Leitsatz

Der Verlust von Eigentum als Nebenfolge einer strafrechtlichen Verurteilung ist zulässig. Auch entsprechende vorläufige Sicherungsmaßnahmen dürfen vorgenommen werden. Je stärker diese Maßnahmen in den Vermögensbereich des Einzelnen eingreifen, desto höher sind aber die Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs.

 

Sachverhalt

Dem Beschwerdeführer, einem Arzt, wird vorgeworfen, von 1994 bis 1997 seine ärztliche Tätigkeit als Selbstständiger abgerechnet zu haben, obwohl er faktisch Angestellter des gesondert verfolgten Dr. R. gewesen sei. Die von der Geschädigten, einer Kassenärztlichen Vereinigung, ausbezahlten Honorare von rund 7 Mio.EUR seien vollständig an ihn geflossen. Das AG erließ im Jahr 2002 zur Sicherung der aus der Straftat resultierenden Ansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung gegen den Beschwerdeführer ohne detaillierte Begründung einen dinglichen Arrest in Höhe von rund 7 Mio.EUR. In seiner hiergegen erhobenen Beschwerde machte der Arzt u.a. geltend, dass die abgerechneten ärztlichen Leistungen auch bei unterstellter Scheinselbständigkeit im abgerechneten Umfang erbracht worden seien und daher kein Schaden in Höhe des Arrestbetrags entstanden sei. Das LG verwarf die Beschwerde als unbegründet. Das Strafverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die im Zusammenhang mit der Honorarrückforderung stehenden Fragen sind Gegenstand weiterer Auseinandersetzungen vor den Sozialgerichten, die Vollstreckungsmaßnahmen zwischenzeitlich ausgesetzt haben. Das BVerfG hob die Arrestentscheidungen auf.

 

Entscheidung

Das möglicherweise strafrechtlich erlangte Vermögen war in der zu entscheidenden Sache zu einem Zeitpunkt sichergestellt worden, in dem lediglich ein Tatverdacht bestand. Über die Strafbarkeit des festgestellten Verhaltens wurde noch nicht entschieden. Das Eigentumsgrundrecht des Art.14 GG verlangt in diesen Fällen eine Abwägung zwischen dem Sicherstellungsinteresse des Staates[1] und der Eigentumsposition des von der Maßnahme Betroffenen. Je intensiver der Staat mit prinzipiell erlaubten Sicherungsmaßnahmen in den vermögensrechtlichen Freiheitsbereich des Einzelnen eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs[2]. Im Hinblick darauf, dass es sich um eine lediglich vorläufige Maßnahme auf Grund eines Tatverdachts handelt, steigen die Anforderungen mit der Dauer der Nutzungs- und Verfügungsbe-schränkung. Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Einzelnen entzogen, fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz überdies nicht lediglich eine Vermutung, dass es sich um strafrechtlich erlangtes Vermögen handelt. In diesen Fällen muss das entscheidende Gericht den Sachverhalt vielmehr sehr sorgfältig prüfen und seine Überlegungen deutlich dokumentieren. Nur so kann der Betroffene dagegen effektiven Rechtsschutz erlangen.

 

Praxishinweis

Diesen Anforderungen wurden die angefochtenen Beschlüsse mit ihrer formelhaften Begründung nicht gerecht. Vorliegend haben die Sozialgerichte wegen der schwierigen Rechtsmaterie überdies Vollstreckungsmaßnahmen eingestellt. Die Kassenärztliche Vereinigung hat Vollstreckungsmöglichkeiten zudem jahrelang nicht wahrgenommen. Eine den Honoraranspruch betreffende Hauptsacheentscheidung ist nicht absehbar. Auch dieser Zeitablauf darf nicht zu Lasten des Betroffenen gehen.

 

Link zur Entscheidung

BVerfG-Beschluss vom 7.6.2005, 2 BvR 1822/04

[1] Vgl. die Verfallsvorschriften der §§73ff. StGB und §111b StPO, der die sogenannten "Rückgewinnungshilfe" zugunsten eines Geschädigten regelt; dazu Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5.Aufl., München 2003, §111b Rz.13

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