ZPO § 3 BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1

Leitsatz

  1. Der Streitwert einer Klage eines Unternehmers auf Unterlassung der Zusendung unverlangter Werbe-E-Mails ("Spam") richtet sich nach dem klägerischen Unterlassungsinteresse, das maßgeblich an den zu schätzenden zukünftigen betriebswirtschaftlichen Kosten, die bei Fortsetzung zu erwarten wären, zu orientieren ist; die Streitwertfestsetzung kann nicht auf Gewohnheitsrecht oder eine beabsichtigte Sanktionswirkung gestützt werden.
  2. Im Falle von einer Übersendung von circa 1,5 unverlangten Werbe-E-Mails pro Woche, die auf den ersten Blick als Werbung erkennbar sind, ist ein Streitwert von nicht mehr als 500,00 EUR anzusetzen.

AG Mülheim, Urt. v. 17.5.2011 – 27 C 2550/10

1 Sachverhalt

Die Klägerin betreibt eine Elektrogroßhandlung und unterhält mehrere geschäftliche E-Mail-Adressen, welche sie im geschäftlichen Verkehr als allgemeine Kontaktadresse angibt. Der Beklagte arbeitet als Verkaufs- und Motivationstrainer. Von August bis November 2010 sandte er der Klägerin an die vorgenannte E-Mail-Adresse insgesamt 20 E-Mails unter Betreffzeilen wie "Ihr neuer Motivations-Schub", in denen er für seine Angebote warb. Mit anwaltlichem Schreiben v. 3.11.2010 ließ die Klägerin den Beklagten abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern. Ferner wurde er unter Fristsetzung zur Begleichung außergerichtlicher Anwaltsgebühren i.H.v. 459,40 EUR – unter Zugrundelegung eines Gegenstandswerts von 6.000,00 EUR – aufgefordert. Der Beklagte übersandte nicht die vorbereitete Unterlassungsverpflichtungserklärung, sondern eine eigene unter Weglassung eines Strafversprechens. Nachdem der Beklagte im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens beschränkt auf die E-Mail-Adresse ".de" eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat, hat die Klägerin den Rechtsstreit insoweit einseitig für erledigt erklärt. Die Klägerin beantragte nun noch, dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsgeld i.H.v. bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verbieten, der Klägerin Werbeschreiben per E-Mail zuzusenden, sofern nicht deren ausdrückliche Einwilligung vorliegt, mit Ausnahme der E-Mail-Adresse ".de".

Die Klage, mit der die Klägerin neben dem Unterlassungsbegehren auch Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 459,40 EUR beansprucht, hatte Erfolg hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens und des Zahlungsantrags i.H.v. 70,20 EUR nebst Zinsen.

2 Aus den Gründen

Das Gericht setzt den Gebührenstreitwert, den es gem. § 23 Abs. 1 RVG auch hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung als Gegenstandswert zugrunde legt, auf 500,00 EUR fest. Dieser Bewertung liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

Der Gebührenstreitwert bestimmt sich regelmäßig nach §§ 39 ff., 48 GKG, wobei in Ermangelung besonderer Vorschriften nur subsidiär auf die Vorschriften der §§ 3 ff. ZPO zurückzugreifen ist. Auch wenn die Parteien – mangels eines Wettbewerbsverhältnisses untereinander – vorliegend nicht um wettbewerbsrechtliche Ansprüche streiten, geht das Gericht davon aus, dass es sich bei der Geltendmachung eines Anspruchs auf Unterlassung der Zusendung unverlangter E-Mail-Werbung durch ein Unternehmen um eine vermögensrechtliche Streitigkeit handelt; denn anders als bei etwa der Abwehr unerwünschter telefonischer Belästigung durch Privatleute (vgl. z. B. BGHZ 92, 346 = NJW 1985, 809) steht hier das wirtschaftliche Interesse eines Unternehmens an der Abwehr der durch unverlangte Werbe-Mails ("Spam") verursachten wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, insbesondere der Arbeitskraftbindung, im Vordergrund. Gem. § 48 GKG sind damit die Vorschriften der §§ 3 ff. ZPO anwendbar und der Wert ist demnach gem. § 3 ZPO durch das Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen. Entscheidend ist das Interesse des Klägers (Zöller/Herget, ZPO, § 3 Rn 2), wobei Kosten gem. § 4 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. ZPO unberücksichtigt bleiben, soweit sie als Nebenforderungen geltend gemacht werden, was insbesondere für Kosten außergerichtlicher Rechtsverfolgung gilt (Zöller/Herget, § 4 Rn 13).

Dem Gericht ist eine Vielzahl von in der Rspr. vertretenen Auffassungen zum Streitwert oder zum Gegenstandswert der Abwehr unverlangter E-Mail-Sendungen bekannt, die im Wesentlichen zwischen 500,00 EUR (z.B. OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 262) und 10.000,00 EUR (OLG Koblenz GRUR 2007, 352 = MMR 2007, 190) rangieren, wobei überwiegend als Begründung auf eigene Entscheidungen oder solche anderer Gerichte verwiesen wird; auch die Klägerin argumentiert mit Hinweisen auf Rechtsprechungsgewohnheiten. Eine gefestigte Rspr. hierzu aber kann das Gericht angesichts der genannten Spannweite nicht erkennen, geschweige denn ein Gewohnheitsrecht.

Richtigerweise ist die Streitwertfestsetzung einzelfallabhängig und an dem konkreten, tatsächlichen Interesse des Klägers an der Abwehr des angegriffenen Verhaltens festzumachen. Bezogen auf den vorliegenden Fall ist also maßgeblich die gem. § 3 ZPO zu schätzende Beeinträchtigung, die von dem be...

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