BMF, 17.1.2012, IV A 3 - S 0550/10/10020-05

Insolvenzordnung – Anwendungsfragen zu § 55 Abs. 4 InsO

Bezug: TOP 11 der Sitzung AO IV/2011

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:

 

I. Allgemeines

1

Durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 wurde § 55 InsO um folgenden Absatz 4 erweitert:

„(4) Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.”

Die neue Regelung ist auf alle Insolvenzverfahren anzuwenden, deren Eröffnung ab dem 1.1.2011 beantragt wird.

 

II. Anwendung

 

II.1 Betroffene Personen

2

§ 55 Abs. 4 InsO findet Anwendung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht nach § 22 Abs. 1 InsO übergegangen ist (so genannter „schwacher” vorläufiger Insolvenzverwalter). Hierbei ist es unbeachtlich, ob der schwache vorläufige Insolvenzverwalter vom Gericht mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde oder nicht. Auch ohne einen Zustimmungsvorbehalt im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO können entsprechende Steuerverbindlichkeiten durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter begründet werden, insbesondere wenn ihm zahlreiche Rechte durch das Insolvenzgericht eingeräumt oder Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden.

3

Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO werden begründet

  • durch Handlungen des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters (z.B. Verwertung von Anlagevermögen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen einer Einzelermächtigung, Einziehung von Forderungen).
  • durch Handlungen des Insolvenzschuldners, die mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters (z.B. Zustimmung zu Umsatzgeschäften) erfolgen. Die Zustimmung kann aktiv oder durch konkludentes Handeln erfolgen (z.B. Tun, Dulden, Unterlassen).

4

Soweit der schwache vorläufige Insolvenzverwalter ausdrücklich der Handlung des Insolvenzschuldners widersprochen hat, entstehen keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO.

5

Für den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 InsO übergegangen ist (so genannter „starker” vorläufiger Insolvenzverwalter), ist § 55 Abs. 4 InsO nicht anwendbar, da insoweit sonstige Masseverbindlichkeiten bereits nach § 55 Abs. 2 InsO begründet werden.

 

II.2 Steuerrechtliche Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters

6

Die steuerrechtliche Stellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters wird durch die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO nicht berührt. Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter ist kein Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO, so dass er während des Insolvenzeröffnungsverfahrens weder die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat noch diese erfüllen darf.

 

II.3 Verbindlichkeiten / Forderungen

7

Die Vorschrift ist lediglich auf Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis anwendbar. Steuererstattungsansprüche und Steuervergütungsansprüche werden von der Vorschrift nicht erfasst.

 

II.4 Betroffene Steuerarten und steuerliche Nebenleistungen

8

Der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO erstreckt sich auf alle Steuerarten.

9

Steuerliche Nebenleistungen zu den von § 55 Abs. 4 InsO erfassten Steuerarten teilen das Schicksal der Hauptforderung (z.B. Säumniszuschläge auf als Masseverbindlichkeiten zu qualifizierende Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus dem Eröffnungsverfahren).

10

Verspätungszuschläge, die gegen den Insolvenzschuldner wegen Fristversäumnissen im Insolvenzeröffnungsverfahren festgesetzt worden sind, fallen nicht unter den Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO, da diese nicht vom schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. durch seine Zustimmung begründet worden sind.

 

II.4.1 Umsatzsteuer

 

II.4.1.1 Umsatzsteuerverbindlichkeiten aufgrund ausgeführter Lieferungen und sonstiger Leistungen

11

Grundsätzlich fallen sämtliche Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus Lieferungen und sonstigen Leistungen sowie der Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Insolvenzschuldner nach § 13b UStG, die nach der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründet werden, in den Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO. Die Umsatzsteuerverbindlichkeit kann sowohl auf Umsätzen aus Lieferungen (z.B. Warenverkäufe) als auch auf sonstigen Leistungen des Unternehmers (z.B. aktives Tun, aber auch Duldung oder Unterlassung) beruhen. Ausgenommen sind Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die auf Umsätzen beruhen, denen der schwache vorläufige Insolvenzverwalter ausdrücklich widersprochen hat (vgl. Rz. 4).

 

II.4.1.2 Vorsteuerrückforderungsansprüche nach § 17 UStG

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Vorsteuerrückforderungsansprüche nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit der Forderungen gegen den Insolvenzschuldner erfüllen regelmäßig nicht den Tatbe...

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