Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorübergehende Verlängerung der Teilzeitarbeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Betriebsrat hat bei der vorübergehenden Verlängerung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten auch dann nach § 87 Abs 1 Nr 3 BetrVG mitzubestimmen, wenn für diese unterschiedliche Wochenarbeitszeiten gelten.

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 14.08.1990; Aktenzeichen 5 TaBV 7/90)

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 30.11.1989; Aktenzeichen 7 BV 13/89)

 

Gründe

A. Der Arbeitgeber ist ein Unternehmen, das Waren und Dokumente befördert. Er beschäftigt in seinem Betrieb K 215 Arbeitnehmer, davon 31 Teilzeitbeschäftigte. Antragsteller ist der für den Betrieb K gewählte Betriebsrat.

Die wöchentliche Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist arbeitsvertraglich festgelegt und reicht von 6 Stunden bis 32 Stunden. Eine Regelung über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG haben die Beteiligten nicht getroffen. In einer "Betriebsvereinbarung Überstunden" vom 1. Juli 1987, die vom Arbeitgeber im Sommer 1988 gekündigt wurde, haben die Beteiligten bestimmt:

"Betriebsvereinbarung Überstunden

Der Betriebsrat der Niederlassung Frankfurt und

der Hauptverwaltung Frankfurt und die Geschäfts-

leitung der D GmbH

vereinbaren für die Genehmigung und den Ausgleich

von Überstunden folgendes:

1. Überstunden finden nur im Rahmen der gesetzli-

chen Regelung nach dem § 6 der Arbeitszeitord-

nung statt; d.h., kein Mitarbeiter darf in

einem Jahr mehr als 60 Überstunden, maximal 2

an 30 Tagen leisten, sofern damit die tägliche

Arbeitszeit 10 Stunden dann nicht überschrei-

tet.

2. Sollten Überstunden in einzelnen Abteilungen

im Rahmen der unter Abs. 1 genannten Bedingun-

gen notwendig sein, so werden diese aus-

schließlich in Freizeit, und zwar im Verhält-

nis 1 : 1 auf Stundenbasis, ausgeglichen.

3. ...

4. Die Geschäftsleitung der D

GmbH verpflichtet sich, sämtliche anfallenden

Überstunden gegenüber dem Betriebsrat an jedem

Monatsende, spätestens jedoch anläßlich des

einmal monatlich stattfindenden Gespräches

zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung, auf

alle Arbeitnehmer einzeln aufgeschlüsselt vor-

zulegen.

Bei korrekter Handhabung der unter Abs. 1 und

4 genannten Verfahrensweise kann der Betriebs-

rat auf die vorherige Genehmigung von Über-

stunden gemäß § 87 Abs. 1 und 3 BetrVG ver-

zichten.

..."

Der Arbeitgeber zieht regelmäßig teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ohne Beteiligung des Betriebsrats zum Zwecke der Urlaubs- und Krankheitsvertretung oder zur Bewältigung zusätzlichen Arbeitsanfalles über das vertraglich vereinbarte Arbeitszeitvolumen hinaus heran. Nachdem es zwischen den Beteiligten wegen dieser Überstunden zum Streit gekommen war, wies der Betriebsrat den Arbeitgeber mit Schreiben vom 23. November 1988 darauf hin, daß er nunmehr auf der vorherigen Genehmigung der Überstunden bestehe. Das lehnte der Arbeitgeber ab. Daraufhin hat der Betriebsrat das vorliegende Verfahren anhängig gemacht.

Er ist der Ansicht, die betrieblich veranlaßte Verlängerung der Arbeitszeit teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer unterliege seinem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Der Arbeitgeber verletze ständig dieses Mitbestimmungsrecht und verstoße deshalb grob gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten.

Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt,

dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen,

über die vertraglich vereinbarte übliche Arbeits-

zeit der Teilzeitbeschäftigten hinaus Arbeit für

sie anzuordnen oder Arbeit von ihnen entgegenzu-

nehmen,

und

dem Arbeitgeber für jeden Fall der Zuwiderhand-

lung ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,-- DM, er-

satzweise Haft des Geschäftsführers, anzudrohen;

hilfsweise,

Feststellungen im Umfang des Hauptantrages zu

treffen.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

Er ist der Ansicht, der Betriebsrat habe schon kein Rechtsschutzbedürfnis für sein Begehren, weil die Betriebsvereinbarung vom 1. Juli 1987 nachwirke. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung von Überstunden von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bestehe nicht, da es bei ihm keine betriebsübliche Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten gebe. Betriebsübliche Arbeitszeit sei nach dem Wortlaut von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nur die Arbeitszeit, die im Betrieb für die Mehrzahl der Arbeitnehmer mit einer gewissen Regelmäßigkeit gelte. Das seien in seinem Betrieb 8 Stunden pro Tag. Für den Unterlassungsantrag fehle es schließlich an einem groben Pflichtenverstoß, da er in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage eine vom Wortlaut des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gedeckte Rechtsansicht vertreten habe. Ein allgemeiner Unterlassungsanspruch sei abzulehnen.

Das Arbeitsgericht hat unter Abweisung der Anträge im übrigen festgestellt, daß der Betriebsrat bei der wegen Krankheits-/ Urlaubsvertretung oder wegen Erledigung zusätzlichen Arbeitsanfalls erforderlichen Anordnung oder Entgegennahme zusätzlicher, das vertraglich vereinbarte Arbeitszeitvolumen teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer überschreitender Arbeit ein Mitbestimmungsrecht hat. Dagegen haben beide Beteiligten Beschwerde eingelegt.

Vor dem Landesarbeitsgericht hat der Betriebsrat beantragt,

1. dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen,

über die vertraglich vereinbarte übliche Ar-

beitszeit der Teilzeitbeschäftigten hinaus Ar-

beit für sie anzuordnen oder Arbeit von ihnen

entgegenzunehmen,

hilfsweise,

dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen,

Arbeit teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer an-

zuordnen oder entgegenzunehmen, die deswegen

erforderlich wird, weil Krankheits- oder Ur-

laubsvertretungen vorzunehmen sind oder zu-

sätzlicher Arbeitsanfall vorliegt, soweit das

vertraglich vereinbarte Arbeitszeitvolumen

überschritten wird,

und

dem Arbeitgeber für jeden Fall der Zuwider-

handlung ein Ordnungsgeld bis zu 20.000,-- DM

anzudrohen;

2. die Beschwerde des Arbeitgebers zurückzuwei-

sen.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge des Betriebsrats abzuweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde des Betriebsrats dessen Hilfsunterlassungsantrag stattgegeben und die Beschwerde des Arbeitgebers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber sein Begehren auf Abweisung der Anträge weiter. Der Betriebsrat beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

I.1. Streitgegenstand ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch der Hilfsunterlassungsantrag des Betriebsrats. Seinen Hauptunterlassungsantrag hat das Landesarbeitsgericht als unbegründet abgewiesen, weil er auch Fallgestaltungen umfasse, bei denen kein Mitbestimmungsrecht bestehe. Dagegen hat der Betriebsrat keine Rechtsbeschwerde eingelegt, so daß die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts insoweit rechtskräftig ist.

2. Der Hilfsunterlassungsantrag des Betriebsrats, den dieser primär auf § 23 Abs. 3 BetrVG stützt, ist zulässig.

a) Den Hilfsunterlassungsantrag hat der Betriebsrat erstmals vor dem Landesarbeitsgericht gestellt.

