Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahlanfechtung. Betriebsbegriff

 

Normenkette

BetrVG §§ 4, 1 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LAG München (Beschluss vom 27.02.1996; Aktenzeichen 6 TaBV 7/95)

ArbG München (Beschluss vom 11.01.1995; Aktenzeichen 17 z BV 116/94)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts München vom 27. Februar 1996 – 6 TaBV 7/95 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Wahl eines einheitlichen Betriebsrats.

Die antragstellende Arbeitgeberin ist die Niederlassung eines holländischen Luftfahrtunternehmens mit Sitz in N.. Das Luftfahrtunternehmen befördert sowohl Passagiere als auch Fracht. Dazu unterhält es u.a. auch in der Bundesrepublik Deutschland Reservierungszentralen, Abfertigungsbüros und Frachtbüros. Die deutschen Aktivitäten der Arbeitgeberin werden von ihrer Niederlassung in N. aus koordiniert.

Auf dem Gelände des Münchener Flughafens „Franz-Josef-Strauß” betreibt die Arbeitgeberin ein Abfertigungsbüro mit 41 Mitarbeitern sowie ein Frachtbüro mit 11 Beschäftigten. Ihre Reservierungszentrale, in der 14 Angestellte beschäftigt sind, ist im Zentrum Münchens gelegen. Die Bereiche Fracht, Passage und Reservierung verfügen über eigene Leiter, die ihrerseits der Zentrale in N. unterstellt sind. Die örtlichen Bereichsleiter erstellen in eigener Verantwortung Dienst-, Schicht- und Urlaubspläne und ordnen Überstunden an. Die Bezahlung der Mitarbeiter erfolgt einheitlich nach einem Haustarifvertrag; Entscheidungen über Gehaltserhöhungen trifft die Zentrale in N., die auch die Personalakten aller Mitarbeiter führt und Personalanfragen beantwortet. Die Einstellung der Arbeitnehmer erfolgt auf der Grundlage einheitlicher Vertragsmuster, die von der Zentrale vorgegeben werden.

Bei der am 15. April 1994 durchgeführten Betriebsratswahl, deren Wahlergebnis noch am gleichen Tag bekanntgegeben worden ist, wurde für die in München angesiedelten Bereiche Fracht, Passage und Reservierung ein einheitlicher Betriebsrat gewählt. Mit ihrem am 29. April 1994 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Antrag wurde die Betriebsratswahl von der Arbeitgeberin mit der Begründung angefochten, es habe kein einheitlicher Betriebsrat gewählt werden dürfen. Bei den Bereichen Fracht, Passage und Reservierung handele es sich um voneinander getrennte und selbständige organisatorische Einheiten. Deren Leiter übten Arbeitgeberfunktionen in den wesentlichen personellen und sozialen Mitbestimmungsangelegenheiten aus. Sie seien im Rahmen des ihnen zur Verfügung stehenden Budgets zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern befugt.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Betriebsratswahl vom 15. April 1994 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Seiner Ansicht nach war die Wahl eines einheitlichen Betriebsrats rechtens, weil die wesentlichen Arbeitgeberentscheidungen für alle drei Bereiche einheitlich von der Zentrale in N. getroffen würden.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt. Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der Betriebsrat die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, während die Arbeitgeberin die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Betriebsratswahl vom 15. April 1994 für unwirksam erklärt. Bei den in München angesiedelten Organisationsbereichen Fracht, Passage und Reservierung handelt es sich um eigenständige Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, für die kein einheitlicher Betriebsrat zu wählen ist.

1. Das Landesarbeitsgericht hat seiner rechtlichen Würdigung zutreffend den von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verwendeten Betriebsbegriff zugrunde gelegt. Das stellt auch die Rechtsbeschwerde nicht in Frage.

a) Danach ist der Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Unternehmer allein oder zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen oder immateriellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke zusammengefaßt, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden (BAG Beschluß vom 14. September 1988 – 7 ABR 10/87BAGE 59, 319 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrVG 1972, zu B 2 der Gründe; BAG Beschluß vom 29. Mai 1991 – 7 ABR 54/90BAGE 68, 67 = AP Nr. 5 zu § 4 BetrVG 1972, zu B II 1 der Gründe, m.w.N.). Demgegenüber ist ein Betriebsteil zwar auf den Zweck des Hauptbetriebs ausgerichtet und in dessen Organisation eingegliedert, ihm gegenüber aber räumlich und/oder organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbständigt (BAG Beschluß vom 25. September 1986 – 6 ABR 68/84BAGE 53, 119 = AP Nr. 7 zu § 1 BetrVG 1972, zu 3 der Gründe, m.w.N.). Betriebsteile gelten unter den Voraussetzungen des § 4 Satz 1 BetrVG als selbständige Betriebe, wenn in ihnen die nach § 1 BetrVG geforderte Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt wird und sie entweder räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind. Für die Differenzierung zwischen Betrieb und Betriebsteil ist entscheidend der Grad der Verselbständigung, der im Umfang der Leitungsmacht zum Ausdruck kommt. Erstreckt sich die Leitungsmacht auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten, handelt es sich um einen Betrieb i.S. des § 1 BetrVG. Demgegenüber genügt für einen Betriebsteil i.S. des § 4 Satz 1 BetrVG das Bestehen einer eigenen Leitung, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt (BAG Beschluß vom 29. Mai 1991, a.a.O., zu B II 2 der Gründe; BAG Beschluß vom 20. Juni 1995 – 7 ABR 59/94 – AP Nr. 8 zu § 4 BetrVG 1972, zu B I 2 der Gründe).

