Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung in Druckindustrie

 

Orientierungssatz

1. Eingruppierung von Bogenmontierern in Lohngruppe VII des Lohnrahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 6.7.1984.

2. Bedeutung der Norm "incl" im Verhältnis zu "einschl".

 

Normenkette

TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 16.01.1986; Aktenzeichen 11 TaBV 8/85)

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 02.05.1985; Aktenzeichen 18 BV 22/84)

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über die zutreffende Eingruppierung von vier bei der Antragstellerin, einem Unternehmen der Druckindustrie, beschäftigten Arbeitnehmern. Der Antragsgegner ist der Betriebsrat der Antragstellerin. Im Betrieb der Antragstellerin werden die Vorschriften des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (einschließlich Berlin-West) (MTV) und des Lohnrahmentarifvertrages vom 6. Juli 1984 (LRTV) angewendet, da die Antragstellerin Mitglied des Bundesverbandes Druck e. V. ist. Der Lohnrahmentarifvertrag sah eine Neueinteilung der Lohngruppen vor.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 1984 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Zustimmung zur Umgruppierung der Arbeitnehmer K, G, H und T in die Lohngruppe VI des LRTV. Der Antragsgegner verweigerte mit Schreiben vom 8. November 1984 innerhalb der einvernehmlich verlängerten Frist zur Stellungnahme seine Zustimmung.

Die betroffenen Arbeitnehmer sind als Bogenmontierer eingesetzt. Sie sind zu 90 % ihrer Arbeitszeit mit dem Anfertigen von ein- und mehrfarbigen paßgenauen Bogenmontagen beschäftigt.

Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, daß eine Umgruppierung in Lohngruppe VI, nicht jedoch in Lohngruppe VII vorzunehmen sei. Die Tätigkeit des Anfertigens von ein- und mehrfarbigen paßgenauen Bogenmontagen sei zwar als Richtbeispiel Nr. 8 in der Lohngruppe VII aufgeführt. Aus dem Klammerzusatz ergebe sich, daß sowohl das Anfertigen von Einteilungsbogen und Montagebogen als auch das Erstellen von Ausschieß- und Falzschemen notwendig sei, um die Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe VII zu erfüllen. Da die umzugruppierenden Arbeitnehmer keine Einteilungsbogen fertigten und auch keine Ausschieß- und Falzschemen erstellten, seien sie nicht in Lohngruppe VII umzugruppieren. Zwar sei im übrigen Montagetätigkeit nur in Richtbeispielen der Lohngruppe V genannt. Im Hinblick auf die geistige Belastung und Verantwortung sei jedoch eine Umgruppierung in Lohngruppe VI vorgesehen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die vom Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur

Eingruppierung der Arbeitnehmer Manfred K ,

Gerhard G , Harro H , Stjepan T -

in die Lohngruppe VI des Lohnrahmentarif-

vertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der

Druckindustrie vom 6. 7. 1984, gültig ab 1. 10.

1984, wird ersetzt.

Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag abzuweisen und die Auffassung vertreten, daß die Bogenmontierer in Lohngruppe VII umzugruppieren seien. Die Tätigkeit erfülle die Anforderungen des Richtbeispiels Nr. 8 der Lohngruppe VII. Die Bogenmontierer übten alle im Richtbeispiel genannten Tätigkeiten mit Ausnahme des Erstellens von Ausschieß- und Falzschemen aus. Dies hindere aber nicht ihre Umgruppierung in die Lohngruppe VII, da nicht alle im Klammerzusatz des Richtbeispiels genannten Tätigkeiten ausgeführt werden müßten. Die im Klammerzusatz aufgeführten Tätigkeiten seien nur beispielhaft genannt, bedeuteten aber keine Qualifizierung der Bogenmontage. Im übrigen erfülle die Tätigkeit auch die abstrakten Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe VII. Soweit Montagetätigkeiten in den Richtbeispielen Nr. 10 und 11 der Lohngruppe V genannt seien, seien insoweit nicht paßgenaue Montagearbeiten gemeint. Paßgenaue Montagearbeiten erfüllten stets das Richtbeispiel Nr. 8 in Lohngruppe VII, auch wenn nur Teilarbeiten der Bogenmontage ausgeführt würden.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsgegner seinen Zurückweisungsantrag weiter. Die Antragstellerin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß die Zustimmung des Antragsgegners zur Umgruppierung der Arbeitnehmer K, G, H und T in die Lohngruppe VI zu ersetzen ist.

