Entscheidungsstichwort (Thema)

Versetzung bei Verlängerung der Wochenarbeitszeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Verlängerung (oder Verkürzung) der Wochenarbeitszeit eines Arbeitnehmers stellt keine Versetzung im Sinne von § 95 Abs 3 BetrVG dar, die der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bedarf.

Das gilt auch hinsichtlich der Verlängerung (oder Verkürzung) der Mindestwochenarbeitszeit von Teilzeitkräften mit variabler Arbeitszeit.

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.09.1990; Aktenzeichen 13 BV 62/90)

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 03.05.1990; Aktenzeichen 4 BV 4/90)

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Erhöhung der wöchentlichen Mindestarbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten eine zustimmungspflichtige Versetzung ist.

Der Arbeitgeber betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit 74 Filialen und über 600 Arbeitnehmern. Die Lage der Arbeitszeit für Teilzeitbeschäftigte im Verkauf war durch Betriebsvereinbarung vom 17. März 1981 geregelt. Der Betriebsrat hat die Betriebsvereinbarung zum 30. November 1989 gekündigt. Gemäß § 5 der Betriebsvereinbarung war eine Nachwirkung ausgeschlossen. Zwischen den Beteiligten läuft zur Zeit ein Einigungsstellenverfahren zum Zweck der Regelung der Lage der Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten im Verkauf.

Die Mitarbeiterinnen K. und H. wurden vom Arbeitgeber zunächst mit einer Arbeitszeit von 60-100 % der tariflichen Wochenarbeitszeit eingestellt. In der Zeit nach Ablauf der Betriebsvereinbarung erhöhte der Arbeitgeber einvernehmlich deren Mindestwochenarbeitszeit von 60 auf 80 % der tariflichen Wochenarbeitszeit. Der Betriebsrat wurde hierbei nicht beteiligt. Er hat die Rückgängigmachung der Maßnahme verlangt. Er ist der Auffassung, die Erhöhung der Mindestwochenarbeitszeit unterliege seinem Mitbestimmungsrecht. Die Heraufsetzung der Mindestarbeitszeit sei als Versetzung i.S. des § 95 Abs. 3 BetrVG anzusehen, die zu ihrer Wirksamkeit der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bedurft hätte.

Der Betriebsrat hat beantragt,

die mit der Erhöhung der wöchentlichen variablen

Arbeitszeit verbundene Veränderung der Arbeits-

zeitlage und die darin begründete Versetzungs-

maßnahme bei den Arbeitnehmerinnen K. und H.

rückgängig zu machen.

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, in der Erhöhung der Mindestarbeitszeit liege lediglich eine Festlegung der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, die mitbestimmungsfrei sei.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Aufhebungsantrag des Betriebsrats abgewiesen.

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter. Außerdem stellt er hilfsweise erstmals den Antrag festzustellen, daß in Fällen der Erhöhung der wöchentlichen Mindestarbeitszeit eine mitbestimmungspflichtige Versetzungsmaßnahme nach §§ 95 Abs. 3, 99 BetrVG vorliegt.

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet.

I. Der Hauptantrag des Betriebsrats ist zulässig, er bedarf jedoch der Auslegung.

1. Der Betriebsrat hat vor dem Arbeits- und vor dem Landesarbeitsgericht beantragt, "dem Arbeitgeber aufzugeben" (diese Worte fehlen allerdings im Antrag), "die mit der Erhöhung der wöchentlichen variablen Arbeitszeit verbundene Veränderung der Arbeitszeitlage der Arbeitnehmerinnen K. und H. ... rückgängig zu machen."

In diesem Antrag liegt zunächst die Behauptung, der Arbeitgeber habe anläßlich der Verlängerung der Mindestarbeitszeit auch die Lage der Arbeitszeit verändert. Diese in der Veränderung der Lage der Arbeitszeit liegende Maßnahme des Arbeitgebers soll rückgängig gemacht werden. Die Worte des Antrages "und die darin begründete Versetzungsmaßnahme" stellen lediglich eine Antragsbegründung dar; in der Veränderung der Lage der Arbeitszeit sieht der Betriebsrat die Versetzung, die seiner Zustimmung bedurft hätte und die rückgängig zu machen ist, weil es an seiner Zustimmung fehlt.

Der Betriebsrat trägt aber nicht vor, inwiefern sich die Lage der Arbeitszeit verändert hat.

