Auch das Kindergeld für Auslandskinder wird nur an einen Berechtigten gezahlt.[1] Ebenso gilt das Obhutsprinzip, wonach bei mehreren Berechtigten derjenige vorrangig das Kindergeld erhält, in dessen ausländischen Haushalt das Kind auf Dauer aufgenommen ist.

Gleichermaßen können mehrere Berechtigte, die das Kind in ihren gemeinsamen ausländischen Haushalt aufgenommen haben, unter sich den Kindergeldberechtigten bestimmen.[2] Zu beachten ist allerdings, dass die Eigenschaft als Berechtigter i. S. d. § 64 EStG die Zugehörigkeit zum Kreis der Anspruchsberechtigten i. S. d. § 62 EStG voraussetzt.[3]

Personen, die nur einen Wohnsitz im Ausland haben, können danach nur berechtigt sein, wenn sie entweder

  • nach § 1 Abs. 3 EStG auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, weil sie ihre weitaus überwiegenden Einkünfte im Inland erzielen, oder
  • nach § 1 Abs. 2 EStG der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen (Auslandsbeamte, Mitglieder des diplomatischen oder konsularischen Diensts).

Vorrangige Berechtigung eines im EU-Ausland (einschließlich der EWR-Staaten und Schweiz) lebenden Elternteils

Lebt das Kind im Haushalt des anderen Elternteils im EU-Ausland, ist zur Auszahlung des Kindergeldes die Vorrangregelung von § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG (Haushaltsaufnahme des Kindes) anzuwenden. Nach dem Urteil des EuGH v. 22.10.2015[4] ist in diesen Fällen die Familienbetrachtung der VO (EG) 987/2009[5] anzustellen. D. h., es wird fingiert, dass die beteiligten Personen unter die Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedsstaats fallen und dort wohnen (sog. Wohnsitzfiktion). Beteiligte Personen sind zunächst die beiden Elternteile und das betreffende Kind und ggf. ein Großelternteil. Dies hat zur Folge, dass derjenige Elternteil vorrangig Berechtigter für das inländische Kindergeld ist, in dessen Haushalt im anderen EU-Staat das Kind lebt. Der BFH ist diesen Grundsätzen gefolgt.[6]

Zu den "beteiligten Personen" gehören die Familienangehörigen i. S. d. Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der VO (EG) Nr. 883/2004, die nach nationalem Recht berechtigt sind, die Familienleistung zu beantragen. Die Wohnsitzfiktion gilt daher u. a. auch für geschiedene oder getrennt lebende Elternteile.[7]

Das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts i. S. d. § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG setzt eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen den Beteiligten voraus. Ein solcher gemeinsamer Haushalt liegt auch bei einer erwerbsbedingten längeren Abwesenheit eines Ehepartners zwischen den verheirateten, nicht getrennt lebenden Ehegatten vor, wenn beide Ehegatten materiell oder immateriell zur Förderung der Familiengemeinschaft beitragen und eine familiäre Bindung besteht. Die Bestimmung des Berechtigten kann dadurch getroffen werden, dass der in Deutschland erwerbstätige Partner im Kindergeldantrag zum Kindergeldberechtigten bestimmt wird.[8]

Die Bestimmung gilt sowohl für den Fall, in dem die Leistung gemäß den als vorrangig bestimmten Rechtsvorschriften gewährt wird als auch dann, wenn sie nach den Rechtsvorschriften eines nachrangig zuständigen Mitgliedstaats in Form eines Unterschiedsbetrags bezahlt wird.[9]

Die Fiktion des inländischen Wohnsitzes findet auch in Fällen Anwendung, in denen beide Elternteile ihren gemeinsamen Wohnsitz im EU-Ausland haben (Entsendefall).[10]

Wird ein Elternteil vom Finanzamt nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt, kann ein nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG begründeter Kindergeldanspruch über die Familienbetrachtung auch dann dem im anderen Mitgliedstaat zusammen mit dem Kind wohnenden Elternteil zustehen, wenn dieser selbst im Inland keine Einkünfte erzielt.[11]

Der Elternteil, in dessen Haushalt im EU-Ausland das Kind lebt, bleibt auch vorrangig kindergeldberechtigt, selbst wenn dieser Elternteil im Wohnsitzstaat des Kindes keinen Antrag auf Kindergeld stellt. Dies gilt selbst dann, wenn im Wohnsitzstaat des Kindes aufgrund der nationalen Vorschriften kein Anspruch auf Kindergeld wegen einer Altersgrenze oder einer Einkommensgrenze besteht.

Den Antrag auf Kindergeld in Deutschland kann bei einer Fiktion des Wohnsitzes entweder der im anderen EU-Staat lebende Elternteil stellen oder der in Deutschland lebende Elternteil für den im EU-Ausland lebenden anderen Elternteil (= Antrag im berechtigten Interesse).[12] Voraussetzung für eine Beratung und ggf. die Unterstützung bei dem Antrag des im Ausland lebenden Elternteils ist die Mitgliedschaft dieses Elternteils im Lohnsteuerhilfeverein.

Die geschilderte Rechtslage gilt auch für EWR-Staaten und die Schweiz.

Großelternteil im EU-Ausland

Die Fiktion der Familienbetrachtung nach VO (EG) Nr. 987/2009 ist auch im Fall eines im EU-Ausland lebenden Großelternteils anzuwenden, wenn das Kind in dessen Haushalt aufgenommen ist.[13] Die in Griechenland lebende, nicht erwerbstätige Großmutter, die das Enkelkind in ihren Haushalt aufgenommen hat, ist daher gegenüber dem Kindesvater (Wohnsitz in Deutschland) vorrangig kindergeldberechtigt.[14] Voraussetzung...

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