Leitsatz (amtlich)

  • Das Einblicksrecht des Betriebsrates in die Listen individuell vereinbarter übertariflicher Vergütungsbestandteile und außertariflicher Vergütungen ist nicht davon abhängig, daß der Betriebsrat dafür einen besonderen Anlaß darlegt. Seine frühere gegenteilige Rechtsprechung (Beschluß vom 18. September 1973 – 1 ABR 7/73 –, BAG 25, 292 = AP Nr. 3 zu § 80 BetrVG 1972 und vom 28. Mai 1974 – 1 ABR 101/73 –, AP Nr. 7 zu § 80 BetrVG 1972) gibt der Senat auf.
  • Die Eigenart eines Presseunternehmens steht dem Einblicksrecht des Betriebsrates in die Gehaltslisten der Redakteure nicht entgegen.
 

Normenkette

BetrVG 1972 § 80 Abs. 2 S. 2, § 87 Abs. 1 Nrn. 10-11, § 118 Abs. 1 S. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Beschluss vom 01.11.1978; Aktenzeichen 5 Ta BV 3/78)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 1. November 1978 – 5 Ta BV 3/78 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

A. Die Antragsgegnerin ist ein Zeitschriftenverlag, der Antragsteller der bei ihr gewählte Betriebsrat. Unter den Beteiligten besteht Streit, inwieweit die Antragsgegnerin dem Betriebsrat Einsicht in die Gehaltslisten der Redakteure zu gewähren hat.

Die in den Redaktionen der einzelnen Zeitschriften beschäftigten Redakteure sind zum Teil in die beiden Gehaltsgruppen des Gehaltstarifvertrages für die Redakteure in Zeitschriftenverlagen vom 1. Januar 1978 unter Mitwirkung des Antragstellers eingruppiert worden. Diese Redakteure erhalten durchweg eine übertarifliche Vergütung. Andere Redakteure werden von der Antragsgegnerin als außertarifliche Angestellte bezeichnet. Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin werden sowohl die übertariflichen als auch die außertariflichen Bezüge der Redakteure ohne jede Anbindung an kollektive Regelungen im Einvernehmen mit dem jeweiligen Chefredakteur individuell vereinbart, wobei Alter, Betriebszugehörigkeit, Berufserfahrung, Leistung, fachliche Qualifikation, die Bedeutung der Tätigkeit und der Marktwert des jeweiligen Redakteurs Berücksichtigung finden. Einen weiteren Teil der Redakteure sieht die Antragsgegnerin als leitende Angestellte an.

Der Betriebsrat hat einen Personalausschuß gebildet. Dieser hat von der Antragsgegnerin Einsichtnahme in die Lohn- und Gehaltslisten verlangt. Das hat die Antragsgegnerin hinsichtlich der von ihr als Tendenzträger bezeichneten Arbeitnehmer abgelehnt. Der Betriebsrat hat daher im vorliegenden Verfahren beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem nach § 28 BetrVG gebildeten Personalausschuß des Betriebsrates Einblick in die Bruttolohn- und Gehaltslisten derjenigen Mitarbeiter zu gewähren, die die Antragsgegnerin als Tendenzträger ansieht, mit Ausnahme der leitenden Angestellten.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie hält den Antrag mangels ausreichender Bestimmtheit des betroffenen Personenkreises für unzulässig. Ein Einblicksrecht in die Gehaltslisten der Tendenzträger stehe dem Betriebsrat nicht zu, da die Vergütung dieser Personen individuell vereinbart werde, dem Betriebsrat daher eine Überwachungsaufgabe nicht zukomme. Darüber hinaus stehe der Tendenzcharakter ihres Unternehmens dem begehrten Einsichtsrecht entgegen, da eine Einflußnahme des Betriebsrates auf die Vergütung der Tendenzträger, die durchweg nach Tendenzgesichtspunkten gewährt werde, den Tendenzschutz gefährde.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag mangels ausreichender Bestimmtheit für unzulässig gehalten. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag stattgegben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihren Abweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht dem Betriebsrat das begehrte Einsichtsrecht in die Gehaltslisten der Tendenzträger zuerkannt.

