Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei Überschreiten der Jahresarbeitszeit. Mitbestimmung bei Überschreiten einer tariflichen Jahresarbeitszeit. Globalantrag. Unterlassungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

Eine tarifliche Jahresarbeitszeit ist in der Regel nicht gleichbedeutend mit der betriebsüblichen Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Das Überschreiten der Jahresarbeitszeit als solches löst deshalb regelmäßig nicht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus.

 

Orientierungssatz

1. Die Einschränkung des mit einem Globalantrag verfolgten Begehrens auf bestimmte Fallkonstellationen stellt nicht ein minus, sondern eine Antragsänderung dar, die in der Rechtsbeschwerdeinstanz regelmäßig nicht mehr zulässig ist.

2. Eine tarifliche Jahresarbeitszeit bestimmt in der Regel den Umfang der vom Arbeitnehmer als Gegenleistung für seine Vergütung während eines Jahres insgesamt zu erbringenden Arbeitsleistung. Sie besagt damit nichts über den Umfang der betriebsüblichen Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Dieser wird bestimmt durch die Verteilung der Jahresarbeitszeit auf einzelne (zB tägliche oder wöchentliche) Zeitabschnitte.

3. Das Überschreiten der Jahresarbeitszeit als solches ist mitbestimmungsrechtlich regelmäßig ohne Bedeutung.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nrn. 2-3; Tarifvertrag zur Regelung einer Jahresarbeitszeit für die Arbeitnehmer der DB AG vom 1. Januar 1998 §§ 2, 4, 6

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Beschluss vom 19.10.2000; Aktenzeichen 5 TaBV 5/2000)

ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 22.09.1999; Aktenzeichen 14 Bv 23/99)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. Oktober 2000 – 5 TaBV 5/2000 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Überschreitung der tariflichen Jahresarbeitszeit.

Die Arbeitgeberin unterhält in F. das sog. Netz-Projekt- und Realisierungszentrum Mitte. Sie beschäftigt dort mehrere hundert Arbeitnehmer. Antragsteller ist der von diesen gewählte Betriebsrat. Die Arbeitgeberin ist gebunden an die Tarifverträge für die Arbeitnehmer der Deutsche Bahn AG, ua. an den seit dem 1. Januar 1998 geltenden „Tarifvertrag zur Regelung einer Jahresarbeitszeit” (JazTV). Dieser enthält folgende Regelungen:

㤠2

Jahresarbeitszeit

(1) Die tarifvertragliche regelmäßige Jahresarbeitszeit des Vollzeitarbeitnehmers beträgt ausschließlich der Pausen 1984 Stunden im Kalenderjahr; dies entspricht einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,0 Stunden in einem Abrechnungszeitraum von 52,2 Wochen/Jahr. …

§ 3

Überzeitarbeit

(1) Überzeitarbeit ist die Arbeit, die vom Arbeitnehmer auf Anordnung über die jeweils geltende regelmäßige tarifvertragliche Jahresarbeitszeit (§ 2) – mindestens jedoch über mehr als 1984 Stunden/Jahreszeitraum – hinaus geleistet wird. …

§ 4

Zeitkonten

(1) Für den Arbeitnehmer wird ein Arbeitszeitkonto geführt, das der Feststellung der tarifvertraglich anzurechnenden Arbeitszeit für die angeordnete und geleistete Arbeit und der arbeitszeitrechtlichen Grundlagen für das Entgelt dient; dazu werden die jeweils zu erbringende Jahresarbeitszeit (§§ 2 und 7 Abs. 2) und die geleistete bzw. anzurechnende Arbeitszeit fortlaufend saldiert.

(2) Der Einsatz des Arbeitnehmers soll mit dem Ziel eines ausgeglichenen Ergebnisses am Ende eines Jahresabrechnungszeitraumes geregelt werden. Dazu ist das Arbeitszeitkonto zeitnah auszugleichen.

§ 6

Verteilung der Jahresarbeitszeit

(1) Der Verteilung der tarifvertraglich regelmäßigen Jahresarbeitszeit werden 261 Arbeitstage zugrunde gelegt. Soweit es Kundenorientierung, Wettbewerbsfähigkeit oder betriebliche Belange der DB AG erfordern, kann die Arbeitszeit auf die Wochentage Montag bis Sonntag – auch ungleichmäßig – verteilt und innerhalb des Zeitraumes gemäß § 2 nach betrieblichen Erfordernissen eingeteilt werden. …

(3) Die Arbeitszeit ist jeweils im Rahmen der gesetzlich und tarifvertraglich maßgebenden Bestimmungen und unter Beachtung des § 87 BetrVG einzuteilen; dabei gilt insbesondere:

1. Die tägliche Arbeitszeit (§ 3 ArbZG) des Arbeitnehmers darf grundsätzlich 10 Stunden nicht überschreiten; …

2.c) Regelmäßige tägliche Arbeitszeiten, die mit mehr als 30 Minuten in die Zeit von 22.30 bis 1.30 Uhr fallen, sollen nicht mehr als fünfmal hintereinander angesetzt werden. …

4. Unter Berücksichtigung betrieblicher Erfordernisse soll der einzelne Arbeitnehmer in der Regel nur an durchschnittlich 5 Tagen je Woche zu arbeiten haben; dabei soll die Arbeitszeit eines regelmäßig nur während der Tageszeitspanne (6.00 bis 20.00 Uhr) eingesetzten Arbeitnehmers grundsätzlich auf die Werktage, möglichst jedoch auf die Wochentage Montag bis Freitag, verteilt werden.

5. Die regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers darf an 7 nacheinander folgenden Kalendertagen planmäßig insgesamt 55 Stunden grundsätzlich nicht überschreiten; aus betrieblichen Gründen darf jedoch mit Zustimmung des Betriebsrates eine höhere regelmäßige Arbeitszeit je 7-Tage-Zeitraum planmäßig bestimmt werden. …”

Auf der Grundlage dieses Tarifvertrags schlossen die Betriebsparteien am 26. Februar 1998 eine „Betriebsvereinbarung über die Anwendung der Jahresarbeitszeit”. Darin heißt es ua.:

㤠1

Geltungsbereich

Die Vereinbarung findet Anwendung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb … und die dem Betrieb zugewiesenen Beamtinnen und Beamten. …

§ 4

Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit

Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Bedürfnissen. Die persönlichen Belange der Arbeitnehmer sind hierbei zu berücksichtigen.

  1. Für Vollzeitbeschäftigte gilt grundsätzlich die 5-Tagewoche. Abweichungen hiervon bedürfen der Zustimmung des Betriebsrates.
  2. Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit wird für die einzelnen Organisationseinheiten wie folgt festgelegt:

    Montag bis Donnerstag

    ausschließlich einer Pause von 30 Minuten

    Uhr – 16.00 Uhr

    Freitag

    ausschließlich einer Pause von 30 Minuten

    Uhr – 14.00 Uhr

  3. Alle Arbeitnehmer können den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit, abweichend von der Regelarbeitszeit, bis zu jeweils einer Stunde selbst bestimmen. Hierzu bedarf es nicht der Zustimmung des Vorgesetzten. Die Regelarbeitszeit kann ohne Zustimmung des Betriebsrates täglich bis zu einer Stunde verlängert bzw. verkürzt werden. …
  4. Einsatzpläne, Schichtpläne, Unfallbereitschaftspläne, Störungsbereitschaftspläne, Schneebereitschaftspläne und Dienstpläne jeglicher Art sowie Abweichungen von der Regelarbeitszeit, welche über die Vereinbarungen des § 4 Nr. 2 u. 3 dieser BV hinausgehen, bedürfen der Zustimmung des Betriebsrates gemäß § 87 BetrVG.

    Im übrigen gelten die gesetzlichen und tarifvertraglichen Schutzbestimmungen.”

Ausweislich des Standes ihrer Jahresarbeitszeitkonten am 31. Oktober 1998 hatten verschiedene Mitarbeiter der Arbeitgeberin zu diesem Zeitpunkt eine Jahresarbeitszeit von insgesamt 1.984 Stunden bereits überschritten, andere standen kurz davor. Mit Schreiben vom 12. November und 1. Dezember 1998 wies der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf diesen Umstand hin und verlangte seine Beteiligung gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG, bevor Mitarbeiter über 1.984 Stunden hinaus mit „Überzeit/Mehrleistung” beschäftigt würden. Die Arbeitgeberin lehnte eine solche Beteiligung ab.

Mit Schriftsatz vom 27. Januar 1999 leitete der Betriebsrat das vorliegende Verfahren ein. Er hat unwidersprochen behauptet, daß im Jahr 1998 die Summe der Jahresarbeitszeiten aller Mitarbeiter des Betriebs um insgesamt etwa 11.000 Stunden überschritten worden sei. Er hat die Auffassung vertreten, dem liege im jeweiligen Einzelfall die vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit über 1.984 Stunden für Arbeitnehmer und 2.011 Stunden für Beamte hinaus zugrunde. Auf diese Weise habe die Arbeitgeberin sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verletzt.

Der Betriebsrat hat beantragt,

die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, Arbeitnehmer des Betriebs, einschließlich zugewiesener Beamte, während eines Kalenderjahres ohne seine vorherige Zustimmung bzw. ersetzenden Spruch der Einigungsstelle an mehr Jahresarbeitsstunden als tarifvertraglich bzw. nach Maßgabe der beamtenrechtlichen Vorschriften zulässig (1.984 bzw. 2.011 Stunden zur Zeit) zu beschäftigen bzw. Arbeitsleistung über die zulässige Jahresarbeitszeit hinaus von diesen Arbeitnehmern entgegenzunehmen.

Erstmals in der Revisionsinstanz hat der Betriebsrat hilfsweise beantragt

festzustellen, daß ihm bei der Überschreitung der Jahresarbeitszeit im Sinne des Hauptantrags ein Mitbestimmungsrecht dann zusteht, wenn die Überschreitung der tarifvertraglich zulässigen Jahresarbeitszeit dadurch entsteht,

  1. daß Arbeitnehmer des Betriebs von der in § 4 Ziffer 3 der Betriebsvereinbarung vom 26. Februar 1998 (Betriebsvereinbarung über die Anwendung der Jahresarbeitszeit) [zu ergänzen: eröffneten Möglichkeit] Gebrauch machen, täglich bis zu einer Stunde verlängert zu arbeiten;
  2. daß Arbeitnehmer des Betriebs eine Überzeitarbeit des Vorjahres im Folgejahr auf ein Freizeitkonto übertragen und dieses nicht vollständig abbauen, so daß die Summe aus der Zahl der tatsächlich gearbeiteten Stunden und dem Freizeitkonto mehr als die im Hauptantrag genannte Zahl beträgt;
  3. daß Arbeitnehmer des Betriebs wegen Übertragung eines Minussaldos in das folgende Jahr zusätzlich zu der regelmäßigen Jahresarbeitszeit den übertragenen Minussaldo ganz oder teilweise abarbeiten.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, aus der Überschreitung der Jahresarbeitszeit auf dem Zeitkonto könne nicht auf die Leistung von Mehrarbeit geschlossen werden. Das Konto erfasse – etwa mit Urlaubs- und Krankheitszeiten oder Freizeitausgleich – auch Zeiten, in denen tatsächlich nicht gearbeitet worden sei. Im übrigen habe der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht mit dem Abschluß der Betriebsvereinbarung über die Anwendung der Jahresarbeitszeit bereits ausgeübt.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses, ggf. nach Maßgabe des Hilfsantrags.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat den Hauptantrag zu Recht abgewiesen. Dem Betriebsrat steht der geltend gemacht Unterlassungsanspruch mangels eines zugrunde liegenden Mitbestimmungsrechts nicht zu. Mit dem Hilfsantrag konnte der Betriebsrat in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht mehr gehört werden.

I. Die Anträge sind nur teilweise zulässig.

1. An der Zulässigkeit des Hauptantrags als Leistungsantrag bestehen auch im Hinblick auf § 253 ZPO keine Bedenken. Der Antrag ist hinreichend bestimmt. Nimmt der Betriebsrat den Arbeitgeber auf Unterlassung von Handlungen in Anspruch, müssen diese so genau dargelegt werden, daß keine Zweifel darüber entstehen können, welches Verhalten vom Antrag erfaßt sein soll. Richtet sich der Antrag auf die Unterlassung angeblich mitbestimmungswidriger Handlungen, müssen die Fallgestaltungen, für die ein Mitbestimmungsrecht in Anspruch genommen wird, exakt angegeben werden. Diesen Bestimmtheitsanforderungen kann auch ein sog. Globalantrag genügen, mit dem ein Mitbestimmungsrecht generell und unabhängig vom Einzelfall geltend gemacht wird (BAG 3. Mai 1994 – 1 ABR 24/93 – BAGE 76, 364). Ob es tatsächlich in allen Fällen besteht, ist eine Frage der Begründetheit des Antrags. Im Streitfall begehrt der Betriebsrat die Unterlassung der Beschäftigung oder Entgegennahme von Arbeitsleistung eines jeden Arbeitnehmers oder Beamten, dessen Jahresarbeitszeitkonto den Stand von 1.984 bzw. 2.011 Stunden erreicht hat, solange nicht seine – des Betriebsrats – Zustimmung vorliegt oder ersetzt ist. Da die Zustimmungspflichtigkeit für jeden Arbeitnehmer und Beamten und für jeden Fall des Überschreitens der Zeitgrenze in Anspruch genommen wird, ist dieses Begehren ausreichend bestimmt.

2. Der erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellte Hilfsantrag ist unzulässig. Er stellt eine in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht mehr mögliche Antragsänderung dar. Eine Antragsänderung liegt vor, wenn der bisherige Streitgegenstand des Verfahrens geändert und erweitert wird. Der Betriebsrat hat zwar die Auffassung vertreten, es handele sich insoweit um eine „sachdienliche Konkretisierung”. Ein Feststellungsantrag kann aber einen Unterlassungsantrag nicht konkretisieren, denn die unterschiedlichen Antragsarten verfolgen verschiedene Prozeßziele.

Das Feststellungsbegehren ist auch nicht etwa als minus bereits im Unterlassungsantrag enthalten. Gegenstand eines globalen Unterlassungsantrags sind sämtliche tatsächlichen Fallgestaltungen, die vom Antrag erfaßt werden. Einschränkende Voraussetzungen, die bislang nicht zum Inhalt des Antrags erhoben worden sind, stellen im Vergleich zu diesem nicht ein minus, sondern etwas anderes dar (BAG 3. Mai 1994, aaO). Sie erweitern nämlich das für die Sachentscheidung erforderliche Prüfprogramm, so beispielsweise im vorliegenden Fall um die Frage, ob Zeitguthaben möglicherweise bereits vor der Betriebsvereinbarung 1998 entstanden sind. Das schließt es nicht nur aus, daß das Gericht von sich aus einen als Globalantrag unbegründeten Antrag auf die begründeten Fälle einschränkt, sondern auch, daß der Betriebsrat selbst diese Einschränkungen erst in der Rechtsbeschwerdeinstanz zum Antragsinhalt macht. Zwar ergeben sich in diesem Fall keine Bedenken aus § 308 ZPO, doch widerspricht die darin liegende sachliche Antragserweiterung in der Rechtsbeschwerdeinstanz dem auch für das Beschlußverfahren geltenden § 561 Abs. 1 ZPO (BAG 29. Juli 1982 – 6 ABR 51/79 – BAGE 39, 259 mwN).

II. Der Hauptantrag ist nicht begründet. Der vom Betriebsrat geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht nicht. Zwar kann ein Betriebsrat zu erwartende Verstöße des Arbeitgebers gegen sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs geltend machen (grundlegend BAG 3. Mai 1994, aaO; 23. Juli 1996 – 1 ABR 13/96 – AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 68 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 56 mwN). Im Streitfall ist aber ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in den vom Antrag erfaßten Fällen nicht gegeben. In Betracht kommt allein ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor.

1. Die Mitbestimmung des Betriebsrats scheidet nicht wegen § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG schon deshalb aus, weil eine tarifliche Regelung bestünde. Weder der JazTV noch der ab dem 1. Juli 1997 geltende Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der DB AG treffen eine Bestimmung darüber, unter welchen Voraussetzungen, in welchem Umfang und von welchen Arbeitnehmern oder Beamten länger als im Betrieb üblich gearbeitet werden soll. § 6 JazTV hat lediglich die mögliche Verteilung der tariflichen Jahresarbeitszeit auf eine bestimmte Anzahl von Arbeitstagen und auf bestimmte Wochentage zum Gegenstand, ohne selbst eine abschließende Regelung zu treffen.

2. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Die betriebsübliche Arbeitszeit im Sinne dieser Vorschrift ist nicht gleichbedeutend mit der tariflichen Jahresarbeitszeit nach § 2 Abs. 1 JazTV oder der Jahresarbeitszeit, die für die gemäß § 12 Deutsche-Bahn-Gründungsgesetz bei der Antragsgegnerin beschäftigten Beamten gilt.

a) Betriebsübliche Arbeitszeit ist die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit (BAG 16. Juli 1991 – 1 ABR 69/90 – AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 44 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 48 mwN). Sie wird bestimmt durch den regelmäßig geschuldeten zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung und die für ihn erfolgte Verteilung auf einzelne Zeitabschnitte (Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 87 Rn. 130; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 87 Rn. 375). Sie muß im Betrieb nicht einheitlich sein oder zumindest für die Mehrzahl der im Betrieb Beschäftigten zutreffen, sondern kann für einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedlich sein (BAG 23. Juli 1996, aaO). Ist die Verteilung des für einen bestimmten Zeitraum regelmäßig geschuldeten Arbeitszeitumfangs bis auf einzelne Wochentage vorgenommen worden, so ist die betriebsübliche Arbeitszeit die Dauer der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit. Bei der genauen Festlegung des täglichen Umfangs und der tageszeitlichen Lage dieser Arbeitszeit hat der Betriebsrat mitzubestimmen nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG; bei der vorübergehenden Verlängerung dieses regelmäßigen Arbeitszeitumfangs besteht ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Bei diesem geht es um die Frage, ob vorübergehend überhaupt weniger oder mehr, als betriebsüblich ist, gearbeitet werden soll und von wem, und ggf. um die Festlegung des Umfangs der von den Arbeitnehmern abweichend vom Üblichen geschuldeten Arbeitsleistung (BAG 19. Dezember 2000 – 3 AZR 186/00 – AP BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 19 = EzA BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 9 mwN).

b) Die tarifliche und die für Beamte der Arbeitgeberin geltende jährliche Arbeitszeit im Umfang von 1.984 bzw. 2.011 Stunden ist danach nicht die betriebsübliche Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Die Jahresarbeitsstunden stellen vielmehr das Arbeitszeitvolumen dar, das der einzelne Arbeitnehmer oder Beamte der Arbeitgeberin als Gegenleistung für seine Vergütung während eines Jahres insgesamt schuldet. Für eine Gleichsetzung der Jahresarbeitszeit mit der betriebsüblichen Arbeitszeit wäre Voraussetzung, daß weder die Tarifvertrags- noch die Betriebsparteien Regelungen zur Verteilung der Jahresarbeitszeit auf einen kürzeren Zeitraum als den eines Jahres getroffen, sondern diese Verteilung – im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes – gänzlich ins Belieben der Arbeitnehmer gestellt hätten. Das ist nicht der Fall.

aa) Schon die Tarifvertragsparteien selbst haben Bestimmungen für die Verteilung der Jahresarbeitszeit auf kürzere Zeitabschnitte getroffen. In § 2 JazTV wird darauf hingewiesen, daß die 1.984 Stunden im Kalenderjahr einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,0 Stunden in einem Abrechnungszeitraum von 52,2 Wochen entsprechen. In § 6 JazTV heißt es, der Verteilung der tarifvertraglichen regelmäßigen Jahresarbeitszeit würden 261 Arbeitstage zugrunde gelegt. Die Arbeitszeit könne – auch ungleichmäßig – auf sämtliche Wochentage verteilt werden. Nach § 6 Abs. 3 Nr. 4 JazTV soll dabei der einzelne Arbeitnehmer „in der Regel nur an durchschnittlich 5 Tagen je Woche” zu arbeiten haben und „die Arbeitszeit eines regelmäßig nur während der Tageszeitspanne … eingesetzten Arbeitnehmers grundsätzlich auf die Werktage, möglichst … auf die Wochentage Montag bis Freitag” verteilt werden. In § 6 Abs. 3 Nr. 5 JazTV schließlich ist bestimmt, daß „die regelmäßige Arbeitszeit der Arbeitnehmer … an 7 nacheinander folgenden Kalendertagen planmäßig insgesamt 55 Stunden grundsätzlich nicht überschreiten” dürfe; aus betrieblichen Gründen könne mit Zustimmung des Betriebsrats „eine höhere regelmäßige Arbeitszeit je 7-Tage-Zeitraum planmäßig bestimmt” werden. Aus diesen Regelungen geht hervor, daß die Tarifvertragsparteien die Jahresarbeitszeit nur als vergütungsrechtlich relevante Gesamtsumme der regelmäßigen wöchentlichen oder täglichen Arbeitszeiten, nicht aber als betriebsübliche Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verstanden haben. Letztere richtet sich vielmehr nach den Vorgaben zur Verteilung der Jahresarbeitszeit.

bb) Dementsprechend haben die Betriebsparteien in der „Betriebsvereinbarung über die Anwendung der Jahresarbeitszeit” nicht diese Jahresarbeitszeit als solche als die betriebsübliche Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG angesehen. Die Betriebsvereinbarung regelt vielmehr gerade die „Umsetzung der Jahresarbeitszeit im Betrieb”. Gemäß § 4 richten sich dabei „Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit” nach den betrieblichen Bedürfnissen und wird die „regelmäßige tägliche Arbeitszeit für die einzelnen Organisationseinheiten” in bestimmter Weise festgelegt. Nach § 4 Nr. 3 der Betriebsvereinbarung können alle Arbeitnehmer den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit, „abweichend von der Regelarbeitszeit”, bis zu jeweils einer Stunde – insgesamt also im Umfang von bis zu zwei Stunden unterhalb der regelmäßigen Arbeitszeit oder über diese hinaus – selbst bestimmen. Ferner kann „die Regelarbeitszeit” ohne Zustimmung des Betriebsrats von der Arbeitgeberin im Wege des Direktionsrechts bis zu einer Stunde verlängert oder verkürzt werden. Nach § 4 Nr. 4 der Regelungen bedürfen „Abweichungen von der Regelarbeitszeit, welche über die Vereinbarungen des § 4 Nr. 2 u. 3 dieser BV hinausgehen” der Zustimmung des Betriebsrats. Jahresarbeitszeit und mitbestimmte Regelarbeitszeit sind danach nicht identisch.

c) Die betriebsübliche Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist im Streitfall die im Betrieb der Arbeitgeberin nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung über die Anwendung der Jahresarbeitszeit vom 26. Februar 1998 für den einzelnen Arbeitnehmer geltende tägliche Arbeitszeit mit ihren von diesem selbst oder von der Arbeitgeberin im Einzelfall ohne Zustimmung des Betriebsrats bestimmbaren Variationsmöglichkeiten. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist deshalb dann zu beachten, wenn die regelmäßige betriebliche tägliche Arbeitszeit über die Regelungen in der Betriebsvereinbarung hinaus von der Arbeitgeberin verlängert werden soll. In all diesen Fällen wird es von der Arbeitgeberin jedoch unstreitig gewahrt. Das Überschreiten der regelmäßigen Jahresarbeitszeit von 1.984 bzw. 2.011 Stunden stellt dagegen keinen eigenen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand dar. Zu einer solchen Überschreitung kann es vielmehr schon auf der Grundlage der in der Betriebsvereinbarung getroffenen und deshalb vom Betriebsrat bereits mitbestimmten Regelungen kommen, etwa wenn die Arbeitnehmer von der in § 4 Nr. 3 der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, die Regelarbeitszeit um bis zu zwei Stunden täglich zu verlängern. Für eine nochmalige Beteiligung des Betriebsrats besteht keine Grundlage.

d) Allein dieses Verständnis entspricht auch der Systematik des der Betriebsvereinbarung von 1998 zugrunde liegenden Tarifvertrags. So werden gemäß § 4 Abs. 1 JazTV auf dem Arbeitszeitkonto die zu erbringende Jahresarbeitszeit auf der einen und die geleistete oder anzurechnende Arbeitszeit auf der anderen Seite „fortlaufend saldiert”. Eine durch Überzeitarbeit veranlaßte Überschreitung des Jahresarbeitszeitsolls wird dabei am Ende des Jahresabrechnungszeitraums vom Arbeitszeitkonto in das sog. Freizeitkonto des Arbeitnehmers übertragen. Ein Zeitguthaben auf dem Freizeitkonto wiederum begründet nach § 4 Abs. 5 JazTV einen Anspruch auf Gewährung von Freizeit. Wird Freizeitausgleich genommen, so ist gemäß § 4 Abs. 7 JazTV der entsprechende „tarifvertragliche Arbeitszeitwert” zu verrechnen. Dies ist entweder die Zeit, während derer der Arbeitnehmer ohne Freizeitausgleich hätte arbeiten müssen, oder der nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 b JazTV anzusetzende Wert von 1/261 der tarifvertraglichen regelmäßigen Jahresarbeitszeit. Zur Verrechnung wird der betreffende Arbeitszeitwert in das Arbeitszeitkonto übertragen. Auf diesem Konto gilt folglich der Arbeitnehmer, der Freizeitausgleich nimmt, als „anwesend”. Andernfalls würde der Ausgleich von Überzeitarbeit, für die der Arbeitnehmer bislang nicht vergütet worden ist, zu einem Vergütungsnachteil führen, weil das Arbeitszeitkonto Aufschluß darüber gibt, ob der Arbeitnehmer seine Gegenleistung für die Vergütung erfüllt hat. Das gleiche gilt im Hinblick auf Urlaubstage, die gemäß § 5 Abs. 1 JazTV mit 1/261 der Jahresarbeitszeit-Sollstunden im Arbeitszeitkonto verrechnet, dh. dort dem Arbeitnehmer gutgeschrieben werden. Damit besagt der Stand des Arbeitszeitkontos nichts darüber, in welchem Umfang der Arbeitnehmer im laufenden Jahr tatsächlich gearbeitet hat. Nur die tatsächliche – und nicht nur die rechnerische – Überschreitung der betriebsüblichen Arbeitszeit ist aber geeignet ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG auszulösen.

Überdies würde die vom Betriebsrat für richtig gehaltene Gleichsetzung der betriebsüblichen Arbeitszeit mit der tariflichen Jahresarbeitszeit zu dem widersinnigen Ergebnis führen, daß die Arbeitgeberin im Rahmen des gesetzlich Zulässigen bis zu dieser Grenze ohne seine Mitbestimmung Arbeit in jeglichem Umfang anordnen dürfte. Würde diese Grenze erreicht, könnte wiederum der Betriebsrat bzw. die Einigungsstelle jegliche weitere Arbeitsleistung der betreffenden Arbeitnehmer im laufenden Jahr verhindern, auch wenn 1.984 bzw. 2.011 Stunden bereits weit vor Ablauf des Jahreszeitraums geleistet sein sollten. Beide Konsequenzen widersprächen dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG.

 

Unterschriften

Wißmann, Schmidt, Kreft, Wohlgemuth, Metz

 

Fundstellen

BB 2002, 1970

DB 2002, 2002

BuW 2002, 880

ARST 2002, 257

FA 2002, 250

FA 2002, 275

FA 2002, 326

SAE 2003, 85

AP, 0

EzA-SD 2002, 10

EzA

PERSONAL 2002, 51

AUR 2002, 318

RdW 2002, 745

BAGReport 2002, 306

SPA 2002, 7

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