Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässiger Unterlassungsantrag der Betriebsvertretung

 

Orientierungssatz

1. Die Feststellung individualrechtlicher Ansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber ist keine Angelegenheit aus dem BPersVG.

2. Der Sinn des § 87 Abs 1 Nr 6 BetrVG und des § 75 Abs 3 Nr 17 BPersVG besteht darin, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats bzw der Personalvertretung zuzulassen.

 

Normenkette

BPersVG § 82 Abs. 4, § 72 Abs. 4; NATOZAbkUnterzProt Abs. 1, 9, 6b; BPersVG § 68 Abs. 1 Nr. 2, § 83 Abs. 1 Nr. 3, § 75 Abs. 3 Nr. 17

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 15.05.1985; Aktenzeichen 6 TaBV 19/84)

ArbG München (Entscheidung vom 08.05.1984; Aktenzeichen 7 BV 106/83)

 

Gründe

A. Die Antragstellerin ist die beim Headquarters Army and Air Force Exchange Service (AAFES) Europe errichtete Bezirksbetriebsvertretung. Der AAFES ist eine Verkaufseinrichtung der Vereinigten Staaten von Amerika für die Angehörigen der Streitkräfte.

Der AAFES Europe beabsichtigt, in seinen Verkaufseinrichtungen ein elektronisches Überwachungsprogramm (EÜP) einzuführen, um mit Hilfe von verdeckten Videokameras Vorgänge in diesen Einrichtungen zu beobachten.

Dagegen wendet sich die Bezirksbetriebsvertretung in diesem Verfahren, nachdem ihr Antrag auf Erlaß eines Verbots durch eine einstweilige Verfügung erfolglos geblieben ist (Beschluß des LAG München vom 22. November 1983 - 6 TaBV 12/83 -). Zuvor hatte sie der Einführung des EÜP widersprochen. Die Dienststelle hatte den Einwendungen nicht entsprochen, sondern angekündigt, daß sie das EÜP wie vorgesehen einführen werde. Der übergeordneten Dienststelle - hier dem kommandierenden General der US-Armee in Europa - hat die Bezirksbetriebsvertretung die Angelegenheit nicht mit dem Antrag auf Entscheidung vorgelegt.

Die Bezirksbetriebsvertretung hat die Auffassung vertreten, die allgemeine Überwachungsaufgabe der Betriebsvertretung nach § 68 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG rechtfertige ein Beschlußverfahren, in dem sie geltend machen könne, daß die Installation von verdeckten Videokameras, mit denen die zivilen Arbeitnehmer der Dienststelle bei ihrer Arbeit gefilmt werden können, unterbleibt. Es gehe ihr im vorliegenden Verfahren nicht um die Wahrnehmung der ihr als Betriebsvertretung zustehenden Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte aus dem BPersVG, sondern um die Schaffung von der Verfassung konformen Arbeitsbedingungen. Dies gehöre auch zum Aufgabenbereich der Personalvertretung, der der Gesetzgeber einen allgemeinen Förderungs- und Schutzauftrag erteilt habe mit der Folge, daß ihr analog § 1004 BGB auch ein entsprechender Unterlassungsanspruch zustehe. Nach § 68 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG gehöre es u.a. zu ihren allgemeinen Aufgaben, darüber zu wachen, daß die zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze durchgeführt und eingehalten werden. Hierzu gehöre auch der Schutz des Persönlichkeitsrechts nach dem Grundgesetz.

Die Bezirksbetriebsvertretung hat zuletzt beantragt:

Den gesetzlichen Vertretern der Antragsgegnerin

wird bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden

Zwangsgeldes, ersatzweise einer Zwangshaft gegen

die gesetzlichen Vertreter, aufgegeben, bei der

Einführung eines elektronischen Überwachungsprogramms

(EÜP) keine verdeckten Video-Kameras zu

installieren und zu betreiben bzw. betreiben zu

lassen.

Hilfsweise:

Es wird festgestellt, daß die Streitkräfte der

Vereinigten Staaten von Amerika (Headquarters

Army and Air Force Exchange Service Europe)

nicht berechtigt sind, bei der Einführung eines

elektronischen Überwachungssystems (EÜP) verdeckte

Video-Kameras zu installieren und zu

betreiben bzw. betreiben zu lassen.

