Entscheidungsstichwort (Thema)

Massenentlassungsanzeige. Massen-Änderungskündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter „Entlassung” im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist nicht allein der Zugang einer arbeitgeberseitigen Beendigungskündigung zu verstehen, sondern auch der Zugang einer arbeitgeberseitigen Änderungskündigung.

2. Die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG tritt bei Erreichen der Schwellenwerte aus § 17 Abs. 1 Nr. 1. bis 3. KSchG durch eine Massen-Änderungskündigung für den Arbeitgeber unabhängig davon ein, welches Belastungspotential für den Arbeitsmarkt der Massen-Änderungskündigung tatsächlich innewohnt.

3. Entwicklungen nach dem Ausspruch der Massen-Änderungskündigung sind ohne Bedeutung für die Anzeigepflicht.

4. Unter Missachtung der Anzeigepflicht ausgesprochene Änderungskündigungen sind rechtsunwirksam. Hierauf kann sich der Arbeitnehmer auch dann uneingeschränkt berufen, hat er die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt des § 2 Satz 1 KSchG angenommen.

 

Normenkette

KSchG § 17 Abs. 1

 

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die außerordentliche Änderungskündigung mit Auslauffrist vom 30. März 2009 sozial ungerechtfertigt und rechtsunwirksam ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Der Wert der Beschwer der Beklagten wird festgesetzt 10.034,61 EUR.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Änderungskündigung mit Auslauffrist.

Die am … 1959 geborene, schwerbehinderte Klägerin trat mit Arbeitsvertrag unter dem 28./29. August 1978 (Blatt 12 f. d.A.) zum 01. September 1978 bei der Sparkasse der Stadt B.-W. in ein Arbeitsverhältnis als Bankangestellte. Der Arbeitsvertrag enthält unter anderem die Vereinbarung der Geltung des Bundesangestelltentarifvertrages (im Folgenden: BAT) in der jeweils aktuellen Fassung.

Die Sparkasse der Stadt B.-W. wurde später in die L. Berlin überführt. Dort sollten die Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken gelten. Die L. Berlin – Girozentrale – einerseits und die Gewerkschaften DAG und ÖTV andererseits schlossen daher unter dem 14. Januar 1992 die „Überleitungsvereinbarung zur Anwendung des Bankentarifvertrages bei der L. Berlin” vom 14./15. Januar 1992 (Blatt 71 bis 84 d.A.). Durch Änderungsvertrag mit der L. Berlin unter dem 06. Februar 1992 (Blatt 14 d.A.) erklärte sich die Klägerin damit einverstanden, dass sich mit Wirkung vom 01. Januar 1992 an die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nach den Tarifverträgen für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken in der jeweiligen Fassung sowie nach der Überleitungsvereinbarung vom 14./15. Januar 1992 richteten. Dies bedeutet unter anderem, dass die Regelungen zur ordentlichen Unkündbarkeit aus §§ 53 Abs. 3, 55 BAT in Verbindung mit Kapitel C, Teil I zu § 17 Manteltarifvertrag Banken Ziffer 4 der Überleitungsvereinbarungen auf das hiesige Arbeitsverhältnis Anwendung zu finden haben. Gleiches gilt für ähnliche Regelungen aus §§ 7, 17 MTV Banken.

Im Zuge eines Betriebsüberganges ging das Arbeitsverhältnis später von der L. Berlin auf ihre Tochter, die Beklagte über. Diese erbringt mit 1.121 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Dienstleistungen im Sachbearbeitungsbereich für öffentliche und private Banken. Die Klägerin ist hierbei in die Tarifgruppe 6 Stufe 11 des MTV Banken eingruppiert. Ihr Entgelt beträgt derzeit 3.257,00 EUR brutto tarifliches Grundgehalt zuzüglich 326,70 EUR Zulage gemäß der Überleitungsvereinbarung zuzüglich 40,00 EUR vermögenswirksame Leistungen, zusammen also 3.633,70 EUR brutto.

Auf Seiten der Beklagten fasste man den Entschluss, Personalkosten zu senken. Im Zuge dessen erhielt die Klägerin von der Beklagten das Angebot eines Änderungsvertrages unter dem 06. Dezember 2008 (Blatt 15 d.A.). Gemäß diesem Angebot sollte die Klägerin fortan in die Tarifgruppe 5 Stufe 11 eingruppiert sein und gleichzeitig eine Ausgleichszulageerhalten, sollte der Jahresurlaubsanspruch 30 Tage statt wie bisher 34 Tage und sollte die Wochenarbeitszeit 39 Stunden statt wie bisher 37,5 Stunden betragen. Auch die Kolleginnen und Kollegen erhielten ein solches Angebot. 1.009 der 1.121 Beschäftigten nahmen das Angebot ab; nicht jedoch die Klägerin.

Mit Schreiben unter dem 18. März 2009 (Blatt 107 bis 115 d.A.) unterrichtete die Beklagte den bei ihr gewählten Betriebsrat über die Absicht, die Klägerin rückzugruppieren. Mit Schreiben vom Folgetag (Blatt 96 bis 105 d.A.) wurde der Betriebsrat auch darüber unterrichtet, dass gegenüber der Klägerin eine außerordentliche Änderungskündigung mit Auslauffrist ausgesprochen werden solle. Letzterer Absicht widersprach der Betriebsrat mit Schreiben unter dem 27. März 2009 (Blatt 22 bis 26 d.A.), während er sich zur Umgruppierungsabsicht zunächst nicht äußerte, da ihm durch die Regelungsabrede vom 13. März 2009 (Blatt 116 bis 118 d.A.) eine verlängerte Stellungnahmefrist bis zum 15. Juni 2009 eingeräumt worden war. Ferner stimmte das Integrationsamt mi...

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