I. Der Antrag ist zulässig.

1. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der Antrag bestimmt genug. Die Antragsgegnerin gewährt dem Betriebsrat Einsicht in die Lohn- und Gehaltslisten derjenigen Arbeitnehmer, die sie nicht als Tendenzträger ansieht. Wird die Antragsgegnerin entsprechend dem Antrag verpflichtet, Einsicht auch in die Gehaltslisten der von ihr als Tendenzträger bezeichneten Arbeitnehmer zu gewähren, so steht damit fest, daß in die Gehaltslisten aller Arbeitnehmer – mit Ausnahme der leitenden Angestellten – Einsicht zu gewähren ist. Darauf, ob bestimmte Arbeitnehmer tatsächlich Tendenzträger sind oder nicht, kommt es dann nicht an. Ohne Bedeutung ist auch, daß sich die von der Antragsgegnerin als Tendenzträger bezeichneten Arbeitnehmer noch in die Gruppe der übertariflich und außertariflich bezahlten Angestellten einteilen lassen. Ob in die Gehaltslisten beider Gruppen Einsicht zu gewähren ist, ist eine Frage der Begründetheit des Antrages, nicht aber eine solche seiner ausreichenden Bestimmtheit.

Auch der Umstand, daß die Abgrenzung des Kreises der vom Antragsteller ausgenommenen leitenden Angestellten unter den Beteiligten streitig ist, nimmt dem Antrag nicht die erforderliche Betimmtheit. Der Antragsteller begehrt die Einsicht in die Gehaltslisten abstrakt abgegrenzter Arbeitnehmergruppen. Ob ein solches Einsichtsrecht gegeben ist, ist Gegenstand des Streites der Beteiligten. Dieser Streit wird durch eine gerichtliche Entscheidung über diesen Antrag auch dann beigelegt, wenn hinsichtlich einzelner Arbeitnehmer jetzt oder in Zukunft Streit darüber bestehen sollte, ob diese zum Kreis derjenigen Arbeitnehmer gehören, in deren Gehaltslisten nach der Entscheidung Einsicht zu gewähren ist. Dieser Streit muß gegebenenfalls durch ein gesondertes “Statusverfahren” geklärt werden.

2. Das Rechtsschutzinteresse für den Antrag folgt schon daraus, daß die Beteiligten über den Bestand und den Umfang des Einsichtsrechts des Betriebsrates in die Gehaltslisten der als Tendenzträger bezeichneten Arbeitnehmer streiten. Es handelt sich um einen betriebsverfassungsrechtlichen Kompetenzstreit. Das Rechtsschutzinteresse ist auch nicht teilweise dadurch in Wegfall gekommen, daß der Betriebsrat bei der Eingruppierung der übertariflich bezahlten Tendenzträger mitgewirkt hat. Das Einblicksrecht dient der Information des Betriebsrates über die im jeweiligen Zeitpunkt der Einsichtnahme tatsächlich gezahlten Vergütungen, nicht aber über die in der Vergangenheit liegende Eingruppierung der Arbeitnehmer.

II. Dem begehrten Einsichtsrecht des Betriebsrates in die Gehaltslisten der Tendenzträger steht der Tendenzcharakter des Unternehmens der Antragsgegnerin nicht entgegen.

1. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 22. Mai 1979 (AP Nr. 12 zu § 118 BetrVG 1972) ausgesprochen, daß der Tendenzcharakter einer staatlich anerkannten Privatersatzschule mit angeschlossenem Internat dem Einblicksrecht des Betriebsrates in die Gehaltslisten der Lehrer und Erzieher nicht entgegensteht. Er hat dies damit begründet, daß nach seiner ständigen Rechtsprechung Informations-, Anhörungs- und Beratungsrechte des Betriebsrates dem Tendenzschutz grundsätzlich nicht entgegenstehen, weil durch solche Rechte des Betriebsrates das Tendenzunternehmen in der Verfolgung seiner geistigideellen Zielsetzung nicht gehindert oder ernsthaft beeinträchtigt werden könne. Die eigenverantwortliche Entscheidung des Arbeitgebers bleibe in solchen Fällen uneingeschränkt erhalten (aaO zu II 2 c, aa der Gründe). Davon ist auch im vorliegenden Verfahren auszugehen.

Dadurch, daß die Antragsgegnerin dem Betriebsrat Einsicht in die Gehaltslisten der Tendenzträger gewähren muß, wird dem Betriebsrat nicht ein verfassungsrechtlich unzulässiger Einfluß auf die geistig-ideelle Zielsetzung der Antragsgegnerin eröffnet. Es mag zutreffen, daß Entscheidungen über das Arbeitsentgelt der Tendenzträger unmittelbaren Tendenzbezug haben und der Verfolgung der geistig-ideellen Zielsetzung des Presseunternehmens dienen. Die Freiheit der Antragsgegnerin, solche Entscheidungen zu treffen, wird aber nicht beeinträchtigt oder gefährdet, wenn dem Betriebsrat Einsicht in die Gehaltslisten der Tendenzträger gewährt wird. Die Entscheidung über die Gehaltshöhe ist im Zeitpunkt der Einsichtnahme bereits gefallen. Schon von daher scheidet eine unmittelbare Beeinträchtigung dieser Entscheidung durch den Betriebsrat aus.

