Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachwahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds

 

Leitsatz (amtlich)

Endet die Freistellung eines einzelnen Betriebsratsmitglieds infolge ordnungsgemäßer Abberufung oder aus sonstigen Gründen, so bedarf es auch dann nicht der Neuwahl sämtlicher freizustellender Betriebsratsmitglieder, wenn die ursprüngliche Freistellungswahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl stattgefunden hat. Die erforderliche Freistellungsnachwahl eines einzelnen Betriebsratsmitglieds erfolgt auch in diesem Falle mit einfacher Stimmenmehrheit.

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 38 Abs. 2, § 27 Abs. 1 S. 5

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Beschluss vom 23.10.1991; Aktenzeichen 2 TaBV 42/91)

ArbG Köln (Beschluss vom 07.05.1991; Aktenzeichen 1 BV 173/90)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Antragssteller gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 23. Oktober 1991 – 2 TaBV 42/91 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ausscheiden eines einzelnen freigestellten Betriebsratsmitglieds die Neuwahl aller freizustellenden Betriebsratsmitglieder im Wege der Verhältniswahl erforderlich machte oder ob stattdessen lediglich ein anderes Betriebsratsmitglied durch Mehrheitswahl nachgewählt werden durfte.

Die Antragsteller und Beteiligten zu 1) bis 3) sind Arbeiter im Betrieb der Beteiligten zu 4), einem Unternehmen der Automobilindustrie. Der Beteiligte zu 5) ist der im Betrieb bestehende Betriebsrat, dessen Wahl vom 6. bis 8. März 1990 als Gruppenwahl durchgeführt wurde und der aus 41 Mitgliedern besteht, von denen 33 der Gruppe der Arbeiter und acht der Gruppe der Angestellten angehören. Für die Gruppe der Arbeiter beteiligten sich mehrere Listen an der Betriebsratswahl. Über die Liste 5 (B…) wurden vier Arbeiter in den Betriebsrat gewählt, darunter die drei Antragsteller.

In der konstituierenden Sitzung am 23. März 1990 wählte der Betriebsrat aus seiner Mitte im Wege der Verhältniswahl nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren die 35 gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG freizustellenden Betriebsratsmitglieder. An der Wahl beteiligten sich zwei Listen. In der Liste 1 waren die für die Betriebsratswahl bestehenden Listen der IG Metall für Arbeiter und Angestellte und die Liste 5 zusammengefaßt. Alle 35 Kandidaten der Liste 1, darunter die Antragsteller, wurden gewählt. Auf der Liste 2 kandidierte als einziger Bewerber ein Angestellter, der nicht gewählt wurde.

Der Antragsteller zu 2) verzichtete etwa zwei Wochen nach seiner Wahl wegen Meinungsverschiedenheiten über die Aufgabenverteilung innerhalb des Betriebsrates auf seine Freistellung. Die Nachwahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds erfolgte durch Mehrheitswahl.

Aufgrund altersbedingten Ausscheidens des freigestellten Betriebsratsmitglieds G…, das über die Liste 1 freigestellt worden war, wurde am 16. November 1990 wiederum ein einzelnes freizustellendes Betriebsratsmitglied durch Mehrheitswahl nachgewählt. Zu den beiden zur Wahl stehenden Arbeitern gehörte auch der Antragsteller zu 2), auf den zwölf Stimmen entfielen; der Gegenkandidat Herr B… wurde mit 27 Stimmen bei zwei Enthaltungen gewählt. Die Antragsteller hatten vor der Wahl vergeblich eine erneute Verhältniswahl aller freizustellenden Betriebsratsmitglieder gefordert und haben daher die Wahl mit am 22. November 1990 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz angefochten.

Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten, es hätte keine auf die Freistellung eines einzelnen Betriebsratsmitglieds beschränkte Mehrheitswahl stattfinden dürfen. Der Minderheitenschutz verlange vielmehr die Verhältniswahl, bei der der Antragsteller zu 2) gewählt worden wäre. Anderenfalls würde, wenn stets Nachwahlen durch Mehrheitswahlen erfolgten, infolge Ausscheidens von Betriebsratsmitgliedern im Laufe der Amtszeit des Betriebsrates die Beteiligung einer Minderheitsgruppe ausgehöhlt werden.

