Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung einer Betriebsratswahl. Betriebsverfassungsrecht

 

Orientierungssatz

Wird die Anfechtung einer Betriebsratswahl darauf gestützt, daß in einem einheitlichen Betrieb unter Verletzung des Betriebsbegriffes mehrere Betriebsräte gewählt worden seien, so muß nach ständiger Senatsrechtsprechung die Wahl aller Betriebsräte angefochten werden (BAG 7. Dezember 1988 – 7 ABR 10/88 – BAGE 60, 276 = AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 15; 31. Mai 2000 – 7 ABR 78/98 – BAGE 95, 15 = AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 12). Die Wahlanfechtungen müssen nicht in demselben Beschlußverfahren anhängig sein.

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 19 Abs. 2, § 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Beschluss vom 04.05.2000; Aktenzeichen 10 TaBV 56/99)

ArbG Köln (Beschluss vom 09.06.1999; Aktenzeichen 9 BV 76/98)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerden der beteiligten Betriebsräte gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 4. Mai 2000 – 10 TaBV 56/99 – werden zurückgewiesen, soweit das Landesarbeitsgericht die am 12. März 1998 durchgeführte Wahl zum Betriebsrat der Niederlassung K/L der Arbeitgeberin für unwirksam erklärt hat.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten im Rahmen der Anfechtung der Betriebsratswahlen in der Niederlassung K/L und in der Betriebsstätte L darüber, ob die Betriebsstätten zusammen einen einheitlichen Betrieb bilden und deshalb nur ein Betriebsrat hätte gewählt werden dürfen.

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 8) produziert und vertreibt Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge. Sie beschäftigt im Inland etwa 150.000 Arbeitnehmer. Ihre Hauptverwaltung befindet sich in S. Sie unterhält im Bundesgebiet eine Reihe von Niederlassungen, deren Aufgaben der Vertrieb der von ihr produzierten Fahrzeuge und der Fahrzeugservice sind. Zur Niederlassung K/L gehören verschiedene Betriebsstätten, die sich in K/E, K/Kl, in F, in K/P und in L befinden. In der Niederlassung K/L sind etwa 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt, davon 135 in der Betriebsstätte L. Die Betriebsstätte in L war ursprünglich ein Betrieb des Unternehmens Bleses, der im Jahre 1974 von der Arbeitgeberin übernommen und zunächst innerhalb der Vertriebsorganisation als eigenständige Niederlassung geführt wurde. Im Jahre 1984 wurde sie organisatorisch der Niederlassung K untergeordnet. Die personellen Entscheidungen fallen in K, wo sich die Geschäftsführung und die Personalverwaltung befinden. Betriebsvereinbarungen in sozialen Angelegenheiten werden in K abgeschlossen.

Bei den Betriebsratswahlen Anfang März 1998 wurde sowohl in der Niederlassung K/L als auch in der Betriebsstätte L jeweils ein eigener Betriebsrat gewählt. Die Wahlergebnisse wurden am 13. März 1998 (Niederlassung K/L einschließlich der Betriebsstätten Kl, F, P und B) bzw. am 19. März 1998 (Betriebsstätte L) bekanntgemacht.

Mit dem am 26. März 1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag haben die fünf Antragsteller (sämtlich Arbeitnehmer in der Niederlassung K/L) die Betriebsratswahlen in der Niederlassung K/L und der Betriebsstätte L angefochten. Sie haben die Auffassung vertreten, es habe nur ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt werden dürfen, da die Betriebsstätte in L weder ein eigener Betrieb noch ein gem. § 4 Satz 1 BetrVG als selbständiger Betrieb geltender Betriebsteil sei.

Die Antragsteller haben beantragt,

die am 12. März 1998 durchgeführte Wahl zum Betriebsrat des Betriebs K der Niederlassung K/L der Arbeitgeberin und die am 19. März 1998 durchgeführte Wahl zum Betriebsrat der Betriebsstätte L der Niederlassung K/L der Arbeitgeberin für unwirksam zu erklären.

