Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsatzbeschwerde mehrere Alternativbegründungen

 

Leitsatz (amtlich)

  • Stützt ein Landesarbeitsgericht seine Entscheidung auf mehrere Alternativbegründungen und betrifft nur eine Begründung die Auslegung einer Tarifvorschrift, so hängt die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage zu einer tariflichen Vorschrift ab.
  • Damit sind die Voraussetzungen für eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung nach den §§ 72a Abs 1 Nr 1, 72 Abs 2 Nr 1 ArbGG nicht gegeben.
 

Normenkette

Tarifvertrag für die Arbeitnehmer der Wohnungswirtschaft § 18 Abs. 1-2; ArbGG §§ 72, 72a

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 31.03.1989; Aktenzeichen 8 Sa 102/88)

ArbG Hamburg (Urteil vom 05.08.1988; Aktenzeichen 23 Ca 56/88)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 31. März 1989 – 8 Sa 102/88 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten über die rechtzeitige Geltendmachung einer Bonuszulage.

1. Der Kläger war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin, der N… Städtebau AG, als technischer Kaufmann beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch Aufhebungsvertrag vom 19./27. Juni 1985 zum 31. März 1987 beendet worden. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag der Arbeitnehmer für die Wohnungswirtschaft vom 31. Mai 1985 (MTV) Anwendung. Dessen § 18 Abs. 1 und 2 lauten:

  • Vergütungsansprüche sind binnen 3 Monaten nach der Abrechnung für den Monat, in dem die betreffenden Arbeiten geleistet wurden, schriftlich geltend zu machen.
  • Alle übrigen beiderseitigen Ansprüche aus diesem Vertrag und dem Vergütungstarifvertrag (Eingruppierung) sind binnen 6 Monate nach ihrer Entstehung, im Falle ihrer Beendigung des Arbeitsvertrages jedoch spätestens binnen 2 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend zu machen.

Die N… Städtebau AG und deren Betriebsrat NL-NRW schlossen am 21. März 1985 eine Betriebsvereinbarung, in der es u.a. heißt:

  • Arbeitnehmer, soweit sie Mitarbeiter der Niederlassung NRW sind, deren Tätigkeit nach der Personalplanung – Stand: Oktober 1984 – in den Jahren 1985 oder 1986 am Objekt Klinikum … ausläuft, erhalten für das Jahr 1985 einen Bonus. Bei einer Weiterbeschäftigung in der NHS, NH oder PBC entfällt der Bonus.

    Voraussetzung für die Gewährung des Bonus ist das Erreichen des zwischen Mitarbeiter und Projektleiter sowie Gruppenleiter abgestimmten Arbeitszieles.

    Der Bonus ist für alle Tätigkeiten der betroffenen Mitarbeiter gleich und beträgt 20.000,-- DM. Die Festlegung, ob die Voraussetzung zur Zahlung vorliegt, erfolgt für jeden Mitarbeiter zum Jahresende und wird zwischen den Projektleiter und dem zuständigen Gruppenleiter getroffen.

    Die Projektleitung wird die getroffene Entscheidung jedem Mitarbeiter bekanntgeben.

    Mitarbeitern, die eine abgestimmte Leistung überdurchschnittlich gut erbringen, kann eine Zulage in Höhe von DM 5.000,-- gewährt werden.

Darauf nimmt die Nr. 4 des Aufhebungsvertrages vom 13./27. Juni 1985 Bezug, wonach der Kläger Anspruch auf einen Bonus nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung vom 21. März 1985 hat.

Der Kläger erhielt für 1985 den Bonus von 20.000,-- DM. Darüber verhält sich ein Schreiben der Beklagten vom 30. Januar 1986, das eine Stellungnahme zu der Zulage von 5.000,-- DM nicht enthält. Der Kläger erhielt diesen Betrag auch nicht. Die Auszahlung der Bonuszulage an vier Mitglieder der Projektgruppe, darunter für den Kläger, wurde in der Sitzung der Personalkommission vom 7. Juli 1986 erörtert. Das Thema war bereits in der Personalkommissionssitzung vom 29. April 1986 angesprochen worden und aufgrund eines Schreibens des Betriebsrats vom 25. Juni 1986 für die Sitzung vom 7. Juli 1986 auf die Tagesordnung gesetzt worden.

Mit Schreiben vom 17. Juli 1986 teilte die Beklagte dem Kläger unter Bezugnahme auf die Betriebsvereinbarung vom März 1985 mit, in der Personalkommissionssitzung vom 7. Juli 1986 sei keine Einigung über die zu zahlende Zulage in Höhe von 5.000,-- DM erzielt worden. Daraufhin wandte sich der Kläger wegen dieser Zulage unter dem 24. Juli 1986 erstmals schriftlich an die Beklagte.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.000,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Dezember 1987 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem Klageantrag entsprochen.

2. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Der Kläger habe seinen Klageanspruch rechtzeitig geltend gemacht. Die Verfallfrist des § 18 Abs. 1 MTV für die Arbeitnehmer der Wohnungswirtschaft sei nicht anwendbar. Das folge bereits aus dem Wortlaut. Die Bonuszulage sei nicht für Arbeiten in Aussicht gestellt worden, die in einem bestimmten Monat zu leisten seien und über die daher auch nicht monatlich abzurechnen sei. Eine extensive Anwendung dieser Verfallfrist verbiete sich nach dem Grundsatz, daß Ausschlußfristen eng auszulegen seien, weil sie die Geltendmachung von Rechten stark einschränkten. Wolle man gleichwohl mit dem Arbeitsgericht die kurze Drei-Monatsfrist des § 18 Abs. 1 MTV heranziehen, wäre für den Fristbeginn nicht auf eine Abrechnung abzustellen, sondern auf die Mitteilung gemäß Betriebsvereinbarung vom 21. März 1985. Dort sei festgelegt, daß die Projektleitung die getroffene Entscheidung jedem Mitarbeiter bekanntgebe. Die Bekanntgabe durch die Beklagte sei aber erst definitiv mit Schreiben vom 17. Juli 1986 erfolgt. Das Schreiben der Beklagten vom 30. Januar 1986 enthalte allein die Mitteilung, daß der Bonus von 20.000,-- DM gezahlt werde. Wenn die Beklagte argumentiere, diesem Schreiben sei auch die negative Entscheidung hinsichtlich der Bonuszulage zu entnehmen, so stehe diese Auffassung nicht im Einklang mit der Pflicht aus der Betriebsvereinbarung, daß die Entscheidung jedem Mitarbeiter bekanntzugeben sei. Damit könne redlicherweise nur eine ausdrückliche Mitteilung gemeint sein. Das bloße Nichterwähnen der Bonuszulage und der Hinweis, das Schweigen könne nur im Sinne einer ablehnenden Entscheidung verstanden werden, sei jedenfalls für den Beginn einer kurzen Verfallfrist nicht ausreichend. Selbst wenn man auch insoweit eine großzügige Betrachtungsweise favorisieren wolle, sei die Berufung der Beklagten auf die Verfallfrist des § 18 Abs. 1 MTV arglistig. Der Zweck der kurzen Verfallfrist lasse sich nämlich wegen des Eingehens der Beklagten auf die Forderung des Betriebsrats nicht mehr verwirklichen. Zweck der tariflichen Ausschlußfrist sei es, schnellstens Klarheit hinsichtlich der von ihr erfaßten Ansprüche zu schaffen. Nachdem der Betriebsrat die Nichtzahlung der Bonuszulage an sämtliche 24 Mitarbeiter der Projektgruppe Klinikum … gerügt habe, sei die Frage auf der Personalkommissionssitzung behandelt. Es bedürfe keiner näheren Darlegung, daß auch der Betriebsrat die Forderung eines Arbeitnehmers geltend machen könne.

3. Hiergegen richtet sich die auf grundsätzliche Bedeutung und Divergenz gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten. Sie meint, das Landesarbeitsgericht habe eine Tarifvorschrift ausgelegt, die für alle Arbeitsverhältnisse der Wohnungswirtschaft von Bedeutung sei. Im Rahmen seiner Hilfsbegründung habe das Landesarbeitsgericht einen Rechtssatz aufgestellt, der von einem Rechtssatz des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 14. Juni 1974 – 3 AZR 456/73 – (BAGE 26, 187 = AP Nr. 20 zu § 670 BGB) und von einem Rechtssatz im Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 5. Oktober 1987 – 9 Sa 72/87 – (LAGE § 4 TVG Ausschlußfristen Nr. 6) abweiche.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach § 72a Abs. 1 ArbGG kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht selbständig durch Beschwerde angefochten werden, wenn entweder ein Fall des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vorliegt (Divergenz) oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und eine der in § 72a Abs. 1 Nr. 1 -3 ArbGG angeführten Rechtsstreitigkeiten betrifft. Die Revision ist wegen Divergenz zuzulassen, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder einer der im Gesetz genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Der Beschwerdeführer muß die Beschwerdefrist fristgebunden begründen und die Entscheidung, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts abweicht, bezeichnen (§ 72a Abs. 3 ArbGG). Die nach § 72a i.V. mit § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG als selbständiger Rechtsbehelf ermöglichte Nichtzulassungsbeschwerde ersetzt die früher nach § 72 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG 1953 statthafte Divergenzrevision. Danach gehört es in jedem Fall zur Darlegung des Zulassungsgrundes, daß das anzufechtende Urteil einen allgemeinen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt hat und daß dieser von einem in einer divergenzfähigen Entscheidung aufgestellten Rechtssatz abweicht. Die voneinander abweichenden Rechtssätze müssen sich aus der anzufechtenden wie der angezogenen Entscheidung unmittelbar ergeben und so deutlich ablesbar sein, daß nicht zweifelhaft bleibt, welchen Rechtssatz die Entscheidungen aufgestellt haben (BAGE 41, 188 = AP Nr. 11 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz; BAG Beschluß vom 10. Juli 1984 – 2 AZN 337/84 – AP Nr. 15 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz; erkennender Senat, Beschluß vom 29. Oktober 1987 – 6 AZN 459/87 –, nicht veröffentlicht). Die fehlerhafte oder unterlassene Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der im Gesetz genannten Gerichte reicht dagegen zur Begründung einer auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde nicht aus.

Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist dann zu bejahen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer durch das Revisionsgericht klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (BAGE 32, 203, 210 = AP Nr. 1 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz; BAGE 36, 85 = AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; erkennender Senat Beschluß vom 25. September 1986 – 6 AZN 298/36 –, nicht veröffentlicht).

2. Soweit die Beklagte ihre Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz stützt, ist sie unzulässig. Denn die Beschwerde ist nicht in der gesetzlichen Form begründet worden. Die Beklagte stellt zwar ebenso einen abstrakten Rechtssatz des anzufechtenden Urteils wie abstrakte Rechtssätze der angezogenen Entscheidungen dar. Diese weichen jedoch nicht voneinander ab. Eine Abweichung ergibt sich erst durch den von der Beklagten hinzugefügten Zusatz, das Landesarbeitsgericht sei der Auffassung, der Betriebsrat könne, ohne daß es weiterer Voraussetzungen bedürfe, Ansprüche von Arbeitnehmern mit fristwahrender Wirkung geltend machen. Damit kann jedoch eine Divergenz nicht begründet werden. Denn de anzufechtenden Urteil ist nicht zweifelsfrei zu entnehmen, daß das Landesarbeitsgericht den von der Beklagten formulierten Rechtssatz aufstellen wollte. Das Landesarbeitsgericht kann angesichts des klägerischen Vortrags auch von der rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung des Betriebsrats ausgegangen sein.

3. Soweit die Beklagte ihre Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache stützt, ist die Beschwerde zulässig, aber nicht begründet.

Das Landesarbeitsgericht hat zur rechtzeitigen Geltendmachung des Klageanspruchs zunächst die Tarifvorschrift des § 18 Abs. 1 MTV ausgelegt, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Landesarbeitsgerichts erstreckt. Das Landesarbeitsgericht hat aber seine Entscheidung nicht nur auf die von der Beklagten angegriffene Tarifauslegung gestützt. Es hat in drei weiteren Alternativbegründungen unter Zugrundelegung der von der Beklagten für zutreffend erachteten Tarifauslegung den Verfall des geltend gemachten Anspruchs verneint. Diese weiteren Begründungen zu 1b – d betreffen nicht die Auslegung einer Tarifvorschrift. Sie stützen sich vielmehr auf die Anforderungen einer Betriebsvereinbarung (1b und 1c) sowie den Einwand der Arglist gemäß § 242 BGB. Hat aber die gerügte Tarifauslegung für die weiteren Begründungen keine Bedeutung, hängt die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage zu einer tariflichen Vorschrift ab (BAG Beschluß vom 15. März 1989 – 4 AZN 54/59 –, nicht veröffentlicht). Insofern gilt nichts anderes als für den Fall, in dem das Berufungsgericht die umstrittene Auslegungsfrage nur hilfsweise entschieden hat (BAG Beschluß vom 27. November 1984 – 3 AZN 502/84 – AP Nr. 27 zu § 72a ArbGG Grundsatz). Bei einer Grundsatzbeschwerde sind die gleichen Anforderungen zu stellen, die an eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz gestellt werden, wenn das angefochtene Urteil zwei oder mehrere selbständig tragende Begründungen enthält (BAG Beschluß vom 16. Juli 1980 – 5 AZN 9/80 – AP Nr. 2 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz; Beschluß vom 9. Dezember 1980 – 7 AZN 374/80 – AP Nr. 3 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz). Denn wie in diesen Fällen wäre der Senat nach Eröffnung der Revisionsinstanz nicht gezwungen, die streitige Auslegungsfrage zu entscheiden. Er könnte sich darauf beschränken, eine der anderen Begründungen des Berufungsgerichts zu bestätigen und zu den weiteren Begründungen sich nicht zu äußern.

 

Unterschriften

Dr. Röhsler, Schneider, Dörner, Möller-Lücking, Ramdohr

 

Fundstellen

Haufe-Index 872088

BAGE, 58

BB 1990, 71

JR 1990, 132

RdA 1990, 63

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