Nach § 87 Abs. 2 Satz 3 in Verb. mit § 81 Abs. 3 ArbGG kann im Beschlußverfahren der Antrag noch in der Beschwerdeinstanz geändert werden. Eine Antragsänderung liegt dann vor, wenn der Streitgegenstand eines anhängigen Verfahrens geändert oder erweitert wird (Senatsbeschluß vom 31. Januar 1989 - 1 ABR 60/87 - AP Nr. 12 zu § 81 ArbGG 1979, zu B II 2 b der Gründe, und Senatsbeschluß vom 19. Februar 1991 - 1 ABR 36/90 -, zur Veröffentlichung bestimmt, zu B I 3 der Gründe; insoweit gilt nichts anderes als im Urteilsverfahren, in dem eine nachträgliche Klagehäufung wie eine Klageänderung zu behandeln ist, vgl. BGH Urteil vom 10. Januar 1985 - III ZR 93/83 - NJW 1985, 1841, 1842, m.w.N.). Der Betriebsrat hat in der Beschwerdeinstanz seinen Unterlassungsantrag nach § 23 Abs. 3 BetrVG hilfsweise erweitert um einen zusätzlichen Unterlassungsantrag. Auch wenn der neue Hilfsunterlassungsantrag nur einen konkretisierten Teil des Hauptunterlassungsantrages umfaßt, handelt es sich um eine - eventuelle - Antragserweiterung, weil der Betriebsrat verschiedene Fallgestaltungen, für die er vom Arbeitgeber ein Unterlassen begehrt, und damit verschiedene Streitgegenstände zur Entscheidung stellt.

Eine solche Antragsänderung ist zulässig, wenn entweder die übrigen Beteiligten zustimmen oder das Gericht die Antragsänderung für sachdienlich hält. Eine Zustimmung der übrigen Beteiligten zur Antragsänderung liegt auch darin, daß diese sich auf den geänderten Antrag einlassen, ohne der Antragsänderung zu widersprechen. Der Arbeitgeber hat sich auf die Antragshäufung eingelassen, ohne ihr zu widersprechen, indem er im Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht nach Stellen der Anträge streitig zur Sache verhandelte.

b) Der Unterlassungsantrag bedarf der Auslegung.

Nach seinem Wortlaut könnte der Antrag dahin mißverstanden werden, daß der Betriebsrat dem Arbeitgeber jedwede Anordnung oder Entgegennahme von Arbeit teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer in den im Antrag beschriebenen Fällen untersagen lassen will. Dem Betriebsrat geht es jedoch, wie sein gesamtes Vorbringen und der Streit der Beteiligten zeigt, allein um das Unterlassen der Anordnung oder Entgegennahme von Überstunden ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats. Der Antrag ist deshalb dahingehend auszulegen, daß dem Arbeitgeber aufgegeben werden soll, es zu unterlassen, die Arbeit teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer in den im Antrag näher bezeichneten Fällen anzuordnen oder entgegenzunehmen, ohne daß der Betriebsrat dem vorher zugestimmt hat, bzw. die Einigungsstelle die Einigung zwischen den Beteiligten ersetzt hat.

c) Der Antrag ist auch hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der auch auf den Antrag im Beschlußverfahren Anwendung findet (BAGE 44, 226 = AP Nr. 11 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit und BAGE 50, 29 = AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; vgl. auch Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 1990, § 81 Rz 8, m.w.N.).

Der Antrag umschreibt konkret die Fälle, in denen der Betriebsrat verlangt, daß die Überschreitung der mit den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht ohne seine vorherige Zustimmung erfolgen soll.

II. Der konkretisierte Unterlassungsantrag des Betriebsrats ist begründet.

Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats nach § 23 Abs. 3 BetrVG ist, daß der Arbeitgeber gegen das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG grob verstoßen hat. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht einen Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG angenommen. Ob ein grober Pflichtenverstoß vorliegt, hat es allerdings offengelassen. Auch das ist zu bejahen. Eines Rückgriffs auf einen vom Landesarbeitsgericht in Abweichung von dem Beschluß des Senats vom 22. Februar 1983 (BAGE 42, 11 = AP Nr. 2 zu § 23 BetrVG 1972) anerkannten allgemeinen Unterlassungsanspruch bedarf es daher nicht.

1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Dabei löst sowohl die Anordnung als auch die Duldung von Überstunden das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus, wenn ein kollektiver Tatbestand vorliegt (Senatsbeschluß vom 27. November 1990 - 1 ABR 77/89 - AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = BB 1991, 548 = DB 1991, 706).