2. Wenn die Antragsgegnerin meint, die Einsichtnahme in die Gehaltslisten der Tendenzträger führe notwendig zu einer Diskussion über deren Vergütung und damit letztlich zu einer Nivellierung des Gehaltsniveaus, was den Tendenzschutz gefährden müsse, dem eine ungleiche Bezahlung der Tendenzträger unter Tendenzgesichtspunkten geradezu immanent sei, so verkennt sie, daß dieser Gesichtspunkt allenfalls der Wahrnehmung von Aufgaben durch den Betriebsrat entgegenstehen könnte, die dieser aufgrund der bei der Einsicht in die Gehaltslisten erlangten Kenntnisse wahrnehmen will, nicht aber schon die Einsichtnahme in die Gehaltslisten selbst ausschließen kann. Wenn auch richtig ist, daß das Einsichtsrecht nicht Selbstzweck ist, sondern dem Betriebsrat im Hinblick auf seine Aufgaben gewährt wird, so folgt daraus doch noch nicht, daß das Einsichtsrecht schon deswegen entfällt, weil der Wahrnehmung einzelner Aufgaben durch den Betriebsrat der Tendenzschutz der Antragsgegnerin entgegenstehen könnte. Daß dieser jedes Tätigwerden des Betriebsrates in bezug auf das Arbeitsentgelt des Tendenzträgers ausschließen könnte, kann angesichts der aus der Schutzfunktion des Betriebsrates folgenden Vielfältigkeit von Ansätzen für ein Tätigwerden des Betriebsrates nicht gesagt werden.

Der Umstand, daß die Einsicht in die Gehaltslisten der Tendenzträger überhaupt zu Diskussionen über das Arbeitsentgelt dieser Personengruppe führen kann, ist ebenfalls nicht geeignet, die Handlungsfreiheit der Antragsgegnerin insoweit in relevanter Weise zu beeinträchtigen. Die Antragsgegnerin mag anläßlich solcher Diskussionen genötigt sein, die tendenzbedingten Gesichtspunkte für ihre Entscheidungen offenzulegen. Der Tendenzschutz dient aber nicht der Geheimhaltung tendenzbedingter Gründe für Maßnahmen des Arbeitgebers (Urteil des Senats vom 7. November 1975 – 1 AZR 282/74 –, AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG 1972 [zu 5 der Gründe]). Daß diese Gründe bei ihrer Offenlegung diskutiert und kritisiert werden können, führt zu keinem unzulässigen Einfluß des Betriebsrates auf die aus diesen Gründen getroffenen Maßnahmen. Ob der Arbeitgeber im Hinblick auf eine solche erwartete Kritik tendenzbezogene Entscheidungen nicht oder anders trifft, ist eine Folge seiner eigenen freien Entscheidung, die auch sonstige Auswirkungen seiner Maßnahme in Betracht ziehen muß, nicht aber eine Beschränkung seiner Entscheidungsfreiheit. Diese bleibt vielmehr uneingeschränkt erhalten, wenn der Betriebsrat nur mit dem Mittel der Argumentation versuchen kann, die Entscheidung des Arbeitgebers zu beeinflussen (vgl. den zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und im Nachschlagewerk des Gerichts vorgesehenen Beschluß des Senats vom 19. Mai 1981 – 1 ABR 109/78 – [zu B II der Gründe]). Dabei kann der Arbeitgeber der Diskussion tendenzbedingter Gründe mit dem Hinweis entgegentreten, daß er diese allein zu bestimmen und zu vertreten habe. Die Gefahr einer “tendenzbezogenen Auseinandersetzung”, deren Folge nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ein Verlust oder eine Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers sein könnte (Beschluß vom 6. November 1979 – 1 BvR 81/76 –, BVerfGE 52, 283 = AP Nr. 14 zu § 118 BetrVG 1972), besteht daher nicht.

