Leitsatz

  1. Hat der Anwalt mehrere Auftraggeber vertreten, so setzt eine ordnungsgemäße Berechnung nach § 10 RVG voraus, dass er jedem Auftraggeber eine gesonderte Rechnung über die auf ihn entfallende Vergütung erstellt. Es reicht nicht aus, dass er eine Rechnung über den Gesamtbetrag ausstellt.
  2. Vertritt der Anwalt im Erbscheinverfahren mehrere Erbprätendenten, so liegen verschiedene Gegenstände vor, deren Werte zusammenzurechnen sind. Eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV kommt daneben nicht in Betracht.

LG Mannheim, Urt. v. 3.5.2012 – 4 O 15/11

1 Sachverhalt

Die beklagten Anwälte hatten die beiden Kläger in einem Erbscheinverfahren vertreten, in dem diese jeweils ein Erbrecht von ½ geltend gemacht hatten. Nachdem den Klägern zunächst der Erbschein erteilt worden war, wurde er im anschießenden Einziehungsverfahren vom AG wieder eingezogen.

Das Nachlassgericht hat den Geschäftswert gem. § 31 KostO auf 82.650,00 EUR festgesetzt.

Die Beklagten erteilten daraufhin der Klägerin zu 1) eine Rechnung für das Erbscheinverfahren über eine nach Nr. 1008 VV erhöhte 1,6-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) aus 82.600,00 EUR.

Darüber hinaus rechneten die Beklagten gegenüber der Klägerin zu 1) noch eine weitere Verfahrensgebühr für das spätere Verfahren auf Einziehung des Erbscheins ab.

Auf den Antrag der Kläger gem. § 33 Abs. 1 RVG hat das Nachlassgericht später den Wert für die Anwaltsgebühren für einen jeden von ihnen auf 41.325,00 EUR festgesetzt (die Entscheidung ist abgedr. in AGS 2011, 304).

Die Kläger rügen, dass ihnen keine ordnungsgemäßen Rechnungen nach § 10 RVG erteilt worden seien; die Beklagten hätten lediglich eine Gesamtrechnung an beide erstellt. Da jeder der Kläger nach § 7 Abs. 2 RVG jedoch nur in dem Umfang hafte, in dem er haften würde, wenn er den Auftrag alleine erteilt hätte, müsse eine gesonderte Rechnung an jeden Kläger erteilt werden.

Die Kläger wandten gegen die Rechnung für das Erbscheinverfahren darüber hinaus ein, dass keine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV angefallen sei, da der anwaltlichen Tätigkeit nicht derselbe Gegenstand zugrunde gelegen habe.

Schließlich könnten die Beklagten auch für das Einziehungsverfahren keine gesonderte Vergütung verlangen. Das Erbscheinverfahren und ein sich anschließendes Einziehungsverfahren seien eine Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG.

Da die Beklagten ihre Abrechnung nicht ändern wollten und auch nicht bereit waren, ihre Handakten herauszugeben, weil sie an ihren Vergütungsansprüchen festhielten, erhoben die Kläger schließlich Klage auf Herausgabe der Handakten. Die Klage hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen

Den Klägern steht der beantragte Herausgabeanspruch gegen die Beklagten gem. §§ 675, 667 BGB zu.

a) …

b) Den Beklagten steht hierbei auch nicht das Zurückbehaltungsrecht gem. § 50 Abs. 3 S. 1 BRAO zu. Voraussetzung für die Geltendmachung dieses Zurückbehaltungsrechts ist das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Abrechnung (Feuerich/Weylandt, BRAO, 6. Aufl. 2003, § 50 Rn 21).

aa) Für den Auftrag ist von einem Gegenstandswert von insgesamt 82.650,00 EUR auszugehen. Dieser ergibt sich daraus, dass der Gegenstandswert durch Beschluss des Nachlassgerichts für das Nachlassverfahren für die anwaltliche Vergütung der Rechtsanwälte für die Tätigkeit gegenüber den Klägern jeweils auf 41.325,00 EUR festgesetzt wurde. Machen mehrere Mandanten jeweils individuelle Rechte aus demselben Sachverhalt geltend, findet eine Streitwertaddition nach § 22 RVG statt (Breuer, in: Bischof u.a., RVG, 4. Aufl. 2011, § 7 RVG, Rn 9 m.w.Nachw.). So liegen die Dinge hier, da der Beklagte die Kläger hinsichtlich der Verfolgung individueller Erbrechte vertrat.

Bei einer solchen Streitwertaddition ist jedoch hierüber hinaus keine Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV anzusetzen, da der Mehraufwand bereits durch die Streitwertaddition berücksichtigt ist (vgl. Breuer, a.a.O. sowie dort Nr. 1008 VV Rn 71).

bb) Fraglich ist jedoch, ob die Beklagten hinsichtlich der Erbscheinserteilung und der Erbscheinsentziehung zu Recht die Vertretung in zwei Angelegenheiten angenommen und entsprechend abgerechnet haben. Hierfür kann sprechen, dass das Erbscheinserteilungs- und das Erbscheinsentziehungsverfahren nach der gesetzlichen Regelung auch verfahrensrechtlich getrennt sind. Im Erbscheinerteilungsverfahren ergeht ein Feststellungsbeschluss, gegen den die befristete Beschwerde zum OLG statthaft ist. Ist der Erbschein einmal erteilt, so findet nur noch das Einziehungsverfahren nach § 352 Abs. 2 FamFG statt. Insoweit ist ein gesonderter Gerichtszug gegeben. Für das Verfahren werden auch gesonderte Gerichtsgebühren erhoben (vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 352 FamFG Rn 159; § 353 FamFG Rn 37). Dies spricht dafür, zwei Angelegenheiten anzunehmen. Ferner kann auch namentlich in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei einem einheitlichen Verfahren die Annahme mehrerer Angelegenheiten geboten sein. So kann die Tätigkeit eines Rechtsanwalts z.B. in derselben Vormundschaftssache bei Stellung eines Antrags auf Bestellung eines Vormunds und des späteren Antrags auf ...

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