Die Antragsteller haben beantragt,

  • festzustellen, daß die am 16. November 1990 durchgeführte Wahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds unwirksam ist,
  • festzustellen, daß die Wahl neuer freizustellender Betriebsratsmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl und nicht nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl durchzuführen ist, sofern nicht bei einer früheren Verhältniswahl nachrückende Ersatzmitglieder bereits gewählt wurden oder die freizustellenden Betriebsratsmitglieder insgesamt zulässigerweise im Wege der Mehrheitswahl bestimmt wurden; diese Verhältniswahl habe in der Weise zu erfolgen, daß sämtliche freizustellenden Betriebsratsmitglieder neu zu wählen sind.

Der Betriebsrat als Beteiligter zu 5) hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Er hält die Wahl vom 16. November 1990 für wirksam. Nach § 38 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sei die Nachwahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds im Wege der Mehrheitswahl zulässig. Minderheitenrechte seien darüber hinaus im vorliegenden Fall nicht berührt, da gewähltes Ersatzmitglied und ausgeschiedenes Betriebsratsmitglied derselben Liste (IG Metall) angehörten. Außerdem habe die Mehrheitswahl Auswirkungen jedenfalls auf die Rechte der ohnehin freigestellten Antragsteller zu 1) und 3) nicht gehabt.

Die beteiligte Arbeitgeberin hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der die Antragsteller ihre Anträge weiterverfolgen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Anträge zu Recht zurückgewiesen.

I. Die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder ist in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG innerhalb der dort vorgesehenen Frist von zwei Wochen nach Abschluß der Wahl durch ein oder mehrere Betriebsratsmitglieder anfechtbar, wenn gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Januar 1992 – 7 ABR 24/91 – EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 37 und vom 11. März 1992 – 7 ABR 50/91 – EzA § 38 BetrVG 1972 Nr. 12, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Diese Frist wurde vorliegend eingehalten. Die Wahl fand am 16. November 1990 statt und wurde am 22. November 1990 von den Antragstellern gerichtlich angefochten. Sie sind als Betriebsratsmitglieder auch ohne weiteres anfechtungsbefugt. Sie müssen nicht darüber hinaus noch persönlich durch den Ausgang der Wahl betroffen sein.

Der Streit der Beteiligten, ob ein ersatzweise freizustellendes Betriebsratsmitglied durch Mehrheitswahl bestimmt werden kann oder ob eine Neuwahl aller freizustellenden Betriebsratsmitglieder im Wege der Verhältniswahl zu erfolgen hat, betrifft wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren; denn er ist durch Anwendung und Auslegung von § 38 Abs. 2 BetrVG zu entscheiden. Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, daß eine erneute Verhältniswahl zu anderen Ergebnissen als die Nachwahl eines einzelnen freizustellenden Betriebsratsmitglieds geführt hätte.

II. Die Vorinstanzen haben die Freistellungswahl vom 16. November 1990 zu Recht für wirksam angesehen. Denn sie erfolgte in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Regelungen.

1. Wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben, war die Nachwahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds anstelle des aus Altersgründen ausgeschiedenen freigestellten Betriebsratsmitglieds G… nicht etwa schon deswegen unzulässig, weil ein bei der ursprünglichen Freistellungswahl nicht zum Zuge gekommenes Betriebsratsmitglied automatisch hätte nachrücken können. Dabei kann hier unentschieden bleiben, ob die für die Betriebsratswahl geltende Vorschrift des § 25 BetrVG über das Nachrücken von Ersatzmitgliedern beim Ausscheiden von Betriebsratsmitgliedern auf betriebsratsinterne Freistellungswahlen überhaupt entsprechend anzuwenden ist (sog. Ersatzfreistellung, vgl. hierzu bejahend: Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 38 Rz 45; verneinend: Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., Nachtrag zu Band I, § 38 Rz 50e; Stege/Weinspach, BetrVG, 6. Aufl., § 38 Rz 14). Denn im vorliegenden Falle waren bei der Freistellungswahl sämtliche 35 Bewerber der Liste 1, zu denen auch das ausgeschiedene Betriebsratsmitglied G… gehörte, gewählt worden, so daß die Liste erschöpft war. Der auf der Liste 1 gewählte Antragsteller zu 2) kam als Nachrücker nicht in Frage, weil er nach seiner Wahl auf die Freistellung verzichtet hatte. Ein Übergang der Freistellung auf die Liste 2 scheidet aus, weil der einzige Bewerber auf dieser Liste ein Angestellter war, das ausgeschiedene und das neu freizustellende Betriebsratsmitglied aber derselben Gruppe - hier der Gruppe der Arbeiter - angehören müssen.