Die Zulässigkeit des gestellten Antrags und die Antragsbefugnis der Antragstellerin ergeben sich aus § 99 Abs. 4 BetrVG. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Sechsten und des Ersten Senats sind die betroffenen Arbeitnehmer zu Recht von den Vorinstanzen nicht am Verfahren beteiligt worden (BAG 39, 102, 103 = AP Nr. 3 zu § 80 ArbGG 1979; Beschluß vom 31. Mai 1983 - 1 ABR 57/80 - AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972).

Ein Beteiligungsrecht des Antragsgegners bei den von der Antragstellerin beabsichtigten personellen Maßnahmen ergibt sich aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Die Antragstellerin beabsichtigt, die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer der Lohngruppe VI des neu in Kraft getretenen Lohnrahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (einschließlich Berlin-West) vom 6. Juli 1984 (LRTV) zuzuordnen. Da dieser Lohnrahmentarifvertrag von der Antragstellerin auf die Arbeitsverhältnisse aller gewerblichen Arbeitnehmer im Betrieb angewendet wird, handelt es sich um die Anwendung abstrakter, allgemeiner "Eingruppierungsgrundsätze", die ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG begründet (BAG Beschlüsse vom 3. Dezember 1985 - 4 ABR 7/85 -, - 4 ABR 60/85 -, - 4 ABR 80/83 -, zur Veröffentlichung bestimmt; Beschluß vom 28. Januar 1986 - 1 ABR 8/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG besteht bei Ein- oder Umgruppierungen in Form eines Mitbeurteilungsrechts. Bei der Festlegung der der Tätigkeit des Arbeitnehmers entsprechenden Lohngruppe handelt es sich um die Anwendung tariflicher Bestimmungen auf einen vorgegebenen Sachverhalt. Insoweit hat der Betriebsrat kein Mitgestaltungsrecht, sondern übt er eine Richtigkeitskontrolle im Interesse der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit und des Schutzes des einzelnen Arbeitnehmers vor einer unzutreffenden Ein- oder Umgruppierung aus (BAG 42, 121, 127 = AP Nr. 6 zu § 101 BetrVG 1972; BAG 43, 35, 42 = AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 28. Januar 1986 - 1 ABR 8/84 - zur Veröffentlichung bestimmt).

Die von der Antragstellerin geplanten Maßnahmen sind Umgruppierungen im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, da die Antragstellerin die betroffenen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit unverändert geblieben ist, in eine Lohngruppe des neu in Kraft getretenen Lohnrahmentarifvertrages überführen will (BAG 13, 182, 188 = AP Nr. 2 zu § 63 BetrVG; BAG Beschluß vom 9. Oktober 1970 - 1 ABR 18/69 - AP Nr. 4 zu § 63 BetrVG).

Den beabsichtigten Umgruppierungen in die Lohngruppe VI hat der Antragsgegner formgerecht und innerhalb der zulässigerweise einvernehmlich verlängerten Frist (§ 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vgl. BAG Beschluß vom 17. Mai 1983 - 1 ABR 5/80 - AP Nr. 18 zu § 99 BetrVG 1972) mit der Begründung widersprochen, daß Umgruppierungen in die Lohngruppe VII tariflich geboten seien. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners verstoßen die von der Antragstellerin beabsichtigten Umgruppierungen jedoch nicht gegen tarifliche Bestimmungen (§ 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG), so daß die von ihm verweigerte Zustimmung zu ersetzen ist. Zur tariflichen Bewertung der Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer sind folgende Bestimmungen des Lohnrahmentarifvertrages heranzuziehen:

§ 4 Eingruppierung

1. Jeder Arbeitnehmer ist aufgrund der von ihm

vertraglich auszuübenden bzw. ausgeübten

Tätigkeit in eine der Lohngruppen des § 3

einzugruppieren. Für die Eingruppierung sind die

abstrakten Merkmale entscheidend. Erweiterte

Arbeitsaufgaben sind entsprechend zu berück-

sichtigen.

