a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11 mwN).

    b) Der Wortlaut der Tarifnorm spricht klar dagegen, daß das Auslaufen einer Befristung zur Rückzahlungspflicht führen kann. Diese soll nur eintreten, wenn der Arbeitnehmer infolge einer Kündigung ausscheidet. Eine Kündigung, auch eine Eigenkündigung, ist eine einseitig gestaltende Willenserklärung, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Der Ablauf einer Befristung beruht dagegen auf einer von Anfang an bestehenden vertraglichen Übereinkunft. Es ist keine weitere Handlung oder Erklärung erforderlich, um das Arbeitsverhältnis zu beenden. Weder nach dem allgemeinen Sprachgebrauch noch nach der im Rechtsleben üblichen Verwendung der Begriffe sind die beiden Sachverhalte gleichbedeutend oder wenigstens vergleichbar.

    c) Auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich nicht, daß der Ablauf einer Befristung einer Kündigung gleichstehen kann. In § 5 MTV haben die Tarifvertragsparteien als mögliche Beendigungstatbestände eines Arbeitsverhältnisses sowohl die Kündigung genannt als auch den Ablauf einer vereinbarten Zeit. Sie haben damit ausdrücklich zwischen den beiden Tatbeständen differenziert. In § 2 des Arbeitsvertrages haben die Parteien dies nachvollzogen. Das Arbeitsverhältnis soll zum vereinbarten Zeitpunkt enden, “ohne daß es einer Kündigung bedarf”.

    d) Der von der Beklagten behauptete Sachverhalt, wonach die Klägerin es abgelehnt habe, das Arbeitsverhältnis einverständlich fortzusetzen, nachdem ihr sowohl eine Voll- als auch eine Halbtagsstelle angeboten worden seien, steht einer Eigenkündigung nicht gleich. Eine diesen Tatbestand umfassende ergänzende Tarifvertragsauslegung scheidet angesichts des klaren Wortlauts aus. Die Tarifvertragsparteien haben für den Fall der Arbeitgeberkündigung darauf abgestellt, ob diese vom Arbeitnehmer ausschließlich zu vertreten ist. Wenn sie außerdem noch den Fall der Eigenkündigung als die Rückzahlungspflicht auslösend ansehen, haben sie damit nur den ihnen bekannten Tatbestand der Kündigung geregelt und keinen anderen. Auf Anlaß oder Motivation weiterer Beendigungstatbestände kommt es nicht an (vgl. BAG 31. Januar 1979 – 5 AZR 551/77 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 101 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 62).

    e) Den Vorinstanzen ist weiterhin darin zuzustimmen, daß aus den oben geschilderten Gründen auch eine analoge Anwendung von § 20 Ziff. 5 MTV auf den Fall der Ablehnung eines Verlängerungsangebots ausscheidet. Weder besteht eine planwidrige Regelungslücke noch ein vergleichbarer Sachverhalt. Der Senat hat bereits in der Entscheidung vom 6. Oktober 1993 (– 10 AZR 477/92 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 157 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 106) darauf hingewiesen, daß eine arbeitsvertragliche Befristung und eine – in jenem Fall betriebsbedingte – Kündigung unterschiedliche Lebenssachverhalte betreffen.

    4. Die Klägerin hat ihren Anspruch innerhalb der Ausschlußfristen des § 18 Ziff. 1 c) und Ziff. 4 MTV geltend gemacht, nämlich schriftlich innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit und gerichtlich binnen zwei Monaten nach Ablehnung durch die Beklagte.

  • Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
 

Unterschriften

Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Lindemann, Kay Ohl

 

Fundstellen

NZA 2003, 1296

AP, 0

EzA-SD 2003, 7

EzA

NJOZ 2003, 3190

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