Leitsatz (redaktionell)

(Auswirkung der Fristen des § 18 SchwbG auf das Verfahren nach § 103 BetrVG; Kündigung eines schwerbehinderten Betriebsratsmitgliedes)

Verweigert der Betriebsrat bei einem Schwerbehinderten, der zugleich Betriebsratsmitglied ist, die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung, so ist das Beschlußverfahren auf Ersetzung der Zustimmung in entsprechender Anwendung von § 18 Abs 6 SchwbG unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung durch die Hauptfürsorgestelle oder nach Eintritt der Zustimmungsfiktion des § 18 Abs 3 SchwbG einzuleiten.

 

Normenkette

SchwbG § 18; BGB § 626 Abs. 2; BetrVG § 103 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 17.09.1985; Aktenzeichen 3 TaBV 10/85)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.06.1985; Aktenzeichen 2 BV 8/85)

 

Gründe

I. Der am 21. Dezember 1941 geborene weitere Beteiligte ist seit 20. November 1979 bei der Antragstellerin als Lagerarbeiter/Packer beschäftigt. Er ist zu 70 % schwerbehindert und Mitglied des Antragsgegners. Die Antragstellerin mahnte den weiteren Beteiligten seit 1981 verschiedentlich ab. Über die Berechtigung der zu den Abmahnungen führenden Vorfälle (Trunkenheit, verspäteter Arbeitsbeginn, unentschuldigtes Fehlen) besteht zwischen den Beteiligten Streit.

Am Donnerstag, den 11. April 1985, erschien der weitere Beteiligte morgens gegen 6.00 Uhr unter Alkoholeinfluß in den Betriebsräumen der Antragstellerin und begab sich sofort in die Kantine. Er trat auch auf Aufforderung seine Arbeit nicht an und verwies darauf, er warte auf den Beginn einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses, die auf 11.00 Uhr angesetzt war. Er belästigte außerdem verschiedene Kantinenbesucher. Die Personalabteilung der Antragstellerin erfuhr hiervon am selben Tag.

Mit Schreiben vom 11. April 1985, dem Antragsgegner am 12. April 1985 zugegangen, erbat die Antragstellerin die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des weiteren Beteiligten, wobei Antragstellerin und Antragsgegner eine Äußerungsfrist bis 22. April 1985 vereinbarten.

Mit einem Antrag vom 12. April 1985, der bei der Hauptfürsorgestelle am Montag, dem 15. April 1985, einging, begehrte die Antragstellerin die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur außerordentlichen Kündigung.

Der Antragsgegner widersprach der beabsichtigten Kündigung gemäß einem am 22. April 1985 gefaßten Beschluß. Die Hauptfürsorgestelle teilte der Antragstellerin nach einem Bescheid vom 26. April 1985, der Antragstellerin zugegangen am 27. April 1985, mit, daß sie der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zustimme.

Mit einem am Samstag, dem 27. April 1985 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag vom 26. April 1985 hat die Antragstellerin die Ersetzung der Zustimmung des Antragsgegners begehrt. In dem Antrag ist ausgeführt, die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gelte durch Fristablauf gemäß § 18 Abs. 3 SchwbG als erteilt, da sie den am 15. April 1985 bei ihr eingegangenen Antrag nicht innerhalb der Zehn-Tage-Frist beschieden habe.

Die Antragstellerin hat geltend gemacht, es sei zu berücksichtigen, daß eine Kündigung nach § 18 Abs. 6 SchwbG auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen könne, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle erklärt werde. Das gelte entsprechend für den Antrag auf Zustimmungsersetzung.

Der Antragsgegner und der weitere Beteiligte haben Zurückweisung des Antrages begehrt. Der Antragsgegner hat geltend gemacht, die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt, der Antrag hätte spätestens am 25. April 1985 beim Arbeitsgericht eingereicht werden müssen. Zu dem Geschehen am 11. April 1985 hat er vorgetragen, der Vorfall entziehe sich im wesentlichen der Kenntnis des weiteren Beteiligten, da dieser stark angetrunken gewesen sei. Der weitere Beteiligte sei jedoch gegen 10.00 Uhr wieder ansprechbar gewesen und habe sich in einem Gespräch mit Geschäftsführung und Personalleiter entschuldigt.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Antragstellerin hiergegen zurückgewiesen.

II. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin war der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, für ein Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG fehle es am Rechtsschutzinteresse, weil wegen Fristablaufs die allein mögliche außerordentliche Kündigung ausgeschlossen sei. Die Antragstellerin habe die Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB, § 103 Abs. 2 BetrVG versäumt. § 626 Abs. 2 BGB gelte auch gegenüber Arbeitnehmern, die als Betriebsratsmitglieder den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG genießen. Wolle der Arbeitgeber sein Recht auf außerordentliche Kündigung nicht verlieren, so müsse er innerhalb der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht nur den Zustimmungsersetzungsantrag beim Betriebsrat stellen, sondern auch das Verfahren auf Erteilung der Zustimmung einleiten. Diese Grundsätze müßten auch bei der Auslegung und Anwendung von § 18 Abs. 6 SchwbG gelten. § 18 Abs. 6 SchwbG sei nur subsidiär anzuwenden. Gelte die Zustimmung nach § 18 Abs. 3 SchwbG bereits als erteilt, so komme eine Verlängerung der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB durch eine später ausdrücklich getroffene Entscheidung der Hauptfürsorgestelle nicht mehr in Betracht. Die Antragstellerin hätte vorliegend bereits am 25. April 1985 kündigen können, weil die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle nicht innerhalb von 10 Tagen vom Tage des Einganges des Antrages an (15. April 1985) getroffen worden sei. Dies gelte auch für das Zustimmungsersetzungsverfahren. Es unterliege nicht der Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers, über die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB hinausgehend mit dem Ausspruch der Kündigung zu warten und sich demgegenüber auf die Fristenregelung nach § 18 Abs. 6 SchwbG zu berufen.

III. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Das Landesarbeitsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß dann, wenn bei der beabsichtigten Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrates ausschließlich die §§ 626 BGB, 15 KSchG, 103 BetrVG anzuwenden sind, das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB einzuleiten ist. Der Arbeitgeber hat in diesem Falle den Zustimmungsantrag beim Betriebsrat so rechtzeitig zu stellen, daß er bei ausdrücklicher oder wegen Fristablaufs zu unterstellender Verweigerung der Zustimmung noch vor Ablauf der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB das Ersetzungsverfahren einleiten kann (BAGE 29, 270 = AP Nr. 10 zu § 103 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 7. Mai 1986 - 2 ABR 27/85 - ZIP 1986, 1271 = NZA 1986, 719; die Entscheidung ist auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Diese Anwendung der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB im Regelungsbereich des § 103 BetrVG ist deswegen geboten, weil der Kündigungsgegner möglichst rasch, spätestens nach Ablauf von zwei Wochen Klarheit darüber haben soll, ob ihm wegen eines bestimmten Verhaltens eine außerordentliche Kündigung droht.

2. Das Beschwerdegericht hat jedoch den Regelungsgehalt von § 18 SchwbG 1979 (= § 21 SchwbG 1986) verkannt, indem es auch für Betriebsratsmitglieder, die zugleich den Schwerbehindertenschutz genießen, neben § 18 Abs. 2 und 6 SchwbG 1979 noch uneingeschränkt § 626 Abs. 2 BGB Anwendung finden läßt.