2. Übt ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten aus, die

verschiedenen Lohngruppen zuzuordnen sind, so er-

folgt Eingruppierung nach der überwiegenden

Tätigkeit.

§ 3 Lohngruppen

1. Zur Eingruppierung der Arbeitnehmer werden

nachstehende Lohngruppen vereinbart......

Lohngruppe VI

Tätigkeiten,

- die neben der abgeschlossenen Berufsausbildung er-

weitertes Fachwissen erfordern, das auch durch

entsprechende Berufserfahrung erworben sein kann,

- die große Anforderungen an Genauigkeit und Konzen-

tration sowie Denktätigkeit im Sinne z.B. von Über-

legen, Suchen, Prüfen und Rechnen voraussetzen,

- die fallweise zumindest erhöhter muskelmäßiger Bean-

spruchung unterliegen,

- die mit großer Verantwortung für Betriebsmittel, eige-

ne Arbeit und/oder Arbeit und Sicherheit anderer

verbunden sind.

Lohngruppe VII

Tätigkeiten,

- die neben der abgeschlossenen Berufsausbildung

zusätzliches Fachwissen erfordern, das über die

Lohngruppe VI hinausgeht und durch eine Zusatz-

ausbildung oder eine entsprechende Berufserfahrung

erworben sein kann,

- die große bis sehr große Anforderungen an Aufmerk-

samkeit wie Genauigkeit/Konzentration und Denk-

tätigkeit im Sinne z. B. von Kombinieren, Koordi-

nieren und Disponieren (Anforderungen an Umsicht,

Abstraktionsvermögen oder Dispositionsfähigkeit)

stellen,

- die mit einer großen bis sehr großen Verantwortung

für Betriebsmittel, eigene Arbeit und/oder Arbeit

und Sicherheit anderer verbunden sind.

Die in den Tätigkeitsmerkmalen aufgeführten Bewertungs-

kriterien sind nicht in jedem Fall kumulativ zu ver-

stehen. Im Zweifel wird die Bewertung der den einzelnen

Lohngruppen zugeordneten Richtbeispiele als Auslegungs-

hilfe herangezogen.

Vorliegend sind folgende Richtbeispiele von Bedeutung:

Lohngruppe V

Nr. 6

Montieren einfacher Formen; Herstellen von Negativ-

oder Positivkopien im Kopierrahmen; Offsetdruckplatten

manuell oder maschinell entwickeln, Platten korrigieren

und nachbehandeln

Nr. 10

Montieren und Umbrechen von Text und Bild in Film

und Papier sowie Ausführen von Haus- und Autor-

korrekturen

Nr. 11

Vorbereiten und Durchführen von Seitenmontagen (auch

Teilseiten)

Nr. 17

Vorbereitung und Durchführung von Montagen (Negativ-,

Positiv- oder Color-Montagen, konventionelle oder

Scanner-Decker, Fotostatvorbereitung)

Lohngruppe VII

Nr. 8

Anfertigen von ein- und mehrfarbigen paßgenauen

Bogenmontagen (incl. Anfertigen von Einteilungsbogen,

Montagebogen sowie Erstellen von Ausschieß- und

Falzschemen)

Nach dem Wortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang, die bei der Tarifauslegung gleichwertig zu berücksichtigen sind (BAG 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), folgt aus § 4 Ziff. 1 Satz 1 LRTV, daß der Arbeitnehmer aufgrund der von ihm vertraglich auszuübenden bzw. ausgeübten Tätigkeit in eine der Lohngruppen des § 3 LRTV einzugruppieren ist. Erfüllt seine Tätigkeit die Tätigkeitsmerkmale einer Lohngruppe, so steht dem Arbeitnehmer ein entsprechender tariflicher Lohnanspruch zu. Der Entscheidung des Arbeitgebers kommt damit nur deklaratorische Bedeutung zu.