Die Lage der Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten, offenbar auch der mit variabler Arbeitszeit, war durch eine Betriebsvereinbarung geregelt. Welchen Inhalt sie hatte, ist nicht vorgetragen worden. Angesichts des Umstandes, daß die Arbeitszeitlage auch variabler Arbeitszeiten geregelt war, ist davon auszugehen, daß die Betriebsvereinbarung Rahmenzeiten enthielt, innerhalb derer die ihrer Dauer nach variable Arbeitszeit zu leisten war. Auch nach der bisherigen Vereinbarung konnte der Arbeitgeber von den Arbeitnehmern ein Arbeitspensum von 80 % der tariflichen Wochenarbeitszeit verlangen. Die Betriebsvereinbarung mußte also eine Regelung enthalten, innerhalb welcher Zeiten und an welchen Tagen dieses Arbeitszeitvolumen zu erbringen war. Durch die Kündigung der Betriebsvereinbarung ist insoweit keine Änderung eingetreten. Der Arbeitgeber hat unwidersprochen behauptet, daß er nach wie vor die gekündigte Betriebsvereinbarung hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit der Arbeitnehmer beachtet. Von daher fehlt es an einem Vorbringen des Betriebsrats dafür, daß die Lage der Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten mit variabler Arbeitszeit vom Arbeitgeber verändert worden ist. Der Antrag des Betriebsrats wäre bei diesem Verständnis unbegründet.

2. Der eigentliche Streit der Beteiligten geht jedoch darum, ob eine Verlängerung der Mindestwochenarbeitszeit eine zustimmungspflichtige Versetzung ist, weil - wie der Betriebsrat meint - sich die Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, dadurch ändern, daß der Arbeitnehmer mit einer längeren Wochenarbeitszeit notgedrungen zu anderen Zeiten die Arbeit aufnehmen muß oder beenden kann, als ein Arbeitnehmer mit einer geringeren Mindestwochenarbeitszeit. Auf den Hintergrund dieses Streites ist der Antrag in Übereinstimmung mit den Beteiligten trotz seines anderslautenden Wortlautes dahin zu verstehen, daß dem Arbeitgeber aufgegeben werden soll, die Verlängerung der Mindestwochenarbeitszeit der beiden Arbeitnehmer rückgängig zu machen. Auch die Vorinstanzen haben den Antrag des Betriebsrats so verstanden.

II. Dieser Antrag des Betriebsrats ist nicht begründet.

1. Der Betriebsrat sieht in der Verlängerung der Mindestwochenarbeitszeit eine Versetzung, die seiner Zustimmung bedurft hätte. Trifft diese Ansicht zu, so kann der Betriebsrat nach § 101 BetrVG verlangen, daß der Arbeitgeber diese "Versetzung" aufhebt, d.h. rückgängig macht (Beschluß des Senats vom 22. März 1983, BAGE 42, 121 = AP Nr. 6 zu § 101 BetrVG 1972, mit weiteren Nachweisen). Die bloße Verlängerung (oder Verkürzung) der Arbeitszeitdauer eines Arbeitnehmers ist jedoch keine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG, die der Zustimmung des Betriebsrats bedarf.

2. Nach § 95 Abs. 3 BetrVG liegt eine Versetzung, die der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bedarf, dann vor, wenn dem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wird und diese Zuweisung voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß danach von einer zustimmungspflichtigen Versetzung nur auszugehen ist, wenn einmal dem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wird und zum anderen hinzukommt, daß diese Zuweisung voraussichtlich für länger als einen Monat erfolgt oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist (Beschluß des Senats vom 10. April 1984 - 1 ABR 67/82 - AP Nr. 4 zu § 95 BetrVG 1972; Beschluß vom 18. Februar 1986, BAGE 51, 151 = AP Nr. 33 zu § 99 BetrVG 1972; Beschluß vom 28. September 1988, BAGE 59, 371 = AP Nr. 55 zu § 99 BetrVG 1972; Beschluß vom 18. Oktober 1988 - 1 ABR 26/87 - AP Nr. 56 zu § 99 BetrVG 1972).

In der Entscheidung vom 18. Oktober 1988 hat der Senat noch einmal darauf hingewiesen, daß eine Änderung der Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, noch keine Versetzung darstellt, wenn kein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wird.

3. Der Senat hat allerdings in seiner Entscheidung vom 26. Mai 1988 (- 1 ABR 18/87 - AP Nr. 13 zu § 95 BetrVG 1972) ausgesprochen, der andere Arbeitsbereich im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG könne auch durch die Umstände bestimmt werden, unter denen die Arbeit zu leisten sei. Im Beschluß vom 19. Februar 1991 (- 1 ABR 21/90 -, zur Veröffentlichung vorgesehen) hat der Senat klargestellt, daß diese Entscheidung nicht besage, daß allein eine erhebliche Änderung der Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, schon eine Versetzung darstelle, die der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Nur dann, wenn die äußeren Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten sei, den Arbeitsbereich selbst bestimmten, könne eine Änderung dieser Umstände auch zu einem anderen Arbeitsbereich führen.

