Leitsatz

Die Vorschrift des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG gilt für alle Fälle der Verfahrensverbindung unabhängig davon, ob die Beiordnung als Pflichtverteidiger vor oder nach der Verbindung erfolgt ist. Eine Erstreckung soll dabei in der Regel angeordnet werden, wenn in dem Verbundverfahren eine Pflichtverteidigerbestellung unmittelbar bevorgestanden hätte.

LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 13.4.2015 – 2 Qs 493 Js 23098/12

1 Sachverhalt

In dem Verfahren 493 Js 23098/12 wurde der Angeklagte durch die Staatsanwaltschaft angeklagt, eine Sachbeschädigung und eine Körperverletzung begangen zu haben. Nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht erschienen war, wurde ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Nach dessen Festnahme teilte der Verteidiger die Übernahme des Mandats mit und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Des Weiteren wurde durch die Staatsanwaltschaft in dem Verfahren 493 Js 8358/13 Anklage wegen Körperverletzung und Nötigung erhoben. Auch in diesem Verfahren teilte der Verteidiger mit Schriftsatz die Mandatsübernahme mit und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Durch Beschluss des AG wurden beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des Verfahrens 493 Js 23098/12 miteinander verbunden. Anschließend wurde durch Beschluss des AG vom selben Tag dem Angeklagten sein Verteidiger als Pflichtverteidiger für das nunmehr führende Verfahren beigeordnet. Eine Erstreckung auf das hinzuverbundene Verfahren erfolgte nicht. Später wurde der Angeklagte durch das AG verurteilt. Nach Abschluss des Verfahrens beantragte der Verteidiger die Festsetzung und Erstattung der Pflichtverteidigergebühren für das erstinstanzliche Verfahren i.H.v. insgesamt 1.330,00 EUR (für die Verfahren 493 Js 23098/12 und 493 Js 8358/13: jeweils eine Grundgebühr nach Nr. 4101 VV i.H.v. 162,00 EUR, jeweils eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV i.H.v. 137,00 EUR und jeweils die Postpauschale nach Nr. 7002 VV i.H.v. 20,00 EUR, nur für das führende Verfahren: eine Terminsgebühr nach Nr. 4109 VV i.H.v. 268,00 EUR, Wegegeld für zwei Fahrten zur JVA und eine Fahrt zum AG nach Nr. 7003 VV i.H.v. 83,40 EUR, Abwesenheitsgeld für die drei Tage nach Nr. 7005 VV i.H.v. 65,00 EUR, die Aktenversendungspauschale i.H.v. 12,00 EUR und die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV für 225 Kopien i.H.v. 51,25 EUR – jeweils zuzüglich Umsatzsteuer). Durch Beschluss des zuständigen Rechtspflegers beim AG wurde die Pflichtverteidigervergütung auf 898,03 EUR festgesetzt. Dabei wurden die für das hinzuverbundene Verfahren 493 Js 8358/13 geltend gemachten Gebühren nicht in Ansatz gebracht und die Terminsgebühr auf 224,00 EUR reduziert, da zum einen keine Erstreckung erfolgt sei und zum anderen die Gebühren nach dem Zeitpunkt der Beiordnung zu bemessen seien. Dagegen legte der Verteidiger Erinnerung hinsichtlich der Nichterstattung der Gebühren für das hinzuverbundene Verfahren ein. Seiner Ansicht nach liege kein Fall der Erstreckung vor, da er in beiden Verfahren bereits vor der Verbindung tätig geworden sei, so dass die Gebühren nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG zu erstatten seien. Das AG hat die Erinnerung mit der Begründung zurückgewiesen, dass § 48 Abs. 6 S. 3 RVG für alle Fälle der Verfahrensverbindung gelte, unabhängig davon, ob diese vor oder nach der Verteidigerbeiordnung erfolgt sei. Da keine Erstreckungswirkung ausgesprochen worden sei, könne die Tätigkeit des Verteidigers in dem hinzuverbundenen Verfahren vor der Beiordnung nicht aus der Landeskasse vergütet werden. Gegen diesen Beschluss legte der Verteidiger sofortige Beschwerde ein. Das AG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem LG zur Entscheidung vorgelegt. Das LG hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

2 Aus den Gründen

Die beantragten Gebühren sind seitens des Rechtspflegers des AG zu Recht gekürzt worden.

Der Verteidiger kann die Grundgebühr nach Nr. 4101 VV, die Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV und die Postpauschale nach Nr. 7002 VV nur einmal für das führende Verfahren 493 Js 23098/12, nicht jedoch auch für das hinzuverbundene Verfahren 493 Js 8358/13 geltend machen. Die nach der Verbindung der beiden Verfahren erfolgte Beiordnung des Verteidigers führt ohne Erstreckungsentscheidung des AG nicht dazu, dass dieser für die bis zur Verbindung entfalteten Tätigkeiten als Wahlverteidiger in dem hinzuverbundenen Verfahren auch Pflichtverteidigergebühren abrechnen kann.

Nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erhält der Pflichtverteidiger die Vergütung auch für seine Tätigkeit als Wahlverteidiger vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung. Werden Verfahren miteinander verbunden, kann das Gericht nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG diese Wirkungen auch auf Verfahren erstrecken, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung erfolgt war. Umstritten ist insoweit, ob die Regelung in § 48 Abs. 6 S. 3 RVG nur für den Fall gilt, dass zu einem Verfahren, in dem der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt wurde, später weitere Verfahren, in denen keine Beiordnung erfolgt ist, hinzuverbunden werden oder auch für den Fall, d...

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