1.

Niemand ist fehlerfrei! Es erstaunt dennoch, dass es überhaupt zu einer unrichtigen gerichtlichen Rechtsbehelfsbelehrung gekommen war.[1]

Der Standpunkt des beigeordneten Rechtsanwalts ist indes "sportlich", sich als erfahrener Sozialrechtler auf eine offenkundig fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung berufen zu wollen. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist daher nur konsequent und zeigt dem Beschwerdeführer seine Grenzen auf. Die überaus großzügige Auslegung der zugrundeliegenden Verfahrensordnung erfolgt in Praxis leider allzu häufig.

Auch die im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrages oberflächliche Begründung des Beschwerdeführers lässt keinen anderen Schluss zu.

Der Wiedereinsetzungsantrag wäre begründet gewesen, wenn die Säumnis ohne eigenes Verschulden des Beschwerdeführers eingetreten wäre.

Nach § 33 Abs. 5 S. 2 RVG wird ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn es zu keiner oder einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung gekommen war. Diese gesetzliche Vermutung, nach der die unterlassene bzw. fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung ursächlich für die Fristversäumnis gewesen sei, war vorliegend offenkundig widerlegt, denn der Beschwerdeführer ist sach- und rechtskundig.

Auch war ein fehlendes Verschulden nicht gegeben, da das Fristversäumnis dem Anwalt selbst zuzurechnen war und keiner Hilfsperson. Es konnte nicht glaubhaft gemacht werden, dass das Verschulden nicht auf einem Organisations- ober Kontrollmangel beruhte. Nach gefestigter Rspr.[2] liegt ein Verschulden vor, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für eine gewissenhafte und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrzunehmende Prozessführung geboten und nach den gesamten Umständen auch zuzumuten ist. Auch wenn ein Anwalt bloße Hilfstätigkeiten gut ausgebildeten und überwachten Mitarbeitern zur eigenverantwortlichen Erledigung überträgt, gilt selbst ein Verschulden dieser Hilfsperson hinsichtlich der Nichteinhaltung oder Versäumung von Fristen als Verschulden des Anwalts, wenn dieser nicht durch zweckmäßige Büroorganisation und ausreichende Kontrollmechanismen Vorkehrungen zur Vermeidung eines solchen Umstandes getroffen hat.

2.

Eine Tätigkeitsgebühr entsteht, wenn der Rechtsanwalt zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten bestellt worden ist und eine den Gebührentatbestand auslösende Tätigkeit ausübt hat, bspw. hinsichtlich der Verfahrensgebühr mit Entgegennahme der ersten Informationen (vgl. Vorbem. 3 Abs. 1, 2 VV).

Von der Entstehung abzugrenzend ist die Fälligkeit der Vergütungsforderung nach § 8 RVG gegen den Auftraggeber oder gegen die an dessen Stelle tretende Staats- oder Landeskasse bei bewilligter Prozesskostenhilfe.

Die Fälligkeit bewirkt, dass der Rechtsanwalt die Vergütung endgültig abrechnen und einfordern (§ 10 RVG), ggfs. nach § 11 RVG gegen den Auftraggeber festsetzen oder auch Einklagen darf. Auch der Auftraggeber kann bei Fälligkeit die Vergütung nach § 11 RVG festsetzten lassen, wenn Streit über die Höhe besteht. Eine vor Fälligkeit ausgestellte Rechnung ist keine Rechnung i.S.d. § 10 RVG, sondern ein Vorschussrechnung.

Die Regelung zum Eintritt der Fälligkeit ist dispositiv, kann also durch Vereinbarung zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber abweichend vereinbart werden.

Entsprechend § 8 Abs. 1 RVG wird die Vergütung fällig, wenn der Auftrag erledigt (dazu a)) oder die Angelegenheit beendet ist (dazu b)). Ist der Rechtsanwalt in einem gerichtlichen Verfahren tätig, wird die Vergütung nach S. 2 auch fällig, wenn eine Kostenentscheidung ergangen (dazu c)), der Rechtszug beendet ist (dazu d)) oder wenn das Verfahren länger als drei Monate ruht (dazu e)).

a)

Notwendig ist die Kenntniserlangung der der Erledigung zugrundeliegenden Tatsache durch den Anwalt.

Der Auftrag kann sich erledigen durch vollständige Erfüllung des Auftrages i.S.d. Mandatsvertrages oder auch Unmöglichkeit der Durchführung bspw. durch Tod des Anwalts oder Entzug oder Rückgabe der anwaltlichen Zulassung.

b)

Auch wenn die gebührenrechtliche Angelegenheit beendet ist, wird die Vergütung fällig.

Der Begriff der Angelegenheit ist im RVG nicht legal definiert. Die kostenrechtliche Angelegenheit kann, aber muss sich nicht mit dem prozessrechtlichen Begriff des (Verfahrens-)Gegenstandes decken.

Die Angelegenheit definiert den im Einzelfall vorliegenden Rahmen der konkreten Interessenvertretung.

Von derselben kostenrechtlichen Angelegenheit ist dann auszugehen, wenn zwischen den anwaltlich verbrachten Leistungen ein innerer Zusammenhang, also ein einheitlicher Auftrag und einheitlicher Rahmen besteht.[3]

So kann einem einstweiligen Anordnungsverfahren und einem Hauptsacheverfahren ein gemeinsamer einheitlicher Auftrag, die begehrte Sozialleistung möglichst schnell und endgültig erhalten zu wollen, zugrunde liegen und der Zeitpunkt der Beendigung der gebührenrechtlichen Angelegenheiten auseinanderfallen. Denn im einstweiligen Anordnungsverfahren steht nicht der endgültige Leistungsanspruch als solcher im Streit, sondern ledigl...

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