4. In dem genannten Beschluß vom 19. Februar 1991 - 1 ABR 21/90 - hat der Senat die Frage beantwortet, ob eine Änderung der Lage der Arbeitszeit auch eine Änderung des Arbeitsbereichs bewirken kann, wenn sich dadurch das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert. Er hat diese Frage verneint. Der Arbeitsbereich im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG werde regelmäßig nicht durch die Lage der Arbeitszeit bestimmt. Der Senat hat im einzelnen dargelegt, daß der Begriff des Arbeitsbereichs im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG durch eine starke räumliche Komponente geprägt sei und von daher im Schrifttum der Begriff des Arbeitsbereichs durchweg räumlich und funktional verstanden werde. Eine zeitliche Komponente in dem Sinne, daß der Arbeitsbereich auch durch die Lage der Arbeitszeit bestimmt werde, lasse sich dem Begriff "Arbeitsbereich" nicht entnehmen, auch wenn er weiter zu verstehen sein sollte als der Begriff "Arbeitsplatz".

Auch Sinn und Zweck der Beteiligung des Betriebsrats an Versetzungen nach § 99 BetrVG erfordern nicht, in einer bloßen erheblichen Veränderung der Lage der Arbeitszeit eine Änderung des Arbeitsbereiches und damit eine zustimmungspflichtige Versetzung zu sehen. Die Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich der Lage ihrer Arbeitszeit können durch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ausreichend zur Geltung gebracht werden.

5. Für die bloße Veränderung der Dauer der Beschäftigung kann nichts anderes gelten. Der Arbeitsbereich im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG wird nicht durch die Dauer der Arbeitszeit bestimmt (Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 99 Rz 18 a; Löwisch, BetrVG, 2. Aufl., § 99 Rz 7; Stege/Weinspach, BetrVG, 6. Aufl., §§ 99-101 Rz 158 a; LAG Hamm Urteil vom 3. Dezember 1987 - 10 Sa 1284/87 - LAGE § 99 BetrVG 1972 Nr. 14). Durch die Anhebung der Mindestarbeitszeit der beiden Teilzeitbeschäftigten von 60 auf 80 % der tariflichen Wochenarbeitszeit verändert sich nur der Umfang, nicht aber der Inhalt ihrer Tätigkeit. Der Gegenstand der geschuldeten Arbeitsleistung, der Inhalt der Arbeitsaufgabe wird nicht ein anderer und das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert sich nicht.

Die Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit können zwar durch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht zur Geltung gebracht werden. Dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit entzogen. Die tarifliche oder individualrechtliche Festlegung der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit hat der Betriebsrat anläßlich der Ausübung seines Mitbestimmungsrechts bei der Regelung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG als Vorgaben hinzunehmen (vgl. speziell für Teilzeitkräfte Beschluß des Senats vom 28. September 1988 - 1 ABR 41/87 - AP Nr. 29 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Die Arbeitnehmer sind ohne eine Mitbestimmung des Betriebsrats hinsichtlich der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit jedoch nicht schutzlos. Weisungen des Arbeitgebers hinsichtlich der Arbeitszeitdauer sind nur dann wirksam, wenn sie sich im Rahmen der Konkretisierung einer schon bestehenden Arbeitspflicht halten; die Festlegung der Arbeitszeitdauer ist Sache des Tarifvertrages bzw. des Einzelarbeitsvertrages (vgl. dazu Galperin/Löwisch, aaO, § 87 Rz 85).

Der Betriebsrat kann daher nicht verlangen, daß der Arbeitgeber die Verlängerung der Mindestwochenarbeitszeit der beiden Arbeitnehmerinnen rückgängig macht.

III. Der erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellte Hilfsantrag des Betriebsrats ist unzulässig. Die Umstellung auf das abstrakte Feststellungsbegehren ist als Antragsänderung im dritten Rechtszug unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 39, 259, 268 = AP Nr. 5 zu § 83 ArbGG 1979, zu III 5 der Gründe; Beschluß vom 10. April 1984 - 1 ABR 73/82 - AP Nr. 3 zu § 81 ArbGG 1979; BAGE 51, 151, 156 = AP Nr. 33 zu § 99 BetrVG 1972, zu B I 2 b der Gründe) muß ein allgemeiner, von einer abgeschlossenen Maßnahme losgelöster Feststellungsantrag noch in der Tatsacheninstanz gestellt werden.

Dr. Kissel Matthes Dr. Weller

Gnade Dr. Giese

 

Fundstellen

Haufe-Index 437044

BAGE 68, 155-169 (LT1)

BAGE, 155

BB 1991, 2370

BB 1991, 2370-2371 (LT1)

DB 1992, 145 (LT1)

BuW 1992, 68 (KT)

EBE/BAG 1991, 180-182 (LT1)

BetrVG, (8) (LT1)

EWiR 1992, 129 (L)

NZA 1992, 180

NZA 1992, 180-181 (LT1)

RdA 1991, 384

SAE 1992, 309-311 (LT1)

AP § 95 BetrVG 1972 (LT1), Nr 28

AR-Blattei, ES 1560 Nr 26 (LT1)

EzA § 95 BetrVG 1972, Nr 25 (LT1)

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