a) Nach § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 (= § 21 Abs. 5 SchwbG 1986) kann eine außerordentliche Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird. Nach § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 (= § 21 Abs. 2 SchwbG 1986) kann die Zustimmung nur innerhalb von zwei Wochen nach der Kenntnis des Arbeitgebers von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen beantragt werden. Maßgebend ist hierbei der Eingang des Antrages bei der Hauptfürsorgestelle. § 18 SchwbG 1979 enthält hinsichtlich der Ausschlußfrist (Abs. 2) und der Kündigungserklärungsfrist (Abs. 6) keine Regelung, die gegenüber § 626 BGB subsidiär oder ergänzend anzuwenden ist, wie das Landesarbeitsgericht (ebenso Braasch in Maus, Handbuch des Arbeitsrechts, Teil VII B, SchwbG Komm. zu § 18 Rz 15, 16; ders. BlStSozArbR 1981, 1, 4;ders. SAE 1981, 158, 163), angenommen hat, sondern ist eine lex specialis zu § 626 Abs. 2 BGB. Durch § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 wird die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB abgewandelt, indem an die Stelle des Ausspruches der Kündigung die fristgerechte Einreichung des Zustimmungsantrages bei der Hauptfürsorgestelle tritt (Gröninger/Thomas, Schwerbehindertengesetz, Stand Dezember 1986, § 21 Rz 7, Rz 17; Jung/Cramer, Schwerbehindertengesetz, 2. Aufl., § 18 Rz 5, 9). Damit wird der Zweck der Ausschlußfrist erfüllt, die auch nach erteilter oder fingierter Zustimmung nicht wieder auflebt, sondern durch § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 ergänzt wird. Da durch § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB für außerordentliche Kündigungen in das Zustimmungsverfahren gewissermaßen vorverlagert ist, stellt Abs. 6 klar, daß nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlußfrist läuft, sondern der Arbeitgeber daraufhin unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, kündigen muß (BAG Urteil vom 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - BAGE 34, 20, 31 = AP Nr. 2 zu § 18 SchwbG zu II 3 a aa der Gründe, mit insoweit zust. Anm. v. G. Hueck; insoweit zustimmend auch Braasch, SAE 1981, 158, 160; ders. in Maus, aaO, unter Beschränkung auf das Erfordernis der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle; a.A. KR-Etzel, 2. Aufl., § 18 SchwbG Rz 29 a, der auf eine bei der Erteilung der Zustimmung noch nicht abgelaufene Ausschlußfrist zurückgreifen will und sich dabei zu Unrecht auf das Urteil vom 3. Juli 1980, aaO, beruft).

b) Diese Umgestaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nicht nur im Regelungsbereich des § 18 SchwbG, sondern auch für das Verfahren nach § 103 BetrVG i.V.m. § 15 KSchG (a.A. Braasch, aaO).

Wie das Landesarbeitsgericht richtig gesehen hat, ist das Fristerfordernis, unter dem das Verfahren nach § 103 BetrVG steht, nicht aus dieser Vorschrift selbst herzuleiten. Es besteht vielmehr insoweit eine Regelungslücke, die unter Berücksichtigung der zu § 626 Abs. 2 BGB entwickelten Rechtsgedanken zu schließen ist, und zwar mit der vorstehend (II 2 a der Gründe) beschriebenen Konsequenz. Dabei tritt an die Stelle der Kündigung - entsprechend § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 - der Antrag an das Arbeitsgericht nach § 103 Abs. 2 BetrVG, der die Frist des § 626 Abs. 2 BGB wahrt (BAGE 29, 270, 279). Diese Ausschlußfrist beginnt nach rechtskräftiger Ersetzung der Zustimmung nicht erneut zu laufen, sondern der Arbeitgeber muß dann in entsprechender Anwendung des § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 unverzüglich die Kündigung aussprechen (BAGE 27, 113, 125, 126 = AP Nr. 3 zu § 103 BetrVG 1972, zu II 6 c der Gründe). Diese Lückenausfüllung ist weder möglich noch notwendig, wenn § 18 SchwbG bei der beabsichtigten Kündigung eines Schwerbehinderten nicht nur entsprechend anzuwenden ist, sondern unmittelbar eingreift und damit § 626 Abs. 2 BGB auch im Regelungsbereich des § 103 BetrVG umgestaltet. Entgegen der Interpretation von Braasch (SAE 1981, 158, 163) beruht diese Auslegung durch den Senat nicht auf einer teleologischen Extension des § 18 SchwbG, sondern auf der Erwägung, daß in diesen Fällen wegen Fehlens einer Regelungslücke für eine weitere richterrechtliche Umgestaltung des § 626 Abs. 2 BGB kein Raum ist.

c) Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen § 626 Abs. 2 BGB und § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 durch das Landesarbeitsgericht hinsichtlich des Zustimmungsverfahrens nach § 103 BetrVG ist nicht nur systemwidrig, sondern darüber hinaus auch unpraktikabel.