Daß eine Entscheidung auch tendenzbedingte Gründe hat, rechtfertigt damit nicht den Ausschluß jeglicher Auseinandersetzung über diese Entscheidung aus anderen Gründen, die der Betriebsrat in Erfüllung seiner Aufgaben für erforderlich hält. Zu einem solchen Ausschluß würde es aber führen, wenn der Betriebsrat mangels eines Einsichtsrechts in die Gehaltslisten der Tendenzträger außerstande gesetzt würde, insoweit bestehende Aufgaben zu erkennen und sachgerecht, d.h. auch im Rahmen seiner in Tendenzunternehmen beschränkteren Einflußmöglichkeit, anzugehen.

Demnach steht die Eigenart eines Presseunternehmens dem Einblicksrecht des Betriebsrates in die Gehaltslisten der Redakteure nicht entgegen (so auch Fitting-Auffarth-Kaiser, BetrVG, 13. Aufl., § 118 Anm. 22b; Stege-Weinspach, BetrVG, 4. Aufl., § 80 Anm. 20; Galperin-Löwisch, BetrVG, 5. Aufl., § 118 Anm. 61). Der gegenteiligen Ansicht im Schrifttum, die allein schon durch eine tatsächliche Einflußmöglichkeit des Betriebsrates auf die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers den Tendenzschutz für gefährdet ansieht (vgl. Wartner, Archiv für Presserecht 1977, 394 [395]; Mayer-Maly, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 118 BetrVG 1972 und sein für die Antragsgegnerin erstattetes Gutachten; Kraft, Anm. zu AP Nr. 11 zu § 118 BetrVG 1972; Kammann-Hess-Schlochauer, BetrVG, § 118 Anm. 40) vermag der Senat aus den dargelegten Gründen nicht zu folgen.

III. Das Einblicksrecht des Betriebsrates bezieht sich auch auf die Gehaltslisten der über- und außertariflich vergüteten Angestellten.

1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. In diesem Rahmen ist er berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Aus dieser Regelung folgt, daß das Einblicksrecht des Betriebsrates nicht Selbstzweck ist, dem Betriebsrat vielmehr nur insoweit zusteht, als dieses zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist.

Diese Aufgaben des Betriebsrates, die einen Einblick in die Entgeltlisten erforderlich machen, hat der Senat in seinen bisherigen Entscheidungen entsprechend § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darin gesehen, daß der Betriebsrat darüber zu wachen habe, daß einmal kollektive Entgeltregelungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen eingehalten werden und daß zum anderen bei der Vergütung der Arbeitnehmer entsprechend § 75 Abs. 1 BetrVG die Grundsätze von Recht und Billigkeit beachtet und der Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt werden (BAG 24, 349 [354 f.] = AP Nr. 1 zu § 80 BetrVG 1972 [zu 4b der Gründe] und AP Nr. 1 zu § 118 BetrVG 1972 [zu III 3 der Gründe]).

Ausgehend davon hat der Senat wiederholt entschieden, daß sich das Einsichtsrecht des Betriebsrates auch auf die Listen der übertariflichen Löhne und Gehälter beziehe. Übertarifliche Vergütungen stünden nicht außerhalb der tariflichen Vergütungsordnung, sondern mit dieser im Zusammenhang. Sie würden regelmäßig nach allgemeinen Grundsätzen gewährt, so daß der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten sei (Beschluß vom 18. September 1973 – 1 ABR 7/73 –, BAG 25, 292 [298 f.] = AP Nr. 3 zu § 80 BetrVG 1972 [zu III 5 der Gründe]). Das Einsichtsrecht des Betriebsrates sei daher insoweit nicht davon abhängig, daß dieser einen bestimmten Anlaß für sein Begehren nenne (BAG AP Nr. 1 zu § 118 BetrVG 1972 [zu III 1 der Gründe]). Der Betriebsrat brauche auch nicht darzulegen, daß die Zahlung übertariflicher Entgelte auf einer kollektiven Regelung aufbaue. Dafür spreche vielmehr eine tatsächliche Vermutung, sofern nicht der Arbeitgeber einen konkreten gegenteiligen Vortrag bringe (Beschluß vom 28. Mai 1974 – 1 ABR 101/73 –, AP Nr. 7 zu § 80 BetrVG 1972 [zu II 2 der Gründe]).

