Entscheidungsstichwort (Thema)

Honorar eines Einigungsstellenvorsitzenden

 

Leitsatz (redaktionell)

Solange die in § 76a Abs 4 BetrVG vorgesehene Rechtsverordnung nicht erlassen worden ist, können von den Gerichten für Arbeitssachen keine Höchstbeträge für das Honorar von Einigungsstellenmitgliedern festgesetzt werden. Es fehlt an einer planwidrigen Gesetzeslücke, die von den Gerichten geschlossen werden könnte.

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 03.05.1995; Aktenzeichen 2 TaBV 7/94)

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 16.08.1994; Aktenzeichen 18 BV 2/94)

 

Tatbestand

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Höhe der Honorarforderung eines Einigungsstellenvorsitzenden, die dieser zum Teil an den antragstellenden Verein (Beteiligter zu 1) abgetreten hat.

Bei der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) waren aus Anlaß zweier Betriebsstillegungen zwei Einigungsstellen zur Herbeiführung von Sozialplänen unter unterschiedlichem Vorsitz gebildet worden. Die Einigungsstelle für den Betrieb P tagte einmal. Es wurde ein Sozialplan für 80 Arbeitnehmer im Volumen von 1 Million DM vereinbart. An den Vorsitzenden zahlte die Arbeitgeberin aufgrund einer Pauschalvergütungsvereinbarung ein Honorar in Höhe von 10.000,00 DM. Die zweite Einigungsstelle für den Betrieb U tagte an zwei Tagen. Die Sitzungszeit betrug 21 Stunden. Den übrigen Zeitaufwand bezifferte der Einigungsstellenvorsitzende mit etwa neun Stunden Vorbereitungszeit einschließlich Vorbesprechung und mit 15 Stunden Nachbearbeitungszeit für die Fertigung der Protokolle und der Spruchbegründung. Durch Spruch der Einigungsstelle wurde ein Sozialplan für etwa 244 Arbeitnehmer mit einem Volumen von insgesamt 7,9 Millionen DM beschlossen.

Da eine Honorarvereinbarung nicht getroffen worden war, stellte der Einigungsstellenvorsitzende der Arbeitgeberin für seine Tätigkeit ein Honorar in Höhe von 25.000,00 DM zuzüglich Fahrtauslagen und Mehrwertsteuer in Rechnung. Die Arbeitgeberin zahlte nur 8.000,00 DM. Durch schriftliche Erklärung vom 8. April 1993, die der Antragsteller unter dem 9. November 1993 annahm, trat der Einigungsstellenvorsitzende seine Honorarforderung, soweit sie 8.000,00 DM übersteigt, an den Antragsteller ab.

Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, das sich bei 45 Stunden errechnende Honorar in Höhe von 555,55 DM pro Stunde sei angemessen, weil es sich um einen komplizierten Fall gehandelt habe und sich der Einigungsstellenvorsitzende mit dem Gutachten eines Wirtschaftsprüfers habe auseinandersetzen, sich in drei Bilanzen und in die komplette Personalliste für die gesamte Belegschaft habe einarbeiten müssen. Die Angemessenheit ergebe sich aus einem Vergleich mit dem an den Vorsitzenden der anderen Einigungsstelle gezahlten Honorar. Eine unterschiedlich hohe Vergütung verstoße gegen Treu und Glauben.

Der Antragsteller hat beantragt:

1. Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, an den

Antragsteller 17.000,00 DM zu bezahlen.

hilfsweise,

2. Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, an den

Antragsteller ein in das Ermessen des Gerichts

gestelltes Honorar zu zahlen, das allerdings

mindestens 12.000,00 DM betragen soll.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der geltend gemachte Zeitaufwand sei überhöht und mit allenfalls 30 Stunden realistisch bewertet. Angemessen sei eine Honorarhöhe, die sich an den Sätzen des Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetzes (ZSEG) orientiere.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat unter Zurückweisung der Beschwerde im übrigen den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und den Antrag abgewiesen, soweit die Arbeitgeberin verpflichtet wurde, an den Antragsteller mehr als 5.500,00 DM zu zahlen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Antragsteller die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses erreichen. Die Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Antragsteller hat keinen über 5.500,00 DM hinausgehenden Anspruch nach § 76 a Abs. 3 bis 5 BetrVG. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, daß die vom Einigungsstellenvorsitzenden getroffene Bestimmung der Honorarhöhe nicht der Billigkeit entsprach (§§ 315, 316 BGB). Die danach gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB vom Gericht selbst vorzunehmende Leistungsbestimmung hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei getroffen.

I. Die vom Vorsitzenden der Einigungsstelle getroffene Leistungsbestimmung entsprach nicht der Billigkeit.

1. Nach § 316 BGB hat das Einigungsstellenmitglied bei Fehlen einer vertraglichen Vergütungsvereinbarung den Umfang der Vergütung zu bestimmen. Diese Bestimmung ist gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu treffen, wobei die Bemessungsgrundsätze des § 76 a Abs. 4 Sätze 3 bis 5 BetrVG zu beachten sind (BAG Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 7 ABR 20/91 - AP Nr. 2 zu § 76 a BetrVG sowie - 7 ABR 34/91 -, n.v. und - 7 ABR 9/91 -, n.v.). Eine gerichtliche Festsetzung der Vergütungshöhe kommt erst dann in Betracht, wenn die vom Einigungsstellenmitglied bestimmte Höhe seiner Vergütung nicht der Billigkeit entspricht (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB).

2. Bei dem Begriff der Billigkeit im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen richtige Anwendung in der Rechtsbeschwerdeinstanz grundsätzlich nur darauf nachprüfbar ist, ob das Tatsachengericht ihn frei von Rechtsirrtum angewandt hat und ob die Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalles vollständig, ohne inneren Widerspruch und frei von Verstößen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze erfolgt ist (BAG Beschluß vom 13. Januar 1981 - 6 ABR 106/78 - AP Nr. 8 zu § 76 BetrVG 1972). Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes halten die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nur im Ergebnis einer Überprüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat teilweise den durch die Bemessungsgrundsätze des § 76 a Abs. 4 Sätze 3 bis 5 BetrVG geprägten Begriff des billigen Ermessens verkannt.

a) Wenn das Landesarbeitsgericht ausführt, die geforderte Vergütung sei vor allen Dingen auch deshalb überhöht, weil die Tatsache des Nichteintritts eines Verdienstausfalls nicht vergütungsmindernd berücksichtigt worden sei, so verkennt es die Bedeutung dieses nach § 76 a Abs. 4 Satz 3 BetrVG zu berücksichtigenden Kriteriums. Die Berücksichtigung des Nichteintritts eines Verdienstausfalls steht schon in Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes. Danach ist nur ein Verdienstausfall, nicht aber der Nichteintritt zu berücksichtigen. Hierfür spricht auch der erkennbare Gesetzeszweck. Durch die Berücksichtigung dieses Tatbestandes soll ermöglicht werden, die Nachteile auszugleichen, die durch die Tätigkeit eines Einigungsstellenmitglieds konkret entstehen. Die Abschöpfung anderweitiger Vorteile soll nicht erreicht werden.

b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts muß sich der Einigungsstellenvorsitzende bei seiner Honorarbestimmung nicht an § 20 Abs. 1 BRAGO bzw. § 3 ZSEG orientieren. Der Honoraranspruch des Einigungsstellenmitglieds wird nicht durch einen Höchstbetrag begrenzt, der in Orientierung an § 3 ZSEG zu ermitteln ist (Löwisch, DB 1989, 223, 224; Kreutz, GK-BetrVG, 5. Aufl., § 76 a Rz 33). Die Annahme einer solchen Vergütungsobergrenze in Analogie zu § 3 ZSEG oder § 20 Abs. 1 BRAGO ist mit der derzeit geltenden gesetzlichen Regelung nicht vereinbar. Der Gesetzgeber hat in § 76 a Abs. 4 BetrVG bewußt davon abgesehen, die Höhe der Honoraransprüche der Einigungsstellenmitglieder im einzelnen selbst zu regeln. Er hat vielmehr in Satz 1 dieser Vorschrift die Vergütungsregelung dem Verordnungsgeber übertragen und in Satz 2 ausdrücklich bestimmt, daß in dieser Rechtsverordnung Höchstbeträge festgesetzt werden müssen. Gerade die Festsetzung dieser Höchstbeträge ist damit dem Verordnungsgeber vorbehalten und daher nicht möglich, solange dieser dem parlamentarischen Auftrag nicht nachkommt. Es fehlt deshalb an einer planwidrigen Gesetzeslücke, die von den Gerichten geschlossen werden könnte.