2. Demnach mußte wegen des Ausscheidens des freigestellten Betriebsratsmitglieds G… eine Freistellungsnachwahl stattfinden. Hierbei hat sich der Betriebsrat zu Recht auf die Wahl eines einzigen freizustellenden Betriebsratsmitglieds beschränkt und diese im Wege der Mehrheitswahl durchgeführt. Eine Neuwahl sämtlicher freizustellender Betriebsratsmitglieder war entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht geboten.

a) Nach § 38 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG in der hier gemäß § 125 Abs. 3 BetrVG anzuwendenden Neufassung vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I, S. 2312) werden die freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt; wird nur ein Wahlvorschlag gemacht, so erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl; ist nur ein Betriebsratsmitglied freizustellen, so wird dieses mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt. Diese Vorschriften betreffen indessen unmittelbar nur die erstmalige, grundsätzlich für die gesamte Amtszeit des Betriebsrats geltende Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Nicht ausdrücklich geregelt wurde, wie zu verfahren ist, wenn während der Amtszeit des Betriebsrats die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds vorzeitig endet und deshalb ein anderes Betriebsratsmitglied freizustellen ist.

b) Im Schrifttum wird die Frage, wie die Neubesetzung der Position eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds vorzunehmen ist, nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird danach unterschieden, ob die ursprüngliche Wahl aller Freizustellenden nach den Grundsätzen der Verhältniswahl oder der Mehrheitswahl erfolgt ist. Im letzteren Falle könne eine Ersatzfreistellung wiederum durch Mehrheitswahl erfolgen; bei ursprünglicher Verhältniswahl müßten dagegen sämtliche freizustellenden Betriebsratsmitglieder erneut nach den Grundsätzen der Verhältniswahl bestimmt werden, weil anderenfalls der durch die Verhältniswahl gewährleistete Minderheitenschutz durch die Nachwahl einzelner freizustellender, Betriebsratsmitglieder im Wege der Mehrheitswahl nach und nach ausgehöhlt werden könne (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 38 Rz 48; Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., Nachtrag zu Band I, § 38 Rz 50g). Demgegenüber lassen andere Autoren jedenfalls dann, wenn nur über eine einzelne Freistellung infolge notwendiger Nachbesetzung zu entscheiden ist, unter Berufung auf den Wortlaut des § 38 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG eine Mehrheitswahl unter Beachtung der Gruppenrechte auch dann ausreichen, wenn die Freistellungen ursprünglich nach den Grundsätzen der Verhältniswahl erfolgt sind; eine Neuwahl sämtlicher freizustellender Betriebsratsmitglieder wird nicht für erforderlich gehalten (Dänzer-Vanotti, AuR 1989, 204, 209; Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 3. Aufl., § 38 Rz 45; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 38 Rz 30).

c) Der Senat schließt sich der letzteren Auffassung an.

Soweit in der Literatur bei ursprünglicher Verhältniswahl und späterer vorzeitiger Beendigung einer Freistellung die Neuwahl sämtlicher Freizustellenden für erforderlich gehalten wird, stützt sich diese Ansicht auf die Erwägung, der vom Gesetzgeber mit der Einführung der Verhältniswahl bezweckte Schutz von Minderheitslisten werde unterlaufen, wenn die Nachwahl für ein nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewähltes freigestelltes Betriebsratsmitglied im Wege der Mehrheitswahl erfolgen könnte; denn in einem solchen Falle hätte die Minderheit auch dann, wenn das zu ersetzende Betriebsratsmitglied auf der Minderheitsliste gewählt worden ist, keine Chance, wiederum einen eigenen Kandidaten durchzubringen. Hierbei wird jedoch übersehen, daß das Gesetz keinen absoluten Minderheitenschutz gewährt. Das zeigt gerade die Regelung des § 38 Abs. 2 Satz 10 in Verbindung mit § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG über die Abberufung freigestellter Betriebsratsmitglieder.

