Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschäftigungsverbot nach Erreichen der Altersgrenze

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Betriebsvereinbarung, nach der das Arbeitsverhältnis der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer mit dem Ablauf des Monats endet, in welchem der Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr vollendet, enthält kein Verbot der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über die Altersgrenze hinaus, es sei denn, ein solches Verbot fände in der Betriebsvereinbarung deutlichen Ausdruck. Deshalb ist der Betriebsrat in der Regel nicht berechtigt, seine Zustimmung zur Weiterbeschäftigung dieses Arbeitnehmers zu verweigern.

 

Normenkette

SGB VI § 41 Abs. 4; BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 4

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 21.08.1991; Aktenzeichen 5 TaBV 19/91)

ArbG Bonn (Entscheidung vom 13.03.1991; Aktenzeichen 4 BV 13/91)

 

Gründe

A.Der Arbeitgeber ist eine in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts betriebene Arbeitsgemeinschaft mehrerer Firmen des Baugewerbes. Unter diesen befindet sich die S Bau-AG. Die Arbeitsgemeinschaft ist seit 1975 beauftragt, die Planungsarbeiten für den Bau der Stadtbahn B zu erledigen. Die bei der Arbeitsgemeinschaft tätigen Arbeitnehmer, etwa 25, haben einen Betriebsrat gewählt.

Bei der Arbeitsgemeinschaft (im folgenden nur Arbeitgeber) war bis zum 31. Dezember 1990 der Techniker O. beschäftigt, der von seinem Stammbetrieb, der S Bau-AG, zum Arbeitgeber abgeordnet war. Sein Arbeitsverhältnis endete zum 31. Dezember 1990 wegen Erreichens der Altersgrenze von 65 Jahren und des Bezuges einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Anfang Januar 1991 erhielt der Arbeitgeber von der Stadt B einen Zusatzauftrag für die Planung des Nordkopfes der Haltestelle Heussallee. Der Arbeitgeber beschäftigte daraufhin etwa ab dem 10. Januar 1991 den Techniker O. mit Planungsarbeiten für diesen Zusatzauftrag. Als der Betriebsrat davon erfuhr, schrieb er am 16. Januar 1991 an den Arbeitgeber wie folgt:

Wir haben am ... 14.1.1991 festgestellt, daß Herr

O.... wieder seine Arbeit aufgenommen hat.

Die Büroleitung hat uns mitgeteilt, daß Herr O.

stundenweise bis Mitte des Jahres weiterbeschäf-

tigt werden soll.

In seiner Sitzung am 16.1.1991 hat der Betriebs-

rat einstimmig beschlossen:

Die Zustimmung zur Weiterbeschäftigung von Herrn

O. wird verweigert, weil eine Weiterbeschäfti-

gung, in welcher Form auch immer, unserer Be-

triebsvereinbarung Abs. 3.5 widerspricht.

Der in Bezug genommene Absatz der Betriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1989 lautet wie folgt:

3.5

Ein auf bestimmte Zeit befristetes Arbeitsver-

hältnis endet ohne Kündigung mit Ablauf der ver-

einbarten Dienstzeit oder des vereinbarten

Zwecks.

Für die Beendigung eines unbefristeten Arbeits-

verhältnisses gelten die durch Gesetz, Tarifver-

trag, Betriebsvereinbarungen festgelegten oder im

Arbeitsvertrag vereinbarten Kündigungsfristen.

Im übrigen endet das Arbeitsverhältnis im allge-

meinen, ohne daß es einer Kündigung bedarf, mit

dem Beginn des Monats, für welchen der Mitarbei-

ter vor Vollendung des 65. Lebensjahres erstmals

Altersruhegeld bezieht, spätestens aber mit Ab-

lauf des Monats, in welchem der Mitarbeiter das

65. Lebensjahr vollendet.

Der Arbeitgeber stellte daraufhin die Beschäftigung des Herrn O. ein und beantragte am 6. Februar 1991 beim Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung des Herrn O. als Teilzeitkraft mit einer Arbeitszeit von mindestens 13 Stunden in der Woche. Unter "Bemerkung" heißt es dabei:

Befristete Einstellung zur Durchführung der Ent-

wurfsarbeit für den Umbau des Nordkopfes der Hal-

testelle Heussallee. Das Dienstverhältnis endet

frühestens mit Abgabe des Leistungsverzeichnis-

ses, ohne daß es einer besonderen Kündigung be-

darf. Zwischenzeitliche Kündigung: einen Monat

zum Monatsende für beide Seiten.