c) Die Leistungsbestimmung des Einigungsstellenvorsitzenden entsprach aber aus anderen Gründen nicht der Billigkeit. Daher war eine gerichtliche Leistungsbestimmung statthaft. Der Vorsitzende der Einigungsstelle hat sich nämlich bei seiner Leistungsbestimmung von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Das ergibt sich daraus, daß er sich maßgeblich auch an der Höhe der an den Vorsitzenden der Paralleleinigungsstelle gezahlten Vergütung orientiert hat. Darauf durfte er nicht abstellen. Dabei bleibt nämlich zum einen unberücksichtigt, daß die Einigungsstelle jeweils zur Regelung eines individuellen Falles gebildet wird und demgemäß die Vergütungsfestsetzung in Anwendung der Kriterien des § 76 a Abs. 4 BetrVG die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigen muß. Zum anderen hat der Vorsitzende der Einigungsstelle verkannt, daß eine Vergleichbarkeit der Vergütungen auch deshalb ausscheidet, weil das an den Vorsitzenden der Paralleleinigungsstelle gezahlte Honorar auf einer im voraus getroffenen pauschalen Vergütungsvereinbarung beruhte. Der Kostenaufwand war damit unabhängig vom tatsächlichen Zeitaufwand von vornherein begrenzt und vorhersehbar. Wenn die Arbeitgeberin ein derartiges Pauschalhonorar vereinbart, bringt sie damit nicht zum Ausdruck, daß sie den sich bei erst rückblickender Betrachtung anhand der tatsächlich aufgewendeten Zeit rechnerisch ermittelbaren Stundensatz für angemessen hält, sondern nur, daß sie die vereinbarte Vergütung im Hinblick auf die zu treffende Regelung bei vorausschauender Abschätzung von Schwierigkeit und erforderlichem zeitlichen Umfang als angemessen betrachtet.

II. Die mithin vom Landesarbeitsgericht zu Recht selbst getroffene Leistungsbestimmung ist rechtsfehlerfrei erfolgt.

Der vom Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung der Kriterien des § 76 a Abs. 4 Satz 2 bis 5 BetrVG in Ansatz gebrachte Stundensatz von 300,00 DM trägt der Tatsache Rechnung, daß es sich um eine Streitigkeit von mittlerer Schwierigkeit handelte.Zu Unrecht will der Antragsteller eine besondere Schwierigkeit daraus herleiten, daß die Vorstellungen der Betriebspartner über das Sozialplanvolumen in erheblichem Maße differierten und unabhängig vom Sozialplanvolumen keine Einigung über die Verteilungsgrundsätze erzielt werden konnte, ferner daraus, daß die Ermittlung/Schätzung des zur Verfügung stehenden Eigenkapitals eine intensive, kritische Auseinandersetzung mit den Bilanzen und dem Gutachten eines Wirtschaftsprüfers erforderten. Hierbei handelt es sich indessen um die typische Konstellation in einer Einigungsstelle zur Aufstellung eines Sozialplans anläßlich einer Betriebsstillegung. Erfahrungsgemäß liegen die Vorstellungen der Betriebspartner über das zur Verteilung zu bringende Sozialplanvolumen erheblich auseinander, so daß es näherer Ermittlungen darüber bedarf, wie sich die wirtschaftliche Lage des betroffenen Unternehmens bzw. Betriebes darstellt. Dies setzt zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit vorhandenen Bilanzen oder anderen Unterlagen, aus denen Anhaltspunkte für die wirtschaftliche Lage gewonnen werden können, voraus. Einem hierdurch sich eventuell ergebenden höheren Aufwand wird durch den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Zeitfaktor Rechnung getragen. Gleiches gilt im Hinblick auf das Argument, der Vorsitzende habe sich in die komplette Personalliste des betroffenen Betriebes einarbeiten müssen. Auch dies ist selbstverständlicher Inhalt der Tätigkeit, da in der Regel nur auf diese Weise den Kriterien des § 112 Abs. 5 Nr. 1 und 2 BetrVG Rechnung getragen werden kann.

Dörner Schmidt Steckhan

Johannsen Seiler

 

Fundstellen

Haufe-Index 519018

BB 1997, 158-159 (Leitsatz 1 und Gründe)

DB 1997, 283-284 (Leitsatz 1 und Gründe)

DStR 1997, 629 (Kurzwiedergabe)

NWB 1997, 11

EBE/BAG 1997, 10-12 (Leitsatz 1 und Gründe)

EBE/BAG Beilage 1997, Ls 13/97 (Leitsatz 1)

ARST 1997, 1-2 (Leitsatz 1 und Gründe)

DRiZ 1997, 195-196 (Leitsatz 1 und Gründe)

EWiR 1997, 97 (Leitsatz 1)

NZA 1997, 222

NZA 1997, 222-223 (Leitsatz 1 und Gründe)

RdA 1997, 125-126 (Leitsatz 1)

ZIP 1997, 208

ZIP 1997, 208-210 (Leitsatz 1 und Gründe)

ZTR 1997, 191 (Leitsatz 1)

AP § 76a BetrVG 1972, Nr 7

AR-Blattei, ES 630 Nr 64 (Leitsatz 1 und Gründe)

ArbuR 1997, 37-38 (Leitsatz 1 und Gründe)

ArbuR 1997, 84 (red. Leitsatz 1)

EzA-SD 1996, Nr 26, 12 (Leitsatz 1)

EzA § 76a BetrVG 1972, Nr 11 (Leitsatz 1 und Gründe)

ZBVR 1997, 28 (Leitsatz 1)

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