Demgegenüber hat der nunmehr für Fragen des Einsichtsrechts des Betriebsrates zuständige Sechste Senat in seiner Entscheidung vom 12. Februar 1980 (6 ABR 2/78 – [demnächst] AP Nr. 12 zu § 80 BetrVG 1972) ausgesprochen, daß das Einblicksrecht des Betriebsrates sich in jedem Falle auch auf übertarifliche Vergütungen erstrecke und daß es der Darlegung eines besonderen Anlasses durch den Betriebsrat für die Ausübung dieses Informationsrechtes auch dann nicht bedürfe, wenn die übertarifliche Vergütung nicht auf einer kollektiven Regelung aufbaue, sondern individuell vereinbart sei. Der Sechste Senat hat dazu ausgeführt, das Einblicksrecht des Betriebsrates sei nicht davon abhängig, daß tatsächlich im Betrieb nach irgendwelchen generalisierenden Grundsätzen im Zusammenhang mit einem Tarifvertrag oder entsprechend den zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz entwickelten Regeln verfahren wird, sondern dieses Recht diene der Unterrichtung des Betriebsrates, ob solche Zusammenhänge bestünden und ob sie gegebenenfalls vom Arbeitgeber eingehalten werden oder nicht. Die Feststellung, wie die Verhältnisse im Betrieb seien, solle dem Betriebsrat gerade durch die Einsichtnahme in die Lohn- und Gehaltslisten erst ermöglicht werden. An die Darlegung einer Besorgnis einer Rechtsverletzung durch den Arbeitgeber sei daher die Ausübung des Einsichtsrechts nicht gebunden. Der Betriebsrat erfülle seine Aufgaben im Rahmen seiner Zuständigkeit selbständig und könne daher nicht von Darlegungen gebunden werden, für welche Zwecke er seine Informationen benötige (aaO zu II 3c und d der Gründe).

2. Dem schließt sich der Senat an. Verlangt man für das Einsichtsrecht in die Listen individuell vereinbarter übertariflicher Entgeltbestandteile die Darlegung eines besonderen Anlasses, so bedeutet dies, daß dieses Einsichtsrecht davon abhängig ist, daß der Betriebsrat entweder mehr oder weniger zufällig von einer möglichen Rechtsverletzung des Arbeitgebers Kenntnis erhält oder einen sonstigen Anlaß für sein Begehren hat oder vorbringt. Der Betriebsrat wird im Ergebnis genötigt, einen Verdacht gegen den Arbeitgeber zu äußern oder irgendeinen sonstigen Grund für sein Begehren vorzuschützen. Das muß die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auf Dauer belasten.

Die Forderung nach der Darlegung eines besonderen Anlasses in den Fällen individuell vereinbarter übertariflicher Vergütungen beruht auf einem zu engen Verständnis der Aufgaben des Betriebsrates, zu deren Durchführung der Einblick in die Lohn- und Gehaltslisten erforderlich ist. Diese Aufgaben wurden als reine Überwachungsaufgaben im Sinne von § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG gesehen. § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG spricht aber ganz allgemein von den Aufgaben des Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Diese Aufgaben gehen über die Überwachung der Einhaltung arbeitsrechtlicher Normen weit hinaus. Gerade hinsichtlich der Arbeitsvergütung hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG ein umfassendes Mitbestimmungsrecht, das die betriebliche Lohngestaltung umfaßt und dessen Zweck u.a. die Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit ist. Die steht nicht erst dann in Frage, wenn Entgeltregelungen gegen Grundsätze von Recht und Billigkeit oder gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Von daher kann für die Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrates die Einsicht in Lohn- und Gehaltslisten auch dann erforderlich sein, wenn Fragen der Einhaltung einer kollektiven Ordnung oder der Verletzung sonstiger arbeitsrechtlicher Normen sich überhaupt nicht stellen. Der Betriebsrat kann die Kenntnis der effektiv gezahlten Vergütungen benötigen, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, ob eine innerbetriebliche Lohngerechtigkeit erreicht ist oder durch eine andere betriebliche Lohngestaltung erreicht werden kann oder soll. Das Verlangen, Einsicht in die Lohn- und Gehaltslisten zu nehmen, steht daher jederzeit in einem Bezug zu Aufgaben des Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz und ist daher nicht davon abhängig, daß ein Überwachungsbedürfnis besteht, gleichgültig ob dieses vermutet wird oder dargelegt werden muß. Soweit sich für übertarifliche Vergütungen aus der Entscheidung vom 28. Mai 1974 (AP Nr. 7 zu § 80 BetrVG 1972 [zu II 2 der Gründe]) etwas anderes ergibt, hält der Senat aus den dargelegten Gründen daran nicht mehr fest.

