Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei Einstellung der Gasversorgung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Lieferung von Heizgas gehört dann nicht zu den Nutzungsbedingungen für Werkmietwohnungen, wenn der Vermieter (Arbeitgeber oder ein von ihm mit der Verwaltung beauftragtes Wohnungsbauunternehmen) nur die Wohnräume einschließlich einer Heizgelegenheit zur Verfügung zu stellen hat und dem Mieter die Beschaffung von Heizmaterial überlassen bleibt.

 

Normenkette

BGB § 134; ZPO § 256 Abs. 1; BetrVG § 87 Abs. 1 Nrn. 9, 1, 10

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 13.04.1983; Aktenzeichen 12 TaBV 69/82)

ArbG Herne (Entscheidung vom 12.10.1982; Aktenzeichen 3 BV 53/82)

 

Gründe

A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten darüber, ob dem Betriebsrat beim Verkauf des der Versorgung von Werkwohnungen dienenden Gasnetzes an die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW) ein Mitbestimmungsrecht zustand.

Der Arbeitgeber verfügt über rd. 4.000 Werkmietwohnungen. Er hat die Verwaltung dieser Wohnungen dem Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen C GmbH (Gewoge) übertragen. Die Gewoge hat mit den Arbeitnehmern, denen die Wohnungen mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses überlassen wurden, Mietverträge abgeschlossen. Darin ist u. .a. bestimmt:

"Die Wohnung ist mit Öfen/Kachelöfen/Etagen-/

Zentral-/Fernheizung ausgestattet.

.....

Die Kosten für den Verbrauch an Gas und elek-

trischem Strom in der Wohnung einschließlich

Zählermiete und etwaiger Hebe- und Hinterle-

gungsgebühren sind von dem Mieter zu zahlen

oder dem Wohnungsunternehmen zu erstatten."

1. 800 der Werkmietwohnungen wurden zunächst mit Gas des Arbeitgebers beliefert. Mit Schreiben vom 19. Oktober 1981 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit, er beabsichtige, das Gasnetz an die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW) zu verkaufen. Die VEW hatte von der Stadt Marl die Konzession zur Versorgung der Wohnungen mit Gas erworben. Sie versorgt ihre Kunden mit Erdgas, während der Arbeitgeber die Werkmietwohnungen und die im gleichen Siedlungsgebiet gelegenen Wohnungen Dritter mit Koksgas belieferte. Dafür bestand eine Teilgebietskonzession. Der Betriebsrat beanspruchte ein Mitbestimmungsrecht. Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, der beabsichtigte Verkauf unterliege nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Tatsächlich wurde das Gasnetz durch Vertrag vom 4./6. August 1982 an die VEW verkauft und übereignet.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, ihm habe ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG zugestanden. Durch die Veräußerung des Gasnetzes und die Umstellung der Geräte habe der Arbeitgeber die Nutzungsbedingungen für Werkmietwohnungen einseitig geändert. Er hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß die Änderung in der

Gasversorgung der Werkmietwohnungen der

Antragsgegnerin durch den Verkauf des

Gasnetzes an die Vereinigten Elektrizi-

tätswerke Westfalen AG (VEW) und die Um-

stellung bzw. Erneuerung der Gasgeräte

mangels Zustimmung des Antragstellers

bzw. mangels Spruch der Einigungsstelle

unwirksam sind,

hilfsweise

festzustellen, daß die Antragsgegnerin

bei ihren Maßnahmen das Mitbestimmungs-

recht des Antragstellers verletzt hat.

Der Arbeitgeber hat beantragt, diese Anträge zurückzuweisen. Er hat geltend gemacht, für die Anträge bestehe kein Rechtsschutzinteresse. Das Gasnetz sei inzwischen verkauft; die Gasgeräte seien umgestellt worden. Im übrigen bestehe auch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Die Überlassung von Werkmietwohnungen und die Versorgung dieser Wohnungen mit Gas seien verschiedene Angelegenheiten. Die Einstellung der Gasversorgung sei mitbestimmungsfrei.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Die Beschwerde des Betriebsrats ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seine Anträge weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge zu Recht abgewiesen.

I. Der Antrag des Betriebsrats bedarf der Auslegung. Er ist auch der Auslegung fähig.

Gegenstand eines Feststellungsantrags kann nur ein Rechtsverhältnis sein. Das folgt aus entsprechender Anwendung des § 256 Abs. 1 ZPO. Dabei können das Rechtsverhältnis selbst oder einzelne Ansprüche als Folgen der Rechtsbeziehungen zum Gegenstand einer Klage oder eines Antrags im Beschlußverfahren gemacht werden (BGHZ 37, 331, 333; BAG 41, 209, 216 = AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A I 1 a der Gründe; Urteil des Senats vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 -, zu A IV 1 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Danach kann der Betriebsrat nicht feststellen lassen, daß die - tatsächliche - Änderung der Gasversorgung und die Umstellung der Gasgeräte unwirksam sind. Tatsächliche Vorgänge können nicht "unwirksam" sein.

Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats ausgelegt. Aus der Begründung des Antrags ergibt sich, daß der Betriebsrat geltend machen will, der Kaufvertrag, den der Arbeitgeber mit der VEW abgeschlossen hat, sei nichtig. In der Rechtsbeschwerde hat der Betriebsrat klargestellt, daß das Landesarbeitsgericht das Antragsbegehren zutreffend ermittelt habe. Denn der Betriebsrat meint, der Vertrag vom 4./6. August 1982 sei "mangels Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 134 BGB nichtig, weil die Vorschriften des § 87 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BetrVG Verbotsnormen im Sinne dieser Vorschrift" seien.

II. Dieser Antrag des Betriebsrats ist zulässig.

1. Über die Anträge ist im Beschlußverfahren zu entscheiden. Es handelt sich um Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne von § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG 1979. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber das Beschlußverfahren für alle Streitigkeiten eröffnen wollen, die aus dem Betriebsverfassungsrecht entstehen können. Immer dann, wenn die durch das Betriebsverfassungsgesetz geregelte Ordnung des Betriebs und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit sind, soll darüber im Beschlußverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart entschieden werden (Beschluß vom 19. Februar 1975, BAG 27, 33, 37 = AP Nr. 9 zu § 5 BetrVG 1972, zu II 1 der Gründe; Beschluß vom 19. Mai 1978, BAG 30, 298, 304 = AP Nr. 1 zu § 88 BetrVG 1972, zu II 1 der Gründe; Beschluß des Senats vom 16. Juli 1985 - 1 ABR 9/83 -, zu B I 2 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

Das muß auch dann gelten, wenn der Betriebsrat in Angelegenheiten mitbestimmen will, die durch ein Rechtsgeschäft mit einem Dritten gestaltet werden. Es geht um die Frage, ob die Rechtsmacht des Arbeitgebers auch im Verhältnis zu Dritten durch die Mitbestimmung des Betriebsrats begrenzt ist; auch dies ist eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne von § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG 1979.

2. Für diese Anträge besteht auch das für Feststellungsanträge erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse (entsprechende Anwendung des § 256 ZPO).

Gegenstand eines Feststellungsantrags kann nicht nur ein Rechtsverhältnis zwischen den Prozeßparteien bzw. den Verfahrensbeteiligten selbst sein, sondern auch ein solches zwischen einer Partei bzw. einem Verfahrensbeteiligten und einem Dritten. In diesem Falle muß aber der die Feststellung begehrende Verfahrensbeteiligte ein eigenes rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung dieser Drittrechtsbeziehung haben. Ein solches rechtliches Interesse ist nur anzunehmen, wenn durch die erbetene Feststellung bereits jetzt oder in naher Zukunft die rechtliche Lage des Verfahrensbeteiligten (hier des Betriebsrats) beeinflußt werden könnte (vgl. BAG 41, 209, 223 = AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu B I der Gründe). Im vorliegenden Fall hat der Betriebsrat ein solches rechtliches Interesse. Durch die erbetene Feststellung würde seine rechtliche Lage beeinflußt. Es würde die Rechtsmacht des Arbeitgebers im Verhältnis zu Dritten und Arbeitnehmern durch die Mitbestimmung des Betriebsrats begrenzt. Daraus könnte der Betriebsrat weitere Rechtsfolgen herleiten.

Der Hauptantrag betrifft damit kein in der Vergangenheit liegendes abgeschlossenes Verhalten des Arbeitgebers, aus dem sich Rechtsfolgen nicht mehr ergeben können. Es geht dem Betriebsrat um die Klärung der Frage, ob die Änderung der Gasversorgung in den Werkmietwohnungen noch seiner Mitbestimmung unterliegt.

III. Beide Hauptanträge des Betriebsrats sind jedoch unbegründet.

1. Der Kaufvertrag zwischen dem Arbeitgeber und der VEW ist wirksam zustande gekommen. Das Gasnetz wurde wirksam übereignet. Diese Rechtsgeschäfte sind nicht deshalb nichtig, weil dem Arbeitgeber zum Abschluß der Verträge die rechtliche Gestaltungsmöglichkeit gefehlt hat, oder weil diese Rechtsgeschäfte gegen ein gesetzliches Verbot verstießen (§ 134 BGB). Die rechtliche Gestaltungsmöglichkeit des Arbeitgebers (Unternehmers) wird durch Normen des Betriebsverfassungsgesetzes im Verhältnis zu Dritten nicht eingeschränkt. Das Betriebsverfassungsgesetz regelt nur die Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber einerseits und dem Betriebsrat sowie der Belegschaft andererseits. Dies entspricht der Auffassung der Literatur. Die gegenteilige Auffassung würde zu großer Rechtsunsicherheit führen. Kein Vertragspartner des Unternehmers könnte feststellen, ob der mit dem Unternehmer geschlossene Vertrag wirksam ist. Diese Unsicherheit beträfe praktisch alle Rechtsgeschäfte, weil sich die unterbliebene Mitbestimmung des Betriebsrats auf alle Rechtsgeschäfte auswirken könnte, die der Unternehmer mit Dritten abschließt. Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat deshalb auch für den Sonderfall des rechtsgeschäftlichen Handelns einer rechtlich selbständigen Sozialeinrichtung festgestellt, daß das Übergehen des Betriebsrats nicht zur Unwirksamkeit jeder Maßnahme dieser Sozialeinrichtung führen kann (vgl. BAG 31, 11, 20 = AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung, zu C der Gründe). Der Betriebsrat kann insoweit sein Mitbestimmungsrecht nur in der Form durchsetzen, daß er vom Arbeitgeber Rückgängigmachung der Maßnahme verlangt (vgl. BAG, aaO, S. 20).

