Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Freizeitgewährung - Tarifbindung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Komplementär-GmbH kann für eine GmbH & Co KG durch ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband die Tarifbindung für die GmbH & Co KG begründen, wenn sie die Mitgliedschaft allein im Interesse und mit Billigung der KG erworben hat.

2. Gewährt ein Arbeitgeber nicht zeitgerecht für geleistete Überstunden nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Elektrohandwerke in Nordrhein-Westfalen (MTV) vom 8. Mai 1990 Freizeitausgleich, so kann dieser Anspruch erlöschen. An seine Stelle tritt jedoch ein Verzugsschadenersatzanspruch, wenn der Arbeitgeber dies zu vertreten hat.

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 01.04.1993; Aktenzeichen 5 (18) Sa 1223/92)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 10.07.1992; Aktenzeichen 3 Ca 2157/92)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Elektrohandwerke in Nordrhein-Westfalen vom 8. Mai 1990 Anwendung findet und damit die Kläger Anspruch auf Freizeitausgleich für die in der Zeit von Januar bis einschließlich Mai 1992 geleistete Mehrarbeit haben.

Die Klägerin zu 1) ist seit 1985 als kaufmännische Angestellte bei der Beklagten beschäftigt. Der Kläger zu 2) ist seit 1984 als Lagerist bei der Beklagten tätig. Der Kläger zu 3) ist bei der Beklagten seit 1987 als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Alle drei Kläger sind Mitglieder der IG Metall. Sie haben im streitgegenständlichen Zeitraum wöchentlich 40 Stunden gearbeitet ohne Mehrarbeitsvergütung oder Freizeitausgleich erhalten zu haben.

Die Beklagte begann ihre Tätigkeit am 1. Januar 1979. Sie ist ein Betrieb, der sich im wesentlichen mit dem Vertrieb, der Wartung und Reparatur von Elektrogeräten befaßt.

Die H GmbH ist Komplementärin der Beklagten. Der Geschäftsführer der H GmbH G machte sich 1970 selbständig. Er wurde Mitglied der Elektroinnung Kreis M , um dadurch eine Ausnahmegenehmigung zur Ausübung des Handwerkes zu erlangen, da er nicht Elektromeister ist. 1978 wurde die Einzelfirma in die H GmbH umgewandelt. Die H GmbH beschäftigt keine eigenen Arbeitnehmer. Sie ist aufgrund schriftlicher Beitrittserklärung vom 6. März 1979 seit 1. März 1979 Mitglied der Elektroinnung. Diese Beitrittserklärung wurde nicht vom Geschäftsführer G unterschrieben.

Seit 1979 wurden die Mitgliedsbeiträge an die Innung von der Beklagten gezahlt. Am 1. März 1980 wurde die Beklagte ohne Beitrittserklärung oder Aufnahmeantrag in die Handwerksrolle der Elektroinnung der Kreishandwerkerschaft eingetragen.

Am 8. Mai 1990 schlossen der Fachverband Elektrotechnische Handwerke Nordrhein-Westfalen (Landesinnungsverband der Elektrohandwerke) und die IG Metall - Bezirksleitungen Dortmund und Wuppertal - den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Elektrohandwerke in Nordrhein-Westfalen (MTV) ab. Dieser Manteltarifvertrag trat am 1. Januar 1990 in Kraft.

Mit ihren beim Arbeitsgericht erhobenen Klagen fordern die Kläger die Gewährung von Freizeitausgleich nach § 4 MTV in unstreitiger Höhe von jeweils 44,4 Stunden. Die Kläger haben die Auffassung vertreten, der MTV finde Anwendung. Die Tarifbindung der Beklagten folge aus der Mitgliedschaft der Komplementär-GmbH in der Elektroinnung und damit des Landesinnungsverbandes der Elektrohandwerke Nordrhein-Westfalens als Tarifvertragspartei. Diese Mitgliedschaft sei der Beklagten zuzurechnen. Die GmbH verfolge in Ermangelung eigenen Personals keine eigenen wirtschaftlichen Interessen, sondern führe ausschließlich die Geschäfte der Beklagten. Die Mitgliedschaft der GmbH in der Innung bestehe nur im Interesse der Beklagten. Darüber hinaus ergebe sich die Zugehörigkeit der Beklagten zur Elektroinnung schon aufgrund ihrer Eintragung in der Handwerksrolle.

