Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag behandelt die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) von Tarifverträgen. Nach einer Abgrenzung zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz und zu den Tariftreuegesetzen sowie einigen generellen Ausführungen werden die Voraussetzungen der Allgemeinverbindlicherklärung erläutert. Im Anschluss werden die Wirkung und die zeitliche Geltung der Allgemeinverbindlichkeit dargelegt. Zum Abschluss werden die für den Praktiker weniger wichtigen Fragen des Verfahrens der Allgemeinverbindlicherklärung und der Bekanntgabe dargestellt sowie der Rechtsschutz in Zusammenhang mit Allgemeinverbindlicherklärungen (AVEn) beschrieben.

Gesetze, Vorschriften und Entscheidungen

Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen ist in § 5 TVG geregelt und ist von der Geltungserstreckung nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) zu unterscheiden. Weitere Details zum Verfahren der Allgemeinverbindlicherklärung sind in der Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes (TVGDV) geregelt.

1 Definition

Die Regelungen eines Tarifvertrags sind nicht ohne Weiteres im Rahmen eines Einzelarbeitsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anwendbar. Sie gelten nur, wenn entweder

  • sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer Mitglied der Tarifvertragsparteien sind oder — bei einem Firmen- bzw. Haustarifvertrag — der Arbeitgeber selbst Tarifvertragspartei ist, also Tarifbindung besteht (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG). Enthält der Tarifvertrag betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Normen, ist die Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der tarifschließenden Gewerkschaft insoweit entbehrlich (§ 3 Abs. 2 TVG), solche Tarifnormen gelten bereits bei alleiniger Tarifbindung des Arbeitgebers;
  • die Anwendung des Tarifvertrags zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzelvertraglich vereinbart worden ist (einzelvertragliche Bezugnahme) oder
  • der Inhalt des Tarifvertrags von der zuständigen staatlichen Stelle für allgemeinverbindlich erklärt worden ist (§ 5 TVG).

Die Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 TVG) von Tarifverträgen ist ein staatlicher Rechtsetzungsakt eigener Art, mit dem der Inhalt tariflicher Regelungen auf die Arbeitsverhältnisse auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt wird, die nicht kraft Mitgliedschaft in den tarifschließenden Verbänden oder kraft eigenen Tarifabschlusses (Arbeitgeber) an die Tarifverträge gebunden sind. Dieser Rechtsetzungsakt führt zur Allgemeinverbindlichkeit der tariflichen Regelungen für die Arbeitsverhältnisse im Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags. Mit dem Begriff der "Allgemeinverbindlicherklärung" ist der staatliche Rechtsetzungsakt gemeint, während mit dem Ausdruck "Allgemeinverbindlichkeit" die sich daraus ergebenden Wirkungen beschrieben werden.

2 Zweck

Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen hat eine Schutz- und eine Ordnungsfunktion. Durch die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags soll die Vereinbarung von untertariflichen Arbeitsbedingungen zulasten der betroffenen Arbeitnehmer verhindert werden. Die Allgemeinverbindlichkeit wirkt dabei wie ein staatliches Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen und trägt so dem sozialen Schutzgedanken für die nichttarifgebundenen Arbeitsverhältnisse Rechnung. Die Allgemeinverbindlicherklärung hat insbesondere Bedeutung erlangt bei den Beschäftigungsverhältnissen in der Baubranche.

Daneben wird die staatliche Rechtssetzung vereinfacht. Durch die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von bereits ausgehandelten und vorhandenen Tarifverträgen wird ein ansonsten notwendiges aufwendiges Gesetzgebungsverfahren entbehrlich. Daneben bieten die branchenspezifisch ausgehandelten Tarifverträge eine erhöhte Gewähr für angemessene Arbeitsbedingungen, die durch ein für alle Arbeitsverhältnisse geltendes Gesetz nicht erreicht werden könnte.

Bedeutsam ist die Allgemeinverbindlicherklärung auch für die sog. gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien. Dies sind von den Tarifvertragsparteien geschaffene und getragene Institutionen, die zu den Arbeitgebern und Arbeitnehmern in eigenen rechtlichen Beziehungen stehen und regelmäßig über eigenes Vermögen verfügen. Beispiele sind Lohnausgleichs- und Urlaubskassen sowie Kassen zur Aufstockung der Vergütung bei Altersteilzeit (vgl. § 9 Abs. 2 Altersteilzeitgesetz). Durch die Allgemeinverbindlicherklärung werden die nichttarifgebundenen Arbeitgeber in die gemeinsame Einrichtung einbezogen und ggf. der Beitragspflicht unterworfen; auf diese Weise wird vielfach erst die Grundlage für die gemeinsame Einrichtung geschaffen.

Schließlich kommt der Allgemeinverbindlicherklärung eine Ordnungsfunktion zu; durch sie werden die Arbeitsverhältnisse in ihrem Geltungsbereich umfassend geregelt und etwaige Regelungslücken verhindert. Allerdings wird durch die Allgemeinverbindlicherklärung der Wettbewerb zwischen den organisierten und nichtorganisierten Arbeitgebern teilweise eingeschränkt, da im Geltungsbereich eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags für alle Arbeitgeber identische Mindestarbeitsbedi...

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