Die Betriebsräte der Niederlassung K/L und der Betriebsstätte L haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie haben im wesentlichen die Ansicht vertreten, den Antragstellern fehle die Berechtigung zur Wahlanfechtung. Dies ergebe sich aus einem Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. Januar 1995 und einem Schreiben der Arbeitgeberin vom 30. September 1983, in dem die Arbeitgeberin darauf verzichtet habe, die Betriebsratsfähigkeit der Betriebsstätte L gerichtlich in Frage zu stellen. Dies binde auch die Antragsteller, weil diese lediglich Strohmänner der Arbeitgeberin seien, ohne ein eigenes Interesse an der Anfechtung der Betriebsratswahlen zu haben. Überdies sei ein etwa bestehendes Antragsrecht verwirkt, weil die Antragsteller nicht innerhalb von zwei Wochen seit Erlaß des Wahlausschreibens die Wählerliste beim Wahlvorstand beanstandet hätten. Schließlich erfülle die Betriebsstätte L die Voraussetzungen, um gem. § 4 Satz 1 BetrVG als betriebsratsfähiger Betriebsteil zu gelten, weil sie sowohl räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt als auch nach Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sei.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Antragsteller hat das Landesarbeitsgericht beide Betriebsratswahlen für unwirksam erklärt und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihren Rechtsbeschwerden beantragen die Betriebsräte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Antragsteller beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist der Betriebsrat der Betriebsstätte L am 28. September 2000 zurückgetreten. Am 15. Dezember 2000 wurde in der Betriebsstätte L ein neuer Betriebsrat gewählt. Nachdem daraufhin alle Beteiligten das Verfahren hinsichtlich der Anfechtung der Wahl des Betriebsrats der Betriebsstätte L in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren hinsichtlich der Betriebsstätte L durch Beschluß des Senatsvorsitzenden vom 6. Februar 2001 eingestellt worden. Mit Antrag vom 22. Dezember 2000 haben die Beteiligten zu 1 bis 3 und zu 5 die Wahl des Betriebsrats der Betriebsstätte L vom 15. Dezember 2000 angefochten. Das Anfechtungsverfahren ist beim Arbeitsgericht Köln unter dem Aktenzeichen – 9 BV 311/00 – anhängig.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde ist zurückzuweisen, soweit das Landesarbeitsgericht die Betriebsratswahl vom 12. März 1998 im Betrieb K der Niederlassung K/L für unwirksam erklärt hat. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, daß bei der im März 1998 durchgeführten Wahl des Betriebsrats für die Niederlassung K/L gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden ist. Es ist der Betriebsbegriff des BetrVG verkannt worden. Das hatte zur Folge, daß die aktiv und passiv wahlberechtigten Arbeitnehmer der Betriebsstätte L nicht an der Wahl beteiligt worden sind.

  • Die Rechtsbeschwerden der Betriebsräte sind zulässig. Der Rechtsbeschwerde des Betriebsrats der Betriebsstätte L steht nicht entgegen, daß die Anfechtung der Wahl des Betriebsrats der Betriebsstätte L im März 1998 nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Denn der im Dezember 2000 neu gewählte Betriebsrat der Betriebsstätte L ist auch hinsichtlich der Anfechtung des in der Niederlassung K/L gewählten Betriebsrats rechtsbeschwerdebefugt. Da das Landesarbeitsgericht von einem einheitlichen Betrieb ausgegangen ist, sind alle in diesem Betrieb gewählten Betriebsräte Beteiligte eines diesen Betrieb betreffenden Beschlußverfahrens. Der für die Betriebsstätte L gewählte Betriebsrat hat auch ein rechtliches Interesse daran, daß die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts korrigiert wird. Er ist dadurch beschwert, daß das Landesarbeitsgericht einen einheitlichen Betrieb angenommen hat und daraus die Anfechtbarkeit der neuen Wahl des Betriebsrats L folgt.
  • Die Rechtsbeschwerden sind jedoch unbegründet, denn der angefochtene Beschluß des Landesarbeitsgerichts, die Betriebsratswahl in der Niederlassung K/L für unwirksam zu erklären, ist frei von Rechtsfehlern.