Die Kläger haben beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu

1 bis 3 jeweils 44,4 Stunden Freizeitausgleich

zu gewähren.

2. Für den Fall, daß der Freizeitausgleich nicht

innerhalb eines Monats nach Rechtskraft des

Urteils gewährt worden oder abgegolten worden

ist, die Beklagte zur Zahlung einer der Höhe

nach in das Ermessen des Gerichts jeweils ge-

stellten Entschädigung zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Innungsmitgliedschaft der H GmbH könne ihr nicht zugerechnet werden. Es widerspreche der rechtlichen Selbständigkeit beider Gesellschaften, der durch das Grundgesetz gewährten Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit, aus der Mitgliedschaft der Komplementär-GmbH einer KG auf die Mitgliedschaft der KG zu schließen. Auch der Grundsatz der Rechtsklarheit erfordere, daß bei der Mitgliedschaft nur auf diejenige juristische Person oder Gesellschaft abgestellt werden könne, die tatsächlich der Innung beigetreten sei. Anderenfalls könne bei konzern- oder quasi konzernähnlichen Gesellschaften nicht eindeutig entschieden werden, wer als Mitglied der Innung anzusehen sei. Die GmbH führe die Mitgliedschaft weder im Interesse der Beklagten noch bedürfe es der Mitgliedschaft zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes. Dies zeige sich schon daran, wie es zur Mitgliedschaft des Herrn G als selbständiger Handwerker gekommen sei. Nach Umwandlung der Einzelfirma in die GmbH habe die Innung nämlich die persönliche Mitgliedschaft des Herrn G auf die GmbH übertragen. Dieser sei allerdings davon ausgegangen, mit Gründung der GmbH erlösche seine Mitgliedschaft. Es habe dabei auch keiner Mitgliedschaft der GmbH in der Innung mehr bedurft. Herr G sei auch davon ausgegangen, mit Gründung der KG sei die Mitgliedschaft der GmbH erloschen. Die Beklagte sei auch nicht aufgrund der Eintragung in die Handwerksrolle Mitglied in der Innung geworden. Die Eintragung sei ohne Wissen und Wollen der Beklagten erfolgt. Die Mitgliedsbeiträge habe sie irrtümlich abgeführt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision ihren ursprünglichen Klageabweisungsantrag weiter. Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Kläger haben Anspruch auf Freizeitausgleich in der geltend gemachten Höhe.

I. Auf die zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisse findet der MTV für die Arbeitnehmer der Elektrohandwerke in Nordrhein-Westfalen vom 8. Mai 1990 gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG Anwendung.

1. Die Tarifbindung der Kläger ergibt sich aus ihrer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft IG Metall.

Sie unterliegen auch dem Geltungsbereich des MTV.

Dieser ist wie folgt geregelt:

"§ 1

Geltungsbereich

a) Räumlich: für das Land Nordrhein-Westfalen.

Ausgenommen bleibt das Gebiet der

Elektro-Innung Siegburg.

b) Fachlich: für das Elektroinstallateur-, das

Elektromaschinenbauer-, das

Elektromechaniker- und das

Fernmeldeanlagenelektroniker-

Handwerk.

c) Persönlich: a) für alle Arbeitnehmer (gewerb-

liche Arbeitnehmer und Ange-

stellte).

b) ..."

Die Kläger sind Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Buchst. c a MTV in einem Betrieb des Elektrohandwerks in Nordrhein-Westfalen.

2. Auch die Beklagte ist tarifgebunden. Tarifgebunden sind nach § 3 Abs. 1 TVG abgesehen von dem Arbeitgeber, der selbst Partei eines Tarifvertrages ist, nur die Mitglieder der Tarifvertragsparteien.

