Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Gratifikation bei befristetem Arbeitsverhältnis

 

Orientierungssatz

Nach dem Tarifvertrag über die Gewährung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 18.4.1983 haben Arbeitnehmer nur dann einen Anspruch auf anteilige Sondervergütung, wenn ihr Arbeitsverhältnis am 30. November mindestens 3 Monate ununterbrochen besteht - der Arbeitgeber vor dem 30. November ordentlich kündigt und das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens 3 Monate ununterbrochen bestanden hat - um die Voraussetzung für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen, der Arbeitnehmer kündigt oder die Parteien das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgehoben haben.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 18.10.1984; Aktenzeichen 10 Sa 662/84)

ArbG Hamm (Entscheidung vom 23.02.1984; Aktenzeichen 4 Ca 1729/83)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund des Tarifvertrages über die Gewährung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 18. April 1983 (in Zukunft: ZuwTV) im Jahr 1983 einen Anspruch auf eine anteilige Zahlung hat, obwohl sein Arbeitsverhältnis vor dem 30. November 1983 geendet hat.

Der Kläger war aufgrund zweier aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge bei der Beklagten vom 25. April 1983 bis zum 15. September 1983 als Baufachwerker mit einem Stundenlohn von 13,24 DM brutto beschäftigt. Der erste Vertrag wurde am 25. April 1983 abgeschlossen und lief bis zum 31. Juli 1983. Daran schloß unmittelbar der zweite Vertrag für die Zeit vom 1. August bis zum 15. September 1983 an. Beide Parteien sind tarifgebunden. Nach seinem Ausscheiden verlangte der Kläger von der Beklagten mit Schreiben vom 11. Oktober 1983 eine anteilige Sonderzuwendung für vier Monate nach § 2 Abs. 3 ZuwTV. Der ZuwTV hat - soweit es hier interessiert - folgenden Wortlaut:

"§ 2

Anspruch

(1) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. No-

vember des laufenden Kalenderjahres mindestens

zwölf Monate ununterbrochen besteht, haben An-

spruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe des

102fachen ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen

Gesamttarifstundenlohnes.

(2) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. No-

vember des laufenden Kalenderjahres noch nicht

zwölf Monate ununterbrochen besteht, haben für

jeden vollen Beschäftigungsmonat, den sie bis

zum 30. November ununterbrochen im Betrieb zu-

rückgelegt haben, Anspruch auf ein Zwölftel des

in Abs. 1 genannten Betrages, wenn das Beschäf-

tigungsverhältnis am 30. November mindestens drei

Monate ununterbrochen besteht.

(3) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch or-

dentliche Kündigung des Arbeitgebers vor dem

30. November endet, haben für jeden vollen Be-

schäftigungsmonat, den sie seit dem 1. Dezember

des vergangenen Kalenderjahres ununterbrochen im

Betrieb zurückgelegt haben, Anspruch auf ein

Zwölftel des in Abs. 1 genannten Betrages, wenn

das Beschäftigungsverhältnis im Zeitpunkt des

Ausscheidens mindestens drei Monate ununterbro-

chen bestanden hat. Der Anspruch besteht auch

dann, wenn das Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer

gekündigt oder wenn es einvernehmlich aufgehoben

wird, um die Voraussetzungen für den Bezug einer

Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu

schaffen.

(4) .....

§ 3

Fälligkeit

Die Beträge gemäß § 2 Abs. 1 und 2 sind zusammen

mit dem Lohn für den Monat November, frühestens

jedoch am 1. Dezember auszuzahlen; der Betrag ge-

mäß § 2 Abs. 3 ist mit Beendigung des Arbeitsver-

hältnisses fällig.

§ 4

Auszubildende

Auszubildende haben nach Maßgabe der §§ 2 und 3

Anspruch auf 300,-- DM. Endet das Ausbildungsver-

hältnis vor dem 30. November des laufenden Kalen-

derjahres, so besteht für jeden angefangenen Aus-

bildungsmonat, der seit dem 1. Dezember des ver-

gangenen Jahres im Betrieb zurückgelegt worden

ist, Anspruch auf ein Zwölftel des in Satz 1 ge-

nannten Betrages,

a) wenn im Anschluß an das Ausbildungsverhältnis

ein Arbeitsverhältnis im Ausbildungsbetrieb

aufgenommen wurde und ein Anspruch gemäß § 2

Abs. 2 oder 3 besteht, oder

b) wenn der Auszubildende im Anschluß an das Aus-

bildungsverhältnis nicht als Arbeitnehmer im

Ausbildungsbetrieb eingestellt wird, obgleich

er die Begründung eines Arbeitsverhältnisses

angeboten hat.

Für die Fälligkeit der Teilbeträge nach Satz 2

gilt § 3."

Nachdem die Beklagte den Anspruch abgelehnt hatte, erhob der Kläger am 14. November 1983 Klage. Er hat die Auffassung vertreten, nach § 2 Abs. 3 ZuwTV stehe ihm ein Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung zu, da er länger als drei Monate bei der Beklagten beschäftigt gewesen und das Ende des Arbeitsverhältnisses wegen Fristablauf vor dem Stichtag ebenso zu behandeln sei, als ob dieses vom Arbeitgeber aufgelöst worden sei. Mit der tariflichen Regelung solle ein Anspruch auf die Sonderzuwendung nur dann ausgeschlossen werden, wenn ein Arbeitnehmer eine fristlose Kündigung des Arbeitgebers veranlaßt habe. Die Befristung der beiden Arbeitsverträge sei im übrigen von der Beklagten veranlaßt worden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

450,16 DM brutto nebst 4 % Zinsen

seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nach § 2 Abs. 3 ZuwTV bestehe ein Anspruch auf eine Teilleistung nur dann, wenn einer der dort geregelten Ausnahmetatbestände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem Stichtag gegeben sei. Das Ende eines befristeten Arbeitsverhältnisses werde hiervon nicht erfaßt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, nachdem es Auskünfte der Tarifvertragsparteien eingeholt hat. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine anteilige Sonderleistung nach dem ZuwTV.

1. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages über die Gewährung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 18. April 1983 haben alle die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres mindestens zwölf Monate ununterbrochen besteht, Anspruch auf Zahlung einer Sondervergütung (§ 2 Abs. 1). Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres noch nicht zwölf Monate ununterbrochen besteht, haben einen Anspruch auf anteilige Sondervergütung, wenn ihr Arbeitsverhältnis am 30. November mindestens drei Monate ununterbrochen besteht (§ 2 Abs. 2). Schließlich haben Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 30. November durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers geendet hat, Anspruch auf anteilige Sondervergütung, wenn das Beschäftigungsverhältnis im Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens drei Monate ununterbrochen bestanden hat (§ 2 Abs. 3). Der Anspruch besteht auch dann, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis gekündigt hat oder die Parteien es einvernehmlich aufgehoben haben, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen.

2. Der Kläger erfüllt unstreitig weder die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 noch die des § 2 Abs. 2 ZuwTV. Streitig ist allein, ob die Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 ZuwTV, die einen Anspruch auf anteilige Sonderzuwendung bei ordentlicher Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zu einem Termin vor dem Stichtag 30. November gewährt, erweiternd auf die Fälle auszudehnen ist, bei denen das Arbeitsverhältnis wegen Fristablauf vor diesem Termin endet.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei der Auslegung von Tarifnormen ebenso wie bei Gesetzen von deren Wortlaut auszugehen. Dabei ist ihr maßgeblicher Sinn zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Auf den der tariflichen Regelung zugrundeliegenden Willen der Tarifvertragsparteien kommt es nur insoweit an, als dieser im Tarifvertrag noch erkennbaren Ausdruck gefunden hat. Erst danach ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen (BAG 18, 278, 282 = AP Nr. 117 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 9. Juli 1980 - 4 AZR 560/78 - AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seeschiffahrt, jeweils m. w. N.).

b) Das Landesarbeitsgericht hat sich an diese Rechtsgrundsätze gehalten. Es ist zutreffend davon ausgegangen, daß die zu beurteilende Tarifvorschrift eine Ausnahmeregelung von dem Grundsatz des ZuwTV darstellt, einen Anspruch auf Sonderzuwendung nur dann zu gewähren, wenn am 30. November ein Arbeitsverhältnis tatsächlich besteht. Auch die bis ins Einzelne gehende Sonderregelung der Anspruchsvoraussetzungen in § 4 ZuwTV für solche Auszubildenden, deren Ausbildungsverhältnis vor dem 30. November des laufenden Kalenderjahres endet, zeigt, daß die Tarifvertragsparteien das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses am 30. November als entscheidendes Kriterium für einen Anspruch angesehen haben und einen Teilanspruch nur in besonders geregelten Ausnahmefällen gewähren wollten.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 des Tarifvertrages soll eine Ausnahme von diesem Grundsatz nur dann bestehen, wenn der Arbeitnehmer am 30. November deshalb nicht in einem Arbeitsverhältnis steht, weil dieses vorher aufgrund ordentlicher Kündigung endete.

3. a) Der Senat hat in der von der Revision angezogenen Entscheidung vom 18. Mai 1983 - 5 AZR 133/81 - AP Nr. 115 zu § 611 BGB Gratifikation entschieden, ein Teilanspruch wie bei einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers bestehe auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgehoben wird, um einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers zuvorzukommen, bzw. wenn der Aufhebungsvertrag die Kündigung ersetzt.

b) Entgegen der Auffassung der Revision läßt sich diese Fallgestaltung jedoch nicht auf den Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses übertragen.

Wie § 4 ZuwTV zeigt, war den Tarifvertragsparteien das Problem der Beendigung eines Anstellungsverhältnisses im Betrieb vor Ablauf des Stichtages 30. November durchaus gegenwärtig. Für die Auszubildenden, deren Anstellungsverhältnis typischerweise befristet ist, haben sie diesen Fall auch ausdrücklich geregelt. Wenn sie dies für die befristeten Arbeitsverhältnisse nicht getan haben, so zeigt sich, daß insoweit gerade kein Anspruch bestehen sollte. Darin drückt sich ein Rest der für einen Anspruch auf Sonderzuwendung üblicherweise geforderten Betriebsbindung aus.

Hätten die Tarifvertragsparteien auch bei vorzeitigem Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses einen Teilanspruch gewähren wollen, hätte nichts näher gelegen, als dies bei der Neufassung der Vorschrift des § 2 Abs. 3 ZuwTV im Jahr 1983, bei der Satz 2 angefügt wurde, zum Ausdruck zu bringen. Zwar ist eine entsprechende Forderung aufgestellt worden, doch wurde sie nicht in den TV aufgenommen. Auch deshalb ist eine erweiternde Auslegung im Sinne der Revision nicht möglich.

Dr. Thomas Dr. Gehring Schneider

Krebs Arntzen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440389

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