b) Ob mehrere räumlich getrennte arbeitstechnische Organisationseinheiten jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit betriebsverfassungsrechtlich als Betrieb anzusehen sind, entscheidet sich nach der Beschaffenheit der Leitungsstruktur. Verfügen die Organisationseinheiten über eine institutionell verankerte einheitliche Leitungsmacht, handelt es sich um einen einheitlichen Betrieb, für den auch ein gemeinsamer Betriebsrat zu wählen ist. Das gilt gleichermaßen für Betriebe i.S. des § 1 BetrVG als auch für Betriebsteile i.S. des § 4 Satz 1 BetrVG. Letztere können als organisatorisch abgegrenzte, vom Hauptbetrieb entfernte Teile eines Betriebes bei räumlicher Nähe zueinander einheitliche Betriebsteile bilden, wenn der eine Betriebsteil dem anderen räumlich nahe gelegenen Betriebsteil organisatorisch untergeordnet und dessen Leitung unterstellt ist (BAG Beschluß vom 29. Mai 1991, a.a.O., zu B II 3 der Gründe).

2. Danach sind die Voraussetzungen für die Wahl eines gemeinsamen Betriebsrats der in München gelegenen Organisationseinheiten Fracht, Passage und Reservierung nicht erfüllt. Ob die genannten arbeitstechnischen Organisationseinheiten Betriebe i.S. des § 1 BetrVG sind, wie das Landesarbeitsgericht annimmt, oder es sich um als selbständig geltende Betriebe i.S. des § 4 Satz 1 BetrVG handelt, bedarf keiner Entscheidung. Denn in jedem Fall fehlt es an einer institutionalisierten einheitlichen Leitung, die vor Ort für alle drei Organisationseinheiten gemeinsam wesentliche Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten wahrnimmt oder zumindest Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt.

a) Nach den mit zulässigen Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die Bereiche Fracht, Passage und Reservierung organisatorisch voneinander getrennt und institutionell verschiedenen Leitern unterstellt. Diese führen die ihnen zugeordneten Bereiche jeweils unabhängig voneinander. Entscheidungs- bzw. Weisungsbefugnisse gegenüber den anderen Arbeitnehmern des jeweils anderen Bereichs stehen ihnen nicht zu. Innerhalb ihres Bereichs sind sie im Rahmen des ihnen zur Verfügung stehenden Budgets zur selbständigen Einstellung und Entlassung befugt. Sie erstellen für ihren Bereich Dienst- und Schichtpläne, sie sind verantwortlich für die Gewährung von Urlaub und ordnen Überstunden an. Anhaltspunkte für eine institutionalisierte einheitliche Leitung sind nicht erkennbar.

b) Zu Unrecht sieht die Rechtsbeschwerde die Arbeitgeberfunktion der örtlichen Bereichsleiter durch die der Zentrale in N. vorbehaltenen Aufgaben der Personalaktenführung und -verwaltung, den Unterrichtungspflichten der Bereichsleiter in personellen und sozialen Angelegenheiten sowie der Mitzeichnungsbefugnis des der Zentrale zugeordneten Personalleiters in Frage gestellt. Zu letzterem hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß die Unterschriftsberechtigung des Personalleiters in der Niederlassung in N. bei Kündigungen nur formellen Charakter hat und die Entscheidungs- sowie die Weisungsbefugnis der örtlichen Bereichsleiter unberührt läßt. Die übrigen vom Betriebsrat genannten Kriterien, wie etwa die Verwendung einheitlicher Arbeitsvertragsmuster oder die zentrale Personalaktenführung, sind stärker dem unternehmerisch planerischen Bereich zuzuordnen und gegenüber den Arbeitgeberbefugnissen der örtlichen Bereichsleiter in personellen und sozialen Fragen von untergeordneter Bedeutung.

Im übrigen rechtfertigt auch das Vorbringen des Betriebsrats nicht die Wahl eines einheitlichen Betriebsrats für die drei Münchener Organisationsbereiche. Es könnte allenfalls dazu führen, daß die Mitarbeiter in München überhaupt keinen eigenständigen Betriebsrat wählen durften, sondern an der Wahl des Betriebsrats in N. zu beteiligen wären.

 

Unterschriften

Dörner, Steckhan, Schmidt, Niehues, Metzinger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1091010

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