Leitsatz

Ein zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts beigeordneter auswärtiger Rechtsanwalt kann von der Landeskasse die Erstattung seiner Reisekosten bis zur höchstmöglichen Entfernung im Gerichtsbezirk verlangen.

OLG Celle, Beschl. v. 7.6.2016 – 2 W 108/16

1 Sachverhalt

Mit Beschluss des AG Gifhorn ist der Beklagten im Rechtsstreit unter Beiordnung von Rechtsanwalt J., der seine Rechtsanwaltskanzlei in B. betreibt, Prozesskostenhilfe bewilligt worden. In dem Beschluss heißt es:

"Die Beiordnung erfolgt zu den kostenrechtlichen Bedingungen einer Rechtsanwältin bzw. eines Rechtsanwalts mit Niederlassung in dem Bezirk des Prozessgerichts."

Nach Abschluss des Rechtsstreits durch Vergleich vor dem AG Gifhorn hat der Antragsteller einen Antrag auf Festsetzung seiner Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt in Höhe von 970,56 EUR gestellt. Unter dem 17.8.2015 hat die Rechtspflegerin des AG die Rechtsanwalt J. aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 947,95 EUR festgesetzt. Die Absetzung von Fahrtkosten in Höhe von 9,00 EUR und Abwesenheitsgeld in Höhe von 10,00 EUR – jeweils nebst Umsatzsteuer – hat es damit begründet, die Terminwahrnehmungskosten seien nur in der Höhe erstattungsfähig, wie sie einem Rechtsanwalt am Wohnsitz der Beklagten entstanden wären. Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Antragstellers hatte keinen Erfolg. Auf die vom AG zugelassene Beschwerde wurde die dem Antragsteller aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung anderweitig auf 970,56 EUR festgesetzt. Hiergegen wendet sich die Landeskasse mit der vom LG zugelassenen weiteren Beschwerde, mit der sie geltend macht, die Entscheidung stehe im Widerspruch zu einer zutreffenden Entscheidung des Einzelrichters des Senats im Beschl. v. 2.6.2015 – 2 W 150/15.

2 Aus den Gründen

1. Die weitere Beschwerde der Landeskasse ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 RVG zulässig, weil das LG sie ausdrücklich wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat, ob die Staatskasse bei Festsetzung der Vergütung nach § 55 RVG in dem Fall, in dem die im Gerichtsbezirk ansässige Partei einen außerhalb des Gerichtsbezirks zugelassenen Rechtsanwalt beauftragt hat, dessen Reisekosten bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks zu erstatten hat.

Die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem Verfahren entgegen der Annahme des LG keine grundsätzliche Bedeutung zukommen dürfte. Eine Rechtssache hat nämlich nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH NJW 2003, 1943, 1944; BGHR ZPO (1.1.2002) § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 "Bedeutung, grundsätzliche" 1). Insoweit dürfte das LG nicht ausreichend berücksichtigt haben, dass die gestellte Rechtsfrage bereits geklärt sein dürfte, mithin eine klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht gegeben ist. Denn augenscheinlich teilt die heutige einhellige obergerichtliche Rspr. die Ansicht des LG, im Bereich der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe dürfe die Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts nicht auf die Bedingungen eines am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts, sondern nur auf die Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts beschränkt werden, was zur Konsequenz hat, dass die tatsächlichen Reisekosten eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen oder am Gerichtsort wohnhaften Rechtsanwalts bis zu der Höhe zu erstatten seien, die sich für einen im Bezirk des jeweiligen Prozessgerichts niedergelassenen oder wohnhaften Rechtsanwalt bei der weitesten Entfernung innerhalb des Bezirks errechnen würden (vgl. OLG Frankfurt AGS 2014, 138; OLG Schleswig NJW 2015, 3311, juris Rn 12 m.w.N.).

2. Die weitere Beschwerde der Landeskasse hat in der Sache keinen Erfolg. Mit Recht hat das LG gemeint, dass die Staatskasse die nach § 55 RVG zu erstattende Vergütung bis zu der Höhe zu erstatten hat, die sich für einen im Bezirk des gesamten AG-Bezirks Gifhorn niedergelassenen oder wohnhaften Rechtsanwalt bei der weitesten Entfernung innerhalb des Bezirks errechnen.

Soweit das LG und die Bezirksrevisorin meinen, der Einzelrichter des Senats habe in der genannten Entscheidung 2 W 150/15 eine gegenteilige Ansicht vertreten, ist das nicht der Fall. LG und Bezirksrevisorin verkennen den Inhalt der dortigen Entscheidung. Im dortigen Verfahren hat der Einzelrichter für die Frage der Kostenerstattung im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 104 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf die gesetzliche Regelung in § 91 Abs. 2 S. 1 2. Hs. ZPO entschieden, dass, wenn die im Gerichtsbezirk ansässige Partei einen außerhalb des Gerichtsbezirks niedergelassenen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen in einem Rechtsstreit beauftragt, des...

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