Entscheidungsstichwort (Thema)

tarifliche Altersgrenze. 60. Lebensjahr. Flugbegleiter

 

Leitsatz (amtlich)

Eine tarifliche Altersgrenze für Flugbegleiter, nach der das Arbeitsverhältnis spätestens mit Ablauf des 60. Lebensjahres beendet wird, stellt keinen sachlichen Befrsitungsgrund i.S.d. § 14 TzBfG dar. Eine solche Regelung ist zudem gemäß § 7 AGG unwirksam.

 

Normenkette

TzBfG § 14; AGG § 7

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.06.2010; Aktenzeichen 7 AZR 1021/08)

LAG Düsseldorf (Urteil vom 05.11.2008; Aktenzeichen 12 Sa 860/08)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit Erreichung des 60. Lebensjahres am 23.11.2009 nicht beendet ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres als Flugbegleiterin weiter zu beschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Der Streitwert beträgt 15.000,00 EUR.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung.

Die am 23.11.1949 geborene Klägerin ist aufgrund des Arbeitsvertrages vom 10.2.1972 (Blatt 5 ff. d. A.) als Flugbegleiterin bei der Beklagten, einer Fluggesellschaft, gegen eine monatliche Bruttovergütung i. H. v. 3.200,00 EUR tätig. Die Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Diese Gewerkschaft schloss mit der Beklagten Tarifverträge für das Kabinenpersonal ab. Im Manteltarifvertrag Nr. 11 Kabinenpersonal (MTV Nr. 11) in der Fassung vom 1.1.2007 (Anlage B 1 zum Schriftsatz vom 27.2.2008) heißt es unter § 47:

„Erreichen der Altersgrenze

Das Arbeitsverhältnis endet – ohne dass es einer Kündigung bedarf – mit Ablauf des Monats, in dem die Zahlung einer Altersrente durch den gesetzlichen Versicherungsträger eintritt, spätestens jedoch mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer das 60. Lebensjahr vollendet hat.”

Mit Schreiben vom 12.3. sowie vom 23.4.2007 (Blatt 6, 8 f. d. A.) beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr Arbeitsverhältnis über das 60. Lebensjahr hinaus fortzusetzen. Das lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 20.3. sowie vom 8.5.2007 (Blatt 7, 12 d. A.) ab.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Befristungsabrede im MTV Nr. 11 unwirksam ist. Es fehle an einem Befristungsgrund i.S.d. TzBfG. Des Weiteren verstoße die Tarifregelung gegen das AGG sowie gegen die Richtlinie 2000/78/EG. Die Regelung beinhalte eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters. Bei der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im 60. Lebensjahr werde ihre Rente um 18 % gekürzt, was unstreitig ist.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit Erreichung des 60. Lebensjahres am 23.11.2009 nicht beendet ist.
  2. die Beklagte zu verurteilen, sie darüberhinaus bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres als Flugbegleiterin weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Tarifregelung sei wirksam. Der Tarifvertrag sei nicht anhand des § 7 AGG zu prüfen, da es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Befristungsabrede ankomme. Die Tarifregelung diene dem überragenden Rechtsgut der Flugsicherheit. Das Kabinenpersonal sei einer außergewöhnlich hohen körperlichen und psychischen Belastung ausgesetzt, wie etwa Höhenstrahlung, Druckunterschiede, Temperaturunterschiede, verschiedenen Zeitzonen oder Schichtdienst, was unstreitig ist. Wegen der besonderen Belastungen sei die Wahrscheinlichkeit des Leistungsabbaus höher als im Durchschnitt der Arbeitnehmer. Es bestehe der medizinische Erfahrungsgrundsatz, dass man ab Vollendung des 60. Lebensjahres in zunehmendem Maße einem altersbedingten Leistungsabbau, Konzentrationsschwäche und allgemein nachlassendem Leistungsvermögen ausgesetzt sei. Auch der Ausfall eines Mitglieds des Kabinenpersonals könne verheerende Folgen für die Flugsicherheit haben. Im sogenannten Flight Safety Manual, der Bestandteil ihrer Betriebserlaubnis sei, was unstreitig ist, sei für verschiedene Flugzeugtypen jeweils ausgeführt, dass bei einem Ausfall eines Flugbegleiters weniger Passagiere befördert werden dürften, so etwa bei der A 321 nur 170 stand 210 Passiere, was unstreitig ist. Beim Ausfall eines Flugbegleiters müsste ein anderer Flugbegleiter in einer Gefahrensituation zwei Ausgänge gemeinsam bedienen, was mit einer Verzögerung bei der Evakuierung und Bergung verbunden sein könnte. Bei einer Notlandung sei je ein Kabinenmitglied für ein Rettungsboot zuständig, was ebenfalls unstreitig ist. Die Tarifvertragsparteien hätten sich daher innerhalb ihres Beurteilungsspielraums bei der Befristungsabrede bewegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Parteienschriftsätze sowie den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Der Klageantrag zu 1.) ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nicht aufgrund der Regelung in § 47 des MTV Nr. 11 Kabinenpersonal mit Ablauf des 60. Lebensjahres der...

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