Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmereigenschaft eines Vorstandsmitglieds eines Vereins

 

Leitsatz (amtlich)

Wird der Arbeitnehmer eines Vereins zum Vorstandsmitglied bestellt und im Hinblick darauf ein Dienstvertrag mit höheren Bezügen abgeschlossen, so wird im Zweifel das bisherige Arbeitsverhältnis aufgehoben.

 

Normenkette

ArbGG §§ 5, 2 Abs. 1; BGB §§ 611, 26

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Beschluss vom 30.11.1994; Aktenzeichen 16 Ta 499/94)

ArbG Darmstadt (Beschluss vom 02.11.1994; Aktenzeichen 9 Ca 250/94)

 

Tenor

  • Die weitere sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. Dezember 1994 – 16 Ta 499/94 – wird zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
  • Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 39.000,00 DM festgesetzt.
 

Tatbestand

I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache Kündigungsschutz und Weiterbeschäftigung. Im Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde streiten die Parteien um die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten.

Der beklagte Verein ist Träger der N… Heime der Inneren Mission. Der Kläger war aufgrund Arbeitsvertrages vom 18. Juli 1988 seit dem 1. August 1988 als Arzt für Neurologie und Psychiatrie bei dem Beklagten tätig. Er erhielt Vergütung nach VergGr. Ia BAT.

Durch Beschluß des Verwaltungsrates des Beklagten vom 25. April 1990 wurde der Kläger mit Wirkung ab 1. Januar 1991 zum Vorstandsmitglied berufen. Im Juli 1990 schlossen der Kläger und die Beklagte, vertreten durch den Vorsitzenden des Verwaltungsrates, einen “Dienstvertrag”, in dem es u.a. heißt es:

“§ 1

Herr Dr. B… wird vom 1. Januar 1991 an, als leitender Arzt der N… Heime der Inneren Mission eingestellt. Er ist durch Beschluß des Verwaltungsrates vom 25. April, ab 01.01.1991 zum Mitglied des Vorstandes des Vereins “Anstalt … in Hessen” berufen worden. Die Zeit vom 01.01. bis 30.06.1991 gilt als Probezeit für diese Berufung.

Der Vertrag kann jederzeit mit einer Frist von 6 Monaten zum Schluß eines Kalenderjahres gekündigt werden. Die Kündigung bedarf der Schriftform. Die Kündigung durch das Vorstandsmitglied ist gegenüber dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates zu erklären.

Die Bestellung zum Mitglied des Vorstandes kann unbeschadet von Schadensersatzansprüchen durch Beschluß des Verwaltungsrats jederzeit widerrufen werden. Der Widerruf gilt als Kündigung des Dienstvertrages zum nächst zulässigen Termin.

§ 2

Der Verein überträgt Herrn Dr. B… die Leitung des gesamten ärztlichen Dienstes und die Verantwortung für die Sicherstellung ausreichender medizinischer Versorgung der Heimbewohner. Ihm obliegt die notfallmäßige Versorgung auch der externen Beschäftigten der Gemeinschaftsbetriebe (WfB). Herr Dr. B… wird hierzu insbesondere den Bereitschaftsdienst unter den angestellten Ärzten organisieren und sich selbst in gleicher Weise turnusmäßig am ärztlichen Bereitschaftsdienst beteiligen.

Als Mitglied des Vorstandes leitet Herr Dr. B… gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Vorstandes die N… Heime und führt die Geschäfte nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung sowie der Geschäftsordnung für den Vorstand und den durch den Verwaltungsrat festgelegten Richtlinien und erlassenen Weisungen.

§ 3

Herr Dr. B… wird seine Arbeitskraft ausschließlich für den Verein einsetzen.

…”

Nach § 4 Abs. 1 des Dienstvertrages erhielt der Kläger nunmehr ein monatliches Gehalt nach VergGr. I BAT. Weiter heißt es in § 4:

“Die Normalarbeitszeit ist auf Montag – Freitag von 7.30 – 17.00 Uhr und an Samstagen von 8.00 – 12.00 Uhr festgesetzt. Während dieser Zeit muß der Dienst der Ärzte so abgestimmt sein, daß immer mindestens ein Arzt dienstbereit ist. Außerhalb der Normalarbeitszeit muß ein Arzt Bereitschaftsdienst in den N… Heimen absolvieren.

§ 6

Die zeitliche Festsetzung des Erholungsurlaubs ist unter angemessener Berücksichtigung der dienstlichen Belange unter den Vorstandsmitgliedern abzustimmen und dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates mitzuteilen.”