Die Dienststelle, im Verfahren durch die Bundesrepublik Deutschland vertreten, hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Antrag sei unzulässig, da der Bezirksbetriebsvertretung die Antragsbefugnis fehle. Es könne auch von der Bundesrepublik Deutschland nicht ein Unterlassen erzwungen werden, das sie nicht bewirken könne. Die Anträge seien im übrigen auch sachlich nicht begründet. Die beabsichtigte Einführung des EÜP gebe der Betriebsvertretung keinen Unterlassungsanspruch, da die vorgesehene Einrichtung das Persönlichkeitsrecht der zivilen Bediensteten der Dienststelle nicht verletzen werde.

Die Anträge der Bezirksbetriebsvertretung sind in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Bezirksbetriebsvertretung ihre Anträge weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde der Bezirksbetriebsvertretung ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Anträge als unzulässig abgewiesen.

I. Beteiligte des Verfahrens ist die Bundesrepublik Deutschland, handelnd für den AAFES. Nach Abs. 9 des Unterzeichnungsprotokolls zu Art. 56 Abs. 9 des Zusatzabkommens zwischen den Parteien des Nordatlantik-Vertrages über die Rechtsstellung ihrer in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen in der Fassung des Übereinkommens vom 18. Mai 1981 (ZA) beteiligt sich an einem Beschlußverfahren die Bundesrepublik Deutschland im Namen der Truppe an diesem Verfahren. Entsprechend dieser Rechtslage hat das Bundesarbeitsgericht in den jüngeren Entscheidungen stets als Beteiligte die Bundesrepublik Deutschland für die entsprechende Einheit oder Dienststelle genannt (vgl. die Beschlüsse vom 23. Juli 1981 - 6 ABR 74/78 - BAGE 35, 370 = AP Nr. 5 zu Art. 56 ZA-Nato-Truppenstatut und vom 12. Februar 1985 - 1 ABR 3/83 - BAGE 48, 81 = AP Nr. 1 zu Art. I Nato-Truppenstatut; zuletzt Beschluß des Senats vom 10. November 1987 - 1 ABR 42/86 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

II. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Anträge als unzulässig abgewiesen. Das Beschlußverfahren vor den Arbeitsgerichten kommt nach Abs. 1 und 9 des Unterzeichnungsprotokolls zu Art. 56 Abs. 9 ZA als zutreffende Verfahrensart nur in Betracht, soweit das BPersVG eine gerichtliche Entscheidung vorsieht. Nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG haben die Gerichte über die "Zuständigkeit der Personalvertretungen" zu entscheiden.

Um einen Rechtsstreit über die "Zuständigkeit der Personalvertretung" handelt es sich im vorliegenden Fall aber nicht.

Die Anträge bedürfen der Auslegung, weil das Begehren der Betriebsvertretung nicht eindeutig ist.

1. Die Bezirksbetriebsvertretung hat den Verfahrensgegenstand ausdrücklich dahingehend präzisiert, daß es ihr nicht um die Wahrnehmung der ihr als Betriebsvertretung zustehenden Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte aus dem BPersVG gehe, sondern um die Schaffung verfassungskonformer Arbeitsbedingungen. Es gehöre zu ihrem Aufgabenbereich, darüber zu wachen, daß die zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze durchgeführt und eingehalten werden (§ 68 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG); hierzu rechne auch der Schutz des Persönlichkeitsrechts nach dem Grundgesetz. Sie mache einen entsprechenden Unterlassungsanspruch bzw. die Feststellung einer Unterlassungspflicht geltend, daß bei der Einführung des EÜP die Installation und Benutzung verdeckter Videokameras unterbleibt.

Bereits dieser Vortrag deutet darauf hin, daß die Betriebsvertretung nicht einen eigenen betriebsvertretungsrechtlichen Anspruch geltend macht bzw. die Feststellung eines eigenen betriebsvertretungsrechtlichen Rechtsverhältnisses begehrt, sondern es ihr um Ansprüche einzelner Arbeitnehmer gegenüber der Dienststelle bzw. um die Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitnehmern und der Dienststelle geht. Ansprüche einzelner Arbeitnehmer gegen die Dienststelle bzw. die Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen der Dienststelle und den Arbeitnehmern kann die Betriebsvertretung aber nicht im Beschlußverfahren geltend machen. Insoweit geht es nicht um die "Zuständigkeit der Personalvertretung" im Sinne von § 83 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG.