Tarifvertragspartei auf Arbeitgeberseite ist der Landesinnungsverband der Elektrohandwerke. Dieser ist tariffähig (§ 82 Ziff. 3 HWO). Es kommt somit darauf an, ob die Beklagte Mitglied einer dem Landesinnungsverband der Elektrohandwerke angehörenden Elektroinnung ist.

a) Die Beklagte ist als Mitglied der Elektroinnung Kreis M anzusehen.

aa) Diese Mitgliedschaft folgt allerdings noch nicht aus ihrer Eintragung in die Handwerksrolle. Die Eintragung in die Handwerksrolle stellt gemäß § 7 HwO einen Verwaltungsakt mit konstitutiver Wirkung dar. Mit der Eintragung erwirbt der Betreffende die Berechtigung zur selbständigen Ausübung eines Handwerks. Dies ist zwar eine der gesetzlichen Voraussetzungen für den Erwerb der Innungsmitgliedschaft, führt jedoch nicht zwingend dazu. Die Mitgliedschaft in der Innung beginnt erst mit dem Erlaß eines öffentlich-rechtlichen Aufnahmeaktes. Dieser Aufnahmeakt ist ein antragsbedürftiger Verwaltungsakt, über den der Vorstand entscheidet, soweit die Satzung keine abweichende Regelung trifft (Siegert/Musielak, Das Recht des Handwerks, 2. Aufl., § 58 HwO Rz 5).

Ein solcher Aufnahmeakt ist hinsichtlich der Beklagten nicht erfolgt.

bb) Die Mitgliedschaft der Beklagten ergibt sich jedoch aus der Mitgliedschaft ihrer Komplementärin, der H GmbH, in der Elektroinnung.

Bei Personengesellschaften kommt es für die Tarifunterworfenheit i.d.R. auf die Mitgliedschaft der Gesellschaft als solche an (Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 3 Rz 43; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rz 16; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 3 Rz 8).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei einer Mitgliedschaft des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters einer KG in einer tariffähigen Arbeitgeberorganisation davon auszugehen, daß die KG selbst Mitglied der Organisation und damit tarifgebunden ist (BAG Urteil vom 22. Februar 1957 - 1 AZR 426/56 - BAGE 3, 358 = AP Nr. 2 zu § 2 TVG). Hiervon ausgehend ist auch die Mitgliedschaft der Beklagten zu bejahen. Dem steht nicht entgegen, daß es sich bei der Komplementärin der Beklagten nicht um eine natürliche, sondern um eine juristische Person handelt. Es ist anerkannt, daß auch eine juristische Person Gesellschafterin einer Personenhandelsgesellschaft sein kann, und zwar sowohl als persönlich haftende Gesellschafterin (Komplementärin) als auch als Kommanditistin (Happ, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 2, § 1 Rz 28, m.w.N.). Auf die rechtlichen Besonderheiten, die bei der GmbH & Co. KG gegenüber der KG bestehen, kommt es im vorliegenden Fall nicht an.

Dabei kommt es entscheidend darauf an, in wessen Interesse die Komplementärin die Mitgliedschaft in der Innung begründet hat. Die H GmbH hat ihre Innungsmitgliedschaft aber im Interesse der Beklagten und damit für die Beklagte erworben.