In der Satzung des beklagten Vereins heißt es u.a.:

“§ 10

Aufgaben des Verwaltungsrates

  • Dem Verwaltungsrat obliegen folgende Aufgaben:
  • Berufung und Abberufung der Vorstandsmitglieder sowie Abschluß ihrer Dienstverträge; Wahl des Vorsitzenden des Vorstandes und seines Stellvertreters,

§ 13

Zusammensetzung des Vorstandes

    • Den Vorstand bilden:
    • der leitende Pfarrer,
    • der leitende Arzt,
    • der pädagogische Leiter,
    • der kaufmännische Leiter.
  • Die Mitglieder des Vorstandes werden vom Verwaltungsrat berufen und abberufen. Dieser wählt auch den Vorsitzenden des Vorstandes und seinen Stellvertreter.

§ 14

Aufgaben des Vorstandes

  • Der Vorstand leitet die Einrichtung und führt die laufenden Geschäfte. Er ist für die Erledigung aller Aufgaben zuständig, soweit sie nicht der Mitgliederversammlung oder dem Verwaltungsrat vorbehalten sind.
  • Im Rahmen der vom Verwaltungsrat festgelegten Richtlinien und ergangenen Weisungen ist der Vorstand selbständig und in eigener Verantwortung tätig.
  • Der Vorstand hat die Aufgaben des Vereinsvorstandes im Sinne des Bürgerlichen Rechts (§ 26 BGB). Er vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich. Zur rechtswirksamen Vertretung bedarf es der Unterschriften von zwei Mitgliedern, von denen einer der Vorsitzende oder sein Stellvertreter sein muß. Im übrigen vertreten sich die Mitglieder gegenseitig nach Maßgabe der Geschäftsordnung.

Mit Schreiben vom 25. Mai 1994 unterrichtete der Verwaltungsrat des beklagten Vereins den Kläger über den am Vortage gefaßten Beschluß, wonach der Kläger als Vorstandsmitglied mit sofortiger Wirkung abberufen wird. Damit sei der Dienstvertrag gekündigt, das Dienstverhältnis ende mit Ablauf des 31. Dezember 1994.

Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner beim Arbeitsgericht Darmstadt erhobenen Klage. Er verlangt ferner Weiterbeschäftigung als leitender Arzt über den 31. Dezember 1994 hinaus.

Der Beklagte hat die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitsachen gerügt und dabei auf die Stellung des Klägers als Vorstandsmitglied verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat seine Zuständigkeit bejaht. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Darmstadt verwiesen. Mit seiner weiteren sofortigen Beschwerde begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.

 

Entscheidungsgründe

II. Die weitere sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist unzulässig. Der Kläger war seit dem 1. Januar 1991 nicht mehr Arbeitnehmer des beklagten Vereins. Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis und in allen Punkten der Begründung zu folgen.

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a, b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für “bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern” aus dem Arbeitsverhältnis und über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Wer Arbeitnehmer ist, ergibt sich aus § 5 ArbGG. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG zählen zu den Arbeitnehmern nicht diejenigen Personen, die in einem Betrieb einer juristischen Person kraft Gesetzes zur Vertretung der juristischen Person berufen sind. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG beruht auf dem Umstand, daß juristische Personen nur durch ihre Organe handeln und nur durch diese ihre Arbeitgeberfunktion ausüben können. Aus diesem Grunde ist es nicht gerechtfertigt, diese Personen als Arbeitnehmer anzusehen (BAG Urteil vom 10. Juli 1980 – 3 AZR 68/79 – AP Nr. 1 zu § 5 ArbGG 1979; BAG Beschluß vom 21. Februar 1994 – 2 AZB 28/93 – AP Nr. 17 zu § 5 ArbGG 1979 = EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 28).

2. Der Kläger gehörte zu diesem Personenkreis. Er war Vorstandsmitglied des Beklagten und damit Mitglied eines Vertretungsorgans einer juristischen Person. Der Beklagte ist ein 1899 gegründeter Verein, der durch landesherrlichen Erlaß die Rechte einer juristischen Person besitzt. Die vor dem Inkrafttreten des BGB entstandene Rechtsfähigkeit besteht weiter. Nach Art. 163 EGBGB unterliegt sie den §§ 25 – 53 und 85 – 89 des BGB. Nach § 26 Abs. 2 BGB wird ein Verein gerichtlich und außergerichtlich durch den Vorstand vertreten; dieser hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. § 14 Abs. 3 der Satzung stellt ausdrücklich klar, daß es sich um den Vorstand nach § 26 Abs. 2 BGB handelt. Dessen Mitglied ist der Kläger durch Beschluß des nach § 13 Abs. 2 der Satzung dafür zuständigen Verwaltungsrates geworden.

a) Hinsichtlich der Rechtsstellung eines Vorstandsmitgliedes eines Vereins ist zu unterscheiden zwischen dem Organisationsakt der Bestellung und dem schuldrechtlichen Vertragsverhältnis zwischen Vorstandsmitglied und Verein. Im Falle des Klägers ist es ein freies Dienstverhältnis (§ 611 BGB). Endet die Organstellung durch Zeitablauf, Widerruf oder Amtsniederlegung, so besteht das Anstellungsverhältnis bis zu seinem Ablauf oder seiner Kündigung fort. Der Verlust der Organstellung führt grundsätzlich nicht zum Übergang des zunächst begründeten freien Dienstverhältnisses in ein Arbeitsverhältnis. Die Gerichte für Arbeitssachen sind also für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung des der Organstellung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses nicht zuständig (BAG in ständiger Rechtsprechung, zuletzt Beschluß vom 21. Februar 1994 – 2 AZB 28/93 – AP Nr. 17 zu § 5 ArbGG 1979 = EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 28).