Nach diesen Vorschriften bedarf die Abberufung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds einer qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen der Mitglieder des Betriebsrats, wenn das abzuberufende Betriebsratsmitglied nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in seine Funktion als freigestelltes Betriebsratsmitglied gewählt worden ist. Wie der Senat in seinem Beschluß vom 29. April 1992 – 7 ABR 74/91 – (zur Veröffentlichung bestimmt) ausgeführt hat, dient das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit für die Abberufung nicht dazu, die durch die Freistellungswahl erworbene persönliche Rechtsstellung des einzelnen Betriebsratsmitglieds gegenüber dem Betriebsrat zu stärken und ihm in der Ausübung seiner Funktionen eine größere Unabhängigkeit vom Betriebsrat zu verschaffen. Vielmehr bezweckt die Privilegierung der im Wege der Verhältniswahl gewählten freigestellten Betriebsratsmitglieder allein die Absicherung des mit der Verhältniswahl verbundenen Minderheitenschutzes. Durch die in § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG für Freistellungen angeordnete Verhältniswahl wird erreicht, daß auch eine Minderheitsgruppierung innerhalb des Betriebsrats entsprechend ihrer Stärke bei den Freistellungen berücksichtigt wird. Dieser Minderheitenschutz könnte dadurch ausgehöhlt werden, daß ein zunächst nach den Grundsätzen der Verhältniswahl aus einer Minderheitsliste gewähltes Betriebsratsmitglied später mit einfacher Stimmenmehrheit des Betriebsrats abberufen und durch ein anderes Betriebsratsmitglied ersetzt wird; hierdurch könnte das Ergebnis der Verhältniswahl nachträglich zugunsten der Betriebsratsmehrheit verändert werden. Einer solchen Umgehung des Verhältniswahlrechts mit dem ihm innewohnenden Minderheitenschutz will das Gesetz vorbeugen, indem es im Falle der Verhältniswahl die Abberufung des Gewählten an ein hohes Quorum von drei Vierteln der Stimmen der Mitglieder des Betriebsrats bindet.

Einer derartigen Absicherung des Verhältniswahlrechts hätte es jedoch nicht bedurft, wenn bei jeder Beendigung einer einzelnen Freistellung während der Amtszeit des Betriebsrats eine Neuwahl sämtlicher freizustellenden Betriebsratsmitglieder stattfinden müßte; denn in diesem Falle wäre gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ohnehin wiederum nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu wählen, bei der der Minderheitenschutz wieder voll zum Tragen käme. Eine besondere Erschwerung der Abberufung freigestellter Betriebsratsmitglieder zur Sicherung des Verhältniswahlrechts wäre dann überflüssig.

Die Hürde der Dreiviertelmehrheit, die das Gesetz für die Abberufung von nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten freigestellten Betriebsratsmitgliedern aufstellt, gibt im Hinblick auf den damit bezweckten Minderheitenschutz nur dann einen Sinn, wenn bei nachträglicher Erledigung einer einzelnen Freistellung nicht die Neuwahl sämtlicher freizustellenden Betriebsratsmitglieder geboten ist, sondern die Nachwahl nur eines Freizustellenden als Ersatz für das ausgeschiedene freigestellte Betriebsratsmitglied ausreicht und hierzu gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG die einfache Stimmenmehrheit genügt. Denn dann hätte der Betriebsrat ohne weiteres die Möglichkeit, freigestellte Betriebsratsmitglieder, die im Wege der Verhältniswahl auf einer Minderheitsliste gewählt worden sind, mit einfacher Stimmenmehrheit abzuberufen und dadurch den Weg für eine Nachwahl, für die nach § 38 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG ebenfalls die einfache Stimmenmehrheit genügt, frei zu machen. Auf diese Weise hätte es die Betriebsratsmehrheit jederzeit in der Hand, das Ergebnis der Verhältniswahl zu ihren Gunsten zu verändern. Das will der Gesetzgeber möglichst verhindern, indem er für die Abberufung eine Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen der Mitglieder des Betriebsrats verlangt. Auf diese Erschwerung der Abberufung beschränkt sich aber auch die gesetzliche Absicherung des Ergebnisses der Verhältniswahl mit dem ihr innewohnenden Minderheitenschutz. Die Nachwahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds als Ersatz für ein Betriebsratsmitglied, dessen Freistellung durch ordnungsgemäße Abberufung oder auf andere Weise geendet hat, erfolgt gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG mit einfacher Stimmenmehrheit.

3. Nach alledem war im vorliegenden Falle die mit einfacher Stimmenmehrheit erfolgte Nachwahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds vom 16. November 1990 rechtswirksam, so daß die Rechtsbeschwerde der Antragsteller zurückzuweisen war.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Kremhelmer, Dr. Steckhan, Metzinger, Prof. Dr. Knapp

 

Fundstellen

Haufe-Index 846770

BAGE, 286

BB 1993, 1658

NZA 1993, 910

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