Nach § 58 Abs. 1 HwO kann Mitglied der Handwerksinnung jeder selbständige Handwerker werden, der das Handwerk ausübt. Selbständiger Handwerker ist jede in die Handwerksrolle eingetragene natürliche oder juristische Person oder Personengesellschaft. Dabei ist "ausüben" nicht im Sinne der tatsächlichen Betätigung zu verstehen. Ausschlaggebend ist allein die Eintragung in die Handwerksrolle. Ob diese zu Recht besteht, ist nicht von Bedeutung (Kübler/Aberle/Schubert, Die Deutsche Handwerksordnung, Stand November 1990, § 58 HwO Rz 2; Siebert/Musielak, Das Recht des Handwerks, 2. Aufl., § 58 HwO Rz 3, m.w.N.). Auch wenn die Rechtmäßigkeit der Eintragung zu unterstellen ist, hat diese bei juristischen Personen jedoch nur Sinn, wenn tatsächlich ein Handwerk betrieben wird. Denn nach § 7 Abs. 4 HwO ist bei juristischen Personen die Eintragung der Inhaber in die Handwerksrolle davon abhängig, daß der Betrieb von einem Handwerker geleitet wird, der die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt. Dieser "Betriebsleiter" ist Leiter des technischen (handwerklichen) Bereiches des Unternehmens. Er ist verantwortlich für die Leitung, Führung und Beaufsichtigung des handwerklichen Sektors des Unternehmens. Die dort Tätigen müssen seinen Anweisungen zu folgen haben (Kübler/Aberle/Schubert, aaO, § 7 HwO Rz 24). Die H GmbH beschäftigt jedoch keine Arbeitnehmer. Da sie somit nicht selbst unternehmerisch tätig ist, sondern allein die Beklagte, macht die Mitgliedschaft der GmbH nur als eine für die Beklagte und in deren Interesse Sinn. Ohne Erfolg stützt sich die Beklagte darauf, der damals selbständige Handwerker und jetzige Geschäftsführer, Herr G , sei 1972 nur Innungsmitglied geworden, um die Ausnahmegenehmigung zur Führung und Ausübung des Handwerks zu erhalten, und es habe der Innungsmitgliedschaft der späteren GmbH nicht mehr bedurft, weil diese selbst die gewerberechtlichen Voraussetzungen erfüllt habe. Maßgebend ist, daß die GmbH, die schon 1978 gegründet wurde, erst zum 1. März 1979 Innungsmitglied wurde, zu einem Zeitpunkt, als die Beklagte schon existierte.

Dabei ist unbeachtlich, daß der Geschäftsführer die Beitrittserklärung vom 6. März 1979 nicht selbst unterschrieben hat. Der Unterzeichner hat diese Erklärung als Vertreter der GmbH abgegeben. Gemäß § 164 Abs. 1 BGB wirkt sie damit auch für diese. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn eine Vollmacht nicht vorlag. Darauf hat sich die Beklagte jedoch nicht berufen. Auch sonst ist hierfür nichts ersichtlich.

Auch der Einwand der Beklagten, sie habe nicht die Stellung als Innungsmitglied erworben, da sie keinen nach der Satzung erforderlichen Aufnahmeantrag oder Beitrittserklärung abgegeben und keine Stimm- und Mitwirkungsrechte in der Innung habe, vermag nicht durchzudringen. Hierauf kommt es nicht an, da sich die Mitgliedschaft der Beklagten aus der Mitgliedschaft ihrer Komplementärin ableitet und nicht originär von ihr begründet wurde.

Für ein fehlendes Eigeninteresse der H GmbH an der Innungsmitgliedschaft spricht auch, daß nicht sie, sondern die Beklagte selbst seit 1979 die Mitgliedsbeiträge an die Innung abgeführt hat und daß diese sich an den Lohn- und Gehaltskosten der Arbeitnehmer der Beklagten orientiert haben. Dem steht nicht entgegen, wenn die Beitragszahlungen ohne Wissen und Wollen des Geschäftsführers Herrn G durch eine Mitarbeiterin erfolgten, wie die Beklagte meint. Sie muß sich die Kenntnis ihrer Mitarbeiterin analog § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Aus § 166 BGB ergibt sich nämlich der allgemeine Rechtsgrundsatz, daß derjenige, der einen anderen mit der eigenverantwortlichen Erledigung bestimmter Angelegenheiten betraut, sich die Kenntnis dieser Wissensvertreter zurechnen lassen muß (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl., § 166 Rz 3, 6, m.w.N.).

