1 Allgemeines

 

Rz. 1

Urlaub soll nach der Gesetzesbegründung der "Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft dienen" (BAG, Urteil v. 8.3.1984, 6 AZR 600/82[1]). Es geht also um die selbstbestimmte Erholung des Arbeitnehmers im Sinne körperlicher, geistiger und seelischer Regeneration (BAG, Urteil v. 20.6.2000, 9 AZR 405/99[2]). Zur Unterstützung dieses Zwecks beschränkt § 8 BUrlG das Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers aus Art. 2 Abs. 1 GG, seinen Urlaub zu einer anderweitigen Erwerbstätigkeit frei zu nutzen. Der Arbeitnehmer soll der Versuchung widerstehen, seine Arbeitskraft während seiner Freizeit anderweitig zu vermarkten, statt seine Kräfte in selbstbestimmter Erholung aufzufrischen.[3] Die Erholung soll nicht durch zusätzliche Erwerbstätigkeiten vereitelt werden. Mit der Regelung soll auch dem Interesse des Arbeitgebers, der schließlich für die Dauer der Freistellung des Arbeitnehmers dessen Entgelt bezahlt, Rechnung getragen werden, die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nach Rückkehr aus dem Urlaub nicht durch geleistete belastende Erwerbstätigkeit beeinträchtigt sehen zu müssen.[4]

Für die Entstehung, den Bestand und die Erteilung des Urlaubs kommt es nicht auf ein abstraktes oder konkretes Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers an (BAG, Urteil v. 20.5.2008, 9 AZR 219/07[5]. Genauso wenig gibt es für den Arbeitnehmer eine Pflicht, sich im Urlaub zu erholen (BAG, Urteil v. 25.8.2020, 9 AZR 612/19[6]). Er kann seinen Urlaub grundsätzlich so gestalten, wie er will und auch extrem anstrengende Tätigkeiten, wie z. B. Bergsteigen in Nepal oder anderen Extremsport durchführen (LAG Köln, Urteil v. 21.9.2009, 2 Sa 674/09[7]). Der Arbeitnehmer kann sich also auch erholungsfeindlich verhalten, wenn er nur keine Erwerbstätigkeit verrichtet (BAG, Urteil v. 8.3.1984, 6 AZR 600/82[8]).

Die in § 8 BUrlG normierte Verpflichtung des Arbeitnehmers, während des Urlaubs keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit auszuüben, ist Ausdruck einer allgemeinen gesetzgeberischen Wertung. Danach wird der Urlaubszweck nicht durch jede (Erwerbs-) Tätigkeit oder Beschäftigung außerhalb des Arbeitsverhältnisses gefährdet, die die Erholung und Entspannung des Arbeitnehmers sowie die Möglichkeit der selbstbestimmten Nutzung seiner Freizeit beeinträchtigen könnte (BAG, Urteil v. 25.8.2020, 9 AZR 612/19[9]).

Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass das in § 8 BUrlG enthaltene Verbot der urlaubszweckwidrigen Erwerbstätigkeit fragwürdig und zudem in der Praxis wenig praktikabel ist, weil sowohl der Inhalt des Verbots als auch seine Folgen unklar und umstritten sind.[10]

[1] BT-Drucks. 4/207; vgl. auch schriftlicher Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit, BT-Drucks. 4/785.
[2] GK-BUrlG/Bachmann, 5. Aufl. 1992, § 8 BUrlG, Rz. 8.
[3] ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 8 BUrlG, Rz. 1.
[4] BT-Drucks. 4/785; ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 8 BUrlG, Rz. 1; Hohmeister/Oppermann/Hohmeister, HK-BUrlG, 3. Aufl. 2013, § 8 BUrlG, Rz. 1.
[5] Rn. 30.
[6] Rz. 30; BAG, Urteil v. 28.1.1982, 6 AZR 571/79, zu II.2.b.dd. der Gründe; ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 1 BUrlG Rz. 5; GK-BUrlG/Bachmann, 5. Aufl. 1992, § 8 BUrlG, Rz. 1; Hohmeister/Oppermann/Hohmeister, HK-BUrlG, 3. Aufl. 2013, § 8 BUrlG, Rz. 1.
[7] S. Rz. 15.
[8] Zu II.5.b der Gründe.
[9] S. Rz. 30.
[10] GK-BUrlG/Bachmann, 5. Aufl. 1992, § 8 BUrlG, Rz. 2 unter Hinweis darauf, dass die Arbeitsgesetzbuchkommission die Umwandlung des § 8 BUrlG in eine Sollvorschrift vorgeschlagen hatte.

2 Anwendungsbereich

 

Rz. 2

§ 8 BUrlG gilt für den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis gewährt wird. Damit findet die Vorschrift keine Anwendung, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses lediglich eine Urlaubsabgeltung erhält, weshalb der Arbeitnehmer nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses trotz Zahlung einer Urlaubsabgeltung sofort ein neues Arbeitsverhältnis eingehen kann.[1] Allerdings gilt § 8 BUrlG auch für Urlaubsansprüche, die nach Zugang einer Kündigung innerhalb der Kündigungsfrist gewährt werden (BAG, Urteil v. 19.7.1973, 5 AZR 73/73; BAG, Urteil v. 25.2.1988, 8 AZR 996/85[2]). Deshalb darf der Arbeitnehmer auch nach Zugang der Kündigung vor Ablauf der Kündigungsfrist während seines Urlaubs nicht bei einem anderen Arbeitgeber arbeiten (BAG, Urteil v. 25.2.1988, 8 AZR 596/85[3]).

Das Verbot des § 8 BUrlG gilt während des Urlaubs, nicht aber bei anderen Freistellungen.[4] Urlaub ist der bezahlte Erholungsurlaub i. S. d. § 1 BUrlG. Damit erfasst die Vorschrift auch außerhalb der Mindestdauer des § 3 BUrlG stehende Urlaubsansprüche und gilt auch für den über die gesetzliche Mindestdauer hinausgehenden, tarifvertraglich oder einzelvertraglich vereinbarten weiteren Urlaub.[5] Auch der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 SGB IX unterfällt § 8 BUrlG.

Werden Tätigkeiten auch sonst während des Arbeitsverhältnisses berechtigterweise verrichtet (z. B. erlaubte Nebentätigkeiten, Nebenerwerbslandwirtschaft, Doppelarbeitsverhältnis in zusätzlicher Teilzeit), findet die Vorschrift kein...

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