Der Betriebsrat verweigerte am 12. Februar 1991 schriftlich seine Zustimmung und verwies zur Begründung auf eine schriftliche Anlage, die wie folgt lautet:

Der personellen Maßnahme wird nach Betriebsver-

fassungsgesetz § 99, (2), 1 und 3 nicht zuge-

stimmt, weil:

... die Maßnahme im Widerspruch zu unserer Be-

triebsvereinbarung Ziff. 3.5 steht,

... die begründete Besorgnis besteht, daß durch

die personelle Maßnahme im Betrieb beschäftigte

Arbeitnehmer Nachteile erleiden.

Der Arbeitgeber hält die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats nicht für begründet. Die Betriebsvereinbarung verbiete nicht die befristete Wiedereinstellung des Herrn O. als Teilzeitkraft für erst nach seinem Ausscheiden angefallene zusätzliche Arbeiten. Der Zweck einer betrieblichen Regelung, daß das Arbeitsverhältnis mit dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze ende, liege darin, im Interesse der Arbeitnehmer und des Betriebes einen vernünftigen Altersaufbau der Belegschaft und eine rechtzeitige Personalplanung zu ermöglichen. Dieser Zweck werde nicht durch eine befristete Beschäftigung eines Arbeitnehmers, der die Altersgrenze überschritten hat, gefährdet. Eine Arbeitskraft, die die zusätzlichen Planungsaufgaben hätte wahrnehmen können, sei auf dem Arbeitsmarkt nicht zu finden. Andere Arbeitnehmer des Betriebes würden durch eine befristete Beschäftigung des Herrn O. nicht benachteiligt.

Der Arbeitgeber hat daher am 16. Februar 1991 das vorliegende Verfahren anhängig gemacht und beantragt,

die Zustimmung des Betriebsrates zur Einstellung

des Technikers O. zu ersetzen.

Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Die Betriebsvereinbarung verbiete nicht nur die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über die Altersgrenze hinaus, sondern auch die Neueinstellung eines Arbeitnehmers, der die Altersgrenze überschritten habe. Der Arbeitgeber beschäftige einen Techniker und eine technische Zeichnerin in befristeten Arbeitsverhältnissen. Durch Umorganisation der Arbeiten könnten diese beiden Arbeitnehmer unbefristet weiterbeschäftigt werden.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Arbeitgebers abgewiesen. Vor dem Landesarbeitsgericht hat der Arbeitgeber zusätzlich beantragt

festzustellen, daß die Nr. 3.5 der Betriebsver-

einbarung vom 15. Dezember 1989 der Einstellung

eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin,

die das 65. Lebensjahr vollendet haben, nicht

entgegensteht und dem Betriebsrat insoweit auch

kein Zustimmungsverweigerungsrecht für eine Ein-

stellung gibt.

Das Landesarbeitsgericht hat die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung des Herrn O. ersetzt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Es hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

In der Rechtsbeschwerdeinstanz hat der Arbeitgeber mitgeteilt, daß die Zusatzarbeiten zwischenzeitlich erledigt seien und der Techniker O. daher nicht mehr eingestellt werden solle. Er hat den Zustimmungsersetzungsantrag für erledigt erklärt. Das Verfahren ist insoweit am 17. März 1992 eingestellt worden. Der Betriebsrat erstrebt nach wie vor die Abweisung des Feststellungsantrages.

B.Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag zu Recht stattgegeben. Nr. 3.5 der Betriebsvereinbarung verbietet nicht die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern über die Altersgrenze hinaus oder die Einstellung von Arbeitnehmern, die die Altersgrenze überschritten haben.