cc) Die Zurechnung der Mitgliedschaft der H GmbH für die Beklagte ist auch nach gesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt. Als Komplementärin steht der H GmbH die gesellschaftliche Vertretung (§ 125 HGB) und die Geschäftsführung (§ 114 HGB) zu. Die Kommanditisten sind von der Vertretung ausgeschlossen (§§ 164, 170 HGB). Auch wenn die schriftliche Beitrittserklärung zur Elektroinnung vom 6. März 1979 nicht im Namen der Beklagten abgegeben wurde, ist sie ihr gleichwohl zuzurechnen. Dies folgt aus der Zielsetzung der KG. Gemäß § 161 Abs. 1 HGB ist die KG eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist. Dabei ist es die Besonderheit der GmbH & Co. KG, daß sich zwei Unternehmen eigenständiger Rechtsform zur Erreichung dieses gemeinschaftlichen Zieles zusammengeschlossen haben. Der Komplementär hat die Aufgabe, die Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnisse im Sinne dieser gemeinsamen Zielsetzung, also für die KG, wahrzunehmen. Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die den Schluß zulassen, daß die H GmbH die Innungsmitgliedschaft nicht in ihrer Funktion als Komplementärin und damit nicht in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, sondern nur individuell für sich erworben hat. Würde man die Mitgliedschaft der Komplementär-GmbH nicht der KG zurechnen, hätte dies zur Folge, daß die KG über ihre Komplementärin die Vorteile einer solchen Mitgliedschaft in Anspruch nehmen könnte. Den Verpflichtungen und Verbindlichkeiten aus der Mitgliedschaft könnte sie sich aber zu Lasten der Arbeitnehmer, die bei ihr beschäftigt sind, entziehen. Dies bedeutet, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend annimmt, eine Umgehung des § 3 TVG.

b) Zu Unrecht beruft sich die Beklagte darauf, einer solchen Auslegung stehe entgegen, daß Kommanditisten bei außergewöhnlichen Geschäften zustimmen müßten (§ 161 Abs. 2, § 116 Abs. 1 u. 2 HGB).

Außergewöhnliche Geschäfte sind solche mit Ausnahmecharakter nach Inhalt, Zweck, Bedeutung oder Risiko (Baumbach/Duden/Hopt, HGB, 28. Aufl., § 116 Anm. 1 B, m.w.N.). Der Beitritt zu einer Innung stellt jedoch kein außergewöhnliches Geschäft in diesem Sinne dar. Im Handwerksbereich, dem Handelszweig der Beklagten, ist eine Innungsmitgliedschaft vielmehr üblich und keinesfalls außergewöhnlich.

c) Ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit liegt nicht vor.

Unter negativer Koalitionsfreiheit wird die Freiheit des Einzelnen verstanden, einer Koalition fernzubleiben bzw. nach einem Beitritt aus ihr wieder auszutreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts, die die negative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG herleiten (BAG, Großer Senat, Beschluß vom 29. November 1967 - GS 1/67 - AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; BVerfGE 20, 312, 321 f.), umfaßt diese auch das Recht des Einzelnen überhaupt keiner Koalition beizutreten (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 188 III 2, m.w.N.). Dieses Recht der Beklagten wird im vorliegenden Fall nicht verletzt. Die Beklagte ist kein Außenseiter im Sinne des Tarifrechts, denn die Mitgliedschaft der Beklagten folgt aus § 3 Abs. 1 TVG aufgrund der Mitgliedschaft ihrer Komplementärin. Diese muß sie sich aus oben genannten Gründen als Konsequenz der rechtlichen Stellung ihrer Komplementärin zurechnen lassen. Es liegt somit weder ein staatlicher Zwang vor noch hat der Verband selbst einen mit einem staatlichen Beitrittszwang vergleichbaren Druck auf die Beklagte ausgeübt.

d) Schließlich führt auch der Einwand der Beklagten, der Grundsatz der Rechtsklarheit erfordere, bei der Mitgliedschaft in einer Innung nur auf diejenige juristische Person oder mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattete Gesellschaft abzustellen, die tatsächlich der Innung beigetreten ist, zu keinem anderen Ergebnis.

Rechtsklarheit und Rechtssicherheit wären nur dann beeinträchtigt, wenn die Innungsmitgliedschaft einer Komplementär-GmbH der GmbH & Co. KG in jedem Fall zuzurechnen wäre. Dies hängt jedoch - wie vorliegend - immer von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab.

II. Die Kläger haben Ansprüche auf Freizeitausgleich in geltend gemachter Höhe.

1. Für die Beurteilung der von den Klägern geltend gemachten Ansprüche sind folgende Regelungen des MTV maßgebend:

"§ 2

Arbeitszeit

1.a) Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit

beträgt

38,5 Stunden

ab 1.4.1991 38 Stunden

ab 1.4.1992 37,5 Stunden

ab 1.4.1993 37 Stunden

...

