Leitsatz

  1. Ansprüche auf Beseitigung eines rechtswidrigen und ungenehmigten Überbaus sowie auf Herausgabe der überbauten Grundstücksfläche sind gemeinschaftsbezogen im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG
  2. Ein einzelner Eigentümer besitzt gegen die Gemeinschaft als Verband Anspruch nach § 21 Abs. 4 WEG darauf, dass Eigentümer über die Geltendmachung gemeinschaftsbezogener Ansprüche nach billigem Ermessen entscheiden
  3. Ist von "Ermessensreduzierung auf Null" auszugehen und entspricht damit die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs billigem Ermessen, kann die Gemeinschaft durch den einzelnen Eigentümer auf Geltendmachung des Beseitigungsanspruchs verklagt werden
 

Normenkette

§§ 10 Abs. 6 Satz 3 und 21 Abs. 4 WEG

 

Kommentar

  1. Hinsichtlich des geltend gemachten Verpflichtungsantrags hat die Rechtsbeschwerde Erfolg; insoweit war die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Das Landgericht hätte vorliegend nicht offenlassen dürfen, ob die Zustimmungen zum Überbau vorlagen oder ob von einem Grundstückstausch zu sprechen war. Zustimmungen wären nämlich formfrei möglich, Verpflichtungen zu einem Grundstückstausch hätten demgegenüber nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB notarieller Beurkundung bedurft. Außerdem sind die Rechtsfolgen verschieden. Wäre von Zustimmungen gegenüber den Nachbarn auszugehen, müssten auch alle Wohnungseigentümer solche Zustimmungen erklärt haben. Nur in diesem Fall wäre auch eine Verpflichtung der Eigentümer bzw. der Gemeinschaft zu weiterer Rechtsverfolgung gegen den Nachbarn von vorneherein ausgeschlossen.
  2. Unter Anwendung neuen materiellen Rechts (vgl. § 62 Abs. 1 WEG) geht es vorliegend um einen gemeinschaftsbezogenen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 erste Alternative WEG. Zwar ist im Einzelnen nochumstritten, ob insbesondere Abwehransprüche nach § 1004 BGB der ersten oder zweiten Alternative des § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG zuzuordnen sind. Hinsichtlich geforderter Beseitigung eines Überbaus und Herausgabe der überbauten Fläche handelt es sich um gemeinschaftsbezogene Ansprüche, da die Substanz und auch die Nutzung des Gemeinschaftseigentums objektiv beeinträchtigt sind. Auch nachbarrechtliche Schutzrechte und Schadensersatzansprüche wegen Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums sowie Entgeltansprüche wegen unberechtigter Nutzung des Gemeinschaftseigentums werden bereits den gemeinschaftsbezogenen Rechten zugeordnet (h.M., Elzer in Riecke/Schmid, Wohnungseigentumsrecht, 3. Aufl., § 10 Rn. 418 und Schmid, NZM 2009, S. 721ff., jeweils m.w.N.). Auch wenn es – wie im vorliegenden Fall – in erster Linie um Beeinträchtigung eines Sondernutzungsrechts geht, ist dies unerheblich, weil auch Sondernutzungsflächen im Gemeinschaftseigentum stehen und Sondernutzungsrechte nur interne Benutzungsregelungen innerhalb einer Gemeinschaft darstellen.
  3. Hat eine Gemeinschaft zur gerichtlichen Durchsetzung eines Anspruchs entsprechende Berechtigung, kann sie über eine Klageerhebung allerdings nicht willkürlich entscheiden. Vielmehr muss eine solche Entscheidung billigem Ermessen entsprechen, und zwar insbesondere dann, sollten einzelne Eigentümer besonders betroffen sein. Bei einem solchen Anspruch eines einzelnen Eigentümers gegen die Gemeinschaft auf Rechtsdurchsetzung handelt es sich um eine Verwaltungsmaßnahme im Sinne des § 21 Abs. 4 WEG, die dem Interesse der Gesamtheit der Eigentümer nach billigem Ermessen zu entsprechen hat. Entscheidend ist dabei, ob die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat. Grundsätzlich hat also zunächst die Gemeinschaft zu entscheiden, ob eine Klage gegen die Nachbarn zu erheben ist (Vorbefassung der Gemeinschaft). Vorliegend war jedoch davon auszugehen, dass der Antragsteller mit Sicherheit keine Mehrheit erreicht hätte, sodass es auch vorheriger Befassung der Versammlung nicht bedurfte (vgl. BayObLG, NZM 2000 S. 676 = ZWE 2000 S. 580).
  4. Anträge konnte hier der einzelne Eigentümer auch direkt gegen die Gemeinschaft als Verband richten, und zwar ohne Beschlussfassungsversuch bzw. Ersetzung eines Beschlusses durch das Gericht nach § 21 Abs. 8 WEG. Schuldner des geltend gemachten Anspruchs war primär der Verband (vgl. auch Drabek in Riecke/Schmid, § 21 Rn. 125, Schmid, ZfIR 2009, S. 721, 722 und NZM 2010, S. 683/684). Dieses Ergebnis folgt auch daraus, dass der Verband die begehrte Maßnahme durchzuführen hätte.

    Ob daneben auch Ansprüche gegen die einzelnen Eigentümer auf Beschlussfassung oder die Möglichkeit einer Klage nach § 21 Abs. 8 WEG bestehen (vgl. OLG München, ZMR 2010 S. 395 = DWE 2010 S. 35), kann offen bleiben, da sich hier der Antrag nicht gegen die einzelnen Wohnungseigentümer richtete und solche Ansprüche auch einen Anspruch gegen die Gemeinschaft nicht ausschließen. Aus gleichem Grund kann deshalb auch dahinstehen, ob die Ausübung gemeinschaftsbezogener Rechte nicht ohnehin ausschließlich der Gemeinschaft als Verband in Prozessstandschaft für die einzelnen Eigentümer obliegt (vgl. Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 10 Rn. 248 und Elzer, § 10 Rn. 417); in diesem Fall könnt...

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