1.Die Nr. 3.5 der Betriebsvereinbarung enthält ihrem Wortlaut nach eine übliche Altersgrenzenregelung, nach der das Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern mit Erreichen einer bestimmten Altersgrenze enden soll, ohne daß es einer Kündigung bedarf. Eine solche Altersgrenzenregelung kann - jedenfalls bis zum 31. Dezember 1991, dem Inkrafttreten des SGB VI - auch Inhalt einer Betriebsvereinbarung sein. Das hat der Große Senat in seiner Entscheidung vom 7. November 1989 (BAGE 63, 211 = AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972) ausgesprochen und im einzelnen begründet.

2.Nr. 3.5 der Betriebsvereinbarung regelt in ihren drei Absätzen die Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Falle einer Befristung (Abs. 1), durch Kündigung (Abs. 2) und im Falle des Bezuges von Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Vollendung des 65. Lebensjahres (Abs. 3). Dabei haben die Abs. 1 und 2 keine eigenständige Regelung zum Inhalt, verweisen vielmehr nur auf vorgegebenes Recht. Lediglich Abs. 3 normiert eigenständige Gründe für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Alle drei Absätze haben ihrem Wortlaut nach ausschließlich Bezug zu der Frage, wann und auf welche Weise ein Arbeitsverhältnis sein Ende findet. Geregelt wird damit zunächst nur der Inhalt des Arbeitsverhältnisses der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer.

3.Die Frage, ob Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis gem. den Abs. 1 bis 3 beendet worden ist, wieder beschäftigt werden können, wird in Nr. 3.5 der Betriebsvereinbarung nicht ausdrücklich angesprochen. Ob die Betriebsvereinbarung überhaupt Bestimmungen über die Einstellung von Arbeitnehmern enthält, ist nicht bekannt. Von daher kann sich allenfalls aus dem Sinn und Zweck der in Abs. 3 getroffenen Altersgrenzenregelung ergeben, daß eine Beschäftigung eines Arbeitnehmers, der die Altersgrenze bereits überschritten hat, unzulässig, d.h. verboten sein soll.

Ein solches Beschäftigungsverbot ist jedoch dem Abs. 3 der Nr. 3.5 der Betriebsvereinbarung nicht zu entnehmen.

a)Altersgrenzenregelungen, jedenfalls soweit sie in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen normiert werden, haben durchweg den Sinn, einen vernünftigen Altersaufbau der Belegschaft eines Betriebes und eine sachgerechte und vorausberechenbare Personal- und Nachwuchsplanung zu ermöglichen. Sie liegen damit nicht nur im Interesse des Unternehmens, sondern - wie der Betriebsrat zu Recht geltend macht - auch im Interesse der Belegschaft des Betriebes, da dadurch Aufstiegs- und Veränderungsmöglichkeiten innerhalb bestimmbarer Zeiträume eröffnet werden (vgl. BAG Urteil vom 20. November 1987, BAGE 57, 30 = AP Nr. 2 zu § 620 BGB Altersgrenze). Ob sie darüber hinaus auch der Entlastung des Arbeitsmarktes dienen sollen oder können, kann dahingestellt bleiben. Daß die Betriebspartner mit Nr. 3.5 der Betriebsvereinbarung andere oder weitergehende Zwecke verfolgt haben, läßt sich der Regelung nicht entnehmen. Zum Zustandekommen und zum sonstigen Inhalt der Betriebsvereinbarung haben die Beteiligten nichts vorgetragen.