Der abgelehnten Auffassung kann zwar nicht ohne weiteres unterstellt werden, sie verlange vom Arbeitgeber dann, wenn der Betriebsrat der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Mitgliedes zugestimmt habe, noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eine - nach § 12 SchwbG 1979 unwirksame - Kündigung auszusprechen. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit zwar mißverständlich ausgeführt, die Antragstellerin hätte bereits am 25. April 1985 kündigen können. Wie sich aus der weiteren Begründung ergibt, ist damit aber nur die Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens gemeint, und zwar unter der irrigen Annahme (vgl. dazu unten zu II 3b der Gründe), die Zustimmungsfiktion des § 18 Abs. 2 Satz 2 SchwbG 1979 sei bereits vor diesem Tage eingetreten. Das Landesarbeitsgericht ist aber offensichtlich ebenso wie Braasch (BlStSozArbR 1981, 1, 4; ebenso SAE 1981, 158 ff.) der Auffassung, der Arbeitgeber müsse innerhalb der unabhängig von der Fristenregelung des § 18 SchwbG laufenden Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB sowohl die Zustimmung beim Betriebsrat als auch deren Ersetzung beim Arbeitsgericht nach § 103 Abs. 2 BetrVG beantragen. Auch bei der bis zum 31. Juli 1986 geltenden Regelung des Schwerbehindertengesetzes sprechen jedoch auch Zweckmäßigkeitserwägungen gegen die Auffassung, der Arbeitgeber müsse bei Widerspruch des Betriebsrates zumindest das Ersetzungsverfahren einleiten, weil die Zulässigkeit eines solchen Antrages nicht davon abhänge, ob die Hauptfürsorgestelle bereits entschieden habe. Das ist vom Zweckgedanken des Fristerfordernisses her nicht zu rechtfertigen. Der Schwerbehinderte weiß bereits aufgrund des Zustimmungsverfahrens (§§ 14, 18 SchwbG 1979), daß eine außerordentliche Kündigung beabsichtigt ist. Es besteht deswegen kein Bedürfnis, den Arbeitgeber dazu zu zwingen, einen Antrag nach § 103 Abs. 2 BetrVG bei Gericht zu stellen, für den kein Rechtsschutzinteresse mehr bestünde, wenn die Hauptfürsorgestelle später die Zustimmung versagt. Da die Entscheidung nach § 103 Abs. 2 BetrVG auch in diesem Falle letztlich von der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle abhängt, ist das Verfahren der Hauptfürsorgestelle in der Ausgestaltung durch § 18 SchwbG 1979 auch bei Betriebsratsmitgliedern vorrangig und bis zur erteilten oder fingierten Zustimmung die Einleitung des Ersetzungsverfahrens auch aus praktischen Überlegungen entbehrlich und unzweckmäßig.

d) Die Auffassung, § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 wirke sich nicht nur auf die Erhaltung des Sonderkündigungsschutzes nach dem SchwbG aus, liegt im übrigen bereits dem Urteil des Senates vom 3. Juli 1980 (aa0) zugrunde. Tragend hat der Senat damals zwar nur ausgeführt, der Arbeitgeber könne das Verfahren zur Anhörung des Personalrats oder des Betriebsrats (§ 102 BetrVG) zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Amtsträgers auch noch nach dem Ende des Zustimmungsverfahrens bei der Hauptfürsorgestelle oder nach Eintritt der Zustimmungsfiktion einleiten. Er hat aber zur Begründung bereits ergänzend auf die Kündigung eines schwerbehinderten Betriebs- oder Personalratsmitgliedes verwiesen und betont, nach der abgelehnten Auffassung müßte folgerichtig bei einer vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung das Ersetzungsverfahren (nach § 103 Abs. 2 BetrVG) vor der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle erforderlich werden, obwohl dieses bei einer ablehnenden Entscheidung der Hauptfürsorgestelle gegenstandslos würde (Urteil vom 3. Juli 1980, aa0, zu II 3 b ee der Gründe). Auch für den Regelungsbereich des § 103 BetrVG gilt hinsichtlich der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB der vom Senat für das Anhörungsverfahren aufgestellte Grundsatz, daß die Ausnahmeregelung des § 18 Abs. 6 SchbG 1979 nicht nur dann eingreift, wenn allein die Durchführung des Zustimmungsverfahrens bei der Hauptfürsorgestelle die Wahrung der Ausschlußfrist verhindert.

