ZPO §§ 91 Abs. 1 S. 1, 522 Abs. 2; RVG VV Nr. 3200

Leitsatz

  1. Nach Begründung des Rechtsmittels hat der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern. Das gilt auch, wenn das Berufungsgericht darauf hingewiesen hat, dass es beabsichtigt, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, und der Berufungskläger hiergegen Einwände erhoben hat. Ein in dieser Prozesslage gestellter begründeter Antrag auf Zurückweisung der Berufung löst daher grundsätzlich die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV aus (im Anschluss an BAG, Beschl. v. 18.4.2012 – 3 AZB 22/11; Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 25.2.2016 – III ZB 66/15, BGHZ 209, 120).
  2. Ist dem Berufungsbeklagten mit dem Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO eine Berufungserwiderungsfrist gesetzt und reicht der Berufungsbeklagte nach Berufungsrücknahme eine Berufungserwiderung ein, sind die hierdurch entstandenen Kosten erstattungsfähig im Sinne von § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, wenn er sich bei der Einreichung in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der Rücknahme der Berufung befunden hat (Abgrenzung zum Beschl. v. 25.2.2016 – III ZB 66/15, zu BGHZ 209, 120 = FamRZ 2016, 900).
  3. Ein Schriftsatz ist bereits eingereicht i.S.d. Ermäßigungstatbestands von Nr. 3201 Abs. 1 Nr. 1 VV, wenn er so auf den Weg gebracht worden ist, dass sein Zugang ausschließlich von der Tätigkeit Dritter, etwa eines Postbeförderungsunternehmens, abhängig ist.

BGH, Beschl. v. 7.2.2018 – XII ZB 112/17

1 Sachverhalt

I. Die Parteien streiten über die Frage der Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltsgebühren nach einem in Unkenntnis der Berufungsrücknahme gestellten Sachantrag der Berufungsbeklagten.

Nach Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Parteien machte der Kläger gegen die Beklagte vermögensrechtliche Ausgleichsansprüche geltend. Das LG wies seine Klage ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung ein, die er mit einem am 21.7.2016 beim OLG eingegangenen Schriftsatz begründete. Diese Berufungsbegründung wurde der Beklagtenvertreterin zusammen mit einem Beschluss des OLG v. 2.8.2016 am 9.8.2016 zugestellt. Mit diesem wies es auf seine Absicht hin, die Berufung des Klägers durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Außerdem setzte es eine Erwiderungsfrist von einem Monat. Mit am 16.8.2016 beim OLG eingegangenem Schriftsatz erklärte der Kläger die Rücknahme der Berufung. Ihm wurden mit Beschl. v. gleichen Tag die Kosten des Rechtsmittels auferlegt. Dieser Beschluss wurde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 22.8.2016 zusammen mit dem klägerischen Rücknahmeschriftsatz zugestellt. Mit ebenfalls am 22.8.2016 beim OLG eingegangenem Schriftsatz vom 19.8.2016 beantragte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten, die am 21.6.2016 von der Beklagten beauftragt worden war, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte hat die Festsetzung der ihr im Berufungsverfahren entstandenen Kosten gegen den Kläger i.H.v. insgesamt 1.524,15 EUR beantragt, die sich aus einer 1,6-Verfahrensgebühr i.H.v. 1.260,80 EUR sowie der Post- und Telekommunikationspauschale i.H.v. 20 EUR, jeweils zzgl. Umsatzsteuer, zusammensetzen.

Das LG (Rechtspfleger) hat die vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten unter Ansatz einer 1,1-Verfahrensgebühr auf insgesamt 1.055,29 EUR festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das OLG diesen Beschluss abgeändert und die vom Kläger an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten, an die die Beklagte ihren Kostenerstattungsanspruch zwischenzeitlich abgetreten hatte, zu erstattenden Kosten antragsgemäß festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde.

2 Aus den Gründen

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das OLG hat seine in MDR 2017, 300 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:

Bei den der Beklagten durch Stellung des Sachantrags auf Zurückweisung der Berufung entstandenen Rechtsanwaltskosten handele es sich um notwendige Aufwendungen i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Soweit nach der Rechtsprechung des BGH im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit der geltend gemachten Kosten allein auf die objektive Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei abgestellt werde, die das Gebot sparsamer Prozessführung im Blick habe, sei dies nicht damit zu vereinbaren, dass es auf die Unkenntnis des Rechtsmittelbeklagten von der Berufungsrücknahme nicht ankommen solle. Denn die Kenntnis von dem Fortbestehen des Rechtsmittels sei dafür entscheidend, welche Maßnahmen die Partei für sachdienlich zu halten habe. Da die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei einen Rechtsanwalt beauftragen dürfe und die entstandenen Kosten im Falle ihres Obsiegens vom Gegner erstattet verlangen könne, müssten diese Kosten im Grundsatz auch erstattungsfähig sein. Es erscheine nicht gerechtfertigt, der Partei das volle Kostenrisiko auch für den Fall aufzuerlegen, dass das Rechtsmittel – zu einem von ihr nicht beeinflussbaren...

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