b)Der aufgezeigte Zweck einer betrieblichen Altersgrenzenregelung besagt für sich allein nicht, daß jede Weiterbeschäftigung über die vorgesehene Altersgrenze hinaus oder die - für den Betrieb erstmalige - Beschäftigung eines Arbeitnehmers, der die Altersgrenze überschritten hat, unzulässig sein soll. Der Zweck einer solchen Regelung wird schon dann erreicht, wenn die Arbeitsverhältnisse beschäftigter Arbeitnehmer mit dem Erreichen der Altersgrenze enden. Sowohl die Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus als auch die Neubeschäftigung eines Arbeitnehmers, der die Altersgrenze überschritten hat, bedürfen auf Seiten des Arbeitgebers einer Entscheidung, bei der dieser schon im eigenen Interesse prüfen wird, inwieweit eine solche Beschäftigung sich mit den Zwecken der Altersgrenzenregelung vereinbaren läßt. Eine solche Weiterbeschäftigung wie auch eine Neueinstellung bedürfen nach § 99 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrates (Beschluß des Senats vom 12. Juli 1988 - 1 ABR 85/86 - AP Nr. 54 zu § 99 BetrVG 1972). Der Betriebsrat hat damit ebenfalls Gelegenheit zu prüfen, ob eine solche Beschäftigung sich mit den Interessen der Belegschaft des Betriebes an einer Altersgrenzenregelung vereinbaren läßt. Er kann seine Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG verweigern, wenn dadurch im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer benachteiligt werden. Zwar werden Aufstiegs- oder Veränderungschancen der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, die durch eine solche Weiterbeschäftigung oder Neueinstellung verschlechtert werden, regelmäßig noch keinen Nachteil i. S. von § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG darstellen. Das allein aber rechtfertigt noch nicht den Schluß, eine betriebliche Altersgrenzenregelung habe überhaupt für die Arbeitnehmer nur einen Sinn, wenn sie eine Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus oder die Einstellung eines Arbeitnehmers, der die Altersgrenze bereits überschritten hat, verbiete. Die Fälle, in denen Arbeitnehmer über eine Altersgrenze hinaus weiterbeschäftigt werden sollen oder in denen Arbeitnehmer, die die Altersgrenze bereits überschritten haben, neu eingestellt werden sollen, bilden in der betrieblichen Praxis nicht die Regel, sondern stellen Ausnahmefälle dar. Die Bedeutung betrieblicher Altersgrenzenregelungen zur Erreichung der aufgezeigten Zwecke liegt daher vornehmlich darin, daß sie die Beendigung der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer,die die Altersgrenze erreichen, gegenüber einer sonst notwendig werdenden Kündigung erleichtern, nicht aber darin, eine Beschäftigung von Arbeitnehmern jenseits der Altersgrenze zu verbieten.

Soll daher ein solches Verbot - gewissermaßen als zusätzliche Sicherung - gewollt sein, muß dies in der Altersgrenzenregelung deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Das ist vorliegend in Nr. 3.5 der Betriebsvereinbarung nicht geschehen. Die Vorschrift regelt - wie auch die Abs. 1 und 2 - lediglich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Altersgrenze. Von einer Weiterbeschäftigung über diese hinaus und von der Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitnehmer, der die Altersgrenze bereits überschritten hat, ist in ihr nicht die Rede.

4.Enthält damit Nr. 3.5 der Betriebsvereinbarung kein Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmern, die die Altersgrenze überschritten haben, so ist der Feststellungsantrag des Arbeitgebers schon aus diesem Grunde begründet. Der Senat braucht daher vorliegend nicht zu entscheiden, ob § 41 Abs. 4 SGB VI seit dem 1. Januar 1992 Altersgrenzenregelungen der vorliegenden Art durch eine Betriebsvereinbarung noch zuläßt.

Dr. Kissel Matthes Dr. Weller

Mager Hilgenberg

 

Fundstellen

BB 1992, 1790

BB 1992, 1790-1791 (LT1)

DB 1992, 1530-1531 (LT1)

EBE/BAG 1992, 109-110 (LT1)

AiB 1992, 533-534 (LT1)

BetrVG, (24) (LT1)

JR 1992, 528

NZA 1992, 992-993 (LT1)

ZTR 1992, 482-483 (LT1)

AP § 99 BetrVG 1972 (LT1), Nr 96

AR-Blattei, ES 520 Nr 56 (LT1)

AuA 1993, 125 (LT1)

EzA § 99 BetrVG 1972, Nr 104 (LT1)

EzBAT § 60 BAT Weiterbeschäftigung, Nr 1 (LT1)

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