§ 3

Zuschlagspflichtige Mehr-, Nacht-, Schicht-,

Sonntags- und Feiertagsarbeit und

Freizeitausgleich

...

1. c) Geleistete Mehrarbeit wird einschließlich

der Zuschläge grundsätzlich innerhalb eines

Zeitraumes von 3 Monaten in bezahlter Frei-

zeit abgegolten. Dieser Ausgleichszeitraum

kann mit Zustimmung des Betriebsrates und

des betroffenen Arbeitnehmers im Ausnahme-

fall auf 6 Monate verlängert werden, sofern

die Voraussetzungen nach § 14 der Ar-

beitszeitordnung (AZO) vorliegen. Innerhalb

des Ausgleichszeitraums kann ein Arbeit--

nehmer höchstens 16 Freizeitstunden ansam-

meln. Wird ein Arbeitnehmer, der bereits 16

Stunden Freizeitguthaben hat, erneut zur

Mehrarbeit herangezogen, so werden die über

16 Stunden hinausgehenden Mehrarbeitsstun-

den umgehend, spätestens jedoch innerhalb

2 Wochen mit Freizeitausgleich abgegolten.

Durch Individualvereinbarung können Mehrar-

beitszuschläge in Geld abgegolten werden.

...

§ 4

Höhe der Zuschläge für Mehr-, Nacht-,

Schicht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

1. Mehrarbeit

a) für die ersten 2 täglichen Mehrarbeits-

stunden 25 %

b) für jede weitere Mehrarbeitsstunde 50 %

Der Freizeitausgleich entsprechend § 3 Ziff. 1 c)

berechnet sich wie folgt:

a) für die ersten 2 täglichen Mehrarbeits-

stunden

das 1,25-fache je geleistete Mehrarbeitsstunde

b) für jede weitere Mehrarbeitsstunde

das 1,50-fache je geleistete Mehrarbeitsstunde

..."

Die Kläger haben unstreitig tarifliche Mehrarbeit geleistet, ohne Vergütung oder Freizeitausgleich erhalten zu haben, die einem Gegenwert von jeweils 44,4 Stunden Freizeitausgleich entspricht.

2. Der Anspruch auf Freizeitgewährung folgt allerdings nicht aus dem MTV. Nach § 3 Ziff. 1 c wird die geleistete Mehrarbeit einschließlich der Zuschläge grundsätzlich innerhalb von drei Monaten in bezahlter Freizeit abgegolten. Ob der Anspruch auf Freizeitgewährung nach diesem Zeitraum untergegangen ist, haben die Tarifvertragsparteien nicht festgelegt. Der Tarifvertrag ist daher auszulegen. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Wortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut nicht eindeutig ist, ist der in den tariflichen Normen zum Ausdruck kommende wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und so der Sinn und Zweck der Tarifnorm ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG Urteil vom 23. September 1992 - 4 AZR 66/92 - AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I 2 a der Gründe, m.w.N.).

Bei der Frist des § 3 Ziff. 1 c MTV handelt es sich um eine Ausschlußfrist. Aus der Formulierung des Satzes 1 dieser Bestimmung "wird ... abgegolten" ist der Wille der Tarifvertragsparteien ersichtlich, die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Freizeitgewährung auf drei Monate zu begrenzen. Wäre dies nicht beabsichtigt gewesen, hätten die Vertragsparteien mit der Drei-Monats-Frist eine überflüssige Formulierung in den Wortlaut aufgenommen. Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden.

Darüber hinaus erscheint diese Regelung auch sinnvoll. Sie verhindert, daß Freizeitansprüche über längere Zeiträume aufgespart werden und dadurch ein Freizeitguthaben größeren Volumens entsteht. Gerade dies zu verhindern war Wille der Tarifvertragsparteien, was sich aus § 3 Ziff. 1 c Satz 3 ergibt, wonach ein Arbeitnehmer innerhalb des Ausgleichszeitraums höchstens 16 Freizeitstunden ansammeln kann. Auch durch die Verwendung des Wortes "grundsätzlich" in Satz 1 dieser Regelung wird deutlich, daß die Freizeitgewährung immer innerhalb dieser Frist zu erfolgen hat und nur in den von den Tarifvertragsparteien zugelassenen Ausnahmefällen später erfolgen kann. Diese Ausnahmefälle sind abschließend in § 3 Ziff. 1 c Satz 2 und 4 geregelt. Die Verlängerung des Ausgleichszeitraumes auf sechs Monate ist nach dieser Vorschrift an die Zustimmung des Betriebsrates und an die Voraussetzungen des § 14 AZO geknüpft, die Verlängerung auf zwei Wochen an die Heranziehung des Arbeitnehmers zu Mehrarbeit, die über schon geleistete sechzehnstündige Mehrarbeit hinausgeht.