Für die Eingruppierung ist nach § 4 Ziff. 2 LRTV die überwiegende Tätigkeit maßgebend. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten ausübt, die verschiedenen Lohngruppen zuzuordnen sind, wie sich aus dem Wortlaut des § 4 Ziff. 2 LRTV ergibt. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien in § 4 Ziff. 2 LRTV ein häufig bei der tariflichen Bewertung von Tätigkeiten verwendetes Prinzip herangezogen, wonach sich die Eingruppierung nach der im Vergleich zur Gesamtarbeitszeit zeitlich überwiegenden Tätigkeit richtet. Erfüllt die überwiegende Tätigkeit die Tätigkeitsmerkmale einer bestimmten Lohngruppe, so kommt es auf die tarifliche Bewertung von Tätigkeiten, die in zeitlich geringerem Umfang anfallen, nicht mehr an.

Für die Eingruppierung der überwiegenden Tätigkeit sind nach § 4 Ziff. 1 Satz 2 LRTV die abstrakten Merkmale entscheidend. In den abstrakten Merkmalen jeder Lohngruppe haben die Tarifvertragsparteien in den Lohngruppen II bis VII Bewertungskriterien hinsichtlich der Qualifikation, der geistigen Beanspruchung, der muskelmäßigen Beanspruchung und der Verantwortung normiert. Dazu bestimmt der Schlußabsatz in Lohngruppe VII:

Die in den Tätigkeitsmerkmalen aufgeführten

Bewertungskriterien sind nicht in jedem Falle

kumulativ zu verstehen. Im Zweifel wird die

Bewertung der den einzelnen Lohngruppen zuge-

ordneten Richtbeispiele als Auslegungshilfe heran-

gezogen.

Diese Vorschrift ist in Verbindung mit § 4 LRTV dahin auszulegen, daß die Erfordernisse einer Lohngruppe dann als erfüllt anzusehen sind, wenn ein Arbeitnehmer eine einem dieser Lohngruppe zugeordneten Richtbeispiel entsprechende Tätigkeit überwiegend auszuüben hat. Wenn die Tarifvertragsparteien bestimmen, daß "im Zweifel" die Bewertung der den einzelnen Lohngruppen zugeordneten Richtbeispiele als "Auslegungshilfe" heranzuziehen ist, so bringen sie damit zum Ausdruck, daß sie die abstrakten Tätigkeitsmerkmale einer Lohngruppe - auch wenn nicht alle Bewertungskriterien vorliegen - dann als erfüllt ansehen, wenn die Tätigkeit in dieser Lohngruppe als Richtbeispiel aufgeführt ist. Diese Auslegung entspricht auch der ständigen Senatsrechtsprechung zur Bedeutung von Tätigkeitsbeispielen in tariflichen Eingruppierungsregelungen. Wenn allgemein gefaßten Tätigkeitsmerkmalen - hier: die abstrakten Merkmale in den Lohngruppen des Lohnrahmentarifvertrages - in einer bestimmten Vergütungsgruppe konkrete Beispiele beigefügt sind, sind nach der Senatsrechtsprechung die allgemeinen Erfordernisse der betreffenden Vergütungsgruppe regelmäßig schon dann als erfüllt anzusehen, wenn der Arbeitnehmer eine den Beispielen entsprechende Tätigkeit auszuüben hat. Durch Tätigkeitsbeispiele legen die Tarifvertragsparteien nämlich grundsätzlich verbindlich fest, daß diese Tätigkeiten den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen der betreffenden Beschäftigungs- oder Vergütungsgruppe entsprechen. Sie bringen mit Tätigkeitsbeispielen erkennbar ihre Auffassung zum Ausdruck, daß die dort angeführten Tätigkeiten die vorangestellten allgemeinen Tätigkeitsmerkmale erfüllen. Dies entspricht auch den bei der Tarifauslegung besonders wichtigen Grundsätzen der Rechtsklarheit und Praktikabilität, denen die Tarifvertragsparteien bei der Abfassung von Tarifnormen im allgemeinen gerecht werden wollen (BAG 45, 121, 125 f. = AP Nr. 134 zu § 1 TVG Auslegung mit weiteren Nachweisen; Urteil vom 12. März 1986 - 4 AZR 534/84 - AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie).

