Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten. Wahlfeststellung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist auch dann eröffnet, wenn der Kläger entweder Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person ist.

Es handelt sich um eine auch bei der Rechtswegzuständigkeit zulässige Wahlfeststellung.

 

Normenkette

GVG § 17a; ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Nr. 1 S. 2, § 48

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Beschluss vom 10.05.1996; Aktenzeichen 11 Ta 64/96)

ArbG Köln (Beschluss vom 12.12.1995; Aktenzeichen 12 Ca 1132/95)

 

Tenor

  • Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 10. Mai 1996 – 11 Ta 64/96 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
  • Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.
 

Tatbestand

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erhoben mit dem Antrag

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 18. Januar 1995 beendet worden ist, sondern darüber hinaus unverändert fortbesteht.

Der Kläger war für die Beklagte in den Bereichen Werbung, Marketing, Grafik und Grafikdesign tätig. Dem lag ein Vertrag vom 3. Februar 1993 zugrunde, in dem die Beklagte als “Auftraggeber” und der Kläger als “freier Mitarbeiter” bezeichnet wurde. In dem Vertrag heißt es:

“§ 3

Arbeitsgebiete

  • Der freie Mitarbeiter ist frei in der Bestimmung seines Arbeitsortes und seiner Arbeitszeit. Dies gilt nicht für die Wahrnehmung von Terminen, Besprechungen, Kundenbesuchen, Besuch von Messen o.ä. für den Auftraggeber.
  • Vom Auftraggeber wird dem freien Mitarbeiter ein Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten des Auftraggebers zur Verfügung gestellt.

§ 4

Vergütung/Nebenleistung

1. Der freie Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit eine Vergütung, die monatlich zum Monatsende gezahlt wird. Ausgangspunkt für die Errechnung sind die geleisteten Arbeitseinheiten, die vom freien Mitarbeiter dem Auftraggeber in Rechnung gestellt werden.

2. Steuern führt der freie Mitarbeiter selbst ab, desgleichen alle Leistungen an gesetzliche oder private Versicherer.

3. Der freie Mitarbeiter ist mehrwertsteuerpflichtig und weist die Mehrwertsteuer auf der Rechnung gesondert aus. Der freie Mitarbeiter führt die vom Auftraggeber an ihn ausgezahlte Mehrwertsteuer an das Finanzamt ab.

§ 6

Aufwendungsersatz

  • Arbeitsmittel werden nach Absprache zur Verfügung gestellt, soweit sie vom freien Mitarbeiter angefordert werden.
  • Der Auftraggeber ersetzt dem freien Mitarbeiter die Aufwendungen, die zur Arbeitsdurchführung erforderlich sind. Art der Aufwendungen und Umfang bedürfen der vorherigen Absprache. Dies gilt ebenso für Reisekosten.

§ 8

Wettbewerbsverbot

  • Dem freien Mitarbeiter ist es untersagt, für Kunden des Auftraggebers während des Vertragsverhältnisses direkt und/oder auf eigene Rechnung zu arbeiten. Zuwiderhandlungen führen zu einer fristlosen Beendigung des Vertragsverhältnisses.
  • Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ist dem freien Mitarbeiter für die Dauer von 12 Monaten untersagt für Kunden des Auftraggebers tätig zu sein. Bei Zuwiderhandlungen wird der freie Mitarbeiter in Regreß genommen.”

Der Kläger meldete ein Gewerbe an und stellte der Beklagten monatlich Rechnungen, und zwar für Februar bis November 1993 in der Höhe zwischen 3.920,00 DM und 9.780,00 DM, für Dezember 1993 in Höhe von 18.530,00 DM und für die Monate Januar bis Dezember 1994 in Höhe von 5.700,00 DM bis 14.090,00 DM, jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer.

Unter den Bezeichnungen “Grafikfotografiedesign” und “Werbungfotografiedesign” versandte der Kläger geschäftliche Schreiben. Als Adresse war die Geschäftsadresse der Beklagten angegeben.

Mit Schreiben vom 18. Januar 1995 kündigte die Beklagte das Rechtsverhältnis wegen einer angeblichen vom Kläger begangenen Unterschlagung fristlos.

Der Kläger hält den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für gegeben. Er vertritt die Auffassung, Arbeitnehmer zu sein und behauptet: Er sei ausschließlich für die Beklagte tätig geworden und habe montags bis donerstags eine Bürozeit von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr und freitags von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr einzuhalten gehabt. Urlaub habe er nur in Abstimmung mit dem Geschäftsführer der Beklagten nehmen können. Es sei ein festes Nettomonatsentgelt von 5.000,00 DM verabredet worden. Da er jedoch angehalten worden sei, als freier Mitarbeiter in Erscheinung zu treten, habe er der Beklagten zusätzliche Beträge, welche für Steuern, betriebliche Altersversorgung, Autoleasing und Telefon angefallen seien, in Rechnung gestellt.

Die Beklagte hält die Arbeitsgerichte für unzuständig. Der Kläger sei weder Arbeitnehmer noch arbeitnehmerähnliche Person gewesen. Er habe sich seine Arbeit völlig frei eingeteilt und auch ohne Absprache Urlaub genommen. Er sei 1993 im Monatsdurchschnitt nur ca. 70 Stunden tätig geworden. Lasse man den Monat mit der höchsten Arbeitszeit (Dezember 1993) und den mit der niedrigsten Arbeitszeit (März 1993) außer Betracht, so ergebe sich ein Mittelwert von nur 60,3 Stunden pro Monat. 1994 habe er durchschnittlich 81 Stunden gearbeitet, und wenn man den Monat der höchsten und den mit der niedrigsten Arbeitszeit außer Betracht lasse, nur 79,2 Stunden pro Monat. Der Kläger sei unter seiner eigenen Firma auch für weitere Auftraggeber tätig geworden und habe zusammen mit seiner Lebensgefährtin auch noch einen Wein- und Spiritousenhandel unter der Bezeichnung “Weinkeller O…” betrieben.

 

Entscheidungsgründe

II. Die weitere sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend den Rechtsweg zu Gerichten für Arbeitssachen für gegeben erachtet. Dies folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 3b in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1, 2 ArbGG.

Es kann dahinstehen, ob der Kläger Arbeitnehmer war und dazu hinreichend substantiiert vorgetragen hat. Daran könnten Zweifel bestehen, weil er nicht dargetan hat, wer von ihm wann eine tägliche Anwesenheit von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr bzw. von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr verlangt hat, wann ihm welche Weisungen erteilt wurden, worin seine Tätigkeit im einzelnen bestand und was er mit dem Geschäftsführer der Beklagten wann vereinbart hat. Zumindest war der Kläger aber arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Auch bei Zuständigkeitsfragen ist eine Wahlfeststellung zulässig.

1. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen auch für solche Mitarbeiter gegeben, “die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind”. Das Arbeitsgerichtsgesetz hat den Begriff dieser Personengruppe nicht selbst bestimmt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Diese Gruppe unterscheidet sich von den Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, wobei vor allem die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Arbeitnehmerähnliche Personen sind wegen ihrer fehlenden Eingliederung in eine betriebliche Organisation und im wesentlichen freier Zeitbestimmung nicht im gleichen Maße persönlich abhängig wie Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Dabei kann eine arbeitnehmerähnliche Person für mehrere Auftraggeber tätig sein. Jedoch ist für sie kennzeichnend, daß die Beschäftigung für einen der Auftraggeber wesentlich und die hieraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt. Hinzukommen muß, daß der wirtschaftlich Abhängige auch seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozialschutzbedürftig ist (BAGE 66, 113, 116 = AP Nr. 9 zu § 5 ArbGG 1979, zu II 3a der Gründe; Beschluß vom 6. Juli 1995 – 5 AZB 9/93 – AP Nr. 22 zu § 5 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II der Gründe).

2. Zumindest diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Parteien hatten eine auf Dauer angelegte enge Zusammenarbeit vereinbart. Der Kläger war – wie die Beklagte nicht bestritten hat – mit Ausnahme von Krankheits- und Urlaubstagen an jedem Arbeitstag für die Beklagte in deren Räumen tätig. Der Kläger wurde monatlich nach geleisteten “Arbeitseinheiten” bezahlt. Die genaue Dauer der täglichen und monatlichen Arbeitszeit kann hier dahinstehen. Auch nach den Behauptungen der Beklagten handelte es sich auf den einzelnen Arbeitstag bezogen etwa um eine Halbtagsbeschäftigung. Der Kläger war von der Beklagten wirtschaftlich abhängig. Die Einkünfte aus dieser Tätigkeit stellten die entscheidende Existenzgrundlage dar. Das hat der Kläger durch Vorlage des Einkommenssteuerbescheides 1994 nachgewiesen. Aus diesen Umständen ergibt sich zugleich, daß der Kläger seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig ist.

3. Nach alledem ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben. Das Arbeitsgericht hat zu prüfen, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist. Sie kann auch dann unwirksam sein, wenn der Kläger kein Arbeitnehmer, sondern freier Dienstnehmer (freier Mitarbeiter) war (§ 626 BGB). Ggf. ist in der Sache zu prüfen, ob der Kläger Arbeitnehmer war.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 884908

NJW 1997, 1724

JR 1997, 440

NZA 1997, 399

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