RVG §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 1 und 2

Leitsatz

  1. Eine gebührenrechtliche Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG liegt vor, wenn ein Rechtsanwalt mehrere Geschädigte in einer Sammelklage vertritt, auch wenn die Klageaufträge einzeln und zu unterschiedlichen Zeitpunkten erteilt werden. Unterschiedliche Anspruchsgrundlagen und verschiedene Gegenstände stehen dem nicht entgegen.
  2. Aus dem Anwaltsvertrag kann sich wegen der Gebühreninteressen der Auftraggeber die Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, Mandanten zu einer gemeinsamen Klage zu raten.
  3. Eine Erhöhung der Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV scheidet bei unterschiedlichen Gegenständen aus.
  4. Eine Vergütungsklage ist unzulässig, wenn eine Festsetzung nach § 11 RVG möglich ist. Eine Vorschussklage ist zulässig, da eine Festsetzung nach § 11 RVG ausscheidet.

BGH, Urt. v. 8.5.2014 – IX ZR 219/13

1 Sachverhalt

Die Klägerin, eine Rechtsanwaltssozietät, vertritt die rechtsschutzversicherte Beklagte in einem Schadensersatzprozess wegen Prospekthaftung im Zusammenhang mit einem geschlossenen Immobilienfonds in der Form einer BGB-Gesellschaft gegen die Initiatorin des Projekts. Die Klage wurde als Sammelklage im Namen der Beklagten und weiterer 36 Gesellschafter, die jeweils eigene Schadensersatzansprüche geltend machen, sukzessive vom 29.12.2006 bis zum 12.11.2008 eingereicht. Gegen das die Klage abweisende Urteil des LG legte die Klägerin im Auftrag der Beklagten und weiterer 16 Kläger Berufung ein. Die Beklagte ist an dem Wert des Berufungsverfahrens in Höhe von 2.582.530,19 EUR (Summe sämtlicher geltend gemachten Einzelansprüche) mit einem Teilbetrag in Höhe von 125.062,00 EUR (Zahlungsantrag: 48.572,73 EUR; Feststellungsantrag: 76.489,27 EUR) beteiligt. Das Berufungsverfahren läuft noch.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten für das Berufungsverfahren einen Vorschuss und berechnet ihn wie folgt:

 
Praxis-Beispiel
 
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV (Wert: 125.062,00 EUR) 2.412,80 EUR
./. Rabatt wegen "AAA-Mitgliedschaft" – 482,56 EUR
Auslagenpauschale 20,00 EUR
Zwischensumme 1.950,24 EUR
Umsatzsteuer (19 %) 370,55 EUR
2.320,79 EUR  

Die Rechtsschutzversicherung der Beklagten zahlte auf die Vorschussrechnung 1.061,98 EUR (4,8 % einer 2,0-Gebühr aus dem Gesamtstreitwert zuzüglich Umsatzsteuer). Die verbleibende Differenz in Höhe von 1.258,91 EUR macht die Klägerin mit der Klage als weiteren Vorschuss geltend. Sie vertritt dabei die Ansicht, dass vorliegende Sammelklage gebührenrechtlich so zu behandeln sei, als sei in 17 getrennten Verfahren Berufung eingelegt worden. Demgegenüber will die Beklagte sich an den aus dem Gesamtstreitwert des Berufungsverfahrens zu berechnenden Rechtsanwaltskosten im Verhältnis ihres Anteils am Gesamtstreitwert beteiligen.

Das AG hat die Klage ab- und das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie die Verurteilung der Beklagten erreichen will.

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

2 Aus den Gründen

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klage sei zulässig; die Klägerin könne nicht auf das Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 RVG verwiesen werden, weil sich diese Regelung nur auf die Anwaltsvergütung, nicht aber auf die Vorschussforderung nach § 9 RVG beziehe. Die Klage sei jedoch unbegründet, weil es sich bei den 17 Berufungen um eine einheitliche Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG handele.

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

1. Die Vorschussklage der Klägerin ist zulässig. Allerdings ist eine Vergütungsklage unzulässig, soweit eine Vergütungsfestsetzung nach § 11 RVG in Betracht kommt, weil es insoweit an dem Rechtsschutzinteresse für eine förmliche Klage fehlt (BGH, Urt. v. 20.11.1980 – III ZR 182/79, NJW 1981, 875, 876; N. Schneider in Schneider/Wolf, AnwK-RVG, 7. Aufl.,§ 11 Rn 350; Mayer/Kroiß/Mayer, RVG, 6. Aufl., § 11 Rn 4; Baumgärtel in Baumgärtel/Hergenröder/Houben, RVG, 16. Aufl., § 11 Rn 6). Das Vergütungsfestsetzungsverfahren bietet eine einfachere und kostengünstigere Möglichkeit, zum begehrten Rechtsschutzziel zu gelangen (N. Schneider, a.a.O.). Doch hätte die Klägerin den begehrten Vorschuss nicht nach § 11 RVG gerichtlich festsetzen lassen können. Nach § 11 Abs. 1 S. 1 RVG kann, soweit hier von Bedeutung, nur die gesetzliche Vergütung festgesetzt werden. Mit der Beanspruchung eines Vorschusses nach § 9 RVG macht der Anwalt jedoch diese gesetzliche Vergütung noch nicht geltend, sondern lediglich eine Vorauszahlung hierauf (vgl. N. Schneider in Schneider/Wolff, AnwK-RVG, 7. Aufl., § 9 Rn 77; Mayer/Kroiß/Klees, RVG, 6. Aufl., § 9 Rn 34; Klüsener in Bischof/Jungbauer/ Bräuer/Curkovic/Klipstein/Klüsener/Uher, RVG, 6. Aufl., § 9 Rn 41; Burhoff, RVGreport 2011, 365, 368).

2. Die Klägerin kann, soweit sie die 1,6-Verfahrensgebühr Nr. 3200 VV als Vorschuss nach § 9 RVG verlangt, keine weitere Zahlung von der Beklagten verlangen.

a) Nach dieser Regelung kann ein Rechtsanwalt von seinem Auftraggeber für die entstandenen und voraussichtlich noch entstehen...

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