Leitsatz

Unterhält eine Kanzlei mehrere Zweigstellen, so liegt für alle Rechtsanwälte dieser Kanzlei eine Geschäftsreise nur dann vor, wenn das Reiseziel außerhalb sämtlicher Orte liegt, in denen sich eine Zweigstelle befindet.

OLG Koblenz, Beschl. v. 27.4.2015 – 7 WF 407/15

1 Sachverhalt

Nach Abschluss des Verfahrens rechnete der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin seine Vergütung mit der Landeskasse ab, darunter auch Auslagen für Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte die beantragten Reisekosten (Fahrtkosten sowie Tage- und Abwesenheitsgeld nebst Umsatzsteuer) ab und begründete dies damit, dass die Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten auch eine Zweigstelle am Gerichtsort unterhalte. Die hiergegen eingelegte Erinnerung wies das FamG zurück. Zur Begründung verwies das Gericht darauf, dass der Begriff "Kanzlei" i.S.d. Vorbem. 7 Abs. 2 VV auch die Zweigstelle einer Rechtsanwaltskanzlei erfasse.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, mit der er unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt, auf seine Erinnerung hin Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder zuzüglich Umsatzsteuer festzusetzen.

Zur Begründung beruft er sich darauf, dass die Kosten unabhängig davon, dass die Kanzlei am Gerichtsort eine Zweigstelle unterhalte, festzusetzen seien. Das Mandantengespräch habe am auswärtigen Hauptsitz der Kanzlei stattgefunden. Zudem sei er als alleiniger Sachbearbeiter am Hauptsitz ansässig. An der Zweigstelle im Gerichtsort sei nur eine Fachanwältin für Strafrecht tätig. Der Verweis auf die Entscheidung des OLG Dresden gehe fehl, da dort über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers und dessen Gebühren nach altem Recht zu entscheiden gewesen sei. Damals sei es üblich gewesen, dass auswärtige Pflichtverteidiger nur in besonders begründeten Fällen beigeordnet würden. Zudem verlange der Gleichlauf der Gebührenansprüche einer bemittelten und einer Verfahrenskostenhilfe beanspruchenden Partei nach der ständigen Rspr. des BVerfG eine Gleichbehandlung.

Die dagegen erhobene zugelassene Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

2 Aus den Gründen

Das AG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Erinnerung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des AG zurückgewiesen. Die in dem Beschluss vorgenommene Absetzung der beantragten Reisekosten ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach Nr. 7003 VV kann der Verfahrensbevollmächtigte für Geschäftsreisen Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder beanspruchen. Nach der Vorbem. 7 VV liegt eine Geschäftsreise dann vor, wenn das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liegt, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befindet.

Danach liegt keine Geschäftsreise vor. Denn am Reiseziel, also am Sitz des entscheidenden Gerichts, befindet sich eine Zweigstelle der Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin. Der Begriff "Kanzlei" umfasst ohne weiteres alle von einem Anwalt betriebenen "Geschäftsstellen", also auch die Zweigstellen einer Kanzlei (ebenso Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., VV 7003–7006 Rn 12; Bischof-Jungbauer, RVG, 6. Aufl., Vorbem. 7 VV Rn 10). Die Anwaltssozietät des Verfahrensbevollmächtigten wird, auch nach dem Briefkopf der an ihr beteiligten Rechtsanwälte, an mehreren Stellen – Haupt- und Zweigstellen –, betrieben. Allein dieser Umstand ist maßgeblich. Unerheblich ist demgegenüber, an welchem Ort die Besprechung mit dem Mandanten stattgefunden und von welchem Ort der Verfahrensbevollmächtigte zum Gerichtstermin angereist ist.

Entgegen der von der Beschwerde vertretenen Auffassung geht der Verweis auf die Entscheidung des OLG Dresden nicht fehl. In Nr. II d) setzt sich nämlich das vorgenannte Gericht mit der Bezeichnung "Kanzlei" auseinander und vertritt, wie der Senat, die Auffassung, dass diese die Gesamtheit der Kanzlei, bestehend aus Hauptstelle und Zweigstellen, umfasst.

Eine Ungleichbehandlung der bemittelten mit der Verfahrenskostenhilfe beanspruchenden Partei entsteht dadurch nicht, da bei der vorgenannten Auslegung der Verfahrensbevollmächtigte die Kosten auch nicht nach § 91 ZPO von der bemittelten Partei beanspruchen könnte, da die Voraussetzungen von Nr. 7003 VV nicht gegeben sind.

3 Anmerkung

Die Auffassung, der Begriff der "Kanzlei" i.S.d. Vorbem. 7 Abs. 2 VV erfasse auch die Zweigstelle einer Rechtsanwaltskanzlei, so dass Fahrtkosten für eine Reise zu einem Ziel in einer Gemeinde, in der eine Zweigstelle unterhalten werde, nicht nach den Nr. 7003 ff. VV abgerechnet werden könnten,[1] ist unzutreffend. Sie steht auch im Widerspruch zur Rspr. des BGH,[2] der bei mehreren Standorten darauf abstellt, von welchem Kanzleiort die Sache bearbeitet worden ist.

Norbert Schneider

AGS 11/2015, S. 507 - 508

[1] OLG Koblenz MDR 2015, 860 = NJW-Spezial 2015, 699; OLG Dresden AGS 2011, 275 = NJW 2011, 869 = Rpfleger 2011, 240 = RVGreport 2011, 145 = RVGprof. 2011, 87.
[2] BGH AGS 2008, 368 = FamRZ 2008, 1241 = NJW 2008, 2122 = MDR 2008, 829 = Rpfleger 2008, ...

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