Die vorliegenden tariflichen Regelungen enthalten keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien den Richtbeispielen eine andere Bedeutung beimessen wollen, als es dem zuvor gekennzeichneten Wesen eines Beispiels allgemein entspricht. Vielmehr ergibt sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, daß die Tarifvertragsparteien mit den Richtbeispielen in den Lohngruppen I bis VII, die in sich häufig auch noch verschiedene Alternativen aufweisen, im wesentlichen die meisten für die Druckindustrie typischen Tätigkeiten erfassen und durch ihre Zuordnung zu einer Lohngruppe tariflich bewerten wollten. Im Hinblick darauf kann den Richtbeispielen nicht nur die Bedeutung beigemessen werden, daß sie lediglich als "Auslegungshilfe" in den Ausnahmefällen heranzuziehen sind, in denen eine kumulative Erfüllung der Bewertungskriterien eines abstrakten Tätigkeitsmerkmals nicht zweifelsfrei festzustellen ist.

Auf die abstrakten Tätigkeitsmerkmale muß allerdings dann zurückgegriffen werden, wenn das Richtbeispiel selbst unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, die nicht aus sich heraus ausgelegt werden können oder eine Tätigkeit in den Richtbeispielen nicht aufgeführt ist. Auch hier entspricht es aber dem Willen der Tarifvertragsparteien, der mit der Verwendung der Bezeichnung "Auslegungshilfe" deutlich zum Ausdruck kommt, daß die Richtbeispiele bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in den abstrakten Tätigkeitsmerkmalen und bei der tariflichen Bewertung von Tätigkeiten, die als Richtbeispiel nicht genannt sind, heranzuziehen sind (BAG 45, 121, 126 = AP Nr. 134 zu § 1 TVG Auslegung mit weiteren Nachweisen; Urteil vom 12. März 1986 - 4 AZR 534/84 - AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie).

Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß für die tarifliche Bewertung die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer in der Bogenmontage maßgeblich ist. Diese Tätigkeit erfüllt nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen wurden, nicht die Anforderungen des Richtbeispiels Nr. 8 der Lohngruppe VII. In diesem Richtbeispiel haben die Tarifvertragsparteien der Lohngruppe VII zugeordnet das Anfertigen von ein- und mehrfarbigen paßgenauen Bogenmontagen (incl. Anfertigen von Einteilungsbogen, Montagebogen sowie Erstellen von Ausschieß- und Falzschemen). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß die betroffenen Arbeitnehmer keine Ausschieß- und Falzschemen erstellen. Somit kommt es für die Erfüllung der Anforderungen des Richtbeispiels Nr. 8 zur Lohngruppe VII allein darauf an, ob die Tarifvertragsparteien die Ausführung aller der in der Klammer genannten Tätigkeiten fordern oder ob Teiltätigkeiten der Bogenmontage zur Erfüllung des Richtbeispiels ausreichen.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß durch die Verwendung des Wortkürzels "incl." von den Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht wurde, daß alle in der Klammer aufgeführten Tätigkeiten ausgeübt werden müssen, um die Anforderungen des Richtbeispiels zu erfüllen. Dem ist zuzustimmen. Der Wortlaut der tariflichen Bestimmung läßt keine andere Auslegung zu. Die Tarifvertragsparteien haben im Richtbeispiel Nr. 8 zur Lohngruppe VII das Anfertigen von ein- und mehrfarbigen paßgenauen Bogenmontagen genannt. Sie haben diese Umschreibung einer der Lohngruppe VII zuzuordnenden Bogenmontage aber nicht für ausreichend gehalten und deshalb im Klammerzusatz im einzelnen die Tätigkeiten aufgeführt, die zu einer Bogenmontage gehören, die den Anforderungen der Lohngruppe VII entspricht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob mit den genannten Tätigkeiten eine Qualifizierung der Bogenmontage gekennzeichnet werden soll; jedenfalls haben die Tarifvertragsparteien eindeutig zum Ausdruck gebracht, welche Tätigkeiten ausgeführt werden müssen, um den Anforderungen des Richtbeispiels zu entsprechen. Dies folgt daraus, daß vor die Aufzählung der Tätigkeiten, nämlich dem Anfertigen von Einteilungs- und Montagebogen sowie dem Erstellen von Ausschieß- und Falzschemen das Wortkürzel "incl." gesetzt wurde. Dies ist eine Abkürzung des Wortes "inclusive bzw. inklusive", welches nach allgemeinem Sprachgebrauch "einschließlich, eingeschlossen, inbegriffen" (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band 3, S. 746) bedeutet. Damit läßt der Tarifwortlaut keine andere Auslegung als diejenige zu, daß die Tätigkeit der Bogenmontage im Sinne des Richtbeispiels Nr. 8 zur Lohngruppe VII alle in der Klammer genannten Tätigkeiten einschließt. Wird eine Tätigkeit nicht ausgeführt, sind die Anforderungen des Richtbeispiels nicht erfüllt.

Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien das Wortkürzel "incl." nicht in seiner allgemeinen sprachlichen Bedeutung verwenden wollten, sind in den tariflichen Bestimmungen nicht ersichtlich. Insbesondere kann auch nicht daraus, daß die Tarifvertragsparteien z.B. im Richtbeispiel Nr. 15 zur Lohngruppe V die deutsche Abkürzung "einschl." im Text oder im Richtbeispiel Nr. 12 zur Lohngruppe VI in der Klammer oder das ausgeschriebene Wort "einschließlich" z.B. im Richtbeispiel Nr. 19 zur Lohngruppe V verwendet haben, geschlossen werden, daß sie der lateinischen Abkürzung "incl." eine besondere, vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichende Bedeutung beimessen wollten. Jedenfalls ist eine solche weder im Wortlaut des Tarifvertrages zum Ausdruck gekommen noch ergibt sie sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Aus den tariflichen Bestimmungen läßt sich auch nicht entnehmen, wie der Antragsgegner meint, daß die Tarifvertragsparteien paßgenaue Bogenmontagearbeiten stets der Lohngruppe VII zuordnen wollten und nur nicht paßgenaue Bogenmontagen niedrigeren Lohngruppen zuzurechnen sind.

Das Landesarbeitsgericht hat ferner rechtsfehlerfrei angenommen, daß die von den betroffenen Arbeitnehmern ausgeführte Bogenmontage-Tätigkeit auch nicht die abstrakten Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe VII zu erfüllen vermag. Dieser Schluß ist nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang gerechtfertigt. Die Tarifvertragsparteien haben Montagearbeiten in den Richtbeispielen Nr. 6, 10, 11 und 17 der Lohngruppe V genannt. Da die Richtbeispiele nach dem Schlußabsatz zur Lohngruppe VII bei der tariflichen Bewertung einer Tätigkeit nach den abstrakten Tätigkeitsmerkmalen als "Auslegungshilfe" heranzuziehen sind, rechtfertigt die überwiegende Zuordnung von Montagearbeiten zur Lohngruppe V den Schluß, daß die Tarifvertragsparteien nur die im Richtbeispiel Nr. 8 genannte Bogenmontage einschließlich der in der Klammer genannten Tätigkeiten der Lohngruppe VII zuordnen wollten. Da eine solche von den betroffenen Arbeitnehmern nicht ausgeführt wird, ist das Landesarbeitsgericht insgesamt zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß der vom Antragsgegner geltend gemachte Zustimmungsverweigerungsgrund nicht vorliegt. Die Rechtsbeschwerde war damit zurückzuweisen.

Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Freitag

Scheerer Lehmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI438814

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