e) Nach erteilter oder fingierter Zustimmung der Hauptfürsorgestelle steht dem Arbeitgeber, der nunmehr die Kündigung nach § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 unverzüglich aussprechen muß, eine angemessene Überlegungsfrist zu, die jedoch mit Rücksicht darauf, daß die Kündigungsabsicht bereits Gegenstand des Zustimmungsverfahrens gewesen ist, sehr knapp zu bemessen ist (Senatsurteil vom 3. Juli 1980, aaO). In diesem Urteil (zu II 3 b aa der Gründe) hat der Senat weiter ausgeführt, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat oder die Personalvertretung erst nach der Erteilung der Zustimmung durch die Hauptfürsorgestelle beteilige, dann müsse er, soweit keine besonderen Hinderungsgründe entgegenstünden, das Beteiligungsverfahren am ersten Arbeitstag nach Bekanntgabe der Zustimmung oder dem Eintritt der Zustimmungsfiktion einleiten und für den Zugang der Kündigung am ersten Arbeitstag nach Abschluß des Beteiligungsverfahrens sorgen. Diese Ansicht ist im Schrifttum kritisiert worden, weil damit der Rechtsbegriff der Unverzüglichkeit verkannt worden sei. Es sei auch nicht bedacht worden, daß dem Arbeitgeber eine gewisse, wenn auch nur kurze Zeit, zur Würdigung der Stellungnahme des Betriebsrats oder Personalrats verbleiben müsse, weil es Sinn der Beteiligung sei, noch auf den Kündigungswillen des Arbeitgebers Einfluß zu nehmen (Gröninger/Thomas, aaO, § 21 Rz 17 m.w.N.). Auf diese Bedenken braucht jedoch für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht abschließend eingegangen zu werden.

Der Begriff "unverzüglich" stellt allerdings auf das subjektive Zurechnungsmerkmal des Verschuldens ab, während der allein objektiv bestimmte Begriff "sofort" hierfür keinen Raum läßt (Anm. von Hueck, aaO). Mitbestimmend für die Entscheidung des Senats im Urteil vom 3. Juli 1980 (aaO) war aber die Überlegung, der Schwerbehinderte müsse gegenüber den sonstigen Arbeitnehmern schon durch die im § 18 Abs. 2 und 6 SchwbG getroffene Regelung einen erheblich längeren Zeitraum der Ungewißheit über das Schicksal seines Arbeitsverhältnisses in Kauf nehmen, der durch eine Beteiligung des Betriebs- oder Personalrats erst nach Abschluß des Zustimmungsverfahrens noch verlängert werde. Deshalb sollte der Arbeitgeber für die endgültige Entscheidung über die Kündigung zur größeren Eile angehalten werden. Mit dem Erfordernis des sofortigen Handelns sollte nicht auf einen starren Zeitablauf abgestellt werden. Dies wird auch deutlich durch den einschränkenden Hinweis auf mögliche besondere Hinderungsgründe (so auch die zutreffende Interpretation im Urteil des Siebten Senates vom 27. Mai 1983 - 7 AZR 482/81 - BAGE 42, 169 =AP Nr.12 zu § 12 SchwbG). Vorliegend hatte die Antragstellerin beim Betriebsrat jedoch bereits vor Einleitung des Zustimmungsverfahrens nach § 103 Abs. 1 BetrVG die Zustimmung beantragt und aus sachgerechten Gründen nur davon abgesehen, bereits vor der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle ein möglicherweise überflüssiges Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG einzuleiten. Nur für den Fall einer erstmaligen oder nochmaligen Beteiligung des Betriebs- oder Personalrats nach Durchführung des Zustimmungsverfahrens hat der Senat jedoch die erwähnten strengen Voraussetzungen für die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist aufgestellt, wie sich aus der Begründung eindeutig ergibt. Wurden Betriebsrat oder Personalrat nur vor Abschluß des Zustimmungsverfahrens beteiligt, dann sind auch nach dem Urteil vom 3. Juli 1980 (aaO) die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung des Rechtsbegriffs der Unverzüglichkeit anzuwenden. Das gilt auch dann, wenn - wie vorliegend - das Zustimmungsverfahren beim Betriebsrat nach § 103 Abs. 1 BetrVG vor erteilter oder fingierter Zustimmung der Hauptfürsorgestelle bereits abgeschlossen war. Es ist dann darauf abzustellen, ob der Arbeitgeber die als weitere Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung noch erforderliche gerichtliche Ersetzung der Zustimmung nach § 103 BetrVG unverzüglich beim Gericht beantragt hat.

3. Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Antragstellerin ihr Recht zur außerordentlichen Kündigung nicht durch Zeitablauf verwirkt, so daß dem Beschlußverfahren auf Ersetzung der Zustimmung nicht das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

a) Die Antragstellerin hatte unstreitig am 11. April 1985 abschließende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt und stellte bereits an diesem Tage den am 12. April 1985 beim Betriebsrat eingegangenen Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten. Am 12. April 1985 fertigte sie den Antrag an die Hauptfürsorgestelle, bei der dieser Antrag am 15. April 1985 und damit innerhalb der Frist des § 18 Abs. 2 SchwbG einging.

b) Die Hauptfürsorgestelle hatte nunmehr nach § 18 Abs. 3 Satz 1 SchwbG 1979 innerhalb von zehn Tagen nach Eingang des Antrags eine Entscheidung zu treffen. Nach § 18 Abs. 3 Satz 2 SchwbG 1979 galt die Zustimmung als erteilt, wenn - wie vorliegend - innerhalb dieser Frist keine Entscheidung getroffen wurde. Die Entscheidungsfrist ist nach § 26 SGB X nach den §§ 187 bis 193 BGB zu berechnen. Danach begann die Zehn-Tage-Frist zur Entscheidung über die beantragte Zustimmung gemäß § 187 Abs. 1 BGB am 16. April 1985, dem Tag nach dem Eingang des Antrages. Sie endete am Donnerstag, dem 25. April 1985. Mit Ablauf dieses Tages galt die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 SchwbG 1979 als erteilt, so daß die Kündigungserklärungsfrist des § 18 Abs. 6 SchwbG für die Antragstellerin am 26. April 1985 (nicht wie das Landesarbeitsgericht irrtümlich angenommen hat, bereits am 25. April 1985) begann. Das gilt auch bei Zugrundelegung der abweichenden Ansicht von Etzel (aaO), weil auch die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB, wenn sie entgegen der Würdigung des Senates trotz des fristwahrenden Antrages nach § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 noch anzuwenden wäre, ebenfalls bereits mit dem 25. April 1985 abgelaufen wäre.

c) Die Antragstellerin hat auch unverzüglich nach Eintritt der Zustimmungsfiktion das Beschlußverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht eingeleitet. Sie hat mit Schriftsatz vom 26. April 1985, der am 27. April 1985 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, die Ersetzung der Zustimmung beantragt. Ein Vorwurf, die Einleitung dieses Verfahrens schuldhaft verzögert zu haben, kann der Antragstellerin nicht bereits deswegen gemacht werden, weil sie den Antrag nicht per Boten bereits am 26. April 1985 bei Gericht hat einliefern lassen, sondern ihn an diesem Tage zur Post gegeben hat. Die Beauftragung eines Boten wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn die Antragstellerin nicht unverzüglich, sondern "sofort", d.h. noch am 26. April 1985 für den Eingang ihres Antrages beim Arbeitsgericht hätte sorgen müssen. Dazu bestand für sie jedoch kein Anlaß.

IV. Da die Antragstellerin das Zustimmungsersetzungsverfahren somit fristgerecht eingeleitet hat und die von ihr vorgetragenen Kündigungstatsachen an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu bilden, ist eine Zurückverweisung der Sache erforderlich. Dem Landesarbeitsgericht muß Gelegenheit gegeben werden, den Kündigungssachverhalt festzustellen und zu prüfen, ob er der Antragstellerin bei der gebotenen Interessenabwägung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten unzumutbar gemacht hat.

Hillebrecht Dr. Weller Ascheid

Timpe Binzek

 

Fundstellen

Haufe-Index 437451

BAGE 55, 9-18 (LT1)

BAGE, 9

BB 1987, 1670

DB 1987, 1743-1744 (LT)

NZA 1987, 563-566 (LT)

RdA 1987, 190

RzK, II 3 12 (LT1)

AP § 103 BetrVG 1972 (LT), Nr 24

AR-Blattei, Betriebsverfassung IX Entsch 68 (LT1)

AR-Blattei, ES 530.9 Nr 68 (LT1)

EzA § 103 BetrVG 1972, Nr 32 (LT)

EzBAT § 54 BAT Schwerbehinderte, Nr 7 (LT)

VR 1988, 114-114

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