Äußerst verwirrend wird es aber, wenn man sich dem fast unüberschaubaren Bereich der sog. unwägbaren Einwirkungen nähert, die im modernen Sprachgebrauch Immissionen genannt werden. Der Gesetzgeber hat hier mit der Vorschrift des § 906 BGB der Tatsache Rechnung tragen wollen, dass das enge Zusammenleben von Menschen unausweichlich Einwirkungen unterschiedlichster Art von einem Grundstück auf das andere mit sich bringt. Dazu hat er eine Reihe nachbarlicher Einwirkungen beispielhaft aufgezählt (Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Einwirkungen) und die Grenzen festgelegt, innerhalb derer diese Einwirkungen von den davon betroffenen Nachbarn zu dulden sind.

Gemeinsames Merkmal der in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB beispielhaft aufgezählten Einwirkungen ist, dass sie in ihrer Ausbreitung weitgehend unbeherrschbar sind und aufgrund ihrer natürlichen Verbreitung auch nicht kontrolliert werden können. Sie entsprechen den in § 3 Abs. 2 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) beschriebenen Immissionen, die als "auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen" definiert werden.

Eine Einwirkung in dem dargestellten Sinn erfordert nach dem Gesetzeswortlaut ein positives grenzüberschreitendes Einwirken von einem Grundstück aus auf ein benachbartes Grundstück. Nicht erfasst von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB sind daher rein ideelle oder immaterielle Zustände auf Nachbargrundstücken, auch wenn sie das ästhetische oder sittliche Empfinden verletzen, wenn sie wahrgenommen werden.

Gleiches gilt für bloß negative Beeinträchtigungen durch die Existenz etwa einer Anlage auf einem benachbarten Grundstück, die sich ausschließlich auf dessen Fläche beschränkt, ohne dass sinnlich wahrnehmbare Stoffe über die Grundstücksgrenze gelangen. Das betrifft etwa den Fall, dass durch ein baurechtlich genehmigtes Gebäude auf dem Nachbargrundstück die bisherige freie Aussicht verbaut oder der Sonneneinfallswinkel verändert wird.

Nicht erfasst von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB sind außerdem Einwirkungen, die nicht auf menschliches Verhalten zurückzuführen sind, sondern auf dem ausschließlichen Wirken von Naturkräften beruhen.

Für die in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB beispielhaft aufgezählten Einwirkungen gilt die Faustregel, dass unwesentliche Einwirkungen immer zu dulden sind, wesentliche Einwirkungen aber nur dann, wenn sie unvermeidbar und ortsüblich sind; in diesem Fall besteht ein Anspruch auf Geldausgleich.[1] Diese vom Gesetzgeber zunächst nur für das Grundstückseigentum geschaffene Regelung wurde von der Rechtsprechung im Laufe der Zeit zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz fortentwickelt, der nicht nur für Grundstückseigentümer, sondern ebenso für Grundstücksbesitzer und Wohnungsmieter gilt, auch wenn sie als Mieter im gleichen Gebäude wohnen.

Entscheidende Bedeutung bei Nachbarstreitigkeiten kommt somit der Grenzziehung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Einwirkungen (Immissionen) zu. Hierzu bestimmt § 906 Abs. 1 BGB in den Sätzen 2 und 3, dass eine nur unwesentliche Beeinträchtigung in der Regel vorliegt, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden.

Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 48 BImSchG erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben. Diese Regelung bedeutet eine Vereinheitlichung zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Beurteilungsmaßstäbe mit der Folge, dass die im öffentlichen Recht seit jeher in Gesetzen, Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG festgelegten Grenz- und Richtwerte im Regelfall auch für die Zivilgerichte verbindlich sind.

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