Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterschiedliches Rentenzugangsalter für Männer und Frauen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Regelungen in Versorgungsverträgen, die für Männer und Frauen ein unterschiedliches Rentenzugangsalter (Männer: 65 Jahre; Frauen 60 Jahre) vorsehen, verstoßen für eine Übergangszeit nicht gegen Art 3 Abs 3 GG. Nach Art 3 Abs 2 GG dürfen die bisher noch für Frauen bestehenden Nachteile im Berufsleben durch die Festlegung eines früheren Rentenalters ausgeglichen werden (Bestätigung des Urteils vom 18. März 1997 - 3 AZR 759/95 -, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimme - BB 1997, 1417).

2. Solche Regelungen verstoßen jedoch gegen Art 119 EG-Vertrag. Die Bestimmung geht auch deutschen gesetzlichen Regelungen vor und verdrängt das entgegenstehende deutsche Recht. Das gilt für die Berechnung einer Invalidenrente, die nach einer theoretischen Altersrente zu berechnen ist, ebenso wie für die Berechnung des Unverfallbarkeitsfaktors nach § 2 Abs 1 BetrAVG.

3. Auf Art 119 EG-Vertrag kann sich ein Mann nur mit Erfolg berufen, soweit bei der Berechnung der Betriebsrente und der Anwartschaft Zeiten nach dem 17. Mai 1990 (Urteil des EuGH - Rs C 262/88 - Barber) zu berücksichtigen sind (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 18. März 1997 - 3 AZR 759/95 -).

4. Der Unverfallbarkeitsfaktor nach § 2 Abs 1 BetrAVG ist für Beschäftigungszeiten vor und nach dem 17. Mai 1990 unterschiedlich zu berechnen. Für Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 ist von einer möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum 65. Lebensjahr auszugehen, für die Zeit nach dem 17. Mai 1990 von einer möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum 60. Lebensjahr (Rentenzugangsalter für Frauen). Entsprechendes gilt für die Berechnung der Invalidenrente, bei deren Berechnung eine erreichbare ("theoretische") Altersrente zu berücksichtigen ist.

 

Normenkette

EGVtr Art. 119; GG Art. 3 Abs. 2-3; BetrAVG § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 16.11.1995; Aktenzeichen 19 Sa 72/95)

ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 01.12.1994; Aktenzeichen 3 Ca 223/94)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Berechnung des betrieblichen Ruhegeldes. Der schwerbehinderte Kläger verlangt in Bezug auf die Altersgrenze die Gleichbehandlung mit Frauen.

Der im Februar 1934 geborene Kläger war vom 1. Oktober 1961 bis zum 30. September 1993 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte hatte ihm Versorgungsleistungen nach der Versorgungsordnung vom 1. Juli 1976 zugesagt. Das betriebliche Ruhegeld wird als Altersrente, als vorzeitige Altersrente oder als Invalidenrente gezahlt. Die Voraussetzungen für den Bezug der Altersrente oder der vorzeitigen Altersrente sind in Abschnitt 3 der Versorgungsordnung geregelt. Hier heißt es (Abschnitt 3.3) u.a.:

"Altersgrenze ist bei Männern das vollendete 65.,

bei Frauen das vollendete 60. Lebensjahr."

Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Invalidenversorgung sind in Abschnitt 4 der Versorgungsordnung geregelt. Der Abschnitt 6 enthält Bestimmungen zur Höhe der Leistungen. Abschnitt 6.3 lautet:

"Bemessungsgrundlage für die Invalidenrente ist

die theoretische Altersrente, die nach den Absät-

zen 6.1 und 6.2, jedoch unter Berücksichtigung

der erreichbaren rentenfähigen Dienstjahre (Ab-

schnitt 9 Absatz 2) statt der abgeleisteten ren-

tenfähigen Dienstjahre (Abschnitt 9 Absatz 1) be-

stimmt wird."

Der Abschnitt 13 enthält Bestimmungen bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es heißt dort (Abschnitt 13.2):

"Endet das Arbeitsverhältnis, ohne daß ein An-

spruch nach dieser Versorgungsordnung entstanden

ist, bleibt die Anwartschaft entsprechend den Be-

stimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der be-

trieblichen Altersversorgung aufrechterhalten.

Sind dagegen die gesetzlichen Voraussetzungen der

Unverfallbarkeit nicht erfüllt, erlischt die An-

wartschaft."

In der Hauszeitung "Nachrichten für unsere Mitarbeiter" vom 25. Mai 1981 ließ die Beklagte folgende Mitteilung veröffentlichen:

"6. Betriebliche Altersversorgung - Rentenbe-

rechnung für Schwerbehinderte

Die Mitarbeiter sind gebeten, auch diesen

Abschnitt der Hauszeitung zu entnehmen und

ihrer betrieblichen Altersversorgung anzu-

fügen.

Wendet man die Bestimmungen unserer be-

trieblichen Altersversorgung buchstabenge-

treu an, so ergäbe sich für schwerbehinder-

te Mitarbeiter, die von ihrem Anspruch, mit

60 Jahren in Pension zu gehen, Gebrauch ma-

chen, eine erhebliche Minderung der Firmen-

rente. Die Versorgungsordnung sieht nämlich

zunächst einen Abzug wie im Falle der Voll-

invalidität und dann noch eine weitere Re-

duzierung für jeden nicht geleisteten ren-

tenfähigen Monat bis zum vollendeten

65. Lebensjahr vor. (Z 6.3 und Z 6.5)

Läßt sich diese Regelung für jemanden, der

aus freien Stücken und bei voller Gesund-

heit ausscheidet, vertreten, so würde sie

im Falle der (Teil-)Invalidität eine sozia-

le Härte bedeuten.

Die Geschäftsleitung hat daher aus konkre-

tem Anlaß beschlossen, in solchen Fällen

nur den Abschlag für Invalidität vorzuneh-

men und auf weitere Abzüge zu verzichten.

Das bedeutet in der Praxis - an einem Bei-

spiel verdeutlicht - folgendes:

Eintrittsalter: 36,

Invalidität und Austritt mit 63,

mögliche Dienstjahre: 29 (bis Alter 65),

abgeleistete Dienstjahre 27,

letztes Einkommen: DM 4.000,--

Berechnung:

27 x 0,4 % = 10,8 %,

10,8 % von DM 4.000,-- = DM 432,--

Verhältnis der abgeleisteten zu den theore-

tisch erreichbaren Dienstjahren:

(27 : 29) x 100 = 93,1 %

Daraus folgt dann: 93,1 % von DM 432,-- =

DM 402,19 als endgültige monatliche Firmen-

rente.

Würde man nun noch die weitere Kürzung

(nach Z 6.3) anwenden, die eigentlich zu-

sätzlich vorgesehen ist, so würde sich ein

weiterer Abschlag von 24 x 0,5 = 12 % =

DM 48,26 ergeben, der Schwerbehinderten--

Pensionär würde in diesem Falle also nur

DM 353,93 erhalten.

Wie oben erklärt, werden wir von dieser

Kürzungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen,

sondern wir wollen den betroffenen Mitar-

beitern eine möglichst lukrative Rente aus

unserem Versorgungswerk zur Verfügung stel-

len."

Ab 1. März 1994 (nach Vollendung des 60. Lebensjahres) bezog der Kläger Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Beklagte zahlte ihm eine Betriebsrente von zunächst 414,57 DM. Sie ging von einer theoretischen Invalidenrente in Höhe von 685,76 DM aus und kürzte diese Rente wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 29,5 % auf 483,46 DM. Die auf diese Weise für den 1. März 1994 berechnete Rente wurde noch einmal anteilig nach § 2 BetrAVG gekürzt.

Mit dieser Berechnung ist der Kläger nicht einverstanden. Er wendet sich insbesondere gegen die Kürzung der theoretischen Invalidenrente um 29,5 % und gegen die zeitratierliche weitere Kürzung der Versorgungsleistung. Er hat zuletzt, nach einer Klageerweiterung in der Berufungsinstanz, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. März

1994 monatliche Rentenleistungen von 792,91 DM zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und die Anschlußberufung des Klägers zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger monatlich 685,76 DM zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil teilweise abgeändert. Es hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger monatlich 610,78 DM zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Rente von 792,91 DM weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nur zu einem geringen Teil begründet. Der Kläger kann nach den Versorgungsbestimmungen und unter Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nach Art. 119 EG-Vertrag eine geringfügig höhere Versorgungsleistung verlangen. Für die Zeit nach dem 17. Mai 1990 (Urteil des EuGH - Rs C 262/88 - Barber - Slg. I 1990, 1889 = AP Nr. 20 zu Art. 119 EWG-Vertrag = EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 18) ist der Berechnung der Anwartschaft und der Rente das für Frauen günstigere Rentenzugangsalter von 60 Jahren zugrunde zu legen.

1. Der Kläger kann Ansprüche nur nach Abschnitt 13.2 der Versorgungsordnung geltend machen. Als er am 30. September 1993 ausschied, war noch kein Versorgungsanspruch nach der Versorgungsordnung entstanden, und zwar weder ein Anspruch auf Altersrente noch auf vorzeitige Altersrente. Der Kläger ist deshalb nur mit einer Anwartschaft auf später fällig werdende Versorgungsleistungen ausgeschieden. Seine Anwartschaft blieb entsprechend den Bestimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) aufrechterhalten. Die Voraussetzungen der Unverfallbarkeit (§ 1 Abs. 1 BetrAVG) waren erfüllt.

Danach kann der Kläger von der Beklagten nur eine nach § 2 Abs. 1 BetrAVG berechnete Teilrente fordern. Zu ermitteln ist die Rente, die dem Kläger ab 1. März 1994 (Vollendung des 60. Lebensjahres) ohne das vorherige Ausscheiden zugestanden hätte (Vollrente). Diese Rente wird anteilig im Verhältnis der tatsächlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit bis zur möglichen Dauer der Betriebszugehörigkeit gekürzt (Teilrente).

2. Der Kläger kann von der Beklagten ab 1. März 1994 Versorgungsleistungen wie im Fall der Invalidität verlangen.

a) Das Recht des Klägers, als Schwerbehinderter, der mit 60 Jahren die vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nimmt, Versorgungsleistungen wie bei Invalidität beanspruchen zu können, ergibt sich zwar nicht aus der Versorgungsordnung von 1976. Diese Versorgungsordnung wurde aber durch die Vereinbarung vom 25. Mai 1981 ergänzt. Darin ist dem Landesarbeitsgericht zuzustimmen.

Die Beklagte hat ihren Mitarbeitern eine Ergänzung der Versorgungsordnung angeboten (§ 145 BGB). Das Angebot richtete sich auch an den Kläger. Es war entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur an die Mitarbeiter gerichtet, die zu dieser Zeit bereits Schwerbehinderte waren. Für eine solche Beschränkung geben weder Wortlaut noch Begründung des Angebots etwas her. Die Ergänzung sollte soziale Härten vermeiden. Diese können sich nicht nur auf die damals schwerbehinderten Mitarbeiter beziehen.

Der Kläger brauchte die Annahme des Angebots nicht ausdrücklich gegenüber der Beklagten zu erklären. Eine solche Erklärung war nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten. Die Ergänzung brachte für den betroffenen Personenkreis nur Verbesserungen (§ 151 BGB).

b) Die vorzeitig (vor Vollendung des 65. Lebensjahres) ausscheidenden schwerbehinderten Mitarbeiter sollten nach dieser Zusatzvereinbarung wie Arbeitnehmer behandelt werden, die eine Invalidenrente beanspruchen können. Es geht also nicht um die Berechnung einer vorgezogenen Altersrente. In der Zusatzvereinbarung wird nämlich ausdrücklich auf die Regelung in Abschnitt 6.3 der Versorgungsordnung verwiesen. Nach dieser Bestimmung kommt es bei der Berechnung der Invalidenrente auf das Verhältnis der abgeleisteten zu den theoretisch erreichbaren Dienstjahren an. So haben die Parteien diese Änderung auch verstanden. Die Beklagte hat für den Kläger eine Invalidenrente berechnet; der Kläger hat mit der Klage eine Invalidenrente gefordert. Versorgungsfall ist die für Schwerbehinderte unterstellte Invalidität.

3. Wäre der Kläger erst am 1. März 1994 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, hätte ihm die Beklagte eine Invalidenrente von 717,58 DM zahlen müssen.

a) Das folgt aus Abschnitt 6.3 der Versorgungsordnung, die auch in der Zusatzvereinbarung vom 25. Mai 1981 in Bezug genommen wurde. Ausgangspunkt (Bemessungsgrundlage) für die Berechnung der Invalidenrente ist die theoretische Altersrente. Diese theoretische Altersrente wird nach den Abschnitten 6.1 und 6.2 ermittelt. Danach beträgt die Altersrente im Falle des Klägers 12 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes. Der rentenfähige Arbeitsverdienst betrug 6.607,60 DM. 12 % davon ergeben 792,91 DM.

Dieser Betrag ist entsprechend der Regelung in Abschnitt 6.3 zu kürzen. Die tatsächlich abgeleisteten rentenfähigen Dienstjahre sind in ein Verhältnis zu setzen zu den erreichbaren rentenfähigen Dienstjahren. Der Kläger hat 32 Dienstjahre abgeleistet. Er hätte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres 37 Dienstjahre erreichen können. Der Betrag von 792,91 DM wird damit auf 32/37 gekürzt. Das ergibt 685,76 DM.

b) Die Versorgungsordnung der Beklagten verstößt in diesem Punkt gegen Art. 119 EG-Vertrag.

aa) Nach deutschem Recht kann der Kläger keine günstigere Berechnung verlangen. Regelungen über ein unterschiedliches Rentenzugangsalter verstoßen noch nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in der Form der Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Zwar verbietet Art. 3 Abs. 3 GG eine Benachteiligung eines Arbeitnehmers wegen seines Geschlechts. In der Versorgungsordnung werden Männer im Vergleich zu Frauen auch benachteiligt. Die Zahl der erreichbaren Dienstjahre ist höher und der Anteil an der theoretischen Altersrente deshalb geringer als bei Frauen. Für eine Übergangsfrist verstoßen Versorgungszusagen mit unterschiedlichem Rentenzugangsalter aber nicht gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Ein Verstoß betrieblicher Regelungen gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts (Art. 3 Abs. 3 GG) kann durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein (BVerfGE 85, 191, 209 = AP Nr. 90 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu C I 3 der Gründe; BAGE 73, 269, 281 = AP Nr. 193 zu Art. 3 GG). Nach Art. 3 Abs. 2 GG fördert der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das erlaubt, die bisher für Frauen noch bestehenden Nachteile in der beruflichen Entwicklung durch die Festsetzung eines früheren Rentenalters auszugleichen. Das Bundesverfassungsgericht hat bei den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung einen solchen Ausgleich zugelassen (BVerfGE 39, 169; BVerfGE 74, 63 = AP Nr. 3 zu § 25 AVG). Es hat nur den Gesetzgeber aufgefordert, durch eine Neuregelung dem sich wandelnden Erwerbsverhalten der Frauen Rechnung zu tragen, um eine in der Zukunft zu erwartende Ungleichbehandlung zu vermeiden. Dem ist der Gesetzgeber für die gesetzliche Rentenversicherung durch die Schaffung von Übergangsregelungen nachgekommen. An diese Regelungen dürfen Arbeitgeber, die selbständig Versorgungsordnungen aufstellen, anknüpfen (vgl. Urteil des Senats vom 18. März 1997 - 3 AZR 759/95 -, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und in der Fachpresse bestimmt).

bb) Die Regelungen der Versorgungsordnung verstoßen jedoch gegen Art. 119 EG-Vertrag.

Art. 119 EG-Vertrag ist auf die Rechtsbeziehungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in seinem Anwendungsbereich unmittelbar anzuwenden (EuGH Urteil vom 5. Februar 1963 - Rs C 26/62 - Slg. 1963, 1 - van Gend & Loos; BVerfGE 73, 339, 375 ff. - Solange II). Soweit nationales Recht dem Gemeinschaftsrecht entgegensteht, wird das nationale Recht verdrängt. Das Gemeinschaftsrecht ist vorrangig anzuwenden (vgl. EuGH, aaO; BVerfGE, aaO).

Art. 119 EG-Vertrag ist auf solche Systeme der betrieblichen Altersversorgung anzuwenden, bei denen es sich um eine die staatliche Alterssicherung ergänzende betriebliche Alterssicherung handelt. Das ist ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteil vom 17. Mai 1990 - Rs C 262/88 - Barber -, aaO; Urteil vom 28. September 1994 - Rs C 200/91 - Coloroll, Slg. I 1994, 4389 = AP Nr. 57 zu Art. 119 EWG-Vertrag = EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 28).

Es verstößt gegen Art. 119 EG-Vertrag, wenn die Invalidenrente bei vorzeitig ausscheidenden Arbeitnehmern für Frauen und Männer unterschiedlich berechnet wird. Der Grundsatz des gleichen Entgelts im Sinne des Art. 119 EG-Vertrag muß für jeden einzelnen Bestandteil des Entgelts gewährleistet sein (EuGH, aaO).

c) Der Kläger kann jedoch das Gebot der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen - bezogen auf betriebliche Rentenleistungen - nur für solche Leistungen in Anspruch nehmen, die auf Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990, dem Tag des Erlasses des Barber-Urteils, beruhen (EuGH Urteil vom 17. Mai 1990 - Rs C 262/88 - Barber -, aaO; EuGH Urteil vom 28. September 1994 - Rs C 200/91 - Coloroll -, aaO). Das gilt auch für die unterschiedliche Berechnung einer Betriebsrente, die auf der Festsetzung eines geschlechtsbezogenen unterschiedlichen Rentenalters beruht (EuGH Urteil vom 17. Mai 1990 - Rs C 262/88 - Barber -, aaO). Nur für die Zeit ab 17. Mai 1990 sind Leistungen einheitlich für Männer und Frauen zu erbringen. Von diesem Zeitpunkt an können unterschiedliche Altersgrenzen die Berechnung der Rente nicht mehr beeinflussen. Für die Zeit vor dem 17. Mai 1990 bleibt es bei der deutschen Regelung.

Das bedeutet für den vorliegenden Fall: Die theoretische Altersrente von 792,91 DM muß - gerechnet nach Monaten - für die Zeit bis zum 31. Mai 1990 auf der Grundlage von tatsächlich abgeleisteten 29 Dienstjahren zu 37 möglichen Dienstjahren berechnet werden. Für die Zeit vom 1. Juni 1990 bis zum 30. September 1993 ist von weiteren vier abgeleisteten rentenfähigen Dienstjahren und 33 erreichbaren Dienstjahren auszugehen. Für den ersten Zeitraum beträgt die Invalidenrente 621,47 DM, für den zweiten Zeitraum 96,11 DM. Das ergibt zusammen den Betrag von 717,58 DM. Dieser Betrag hätte einem männlichen schwerbehinderten Arbeitnehmer zugestanden, der im Alter von 60 Jahren mit Anspruch auf Invalidenrente aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden wäre.

4. Von diesem Betrag kann der Kläger nur eine Teilrente verlangen. Die Teilrente ist nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zu berechnen (vgl. auch Abschnitt 13.2 der Versorgungsordnung).

a) Nach Maßgabe der Versorgungsordnung und des § 2 BetrAVG ergibt sich ein Unverfallbarkeitsfaktor von 0,8552. Der Kläger war bei der Beklagten 384 Monate lang beschäftigt. Bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, nämlich bis zum 28. Februar 1999, hätte er 449 Monate beschäftigt werden können. Ein früherer Zeitpunkt ist weder nach der Versorgungsordnung noch nach dem BetrAVG vorgeschrieben. Unter Anwendung dieses Unverfallbarkeitsfaktors ergäbe sich daher für den Kläger eine Teilrente von 613,67 DM.

b) Die Regelungen über die Berechnung des Unverfallbarkeitsfaktors verstoßen wiederum gegen Art. 119 EG-Vertrag. Darauf kann sich der Kläger jedoch nur für Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 berufen.

aa) Nach deutschem Recht verstößt ein unterschiedliches Rentenzugangsalter nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. oben Abschnitt 3 b aa der Gründe).

Die Regelungen der Versorgungsordnung und § 2 Abs. 1 BetrAVG sind jedoch mit Art. 119 EG-Vertrag nicht vereinbar. Die Vorschrift ist unmittelbar anzuwenden und verdrängt deutsches entgegenstehendes Arbeitsrecht für Beschäftigungszeiten ab 17. Mai 1990 (vgl. oben Abschnitt 3 b bb und c der Gründe).

bb) Das bedeutet für den vorliegenden Fall: Der Unverfallbarkeitsfaktor ist für die Zeit bis zum 31. Mai 1990 und für die spätere Zeit unterschiedlich zu ermitteln. Für 344 Monate der tatsächlichen Beschäftigung bei der Beklagten, nämlich für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 31. Mai 1990, bleibt es bei dem Rentenzugangsalter von 65 Jahren für Männer. Der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit von 344 Monaten stehen damit 449 Monate gegenüber. Das ergibt einen Unverfallbarkeitsfaktor von 0,7661. Bezogen auf den Ausgangsbetrag einer vollen Invaliditätsrente von 717,58 DM kann der Kläger für den genannten Zeitraum eine Teilrente von 549,74 DM beanspruchen. Für den Zeitraum vom 1. Juni 1990 bis zum 30. September 1993 stehen den 40 Monaten der tatsächlichen Beschäftigung 389 Monate der möglichen Beschäftigung gegenüber. Bei einem Rentenzugangsalter von 60 Jahren hätte der Kläger in der Zeit vom 1. Oktober 1961 bis zum 28. Februar 1994 389 Monate arbeiten können. Der Unverfallbarkeitsfaktor beträgt für den zweiten Zeitraum 0,1028. Das ergibt einen Betrag von 73,77 DM. Zusammen kann der Kläger deshalb eine Teilrente von 623,51 DM beanspruchen. Da das Landesarbeitsgericht ihm nur monatlich 610,78 DM zugesprochen hat, ist seine Revision in Höhe des Unterschiedsbetrages begründet.

Dr. Heither Kremhelmer Friedrich

Schwarze Born

 

Fundstellen

BAGE 00, 00

BAGE, 79

BB 1997, 1694-1695 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

DB 1997, 1778-1779 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

DStR 1997, 1697-1698 (Kurzwiedergabe)

NJW 1997, 3190

NJW 1997, 3190 (Leitsatz 1-4)

EBE/BAG 1997, 130-132 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

EBE/BAG Beilage 1997, Ls 189/97 (Leitsatz 1-4)

FamRZ 1997, 1399 (Leitsatz)

WiB 1997, 1103-1104 (Leitsatz 1-4)

ARST 1997, 239 (Leitsatz 1-4)

ASP 1997, Nr 9/10, 69 (Kurzwiedergabe)

BetrAV 1997, 285 (Leitsatz 1-4)

EWiR 1997, 891 (Leitsatz 1-4)

JR 1998, 132

JR 1998, 132 (Leitsatz 1-4)

NZA 1997, 1043

NZA 1997, 1043-1045 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

RdA 1997, 382 (Leitsatz 1-4)

SAE 1998, 192

ZAP, EN-Nr 679/97 (red. Leitsatz)

ZIP 1997, 1891

ZIP 1997, 1891-1894 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

ZTR 1997, 470 (Leitsatz 1-4)

AP § 1 BetrAVG Gleichbehandlung (Leitsatz 1-4), Nr 35

AP 00, Nr 00

AP, (Leitsatz 1-4)

AR-Blattei, ES 800.2 Nr 5 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

ArbuR 1997, 407 (Leitsatz 1-4)

EuZW 1997, 702

EuZW 1997, 702-704 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

EzA-SD 1997, Nr 16, 20 (Leitsatz 1-4)

EzA, (Leitsatz 1-4 und Gründe)

EzA, (Leitsatz 1-4)

EzBAT § 46 BAT, Nr 34 (Leitsatz 1-4)

EzFamR aktuell 1997, 288 (Leitsatz)

MDR 1997, 1034

MDR 1997, 1034 (Leitsatz 1-4)

PERSONAL 1997, 590 (Leitsatz 1-4)

SGb 1998, 18 (Leitsatz 1-2)

VersR 1998, 917

VersR 1998, 917-919 (Leitsatz und Gründe)

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