a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zog der Arbeitgeber teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer zum Zwecke der Urlaubs- und Krankheitsvertretung und zur Bewältigung zusätzlichen Arbeitsanfalls über das vertraglich vereinbarte Arbeitszeitvolumen hinaus heran. Damit wurde die betriebsübliche Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer vorübergehend verlängert. Die Ansicht des Arbeitgebers, es könne im Betrieb nur eine betriebsübliche Arbeitszeit geben und das sei diejenige, die im Betrieb für die Mehrzahl der Beschäftigten mit einer gewissen Regelmäßigkeit gilt, steht im Gegensatz zur Rechtsprechung des Senats (BAG Beschluß vom 13. Juni 1989 - 1 ABR 15/88 - AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu B II 1 a der Gründe). Der Senat hält nach nochmaliger Prüfung an dieser Rechtsprechung fest.

aa) Unter der betriebsüblichen Arbeitszeit ist nach dem Wortsinne die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit zu verstehen (Senatsbeschluß vom 21. November 1978 - 1 ABR 67/76 - AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu III 4 der Gründe). Bereits im Beschluß vom 13. Juni 1989 (aaO) hat der Senat jedoch betont, der Begriff der Betriebsüblichkeit sei nicht so zu verstehen, daß damit die im Betrieb häufigste Arbeitszeit gemeint wäre. Vielmehr sei auf die im Betrieb für bestimmte Arbeitsplätze und Arbeitnehmergruppen geltenden Arbeitszeiten abzustellen. Damit kann es in einem und demselben Betrieb mehrere betriebsübliche Arbeitszeiten geben, so daß auch die vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer grundsätzlich mitbestimmungspflichtig ist. Das entspricht der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum (Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 87 Rz 263 und 273; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz 108; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 87 Rz 139 und 168; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke/ Klebe, BetrVG, 4. Aufl., § 87 Rz 15; Lipke, GK-TzA, Art. 1 § 2 BeschFG Rz 430; Löwisch, ZFA 1986, 1, 15; wohl auch Fitting/ Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 87 Rz 54 a. E.; a.A.: neuerdings Stege/Weinspach, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz 73 a). Insbesondere kann der Formulierung in § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, der Betriebsrat habe bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung "der betriebsüblichen Arbeitszeit" nicht entnommen werden, es sei auf eine einzige betriebsübliche Arbeitszeit abzustellen. Eine entsprechende Formulierung findet sich in § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (Mitbestimmung bei Beginn und Ende "der täglichen Arbeitszeit" und bei Verteilung "der Arbeitszeit"), ohne daß jemand auf den Gedanken käme, es gebe nur eine (für alle gleiche) Arbeitszeit, die zu verteilen wäre. Zwar hatte zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 Teilzeitbeschäftigung noch Ausnahmecharakter, deshalb lag damals die Vorstellung einer für alle geltenden betriebsüblichen Arbeitszeit noch näher. Seitdem haben sich aber insofern die Verhältnisse grundlegend gewandelt. Die Forderung der Arbeitgeber nach Flexibilisierung der Arbeitszeit hat sich gerade durch Einführung der verschiedensten Formen von Teilzeitarbeit durchgesetzt, so daß in einem und demselben Betrieb Arbeitnehmer mit ganz unterschiedlichen Arbeitszeiten beschäftigt werden. Dies darf aber nach Sinn und Zweck des § 87 Abs. 1 BetrVG, in den dort genannten Fallgestaltungen dem Betriebsrat eine gleichberechtigte Teilhabe an den Entscheidungen zu geben, nicht dazu führen, daß einem Teil der Arbeitnehmer der Schutz durch die Mitbestimmung entzogen wird.

bb) Dementsprechend steht einer betriebsüblichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht entgegen, daß im Betrieb des Arbeitgebers nicht alle Teilzeitkräfte mit einer einheitlichen Wochenstundenzahl arbeiten, sondern der Arbeitgeber unterschiedlich lange Wochenarbeitszeiten mit ihnen vereinbart. Betriebsübliche Arbeitszeiten sind alle Arbeitszeiten, die die Arbeitnehmer, ein Teil von ihnen oder auch ein einzelner Arbeitnehmer jeweils individualrechtlich - sei es aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung oder kraft tariflicher Regelung - dem Arbeitgeber schulden. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG will dem Betriebsrat gerade ein Mitbestimmungsrecht bei der vorübergehenden Veränderung der nicht mitbestimmungspflichtigen Festlegung der Dauer der Arbeitszeit einräumen (vgl. Senatsbeschluß vom 13. Oktober 1987, BAGE 56, 197 = AP Nr. 24 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu B II 2 der Gründe).