2. Entsprechend hat der Senat für das Betriebsverfassungsrecht bereits ausgesprochen, daß der Betriebsrat die Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern nicht im Beschlußverfahren verlangen kann. Die Feststellung individualrechtlicher Ansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber ist keine Angelegenheit aus dem BetrVG im Sinne von § 80 Abs. 1 ArbGG in Verb. mit § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG (Beschluß vom 24. Februar 1987 - 1 ABR 73/84 - AP Nr. 28 zu § 80 BetrVG 1972, zu B I 2 b der Gründe). In dieser Entscheidung wird näher begründet, daß der Individualrechtsschutz des einzelnen Arbeitnehmers nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung dem Betriebsrat übertragen werden kann. Die allgemeine Überwachungsaufgabe des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG rechtfertigt kein Beschlußverfahren, in dem von den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 und des § 256 Abs. 1 ZPO abgesehen werden könnte (aaO, zu B II der Gründe).

Anders wäre zu entscheiden, wenn es der Betriebsvertretung in Wirklichkeit um eigene betriebsvertretungsrechtliche Ansprüche gegenüber der Dienststelle ginge. Entsprechend hat der Senat für das Betriebsverfassungsrecht entschieden, ein Streit der Betriebspartner über die Befugnis des Betriebsrats, die zutreffende Durchführung der in § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG genannten Regelungen verlangen zu können, sei eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit, wenn der Betriebsrat die Feststellung der Verpflichtung des Arbeitgebers aus eigenem Recht verlange. Der Senat hat einen solchen auf § 80 Abs. 1 BetrVG gestützten Anspruch jedoch als unbegründet abgewiesen (Beschluß vom 10. Juni 1986 - 1 ABR 59/84 - AP Nr. 26 zu § 80 BetrVG 1972).

3. Aus dem gesamten Vorbringen der Betriebsvertretung ergibt sich, daß die Betriebsvertretung keine eigenen betriebsvertretungsrechtlichen Ansprüche geltend macht. In der Antragsschrift ist zwar noch ausgeführt, die Betriebsvertretung könne den Unterlassungsanspruch wegen Verstoßes gegen Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer "für die von ihr vertretenen Beschäftigten" geltend machen. In zweiter Instanz hat die Betriebsvertretung demgegenüber vorgebracht, nicht nur einzelne Arbeitnehmer, sondern auch sie könne geltend machen, der Arbeitgeber habe die zugunsten der Arbeitnehmer - hier dem Schutz ihres Persönlichkeitsrechts - geltenden Gesetze zutreffend anzuwenden. Ähnlich hat sich die Betriebsvertretung in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift geäußert. In der mündlichen Anhörung hat der Verfahrensbevollmächtigte der Betriebsvertretung noch einmal betont, die Betriebsvertretung wolle verfassungskonforme Arbeitsbedingungen für die einzelnen Arbeitnehmer durchsetzen. Dafür, daß es der Betriebsvertretung um den Individualrechtsschutz einzelner Arbeitnehmer geht, spricht auch, daß sie ihre Mitwirkungsbefugnisse bei Einführung des EÜP nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG nicht ausgeschöpft hat. Sie hat nicht die nach § 82 Abs. 4, § 72 Abs. 4 BPersVG gegebene Möglichkeit der Anrufung der übergeordneten Dienststelle genutzt.

Der Sinn des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und des § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG besteht gerade darin, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats bzw. der Personalvertretung zuzulassen (BAGE 27, 256, 261; 44, 285, 311 = AP Nr. 2, 7 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung). Der Grund dafür, daß die Betriebsvertretung entsprechende Beteiligungsrechte nicht abschließend wahrgenommen hat, mag darin liegen, daß der Beteiligungstatbestand des § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG durch Abs. 6 b des Unterzeichnungsprotokolls zu Art. 56 Abs. 9 Zusatzabkommen von einem Mitbestimmungsrecht auf ein Mitwirkungsrecht herabgestuft ist.

Dementsprechend war die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

Dr. Kissel Matthes Dr. Weller

Dr. Schmidt Dr. Wohlgemuth

 

Fundstellen

Dokument-Index HI436762

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