Leitsatz (amtlich)

Haftet der Arbeitgeber – gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang – für einen Sachschaden, den sein Arbeitnehmer schuldlos durch einen Unfall im Betrieb bei einer gefährlichen Arbeit erleidet, auch dann, wenn ihn kein Verschulden trifft?

 

Normenkette

ArbGG § 45 Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Die Sache soll gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG dem Großen Senat vorgelegt werden zur Entscheidung folgender Rechtsfrage:

Haftet der Arbeitgeber – gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang – für einen Sachschaden, den sein Arbeitnehmer schuldlos durch einen Unfall im Betrieb bei einer gefährlichen Arbeit erleidet, auch dann, wenn ihn kein Verschulden trifft?

 

Tatbestand

I. Der Kläger war als nichtständiger Hafenarbeiter am 19. Oktober 1956 in der ersten Werktagsschicht bei der Beklagten beschäftigt. Seine Gruppe hatte Korbflaschen mit Ameisensäure von einem eisernen Karren in Ladekästen umzusetzen. Nachdem etwa 100 Korbflaschen bereits verladen waren, platzte bei einer vom Kläger getragenen Korbflasche der Glasboden ab. Die Säure floß aus, verletzte den Kläger und beschädigte seine Kleider. Die Berufsgenossenschaft hat den Vorfall als Arbeitsunfall anerkannt. Der Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz seines Sachschadens von unstreitig 91,75 DM.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Senat ist der Ansicht, daß der Klageanspruch durch § 898 RVO nicht ausgeschlossen wird, da es sich um einen Sachschaden handelt (vgl. Böhmer in MDR 56, 77 und Dersch in BB 58, 490; z.T. a.A. OLG Oldenburg in MDR 57, 607).

III. Das Landesarbeitsgericht hat den Schadenersatzanspruch des Klägers in erster Linie deshalb abgewiesen, weil eine schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht der Beklagten nicht vorliege. Insoweit könnte ein Mangel des angefochtenen Urteils darin gefunden werden, daß es den Hergang des Unfalls und die weiteren Umstände, die für den Umfang der Fürsorgepflicht maßgebend sind, nicht genügend geklärt hat. Deswegen könnte es an einer ausreichenden Grundlage zur Beurteilung der Frage fehlen, ob von der Beklagten vorgeschriebene oder ihr zumutbare Maßnahmen versäumt worden sind, die geeignet waren, den dem Kläger entstandenen Schaden zu verhüten.

IV. Eine hiernach etwa erforderliche Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht erübrigt sich, wenn die Beklagte auch ohne Verschulden für den Schaden haftet. Eine solche Gefährdungshaftung für Sachschäden ist zwar nirgends gesetzlich bestimmt. Sie ist auch, soweit ersichtlich, bisher von der Rechtsprechung noch nicht anerkannt worden. Als künftiges Recht sieht Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Allgemeiner Teil, 15. Aufl., § 217 I vor 1, die Ausdehnung der Gefährdungshaftung im Zuge der Rechtsentwicklung als erwünscht an. Sie könnte aber vielleicht schon nach geltendem Arbeitsrecht daraus hergeleitet werden, daß der Kläger eine gefährliche Arbeit zu leisten hatte, die Beklagte grundsätzlich das Betriebsrisiko zu tragen hat, und es daher dem Wesen ihrer Fürsorgepflicht entspräche, den Kläger von dem von ihm schuldlos erlittenen Sachschaden ganz oder teilweise zu entlasten, soweit dieser durch die Gefährlichkeit der Arbeit bedingt ist. Ähnliche Gedankengänge haben den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 25. September 1957. (BAG 5, 1 = AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO) zu dem Ergebnis geführt, daß ein Arbeitnehmer, der fahrlässig den Arbeitsunfall eines anderen Arbeitnehmers desselben Betriebes oder Unternehmens verursacht hat, dem Geschädigten nicht haftet, wenn und soweit ihm eine Belastung mit Schadenersatzansprüchen deshalb nicht zugemutet werden kann, weil seine Schuld im Hinblick auf die besondere Gefahr der ihm übertragenen Arbeit nach den Umständen des Falles nicht schwer war. Hier liegt der Fall allerdings insofern anders, als es sich nicht um die Befreiung einer Schadenshaftung gegenüber einem anderen Arbeitnehmer handelt, sondern um den Ersatz eines dem Arbeitnehmer selbst entstandenen Sachschadens (vgl. BGHZ 16, 111 = BGH AP Nr. 1 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers: Befreiung von Schaden und Schadensersatzansprüchen). Die Frage, ob es rechtlich möglich und geboten ist, die Gefährdungshaftung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Bestimmung auf Fälle der vorliegenden Art auszudehnen, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Der Senat hält es für notwendig, diese für den gegenwärtigen Rechtsstreit unter den dargelegten Umständen erhebliche Frage in der aus der Beschlußformel ersichtlichen Fassung dem Großen Senat vorzulegen, weil dies der Fortbildung des Rechts dienen könnte.

Er geht dabei davon aus, daß die dem Kläger übertragene Arbeit insofern eine latente Gefahr in sich barg, als ein gefährlicher Stoff, nämlich Ameisensäure, in ein zerbrechliches – wenn auch durch Korbgeflecht geschütztes – Material, nämlich Glas, verpackt war. Es werden aber auch nicht die rechtssystematischen Bedenken verkannt, die der Einschränkung des Verschuldensprinzips und der Ausdehnung der Gefährdungshaftung ohne ausdrückliche gesetzliche Vorschrift entgegenstehen könnten, zumal die Haftung des Arbeitgebers aus § 618 BGB im Falle einer körperlichen Schädigung des Arbeitnehmers ein Verschulden des Arbeitgebers voraussetzt.

 

Unterschriften

Schilgen, Dr. Meier-Scherling, Dr. Holschemacher, Riedel, Sickert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1767483

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