2. Der Antrag des Betriebsrats ist aber auch deshalb unbegründet, weil der Arbeitgeber bei der Veräußerung des Gasnetzes keine Mitbestimmungsrechte verletzt hat.

a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG hat der Betriebsrat u.a. mitzubestimmen bei der allgemeinen Festlegung der Nutzungsbedingungen für Wohnräume, die den Arbeitnehmern mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermietet werden. Diese Nutzungsbedingungen sind im vorliegenden Fall im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgelegt worden. Die Bedingungen, zu denen die Arbeitnehmer den Wohnraum erhalten, sind in den Mietverträgen festgehalten, die diese Arbeitnehmer mit der Gewoge abgeschlossen haben. Danach stellt der Vermieter nur Öfen oder Heizgeräte zur Verfügung. Für den Bezug der Heizenergie ist der Mieter selbst verantwortlich. Die Auffassung des Betriebsrats, der Bezug von Gas gehöre zu den Nutzungsbedingungen, über deren Festlegung der Betriebsrat mitzubestimmen hat, findet danach keine tatsächliche Grundlage in den mit Zustimmung des Betriebsrats abgeschlossenen Mietverträgen. Die Überlassung von Werkmietwohnungen einschließlich der Festlegung der Nutzungsbedingungen für diese Wohnungen ist eine Angelegenheit; die Lieferung von Haushaltsgas aus eigener Produktion ist eine andere Angelegenheit. Die Einstellung der Gasversorgung betrifft deshalb nicht die Nutzungsbedingungen für Werkmietwohnungen. Ob in den Fällen, in denen die Energielieferung zum Bestandteil des Mietvertrags gemacht wird, bei einer Änderung die allgemeine Festlegung der Nutzungsbedingungen im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG berührt wird, kann offenbleiben. Im vorliegenden Fall besteht jedenfalls kein solches Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG.

b) Ob der Arbeitgeber Gas im Rahmen einer Sozialeinrichtung (§ 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG) geliefert hatte, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn der Arbeitgeber insoweit eine Sozialeinrichtung betrieben hätte, hätte er mit der Einstellung einer verbilligten Gasversorgung diese Sozialeinrichtung geschlossen. Diese Auflösung der Sozialeinrichtung unterliegt nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats (vgl. BAG 25, 93, 98 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Werkmietwohnungen, zu II B 3 der Gründe; Urteil des Senats vom 9. Juli 1985 - 1 AZR 631/80 -, zu II 2 a der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).

c) Die Lieferung von billigem Gas aus eigener Produktion kann auch Teil der betrieblichen Lohngestaltung sein. Soweit eine Sozialeinrichtung nicht geschaffen wird, kann der Betriebsrat über die Ausgestaltung dieser Sozialleistungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmen (vgl. Urteil des Senats vom 9. Juli 1985 - 1 AZR 631/80 -, zu II 2 b der Gründe). Doch kann der Arbeitgeber frei darüber entscheiden, ob er eine zusätzliche freiwillige Leistung erbringen will. Ebenso ist er frei in seiner Entscheidung darüber, ob er diese Leistung weiterhin erbringen oder ob er sie vollständig einstellen will. Auch das entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der ganz überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. das zuletzt genannte Urteil des Senats vom 9. Juli 1985, mit weiteren Nachweisen). War der Arbeitgeber danach berechtigt, die Belieferung der betroffenen Arbeitnehmer mit verbilligtem Gas einzustellen, konnte er die Gasversorgung auch der VEW überlassen.

IV. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend den Hilfsantrag des Betriebsrats abgewiesen, da Mitbestimmungsrechte bei der Veräußerung des Gasnetzes und der Umstellung der Heizgeräte auf Erdgas - wie dargelegt - nicht verletzt wurden.

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Dr. Hoffmann Breier

 

Fundstellen

Haufe-Index 436918

BAGE 50, 37-43 (LT)

BAGE, 37

DB 1986, 704-704 (LT1)

RdA 1986, 68

AP § 87 BetrVG 1972 Werkmietwohnungen (LT1), Nr 5

EzA § 87 BetrVG 1972 Werkwohnung, Nr 7 (LT1)

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