Die gesetzliche Zielsetzung, Benachteiligungen zu verhindern, gilt nicht ausnahmslos. In § 8 AGG ist geregelt, unter welchen allgemeinen Voraussetzungen berufliche Anforderungen eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines der 8 in § 1 AGG genannten Merkmale ist danach nur zulässig, wenn das Merkmal "wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist."

Der Hauptanwendungsbereich wird bei Fällen der unmittelbaren Benachteiligung liegen. Bei einer Belästigung oder sexuellen Belästigung kommt eine Rechtfertigung regelmäßig nicht in Betracht.

 
Achtung

Bloße Zweckmäßigkeit genügt nicht

Das Vorliegen eines der 8 Merkmale ist eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung, wenn ein Angehöriger der jeweils anderen Gruppe des Merkmals die vertragsgemäße Leistung nicht oder nur untauglich erbringen könnte. Ist aufgrund einer merkmalsneutralen Stellenbesetzung der Erfolg der Aufgabe gefährdet, ist eine Unterscheidung gerechtfertigt.

Eine Ungleichbehandlung kann also nicht schon bei bloßer Zweckmäßigkeit zulässig sein.[1] Vielmehr muss die an den Beschäftigten gestellte Anforderung erforderlich sein und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen beruflichem Zweck und Schutz vor Benachteiligung standhalten.

Für das Diskriminierungsmerkmal "Geschlecht" bleibt die Regelung in § 8 AGG hinter der Vorgängerregelung des § 611a BGB[2] zurück; danach musste das Geschlecht nämlich "unverzichtbare Voraussetzung" für die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung sein.[3]

 
Praxis-Beispiel

Bei Ausschreibung und Bewerbung

  • Die Nichtberücksichtigung eines ausländischen Stellenbewerbers bzw. eines Bewerbers mit "Migrationshintergrund" wegen mangelnder Kenntnisse der deutschen Sprache ist nach Auffassung des ArbG Berlin[4] für sich genommen keine Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft und begründet daher keinen Entschädigungsanspruch. Zwar sei ein entsprechender Bewerber damit gegenüber Bewerbern aus dem deutschen Sprachraum benachteiligt, das AGG sanktioniere dies aber nicht. Dem Arbeitgeber stehe es nach wie vor frei, die Stellenbesetzung an bestimmte eigene Vorstellungen über entsprechende Deutschkenntnisse zu knüpfen. Diese Vorstellungen seien (arbeits-)gerichtlich auch nicht überprüfbar.
  • Ein Verein, der das Ziel hat, für Migrantinnen in schwierigen und bedrohlichen Lebenssituationen, die auf der ethnischen Herkunft und anderen kulturellen Wertvorstellungen beruhen, eine erste Anlaufstelle darzustellen (Projekt: "Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsverheiratung"), darf im Anforderungsprofil der Stellenausschreibung für Bewerberinnen einen eigenen "Migrationshintergrund" verlangen. Die ethnische Herkunft der zukünftigen Stelleninhaberin stellt eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung dar, wenn der überwiegende oder sogar einzige Anteil der Klienten Migrationsfrauen sind (Konzept "Migrantinnen für Migrantinnen").[5]
  • Eine zum Schadensersatz verpflichtende Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt nicht vor, wenn die Stelle einer Erzieherin in einem Mädcheninternat nur für eine Frau ausgeschrieben und besetzt wird, wenn ein nicht unerheblicher Teil der Arbeitszeit mit Nachtdienst (25 %) belegt ist, bei dem auch die Schlafräume, Waschräume und Toiletten der Internatsschülerinnen betreten werden müssen. Das weibliche Geschlecht der Stelleninhaberin stellt eine wesentliche und entscheidende Anforderung i. S. v. § 8 Abs. 1 AGG dar.[6]

    Das BAG hat zuletzt seine Rechtsprechung verschärft. So entschied es, dass auch für eine reine Mädchenklasse das Geschlecht eines Sportlehrers keine "wesentliche und entscheidende sowie angemessene berufliche Anforderung" darstellt. Die betreffende Stellenausschreibung, wonach eine "Sportlehrerin (w)" gesucht wurde, erachtete das BAG als diskriminierend. Es erkannte darin eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts.[7]

  • Besondere Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit können Altershöchstgrenzen für die Einstellung bei Berufsgruppen rechtfertigen, bei denen die körperliche Leistungsfähigkeit von herausgehobener Bedeutung ist. Dies kann nach der Rechtsprechung etwa für Einsatzkräfte der Berufsfeuerwehr[8] oder Verkehrspiloten[9] eine Rolle spielen.

Nach § 8 Abs. 2 AGG wird die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines der im Gesetz genannten Diskriminierungsgründe nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines dieser Gründe besondere Schutzvorschriften gelten. Damit wird die bisherige Vorschrift des § 612 Abs. 3 BGB über das Geschlecht hinaus auf alle im Gesetz genannten Gründe erstreckt.

 
Wichtig

Entgeltgleichheit

Nach deutschem Recht besteht in Fragen der Vergütung zwar grundsätzlich Vertragsfreiheit. Allerdings sind Lohndifferenzierungen beschränkt durch die u. a. im AGG normierten B...

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