Das entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. In der Begründung des Regierungsentwurfes zum Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 (BT-Drucks. 10/2102, S. 17) heißt es ausdrücklich:

"Unberührt bleiben die bestehenden Vorschriften

über Beteiligungsrechte der Betriebs- und Perso-

nalräte, die diesen wichtige Möglichkeiten zur

Förderung der Teilzeitarbeit und zum Schutz der

Belange von Teilzeitarbeitnehmern eröffnen. Dies

gilt insbesondere für die Beteiligung in perso-

nellen Angelegenheiten sowie bei der Gestaltung

der Arbeitsbedingungen und der betrieblichen Ar-

beitszeit."

Dementsprechend hat der Senat ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage bejaht (Beschluß vom 13. Oktober 1987, aaO, vom 28. September 1988 - 1 ABR 41/87 - AP Nr. 29 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit und vom 14. März 1989 - 1 ABR 77/87 - n.v.). Er befindet sich damit in Übereinstimmung mit der wohl einhelligen Ansicht in der Literatur (vgl. nur Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz 204; Fitting/Auffarth/ Kaiser/Heither, aaO, § 87 Rz 45 a; Wiese, aaO, § 87 Rz 222; Lipke, aaO, Art. 1 § 2 BeschFG Rz 425 ff., jeweils m.w.N.).

b) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung von Überstunden setzt ferner einen kollektiven Tatbestand voraus. Es greift nicht ein bei individuellen Maßnahmen ohne kollektiven Bezug (ständige Rechtsprechung des Senats: BAGE 38, 96 = AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; BAGE 41, 200 = AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Senatsbeschluß vom 11. November 1986 - 1 ABR 17/85 - AP Nr. 21 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit und Senatsbeschluß vom 27. November 1990, aaO). Dabei liegt nach der Rechtsprechung des Senats ein kollektiver Tatbestand immer dann vor, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die kollektive Interessen der Arbeitnehmer berührt. So ist bei einem zusätzlichen Arbeitsbedarf immer die Frage zu regeln, ob und in welchem Umfang zur Abdeckung dieses Arbeitsbedarfs Überstunden geleistet werden sollen oder ob die Neueinstellung eines Arbeitnehmers zweckmäßiger wäre. Weiter ist zu entscheiden, wann und von wem die Überstunden geleistet werden sollen. Diese Regelungsprobleme bestehen unabhängig von der Person und den individuellen Wünschen eines einzelnen Arbeitnehmers. Auf die Zahl der Arbeitnehmer, für die die Mehrarbeit oder Überstunden angeordnet werden, kommt es deshalb nicht an. Die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer ist allenfalls ein Indiz dafür, daß ein kollektiver Tatbestand vorliegt.

Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Dem Betriebsrat geht es um sein Mitbestimmungsrecht bei Überstunden wegen Krankheits- und Urlaubsvertretung oder zusätzlichen Arbeitsanfalls. Dabei handelt es sich um typische Regelungsfragen, die die kollektiven Interessen der Arbeitnehmer berühren, weil aus betrieblichen Gründen ein zusätzlicher Arbeitsbedarf entsteht, der in den betriebsüblichen Arbeitszeiten mit den vorhandenen Arbeitnehmern nicht bewältigt werden kann. Das stellt der Arbeitgeber auch nicht in Abrede.

2. Nach § 23 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat nur bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen. Auch diese Voraussetzung liegt vor. Die Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Heranziehung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern zu Überstunden in der Vergangenheit war ein grober Pflichtenverstoß. Zwar hat das Landesarbeitsgericht diese Frage offen gelassen, der Senat kann sie aber aufgrund der getroffenen Feststellungen selbst beantworten.