b) Entgegen der Auffassung des Klägers bestand neben dem freien Dienstverhältnis kein Arbeitsvertrag. Der Vertrag vom Juli 1990 kann nicht in einen Arbeitsvertrag als leitender Arzt und einen freien Dienstvertrag als Grundlage für die Vorstandstätigkeit aufgespalten werden. Zwar ist eine solche Doppelstellung als Arbeitnehmer und freier Dienstnehmer derselben juristischen Person nicht von vornherein denknotwendig ausgeschlossen. Zumindest bei Abschluß nur eines Vertrages ist aber im Zweifel ein einheitliches Rechtsverhältnis anzunehmen. So verhält es sich hier. Anhaltspunkte dafür, daß es sich gleichwohl um unterschiedliche Rechtsverhältnisse handelt, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus § 13 Abs. 1b der Satzung, daß die Funktionen als leitender Arzt und Vorstandsmitglied untrennbar miteinander verbunden waren.

Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, die Sitzungen des Vorstandes hätten zeitlich nur untergeordnete Bedeutung gehabt. Es trifft zu, daß die Rechtsstellung des Klägers in zahlreichen Punkten der von Arbeitnehmern glich. Das ändert jedoch nichts daran, daß der Kläger seine Vorstandsfunktionen wahrgenommen hat. Er hatte die Arbeit der Ärzte zu organisieren. Er unterschrieb Arbeitsverträge und genehmigte Urlaubsanträge. Seine Auffassung, er habe als leitender Arzt in der Einrichtung nur eine “absolut untergeordnete Funktion” gehabt, ist dadurch widerlegt.

Es hat auch nicht das ursprüngliche Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund Vertrages vom 18. Juli 1988 fortbestanden. Der Zweite Senat hat mehrfach entschieden, bei Fehlen einer ausdrücklichen oder konkludenten Vereinbarung hinsichtlich des ursprünglichen Anstellungsvertrages sei im Zweifel anzunehmen, daß der Geschäftsführer einer GmbH mit seiner Bestellung nicht endgültig den bisher erworbenen Bestandsschutz eines Arbeitsverhältnisses aufgeben wolle, ohne dafür einen finanziellen Ausgleich durch eine höhere Vergütung zu erhalten (Urteile vom 9. Mai 1985 – 2 AZR 330/84 – BAGE 49, 81 = AP Nr. 3 zu § 5 ArbGG 1979 und vom 12. März 1987 – 2 AZR 336/86 – BAGE 55, 137, 146 f. = AP Nr. 6 zu § 5 ArbGG 1979, zu II 2a der Gründe). In seinem Urteil vom 7. Oktober 1993 (– 2 AZR 260/93 – AP Nr. 16 zu § 5 ArbGG 1979 = EzA § 5 ArbGG 1979 Nr. 9) hat der Zweite Senat dahingestellt sein lassen, ob er diese Auffassung weiter vertritt. Er hat angedeutet, daß eher eine Vermutung dafür spreche, daß Parteien, die einen neuen Dienstvertrag abschließen, damit im Zweifel den alten Arbeitsvertrag aufheben wollen. Das bedarf aber auch hier keiner Entscheidung. Denn die weitere sofortige Beschwerde bleibt auch dann erfolglos, wenn man zugunsten des Klägers von dieser nunmehr in Frage gestellten Rechtsprechung des Zweiten Senats ausgeht.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Parteien den Arbeitsvertrag vom 18. Juli 1988 aufgehoben haben. Der Vertrag vom Juli 1990 ist keine Ergänzung des ursprünglichen Arbeitsvertrages, sondern ein vollständig neuer Vertrag mit eigenständigen Regelungen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür daß der ursprüngliche Arbeitsvertrag ruhend fortbestehen sollte. Im übrigen erhielt der Kläger eine zumindest um 930,00 DM höhere Vergütung als bisher.

Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe ihm kein rechtliches Gehör gewährt (Art. 103 Abs. 1 GG), ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat etwaigen neuen Tatsachenvortrag aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 14. Dezember 1994 nicht berücksichtigt. Insbesondere hat es seine Entscheidung nicht darauf gestützt, daß der Kläger als leitender Arzt 5.000,00 DM mehr als zuvor verdiente. Im übrigen wären etwaige Verstöße des Landesarbeitsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG dadurch geheilt, daß der Senat rechtliches Gehör gewährt hat.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 872276

BB 1996, 114

NJW 1996, 614

JR 1996, 440

NZA 1996, 143

ZIP 1996, 146

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge