Entscheidungsstichwort (Thema)

Erledigung der Hauptsache im 3. Rechtszug Kostenteilung

 

Leitsatz (redaktionell)

Kostenteilung bei § 91 a ZPO, wenn eine schwierige Rechtsfrage erstmals höchstrichterlich zu entscheiden wäre.

 

Normenkette

ZPO § 91a; BetrVG §§ 44-45, 74 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 29.09.1987; Aktenzeichen 2 Sa 106/87)

ArbG Augsburg (Urteil vom 02.12.1986; Aktenzeichen 5 Ca 1936/86)

 

Tenor

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

 

Tatbestand

A. Die Parteien haben darüber gestritten, ob sich die Beklagte zu Recht geweigert hat, den Klägern den Teil der Zeit zu vergüten, in der anläßlich einer Betriebsversammlung ein Gewerkschaftsvertreter im Anschluß an das Referat des Betriebsratsvorsitzenden ein Referat über die Auffassung der Gewerkschaften zur bevorstehenden Änderung des § 116 AFG gehalten hatte. In der Einladung zur Betriebsversammlung war der Beitrag eines Gewerkschaftsvertreters angekündigt worden, ohne daß das Thema genannt worden war. Die Beklagte hatte am Vortag der beabsichtigten Behandlung der Thematik des § 116 AFG durch den Betriebsratsvorsitzenden widersprochen. Dieser hatte darauf zugesagt, das Thema nicht zu behandeln. Gleichwohl hielt der Gewerkschaftsvertreter das Referat. Er setzte es auch fort, nachdem die Beklagte widersprochen hatte und den teilnehmenden Arbeitnehmern, darunter den Klägern, angekündigt hatte, für die Dauer des weiteren Referates die Teilnahme an der Betriebsversammlung nicht zu vergüten.

Die Kläger sind der Meinung, die Beklagte habe sich zu Unrecht geweigert, ihnen für jenen strittigen Zeitraum ein Sechstel ihres jeweiligen Stundenlohnes zu zahlen. Die Betriebsversammlung sei ordnungsgemäß einberufen worden; die behandelte Thematik des § 116 AFG sei eine Angelegenheit sozialpolitischer Art gewesen, durch welche die Belange der Beschäftigten der Beklagten direkt und maßgeblich tangiert worden seien. Selbst wenn das Thema unzulässig im Sinne des § 45 BetrVG gewesen sein sollte, stehe ihnen Vergütung zu. § 44 Abs. 1 BetrVG fordere lediglich eine formal ordnungsgemäße Einberufung der Versammlung. Eine Differenzierung zwischen zulässigen und unzulässigen Inhalten der Betriebsversammlung sei bezüglich der Vergütungspflicht nicht zulässig.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihnen Beträge in Höhe von

  • 2,71 DM an den Kläger zu 1)
  • 2,69 DM an den Kläger zu 2)
  • 2,00 DM an die Klägerin zu 3)
  • 2,33 DM an den Kläger zu 4)
  • 2,53 DM an den Kläger zu 5)
  • 2,90 DM an den Kläger zu 6)
  • 2,60 DM an den Kläger zu 7)
  • 2,80 DM an den Kläger zu 8)

    sowie

  • 2,35 DM an die Klägerin zu 9)

nebst 4 % Zinsen aus dem jeweils geforderten Betrag seit dem 23. Juni 1986 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, von Streiks in anderen Unternehmen während der letzten 25 Jahre niemals betroffen gewesen zu sein. Auch künftig sei dies angesichts der bei ihr vorherrschenden besonderen Bedingungen kaum denkbar. Insoweit fehle es bei dem behandelten Thema an jedem konkreten Bezug zu den Arbeitnehmern ihres Betriebes. Ohnehin sei das Ziel des Vortrages lediglich gewerkschaftliche Agitation gewesen. Für eine Pflicht zur Vergütung der Zeit, an der die Kläger trotz Ankündigung der Nichtzahlung dem Referat des Gewerkschaftsvertreters zugehört hätten, bestehe kein Raum, weil sich § 44 Abs. 1 und § 45 BetrVG in ihren Regelungsgehalten gegenseitig ergänzten.

Das Arbeitsgericht Augsburg hat den – damals noch getrennten – Klagen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten sind die Urteile aufgehoben und die inzwischen verbundenen Klagen abgewiesen worden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision haben die Kläger zunächst ihr ursprüngliches Klageziel weiterverfolgt, während der Beklagte den Antrag angekündigt hat, die Revision zurückzuweisen.

Nach Einlegung der Revision hat die Beklagte den Klägern die umstrittenen Beträge „freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht” gezahlt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, jeweils der anderen Partei die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

B. Der Senat hatte nur noch gemäß § 91 a ZPO über die Kosten zu entscheiden. Die Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärung kann nach ständiger Rechtsprechung auch noch in der Revisionsinstanz erfolgen (vgl. statt vieler: BAG Urteil vom 20. März 1958 – 2 AZR 300/55 – AP Nr. 16 zu § 256 ZPO; BAG Urteil vom 12. Juni 1967 – 3 AZR 368/66 – AP Nr. 12 zu § 91 a ZPO). Die Entscheidung nach § 91 a ZPO hat unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu ergehen. Dementsprechend ist grundsätzlich der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreites zu ermitteln. Indessen müssen die Gerichte nicht in jedem Fall die ihnen vorgetragene rechtliche Problematik bis in die letzten Einzelheiten abschließend klären. Vielmehr kann der Regelung des § 91 a ZPO in Anbetracht der gleichzeitigen Hervorhebung der Angemessenheit des Aufwandes auch dadurch Genüge getan werden, daß eine in der Rechtsprechung und Lehre umstrittene, höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage offenbleibt und die Kosten des Verfahren gegeneinander aufgehoben werden (vgl. BAG Beschluß vom 18. Februar 1957 – 2 AZR 231/56 – AP Nr. 2 zu § 91 a ZPO; BAG Urteil vom 12. Juni 1967 – 3 AZR 368/66 – AP Nr. 12, aaO; BGH Beschluß vom 18. Februar 1954 – III ZR 208/52 –, Rechtspfleger 1959, 238 und vom 5. Oktober 1961 – II ZR 10/59 – BGHZ 36, 24, 28).

Von dieser Möglichkeit war hier Gebrauch zu machen. Die Frage, wie es um die Vergütungspflicht steht, wenn auf einer sonst zulässigen Betriebsversammlung ein tatsächlich oder angeblich sachfremdes Thema behandelt wird, ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt und sehr umstritten (vgl. zu diesem Fragenkomplex: Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 22. Januar 1963 – 8 Sa 444/62 –, AP Nr. 7 zu § 43 BetrVG, und des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 5. März 1982 – 1 Sa 374 – 378/81 – DB 1982, 1573; sowie aus der Literatur z.B. Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., Bd. 1, § 45 Rz 27; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 45 Rz 26; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., Bd. 1, § 45 Rz 16 und Fabricius, GK-BetrVG, 4. Aufl., Bd. 1, § 45 Rz 71 f.). Zur Klärung des mutmaßlichen Ausgangs des Rechtsstreits wäre es erforderlich gewesen, das Verhältnis zwischen § 44 Abs. 1, § 45 und § 74 Abs. 2 BetrVG höchstrichterlich erstmalig grundsätzlich zu überdenken. Für eine derart weit angelegte Klärung besteht im Rahmen der hier zu treffenden Kostenentscheidung, die auch ihrem Betrage nach äußerst geringfügig ist, kein Anlaß.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Dr. Becker, Schliemann, Kleeschulte, Kordus

 

Fundstellen

Dokument-Index HI969707

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