Rz. 49

Zum 1.1.2002 ist das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts in Kraft getreten. Dieses wirkt sich auch auf die arbeitsrechtlich bedeutsamen Verjährungsvorschriften des BGB aus. Die §§ 196, 197 BGB a. F. sind abgeschafft. Stattdessen gilt nunmehr eine regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB), deren Beginn vom Entstehungszeitpunkt der Forderung sowie der Kenntnis des Gläubigers abhängt (§ 199 Abs. 1 BGB). Die Verjährung ist immer dann von Belang, wenn Ansprüche nicht bereits aufgrund der Befristung auf das Urlaubsjahr bzw. den Übertragungszeitraum (§ 7 Abs. 3 BUrlG) oder wegen des Ablaufs von Ausschlussfristen erloschen sind.[1]

 

Rz. 50

Die Verjährungsvorschriften des BGB haben bezogen auf Urlaubsansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis eine erste – vermeintliche – Aufwertung erfahren durch die Rechtsprechung des EuGH, wonach Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG dem Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers bis zum Ende des Urlaubsjahrs bzw. des Übertragungszeitraums entgegensteht (EuGH, Urteil v. 20.1.2009, C-350/06 u. a.[2]) und das BAG sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG richtlinienkonform ausgelegt hat (BAG, Urteil v. 24.3.2009, 9 AZR 983/07[3]). Da die Urlaubsansprüche aber nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG spätestens mit Ablauf des 31.3. des zweiten auf das jeweilige Urlaubsjahr folgenden Jahres verfallen (BAG, Urteil v. 7.8.2012, 9 AZR 353/10[4]) und damit vor Ablauf der Verjährungsfrist[5], kommen die Verjährungsvorschriften nicht zum Zug.

Ernsthaft zu diskutieren ist die Frage der Verjährung wegen zweier Entscheidungen des EuGH, die ihren Ausgang erneut in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG gefunden haben und auf die das BAG zum Teil bereits reagiert hat. Zum einen ist ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet, ohne vorherige Festlegung der Vergütung Urlaub zu nehmen. Weigert sich der Arbeitgeber, Urlaubsentgelt zu zahlen, werden die Urlaubsansprüche bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses übertragen und ggf. angesammelt (EuGH, Urteil v. 29.11.2017, C-214/16[6]). Eine Begrenzung findet also – anders als im Falle von Krankheit – nicht statt. Hintergrund dürfte die fehlende Schutzwürdigkeit des Arbeitgebers sein: Denn er hat ja – anders als in den Krankheitsfällen – über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers verfügt. Solche Fälle können z. B. auftreten, wenn ein Arbeitgeber meint, ein Urlaubsanspruch bestehe nicht, weil der Beschäftigte nicht die Voraussetzungen des § 2 BUrlG erfüllt.[7] Zum anderen obliegt dem Arbeitgeber eine Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs (EuGH, Urteil v. 6.11.2018, C-684/16[8]). Der Urlaubsanspruch verfällt daher nicht nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG zum Jahresende, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen. Es entsteht auch nicht "nur" ein Schadenersatzanspruch, sondern der originäre Urlaubsanspruch – "Primäranspruch" – bleibt bestehen. Auch hier können sich Urlaubsansprüche über Jahre ansammeln. Die bislang streitige[9], aber wegen des Fristenregimes des § 7 Abs. 3 BUrlG nie als Massenphänomen aufgetretene Frage, ob Urlaubsansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis verjähren können, wird damit erstmals praxisrelevant – und zwar auch in Fällen von Langzeiterkrankungen, wenn ein Arbeitgeber vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit seiner Initiativlast nicht genügt hat. Kollidierten die Verjährungsregeln nur mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG, stellte sich die Frage, ob sie unangewendet bleiben müssen[10], um unionsrechtskonforme Ergebnisse herbeiführen zu können. Denn die Verjährung stünde nicht im Einklang mit der Auffassung des EuGH, dass die Urlaubsansprüche erhalten bleiben.[11] Die Pflicht zur Verwirklichung eines Richtlinienziels im Auslegungsweg findet ihre Grenzen aber an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen (EuGH, Urteil v. 13.12.2018, C-385/17[12]). Die Richtlinienkonformität könnte dahinstehen, wenn die Auffassung vertreten würde, bereits aus dem Anwendungsvorrang des Art. 31 Abs. 2 GRC als europäischem Primärrecht folge, dass nationale Verjährungsregelungen unangewendet bleiben müssen. Art. 31 Abs. 2 GRC gilt unmittelbar im Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern unabhängig davon, ob es sich um private oder öffentliche Arbeitgeber handelt.[13] Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage zunächst dahinstehen lassen können (BAG, Urteil v. 19.3.2019, 9 AZR 881/16[14]), dem EuGH aber im Jahr 2020 ein Verfahren zur Entscheidung vorgelegt (BAG, Beschluss v. 29.9.2020, 9 AZR 266/20 (A)[15]). Es hat dabei sowohl auf Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG als auch auf Art. 31 Abs. 2 GRC Bezug genommen. Maßgeblich hat es darauf abgestellt, dass die Verjährungsvorschriften nicht den Inhalt des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs, der den unionsrechtlichen Anforderungen aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG...

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