a) Dabei ist davon auszugehen, daß es auf ein Verschulden des Arbeitgebers nicht ankommt (Senatsbeschluß vom 8. August 1989 - 1 ABR 65/88 - AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, vom 14. November 1989 - 1 ABR 87/88 - AP Nr. 76 zu § 99 BetrVG 1972 und vom 27. November 1990, aaO). Entscheidend ist alleine, ob der Verstoß objektiv so erheblich war, daß unter Berücksichtigung des Gebotes zur vertrauensvollen Zusammenarbeit die Anrufung des Arbeitsgerichts durch den Betriebsrat gerechtfertigt erscheint. Ein grober Verstoß ist regelmäßig jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Arbeitgeber mehrfach erzwingbare Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats übergangen hat (BAGE 48, 246 = AP Nr. 5 zu § 23 BetrVG 1972). Allerdings scheidet ein grober Verstoß des Arbeitgebers aus, wenn er seine Rechtsposition in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage verteidigt (Senatsbeschluß vom 14. November 1989, aaO, zu B II 2 der Gründe, m.w.N.).

b) Vorliegend hat der Arbeitgeber nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts über einen längeren Zeitraum jede Woche teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ohne Beteiligung des Betriebsrats zu Überstunden herangezogen. Er kann sich nicht darauf berufen, in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage eine bestimmte Meinung vertreten zu haben. Zwar war die Rechtsfrage insoweit ungeklärt, als bislang nicht höchstrichterlich entschieden war, ob die Anordnung von Überstunden bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG unterliegt. Diese Rechtsfrage ist aber nicht schwierig. Bereits mit Beschluß vom 13. Oktober 1987 (aaO) und erneut mit Beschluß vom 28. September 1988 (aaO) hatte der Senat ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hinsichtlich der Regelung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage bejaht. Schon aus diesen Entscheidungen hätte der Arbeitgeber unschwer erkennen können, daß die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der betrieblichen Arbeitszeit nicht von der Dauer der jeweils von den Arbeitnehmern geleisteten individuellen Arbeitszeit abhängen. Außerdem wurde in der Literatur die Frage der Mitbestimmung des Betriebsrats bei Überstunden von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern fast einhellig im Sinne des Betriebsrats beantwortet. Auch die im damaligen Zeitpunkt einzige veröffentlichte Entscheidung eines Instanzgerichtes (ArbG Berlin Beschluß vom 24. März 1988 - 5 BV 7/87 - AiB 1988, 287) hat rechtskräftig ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung von Überstunden von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bejaht. In der Folgezeit entschieden das Landesarbeitsgericht Hamm (Beschluß vom 18. April 1989 - 13 (12) TaBV 56/88 - LAGE § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 14) und der Senat (Beschluß vom 13. Juni 1989, aaO), daß es im Betrieb mehrere betriebsübliche Arbeitszeiten geben kann. Aber selbst noch zwei Jahre nach dieser Senatsentscheidung stützt der Arbeitgeber die Nichtbeteiligung des Betriebsrats bei der vorübergehenden Verlängerung der Arbeitszeit von Teilzeitarbeitnehmern darauf, daß es nur eine betriebsübliche Arbeitszeit gebe, die nicht diejenige der Teilzeitarbeitnehmer sei. Dabei erschien ihm seine Interpretation des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG - wie er in der Beschwerdebegründung ausführt - als "überraschendes Ergebnis". Unter Berücksichtigung all dieser Tatsachen ist der Senat zu dem Ergebnis gekommen, daß der Arbeitgeber grob gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen hat.

Ist der Unterlassungsantrag des Betriebsrats also begründet, so war die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers zurückzuweisen.

Dr. Kissel Matthes Dr. Weller

Gnade Dr. Giese

 

Fundstellen

Haufe-Index 437033

BB 1991, 2156

BB 1991, 2156-2157 (LT1)

DB 1991, 2492-2494 (LT1)

AiB 1992, 100-101 (ST1-2)

BetrR 1991, 322-325 (LT1)

BetrVG EnnR BetrVG § 87 Abs 1, Nr 3 (4) (LT1)

ARST 1992, 1-3 (LT1)

NZA 1992, 70

NZA 1992, 70-72 (LT1)

RdA 1991, 384

AP § 87 BetrVG 1972 (LT1), Nr 44

AR-Blattei, Betriebsverfassung XIVB Entsch 131 (LT1)

AR-Blattei, ES 530.14.2 Nr 131 (LT1)

EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Nr 48 (LT1)

VersR 1992, 641-643 (LT1)

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