Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.06.1998; Aktenzeichen 5 AZR 67/97)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert beträgt 398,88 DM.

4. Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe der dem Kläger zustehenden Lohnfortzahlung.

Der Kläger ist seit 1988 bei der Beklagten als Oberlederzuschneider beschäftigt. Gem. Ziff. 11 des zwischen den Parteien vereinbarten Arbeitsvertrages gelten für das Beschäftigungsverhältnis die Bestimmungen des jeweils gültigen Tarifvertrages für die Schuhindustrie. Dieser regelt in seiner Fassung vom 01.01.85, letztmals geändert am 13.03.96 in § 6 die Entlohnung bei Arbeitsausfall. Für die Lohnfortzahlung ist in § 6 Ziff. 2 a MTV folgendes geregelt:

Arbeiter erhalten gegen Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über ihre Arbeitsunfähigkeit das Entgelt nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle. Dasselbe gilt bei Betriebsunfällen.

Im Oktober 96 war der Kläger an 78 Arbeitsstunden arbeitsunfähig krank. Die Beklagte zahlte an den Kläger für diesen Krankheitszeitraum nur 80 % des Lohnes. Den Differenzbetrag zur 100 %-igen Lohnzahlung i. H. v. rechnerisch unstreitig 398,88 DM machte der Kläger mit der Klage geltend.

Der Kläger ist der Rechtsansicht, daß sich der Anspruch auf Lohnfortzahlung nach dem LohnfortzahlG „alter Fassung” richte. Im Tarifvertrag sei kein Hinweis enthalten, daß sich der Lohnfortzahlungsanspruch aus dem Gesetz in der jeweils gültigen Fassung ergebe.

Der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 398,88 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt

Klagabweisung.

Sie führt aus, daß bei wörtlicher oder inhaltlicher Übernahme einschlägiger gesetzlicher Vorschriften in Tarifverträgen – wie hier – von einem deklaratorischem Charakter der Bestimmung auszugehen sei. Gesetzliche Änderungen des EntgeltfortzahlG würden unmittelbar gelten. Von der Annahme einer mit eigenständigem Regelungsgehalt versehenen Tarifnorm sei in Anwendung der Rechtsprechung des BAG nur auszugehen, wenn die Tarifvertragsparteien eine eigenständige, vom unveränderten Fortbestand des Gesetzes unabhängige Regelung gewollt hätten und dies im Tarifvertrag zum Ausdruck gebracht worden wäre. Hätten die Tarifvertragsparteien den Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber in der Zukunft immer mögliche Gesetzesänderungen absichern wollen, so hätten sie dies besonders zum Ausdruck gebracht, indem sie z. B. die Formulierung „jeweilige gesetzliche Vorschrift” oder „jeweils aktuelle Fassung” verwendet hätten. Dies sei aber nicht geschehen.

Unterstützung finde diese Rechtsauffassung darüber hinaus in der Entscheidung der Schiedstelle der Lederindustrie vom 28.11.96, die den wortidentischen § 7 Ziff. 1 des MTV der Lederindustrie als deklaratorische Regelung eingestuft habe (vgl. Schiedspruch vom 28.11.96, Bl. 13–20 d. A.).

Beide Parteien haben nach Scheitern des Gütetermins übereinstimmend Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden gem. § 55 III ArbGG beantragt. Ferner beantragten die Parteien die Zulassung der Sprungrevision (vgl. Protokoll Bl. 22 d. A.).

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte hat die tarifvertraglichen Ansprüche des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Monat Oktober mit der 80 %-igen Entgeltfortzahlung gem. § 4 I EntgeltfortzahlG (i. d. Fassung vom 25. September 1996) erfüllt. Ein Anspruch auf 100 %-ige Entgeltfortzahlung steht dem Kläger aus § 6 Ziff. 2 a MTV nicht zu.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Anwendung der anerkannten Auslegungsregelungen, daß eine im Tarifvertrag enthaltene Verweisung auf eine gesetzliche Regelung diese in ihrer jeweiligen Fassung in Bezug nimmt, sofern sich aus dem Tarifvertrag nicht ergibt, daß die Tarifvertragsparteien eine bestimmte gesetzliche Fassung als eigenständige, auch gegenüber künftigen gesetzlichen Änderungen bestandskräftige Regelung vereinbaren wollten (vgl. die Rechtsprechung des BAG zur Frage von Kündigungsfristen, z. B. BAG v. 27.08.82 – 7 AZR 190/80, veröffentlicht in AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG v. 28.01.88 – 2 AZR 296/87, BAG v. 04.03.93 – 2 AZR 355/92, BAG v. 16.09.93 – 2 AZR 697/92, veröffentlicht in AP Nr. 24, 40 und 42 zu § 622 BGB). Für einen solchen Regelungswillen sind aber im MTV keine Anhaltspunkte ersichtlich. Der Wortlaut des § 6 Ziff. 2 MTV enthält gerade keine Beschränkung auf ein Gesetz in einer bestimmten Fassung. Er erfaßt deshalb auch das EntgeltfortzahlG vom 26.05.94 in der Fassung vom 25. September 1996.

Die Klage war deshalb abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91, der Streitwert war in Höhe der Klagsumme gem. § 3 ZPO festzusetzen.

 

Unterschriften

Müller Richter am ArbG

 

Fundstellen

Dokument-Index HI936201

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