ZPO § 91 Abs. 2 S. 2

Leitsatz

Die Mehrkosten für einen zweiten Rechtsanwalt sind erstattungsfähig, wenn der erste Prozessbevollmächtigte seine Zulassung zur Anwaltschaft aus achtenswerten Gründen zurückgegeben hat und dies bei Übernahme des Mandats noch nicht absehbar war. Dies ist im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen.

BGH, Beschl. v. 12.9.2012 – IV ZB 3/12

1 Sachverhalt

Im Ausgangsrechtsstreit ist die Beklagte durch rechtskräftiges Urteil des LG kostenpflichtig verurteilt worden. Gegenstand des jetzigen Rechtsbeschwerdeverfahrens ist die Erstattungsfähigkeit der dem Kläger durch einen Anwaltswechsel während des Rechtsstreits entstandenen Mehrkosten. Zu diesem Anwaltswechsel war es gekommen, nachdem der zunächst beauftragte Prozessbevollmächtigte des Klägers seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgegeben hatte, um anstelle seines verstorbenen Vaters die Pflege seiner demenzkranken Mutter zu übernehmen.

Der Rechtspfleger des LG hat die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf insgesamt 4.454,98 EUR nebst Zinsen festgesetzt und hierbei die Kosten für einen zweiten Prozessbevollmächtigten für nicht erstattungsfähig gehalten. Das OLG hat die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger den Anspruch auf Festsetzung der ihm insgesamt entstandenen Anwaltskosten weiter.

2 Aus den Gründen

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Festsetzung der bislang nicht berücksichtigten Anwaltskosten gegen die Beklagte.

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass es für die Frage, ob ein Wechsel in der Person des Rechtsanwalts eintreten musste (§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO), allein darauf ankomme, ob die Partei oder den Rechtsanwalt ein Verschulden an der Mandatsbeendigung treffe oder nicht. Gebe der erste Prozessbevollmächtigte wie hier aus freien Stücken die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurück, so liege die Notwendigkeit der Bestellung eines weiteren Prozessbevollmächtigten allein in seinem Verantwortungsbereich und sei erstattungsrechtlich seinem Mandanten zuzurechnen.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO sind die durch einen Anwaltswechsel entstandenen Kosten für einen zweiten Prozessbevollmächtigten insoweit zu erstatten, als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Das setzt voraus, dass weder die Partei noch den ersten Rechtsanwalt ein Verschulden an der Notwendigkeit des Anwaltswechsels trifft (Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 91 Rn 13 Stichwort "Anwaltswechsel"; MüKo-ZPO/Giebel, 3. Aufl., § 91 Rn 70; Musielak/Lackmann, ZPO, 9. Aufl., § 91 Rn 22).

a) Es ist umstritten, wie unter diesem Gesichtspunkt die Aufgabe der Zulassung durch den zunächst beauftragten Rechtsanwalt zu beurteilen ist.

aa) Nach überwiegender Auffassung ist ein Verschulden zu verneinen, wenn der Anwalt seine Zulassung aus achtenswerten Gründen aufgibt, es sei denn, dass dieser Umstand bereits bei der Mandatsübernahme absehbar war, weil der erste Anwalt, der seinen Mandanten hierüber nicht informiere, einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt sei, der auch der Erstattungsfähigkeit der Gebühren entgegenstehe (so OLG Koblenz VersR 1992, 376; JurBüro 2006, 543; OLG Hamm NJW-RR 1996, 1343; MüKo-ZPO/Giebel a.a.O Rn 73; Musielak/Lackmann a.a.O).

Teilweise wird allerdings vertreten, dass es zwar auf die Gründe der Zulassungsaufgabe ankommen soll, eine freiwillige Aufgabe der Zulassung aber grundsätzlich nicht notwendig sei (so Zöller/Herget a.a.O).

bb) Nach a.A. soll es für die Erstattungsfähigkeit genügen, dass der erste Anwalt seine Zulassung aufgegeben hat und die Partei deshalb einen zweiten Rechtsanwalt beauftragen musste. Darauf, ob die Partei dem ersten Anwalt etwa unter Heranziehung von § 628 Abs. 1 S. 2 BGB oder § 326 BGB nichts zahlen müsse, komme es nicht an, weil materiell-rechtliche Fragen im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu prüfen seien (so OLG München JurBüro 2007, 596 unter Aufgabe der entgegengesetzten früheren Rspr. in NJW-RR 2002, 353).

cc) Dagegen vertritt das OLG Naumburg nicht nur den Standpunkt, dass die Wertung des § 628 Abs. 1 S. 2 BGB auch für die Erstattungsfähigkeit der entstandenen Gebühren gelte, sondern ist weiter der Meinung, dass der Anwalt seinen Gebührenanspruch verliere, soweit seine Leistungen für die Partei wegen Rückgabe der Zulassung wertlos seien, ohne dass es darauf ankomme, ob achtenswerte Gründe für diese Rückgabe vorliegen (OLGR 2005, 438).

b) Zutreffend ist die zuerst genannte Auffassung.

aa) Im Ausgangspunkt richtig ist die Ansicht des OLG München, dass im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen ist, ob die erstattungsberechtigte Partei ihrem Prozessbevollmächtigten die geltend gemachten Gebühren tatsächlich schuldet. Die Prüfung hat vielmehr unter rein prozessualen und gebührenrechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. Materiell-rechtliche Fragen und Einwände sind in diesem Verfahren regelmäßig nicht zu klären und zu berücksichtigen (Senatsbeschl. v. 22.11.2006 – IV ZB 18/06, NJW-RR 2007, 422 Rn 8 u...

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