RVG § 14 Abs. 1, RVG VV Nr. 2300

Leitsatz

  1. Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war.
  2. Die Frage, ob Umfang und Schwierigkeit vorlagen, ist in vollem Umfang gerichtlich zu prüfen. Ein Toleranzbereich besteht in soweit nicht (entgegen BGH, Urt. v. 13.1.2011 – IX ZR 110/10, AGS 2011, 120 u. Urt. v. 8.5.2012 – VI ZR 273/11, AGS 2012, 220).

BGH, Urt. v. 11.7.2012 – VIII ZR 323/11

1 Sachverhalt

Das AG hatte die Beklagten aufgrund einer Kündigung wegen Mietrückständen zur Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung sowie zur Zahlung von 2.660,00 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 808,25 EUR verurteilt. Hinsichtlich weiterer 98,05 EUR vorgerichtlicher Anwaltskosten hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass von den Klägern entgegen Nr. 2300 VV eine Begründung für einen 1,3 überschreitenden Satz der Geschäftsgebühr nicht gegeben worden sei, weshalb die verlangte 1,5-fache Gebühr nicht zugesprochen werden könne.

Die vom AG zugelassene Berufung der Kläger hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung weiterer 98,05 EUR vorgerichtlicher Anwaltskosten weiter.

Die Revision hatte keinen Erfolg

2 Aus den Gründen

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Nr. 2300 VV sehe vor, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Dementsprechend sei bei der vom Gericht anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung vor Erlass eines Versäumnisurteils nicht nur zu prüfen, ob die verlangte Gebühr unbillig i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG sei, sondern auch, ob eine Überschreitung der Kappungsgrenze von 1,3 gerechtfertigt sei. Tatsachenvortrag, der die Überschreitung dieser Kappungsgrenze rechtfertige, sei vorliegend nicht erfolgt. Dementsprechend habe das AG im angegriffenen Urteil mangels schlüssigen Vortrags zu Recht keine 1,5-fache Gebühr, sondern nur eine 1,3-fache Gebühr angesetzt.

Zwar stehe dem Rechtsanwalt nach der sogenannten Toleranzrechtsprechung bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 % zu, so dass eine sich innerhalb dieser Grenze bewegende Gebühr nicht unbillig i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG und deshalb grundsätzlich hinzunehmen sei. Die Kammer teile aber die Ansicht des AG und anderer Amtsgerichte, dass die sogenannte Toleranzrechtsprechung erst dann zum Zuge kommen könne, wenn die Kappungsgrenze nach Nr. 2300 VV zu Recht überschritten sei, weil es sich um eine umfangreiche oder schwierige Sache handele oder aber sich die Gebühren unterhalb dieser Grenze bewegten, so dass die Kappungsgrenze nicht tangiert sei. Ob eine Tätigkeit umfangreich oder schwierig i.S.d. Nr. 2300 VV sei, sei vom Gericht genauso zu überprüfen, wie es auch sonst zu überprüfen habe, ob gesetzliche Tatbestandsmerkmale vorlägen. Andernfalls könnte ein Rechtsanwalt den Regelfall stets mit der 1,5-fachen Gebühr abrechnen, ohne darlegen zu müssen, weshalb im konkreten Fall eine höhere Gebühr als 1,3 angemessen sei. Dies könne angesichts des eindeutigen Wortlauts in Nr. 2300 VV nicht richtig sein. Der eindeutige Gesetzeswortlaut sei insoweit bindend und könne auch nicht mit der Toleranzrechtsprechung umgangen werden.

II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Gem. Nr. 2300 VV kann eine Geschäftsgebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig, mithin "überdurchschnittlich" war (BGH, Urt. v. 31.10.2006 – VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420 m.w.Nachw. [= AGS 2007, 28] zu der wortgleichen Vorgängerbestimmung in Nr. 2400 VV). Dementsprechend ist, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, bei der vom Gericht anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung vor Erlass eines Versäumnisurteils zu prüfen, ob eine Überschreitung der "Kappungsgrenze" von 1,3 wegen überdurchschnittlichen Umfangs oder überdurchschnittlicher Schwierigkeit gerechtfertigt ist. Die Kläger haben dazu nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nichts vorgetragen. Übergangenen Sachvortrag zeigt die Revision nicht auf. Daher haben die Vorinstanzen zu Recht keine 1,5-fache Gebühr, sondern nur eine 1,3-fache Gebühr für gerechtfertigt gehalten. Denn die Schwellengebühr von 1,3 ist die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle (BGH, Urt. v. 31.10.2006 – VI ZR 261/05, a.a.O.; Urt. v. 13.1.2011 – IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603 [= AGS 2011, 120]; BT-Drucks 15/1971, S. 207).

2. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus der sogenannten Toleranzrechtsprechung nichts anderes.

Zwar steht dem Rechtsanwalt, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, gem. § 14 Abs. 1 RVG bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV ein Ermessensspielraum zu. Solange sich die vom Rechtsanwalt im Einzelfall bestimmte Gebühr innerhalb einer Toleranzgrenze von 20 % bewegt, ist die Gebühr nicht unbillig i.S.d. § 14 Abs. 1 S....

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