    • Die Wahlanfechtung der Antragsteller ist nicht dadurch unzulässig geworden, daß sie sich nach der Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der Betriebsstätte L nur noch gegen die Wahl des Betriebsrats in der Niederlassung K/L richtet. Zwar muß nach ständiger Senatsrechtsprechung (7. Dezember 1988 – 7 ABR 10/88 – BAGE 60, 276 = AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 15; 31. Mai 2000 – 7 ABR 78/98 – BAGE 95, 15 = AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 12) die Wahl aller Betriebsräte angefochten werden, wenn die Anfechtung einer Betriebsratswahl darauf gestützt wird, daß in einem einheitlichen Betrieb unter Verkennung des Betriebsbegriffs mehrere Betriebsräte gewählt worden seien. Diesen Anforderungen ist im vorliegenden Falle jedoch dadurch genüge getan, daß auch gegen die in der Betriebsstätte L am 15. Dezember 2000 durchgeführte Betriebsratswahl ein Anfechtungsverfahren beim Arbeitsgericht Köln (9 BV 311/00) anhängig ist. Dadurch ist dem Sinn und Zweck der angeführten Senatsrechtsprechung Rechnung getragen: Der Senat hat darauf abgestellt, daß durch die Annullierung lediglich einer der durchgeführten Betriebsratswahlen ein betriebsverfassungsgemäßer Zustand künftig nicht erreicht werden kann, weil, wenn eine der Wahlen unanfechtbar geworden ist, es der Belegschaft nicht möglich ist, durch Neuwahl eines einheitlichen Betriebsrats einen betriebsverfassungsgemäßen Zustand herzustellen.
    • Das Landesarbeitsgericht hat richtig erkannt, daß die Antragsteller ihr nach § 19 Abs. 2 BetrVG bestehendes Anfechtungsrecht nicht dadurch verloren haben, daß sie zuvor nicht gegen die Wählerliste einen Einspruch eingelegt haben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen ist, daß ein rechtzeitiger Einspruch des Arbeitnehmers gegen die Richtigkeit der Wählerliste keine Voraussetzung für die Antragsberechtigung ist, was der Senat bereits in einem Beschluß (vom 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 – BAGE 72, 161 = AP BetrVG 1952 § 76 Nr. 29) offengelassen hatte. Zusätzlich hat das Landesarbeitsgericht jedoch zu Recht ausgeführt, durch die Nichteinlegung eines Einspruchs gegen die Richtigkeit der Wählerliste gehe das Anfechtungsrecht wegen sonstiger Verstöße nicht verloren und die Antragsteller rügten außer der Richtigkeit der Wählerliste vorrangig, daß überhaupt zwei getrennte Wahlverfahren durchgeführt wurden.
    • Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Ausübung des Anfechtungsrechts der Antragsteller sei nicht rechtsmißbräuchlich, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Die Rechtsbeschwerdeführer haben auch keinen Rechtsfehler aufgezeigt, sondern wiederholen im wesentlichen lediglich ihre Argumentation aus den Vorinstanzen, mit denen sich das Landesarbeitsgericht bereits hinreichend befaßt hat. Das gilt insbesondere für die wiederholte Behauptung der Betriebsräte, die Antragsteller handelten als "Strohmänner" lediglich auf Weisung und im Interesse der Arbeitgeberin. Dafür fehlen auch im Vorbringen dritter Instanz konkrete Anhaltspunkte.
    • Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß die Antragsteller nicht gehindert sind, geltend zu machen, daß nur ein einheitlicher Betriebsrat hätte gewählt werden dürfen, weil die Betriebsstätte L nicht betriebsratsfähig sei.

      • Die Antragsteller sind an die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. Januar 1995 bereits deshalb nicht gebunden, weil das Landesarbeitsgericht Köln in jener Entscheidung keine der Rechtskraft fähige Sachentscheidung getroffen, sondern den damaligen Antrag der Arbeitgeberin als unzulässig zurückgewiesen hatte.
      • An die Zusage der Arbeitgeberin vom 30. September 1983, die fehlende Betriebsratsfähigkeit der Betriebsstätte L nicht geltend zu machen, sind die Antragsteller nicht gebunden. Denn sie haben eine solche Zusage nicht abgegeben. Es kann daher dahinstehen, ob eine Zusage angesichts der Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG (in der bis zum 27. Juli 2001 geltenden Fassung) überhaupt wirksam abgegeben werden konnte.
    • Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Betriebsstätte L sei weder ein eigenständiger Betrieb iSd. § 1 BetrVG noch ein als selbständiger Betrieb geltender Betriebsteil iSd. § 4 Satz 1 BetrVG, wird von den Rechtsbeschwerden nur insoweit angegriffen, als das Landesarbeitsgericht eine räumlich weite Entfernung zwischen der Betriebsstätte L und dem K Hauptbetrieb iSd. § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG verneint hat. Indessen hat das Landesarbeitsgericht seine diesbezügliche Würdigung unter hinreichender Berücksichtigung der Rechtsprechung und des Vortrags der Beteiligten rechtsfehlerfrei begründet. Insoweit wiederholen die rechtsbeschwerdeführenden Betriebsräte lediglich ihre Argumentation aus den Vorinstanzen. Einen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts haben sie damit nicht aufgezeigt, zumal die Betriebsräte Wegstrecken bzw. Fahrzeiten und damit Verkehrsverbindungen angegeben haben, die regelmäßig sogar im innerstädtischen Verkehr einer Großstadt anzutreffen sind.
    • Gegen die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Betriebsstätte sei auch nicht iSd. § 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig, wenden sich die Rechtsbeschwerden zu Recht nicht. Auch diese Würdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
 

Unterschriften

Dörner, Steckhan, Linsenmaier, U. Zachert, Zumpe

 

Fundstellen

Haufe-Index 776513

DB 2002, 2003

ARST 2002, 219

JR 2003, 307

NZA 2002, 1231

SAE 2002, 298

EzA-SD 2002, 10

EzA

NJOZ 2003, 1542

SPA 2002, 7

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