Die Voraussetzungen für diese Ausnahmevorschriften und damit einer Abweichung vom Drei-Monats-Zeitraum liegen bei den Klägern nicht vor. Damit sind die tariflichen Ansprüche untergegangen.

3. Die Kläger können dennoch gem. § 280 Abs. 1 BGB nach Ablauf des dreimonatigen Ausgleichszeitraumes Freizeitausgleich verlangen. Daß die Frist inzwischen verstrichen ist, hat keinen Einfluß auf die von der Beklagten in jedem Falle zu leistende Naturalrestitution. Die Beklagte hätte den Klägern von sich aus innerhalb der drei Monate den Freizeitausgleich gewähren müssen. Da dies nicht erfolgte, ist der Anspruch erloschen und eine Gewährung nicht mehr möglich. Diese infolge Zeitablaufs eingetretene Unmöglichkeit hat die Beklagte zu vertreten, so daß an die Stelle des ursprünglichen Freizeitanspruchs als Schadenersatzanspruch ein Freizeitanspruch (Ersatzfreizeitanspruch) in gleicher Höhe getreten ist.

4. Die Freizeitgewährungsansprüche der Kläger sind nicht gemäß § 12 MTV verfallen. Die tariflichen Ausschlußfristen sind in § 12 wie folgt geregelt:

--]s,'426440703 "Geltendmachung von Ansprüchen 1. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Ver- bindung stehen, sind innerhalb folgender Aus- schlußfristen geltend zu machen: a) Ansprüche auf Zuschläge aller Art innerhalb zweier Monate nach Zahlung für den Lohn- bzw. Gehaltsabrechnungszeitraum, für den sie hätten abgerechnet werden müssen; b) alle übrigen Ansprüche aus dem Arbeitsver- hältnis innerhalb von 3 Monaten."

Die Ausschlußfristen beginnen mit Ablauf des in § 3 Ziff. 1 c genannten dreimonatigen Ausgleichszeitraums zu laufen. Spätestens im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vom 10. Juli 1992 wurden von allen Klägern die Freizeitgewährungsansprüche für die im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum geleistete Mehrarbeit geltend gemacht. Die Frist ist somit gewahrt.

III. Die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Entschädigung für den Fall, daß der Freizeitausgleich nicht innerhalb eines Monats nach Rechtskraft des Urteils gewährt oder abgegolten ist, ist nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den Vorschriften der § 64 Abs. 7 in Verb. mit § 61 Abs. 2 ArbGG.

§ 61 Abs. 2 ArbGG findet Anwendung, weil die Freizeitgewährung eine Handlung ist, die nach § 888 ZPO zu vollstrecken wäre. Gegenstand der Verurteilung bildet nicht nur die Willenserklärung des Arbeitgebers zur Freistellung, sondern die Festlegung des Freistellungszeitraumes durch den Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts.

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Schaub Dr. Friedrich Schneider

Wehner Gotsche

 

Fundstellen

Haufe-Index 439305

BB 1994, 2003

DB 1994, 2299-2300 (LT1-2)

GmbH-Rdsch 1995, 525 (L)

EBE/BAG 1994, 149-152 (LT1-2)

WiB 1995, 120-121 (LT)

NZA 1995, 638

NZA 1995, 638-641 (LT1-2)

ZAP, EN-Nr 385/95 (L)

AP § 1 TVG, Nr 1

AR-Blattei, ES 1550.3 Nr 7 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 240.3 Nr 29 (LT1-2)

EzA § 3 TVG, Nr 10 (LT1-2)

GmbHR 1995, 525

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge