Entscheidungsstichwort (Thema)

Antragstellung in der mündlichen Verhandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Urteil des Arbeitsgerichts darf in der Berufung nur insoweit abgeändert werden, wie eine Abänderung vom Berufungskläger beantragt ist. Das Gericht ist nach § 308 Abs. 1 ZPO nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was diese nicht beantragt hat. Die – wenn auch streitige – Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berufungskammer, erfüllt das Erfordernis einer Antragstellung des Berufungsklägers nicht.

 

Normenkette

ZPO §§ 297, 333, 528

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 15.07.2003; Aktenzeichen 5 Sa 113/03)

ArbG Berlin (Urteil vom 24.10.2002; Aktenzeichen 1 Ca 18214/02)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 715,80 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 1. April 2002 zu zahlen.

Die Beklagten haben im ersten Rechtszug beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen haben die Beklagten Berufung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Beklagten haben am Ende der Verhandlung erklärt, keinen Antrag zu stellen. Die Klägerin hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung durch kontradiktorisches Urteil als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hätte kein kontradiktorisches Urteil erlassen dürfen. Das Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

  • Gemäß § 528 ZPO unterliegen der Prüfung und Entscheidung des Berufungsgerichts nur die Berufungsanträge. Das Urteil des ersten Rechtszugs darf nur insoweit abgeändert werden, wie eine Abänderung beantragt ist. Das Antragserfordernis trägt der Notwendigkeit Rechnung, den Gegenstand des Prozesses konkret zu bestimmen. Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist (§ 308 Abs. 1 ZPO). Dem Antragserfordernis kann nicht durch eine bloße streitige Erörterung der Sach- und Rechtslage Genüge getan werden. Aus Gründen der prozessualen Klarheit und der Notwendigkeit, die Sachentscheidungsbefugnis des Gerichts näher zu bestimmen, bedarf es einer konkreten, auf die Sachentscheidung des Gerichts ausgerichteten Antragstellung (Senat 4. Dezember 2002 – 5 AZR 556/01 – BAGE 104, 86). Erscheint der Berufungskläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht, ist seine Berufung gemäß § 539 Abs. 1 ZPO auf Antrag durch Versäumnisurteil zurückzuweisen. Als nicht erschienen ist gem. § 333 ZPO auch die Partei anzusehen, die in dem Termin zwar erscheint, aber nicht verhandelt.
  • Die Beklagten haben als Berufungskläger des Berufungsverfahrens vor dem Landesarbeitsgericht nach ordnungsgemäßer Ladung und Aufruf der Sache keinen Berufungsantrag gestellt.

    1. Gemäß § 297 Abs. 1 ZPO sind die Anträge aus den vorbereiteten Schriftsätzen zu verlesen. Soweit sie darin nicht enthalten sind, müssen sie aus einer dem Protokoll als Anlage beizufügenden Schrift verlesen werden. Der Vorsitzende kann auch gestatten, dass die Anträge zu Protokoll erklärt werden. Nach § 297 Abs. 2 ZPO kann die Verlesung dadurch ersetzt werden, dass die Parteien auf die Schriftsätze Bezug nehmen, die die Anträge enthalten. Da die Verlesung der Anträge ersetzt werden soll, muss die Bezugnahme zum Zwecke der Antragstellung erfolgen. Es muss deutlich werden, dass es um eine Antragstellung geht. Dies entspricht dem Sinn des Gesetzes, das eine Erleichterung gegenüber der strengeren Form des § 297 Abs. 1 ZPO vorsieht, aber die mit dieser Vorschrift bezweckte Klarheit des Rechtsbegehrens keineswegs völlig aufgeben will. Auch im Falle des § 297 Abs. 2 ZPO muss wegen der zentralen Bedeutung der Sachanträge für Streitgegenstand, Rechtskraft, Möglichkeit der “Flucht in die Säumnis”, Streitwert und Kosten eindeutig sein, ob Anträge gestellt werden, was beantragt wird und was nicht. Nicht jede Bezugnahme auf Sachvortrag in Schriftsätzen kann deshalb ohne weiteres als Bezugnahme auf alle darin enthaltenen Anträge verstanden werden. Eine konkludente Bezugnahme der Anträge kann nur in Betracht kommen, wenn der Gegenstand des Rechtsstreits fest umrissen ist und klar ist, dass die Bezugnahme auf die Schriftsätze zum Zwecke der Antragstellung und nicht nur zur Erörterung der Sach- und Rechtslage erfolgt.

    2. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze kann den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entnommen werden, dass die Beklagten einen Berufungsantrag gestellt haben. Eine ausdrückliche Antragstellung ist unstreitig nicht erfolgt. Es liegt auch keine konkludente Antragstellung vor. Zwar ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und dem Vortrag der Beklagten bei der Erörterung der Sachund Rechtslage “klar und zweifelsfrei” zum Ausdruck gekommen, dass der klageweise geltend gemachte Anspruch abgelehnt werde und daher Berufungsziele die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und die Klageabweisung seien. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch nicht festgestellt, dass mit diesen Ausführungen der Beklagten über die Verdeutlichung des Prozessziels hinaus zugleich eine Antragstellung verbunden sein sollte. Dies wäre aber wegen der prozessualen Folgen, die sich aus der Antragstellung ergeben, notwendig gewesen. Trotz eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage kann deshalb im vorliegenden Fall nicht mit der erforderlichen Klarheit von einer konkludenten Antragstellung der Beklagten als Berufungskläger ausgegangen werden.

  • Da eine Sachentscheidung mangels Antragstellung nicht ergehen durfte, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil das Landesarbeitsgericht keine Sachentscheidung treffen durfte. Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben. Eine Verweisung der Sache an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht geboten. Trotz des Verfahrensfehlers kann nicht angenommen werden, die Berufungskammer werde die Sache nicht unvoreingenommen behandeln.
 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Sappa, Zoller

 

Fundstellen

Haufe-Index 1330013

AnwBl 2005, 38

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