Für das in Anspruch genommene Einsichtsrecht des Betriebsrates in die Gehaltslisten der übertariflich vergüteten Redakteure kommt es daher entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht darauf an, ob diese übertariflichen Vergütungsbestandteile individuell unter Bersücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten ausgehandelt werden. Es ist daher auch ohne Bedeutung, daß der Betriebsrat für sein Begehren keinen besonderen Anlaß genannt hat.

3. Aus dem Gesagten folgt, daß auch das Einsichtsrecht in die Listen außertariflicher Vergütungen nicht von der Darlegung eines besonderen Anlasses durch den Betriebsrat abhängig ist.

Dem Betriebsverfassungsgesetz ist die Unterscheidung zwischen tariflichen und außertariflichen Arbeitnehmern unbekannt, gleichgültig wie man die Gruppe der außertariflichen Arbeitnehmer definiert (zum Begriff vgl. BAG AP Nr. 6 zu § 80 BetrVG 1972 [zu II 3 der Gründe]). Es weist dem Betriebsrat hinsichtlich dieser beiden Arbeitnehmergruppen nicht unterschiedliche Aufgaben zu. Die Schutzfunktion des Betriebsrates besteht auch gegenüber außertariflichen Angestellten (BAG 25, 292 [298] = AP Nr. 3 zu § 80 BetrVG 1972 [zu III 4 der Gründe]). Auch gegenüber außertariflichen Angestellten hat daher der Betriebsrat die Aufgabe, bei der betrieblichen Lohngestaltung mitzuwirken (Beschluß des Senats vom 22. Januar 1980 – 1 ABR 48/77 – [demnächst] AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung [zu B II 2 der Gründe]). Gerade wegen des Fehlens einer tarifvertraglichen Vergütungsregelung kommt dieser Aufgabe des Betriebsrates ein besonderes tatsächliches Gewicht zu. Von daher steht das Einblicksrecht des Betriebsrates in die Listen außertariflicher Vergütungen ebenfalls in einem Bezug zu Aufgaben des Betriebsrates. Die Kenntnis der effektiv gezahlten außertariflichen Vergütungen und der diesen Vergütungen zugrunde liegenden Umstände ist erforderlich, damit der Betriebsrat einmal Kenntnis von der tatsächlichen Lohngestaltung in diesem Bereich erlangt und zum anderen Überlegungen darüber anstellen kann, ob und in welcher Weise er seiner Aufgabe, hier lohngestaltend zu wirken, nachkommen soll.

Damit kann der Betriebsrat Einsicht in die Gehaltslisten auch der von der Antragsgegnerin außertariflich vergüteten Tendenzträger verlangen, obwohl er dafür einen besonderen Anlaß nicht genannt hat. Seine in der Entscheidung vom 18. September 1973 (BAG 25, 292 = AP Nr. 3 zu § 80 BetrVG 1972) zum Ausdruck gekommene gegenteilige Rechtsansicht gibt der Senat auf.

IV. Der Senat hat schon in seiner Entscheidung vom 18. September 1973 (aaO [zu III 7 der Gründe]) ausgesprochen, daß das Einsichtsrecht des Betriebsrates in die Gehaltslisten nicht die Individualsphäre des einzelnen Arbeitnehmers verletzt und daß daher § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG nicht gegen Art. 2 GG verstößt. Er hat daran in seiner Entscheidung vom 30. April 1974 (AP Nr. 1 zu § 118 BetrVG 1972 [zu III 4 der Gründe]) festgehalten. Hinsichtlich der Gehaltslisten für Tendenzträger verstößt diese Vorschrift auch nicht gegen das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Recht eines Redakteurs, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß der Betriebsrat Kenntnis von der Höhe seines Arbeitsentgeltes erlangt. Soweit die Antragsgegnerin geltend machen will, daß das individuelle Recht des Redakteurs auf freie Meinungsäußerung schon dann beeinträchtigt sei, wenn die Tendenzverwirklichung des Presseunternehmens, für das er arbeitet, beeinflußt wird, kann dahingestellt bleiben, ob dem zu folgen ist. Das Einblicksrecht des Betriebsrates in die Gehaltslisten der Tendenzträger läßt – wie oben unter Ziff. B II. dargelegt – die Tendenzverwirklichung durch das Presseunternehmen unberührt.

 

Unterschriften

Dr. Kissel, Dr. Seidensticker, Matthes, Dr. Rust, Blanke

 

Fundstellen

Haufe-Index 1453745

BAGE, 342

NJW 1982, 123

JR 1982, 88

AfP 1981, 481

JZ 1982, 211

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