Leitsatz

Nimmt die Staatsanwaltschaft nach Erlass eines Strafbefehls und Einspruchseinlegung ihre Anklage zurück, versetzt sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück, mit der Folge, dass der Rechtsanwalt, der vom Beschuldigten erst nach Anklageerhebung beauftragt worden ist, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV verdient.

LG Berlin, Beschl. v. 28.12.2016 – 536 Qs 22/16

1 Aus den Gründen

Gegen die Mandantin war ein Strafbefehl ergangen. Daraufhin beauftragte die Beschludigte ihren Verteidiger, der gegen den Strafbefehl Einspruch einlegte und zu den Tatvorwürfen Stellung nahm. Daraufhin nahm die Staatsanwaltschaft nach weiteren Ermittlungen die Anklage zurück und stellte das Verfahren gegen die Mandantin gem. § 170 Abs. 2 StPO ein. Das AG beschloss daraufhin, dass die notwendigen Auslagen der Mandantin des Beschwerdeführers der Staatskasse auferlegt werden.

Mit Kostenfestsetzungsantrag v. 19.9.2016 machte der Beschwerdeführer unter Vorlage einer Abtretungserklärung seiner Mandantin gem. § 43 RVG folgende Gebühren geltend:

 
Praxis-Beispiel
 
Grundgebühr für Verteidiger, § 14, Nr. 4100 VV 239,00 EUR
Verfahrensgebühr für 1. Rechtszug vor dem AG, § 14, Nr. 4106 VV 197,00 EUR
Verfahrensgebühr für Ermittlungsverfahren, § 14, Nr. 4104 VV 197,00 EUR
Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV 40,00 EUR
Zwischensumme netto 673,00 EUR
19 % Mehrwertsteuer, Nr. 7800 VV 127,87 EUR
Gesamt: 800,87 EUR

Das Gericht setzte die zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf 542,64 EUR fest. Hierzu führte das Gericht aus, dass die Vorverfahrensgebühr (Nr. 4104 VV) nicht entstanden sei, da der Beschwerdeführer nicht vor Eingang des Strafbefehls bei Gericht für die Mandantin tätig geworden sei. Vor diesem Hintergrund wurde die Vorverfahrensgebühr nicht zuerkannt; entsprechend wurde die Auslagenpauschale nur einmalig mit 20,00 EUR angesetzt, da der Beschwerdeführer nicht in beiden Verfahrensabschnitten, d.h. im Vor- und Hauptverfahren tätig geworden sei.

Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer und trägt vor, dass nach Rücknahme des Strafbefehls gem. § 411 Abs. 3 S. 1 StPO das Verfahren in das Stadium des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt worden sei, so dass die Vorverfahrensgebühr zu erstatten sei.

Aus den Gründen

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers war der Beschluss des AG insoweit aufzuheben, als die Festsetzung der Vorverfahrensgebühr, der insoweit entstandenen Pauschale für Post- und Telekommunikation sowie die anteilige Mehrwertsteuer nicht festgesetzt wurden, da diese Gebühren und Auslagen zu erstatten sind.

Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV ist i.H.v. 197,00 EUR entstanden.

Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV "entsteht für eine Tätigkeit in dem Verfahren bis zum Eingang der Anklageschrift, des Antrages auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht oder im beschleunigten Verfahren bis zum Vortrag der Anklage, wenn diese nur mündlich erhoben wird".

Der Beschwerdeführer wurde hier erstmals nach Eingang des Antrages auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht für die Mandantin tätig. Mit der anschließenden Rücknahme des Antrags auf Erlass des Strafbefehls gem. § 411 Abs. 3 S. 1 StPO wurde das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt, mit der Folge, dass der Strafbefehl seine Wirkung verlor (vgl. Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., 2015, § 411 Rn 8).

Es ist dem Verteidiger daher die Vorverfahrensgebühr zuzusprechen. Er wurde im Rahmen des – sich an die Rücknahme der Klage anschließenden – Ermittlungsverfahrens tätig und hatte die Gebühr nicht bereits aus der vorausgegangenen Tätigkeit in dieser Sache im Ermittlungsverfahren verdient (vgl. LG Oldenburg, Beschl v. 25.6.2008 – 5 Qs 230/08; AG Gießen, Beschl v. 29.6.2016 – 507 Ds 604 Js 35439/13, zit. nach juris, dort Rn 8). Der Umstand, dass zu einem früheren Zeitpunkt eine – später zurückgenommene – Anklage erhoben worden war, vermag die Entstehung einer Vorverfahrensgebühr nicht zu verhindern, weil die zurückgenommene Anklage bzw. der zurückgenommene Strafbefehlsantrag keine Rechtswirkungen mehr entfaltet. Da der Verteidiger somit tatsächlich im Ermittlungsverfahren für die Mandantin tätig geworden ist, ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV i.H.v. 197,00 EUR entstanden.

Weil der Verteidiger unter den unter II. 2. ausgeführten Gründen sowohl im Ermittlungs- als auch im Hauptverfahren tätig wurde, ist die Pauschale für Post- und Telekommunikation zweimal angefallen, so dass weitere 20,00 EUR festzusetzen waren.

entnommen von www.burhoff.de

2 Anmerkung

1. Zur Abrechnung

Die Entscheidung ist hinsichtlich der Verfahrensgebühr der Nr. 4104 VV zutreffend. Mit Rücknahme der Anklage endet das gerichtliche Verfahren. Das gilt auch dann, wenn das gerichtliche Verfahren nicht durch eine Anklage, sondern durch einen Strafbefehl eingeleitet worden ist und der Angeschuldigte hiergegen Einspruch eingelegt hat.

War der Verteidiger bereits zuvor tätig, kann er die Gebühr für das vorbereitende Verfahren nach Nr. 4104 VV nicht erneut verdienen (§ 15 Abs. 2 RVG...

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