I. Gesetzliche Regelung

Seit Wegfall der früheren Beweisgebühr zum 1.7.2004 wurde ständig kritisiert, dass das RVG für umfangreiche Beweisaufnahmen, insbesondere solche, die sich über mehrere Termine erstrecken, keine angemessene Vergütung vorhalte. Der Gesetzgeber hat die Wiedereinführung einer generellen Beweisgebühr abgelehnt. Allerdings hat er versucht, für Extremfälle einen Ausgleich zu schaffen. Dazu hat er mit dem 2. KostRMoG zum 1.8.2013 die Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen (Nr. 1010 VV) eingeführt. Systematisch gehört diese Gebühr an sich in Teil 3 VV, da sie nur für Verfahren nach diesem Teil gilt.

Danach entsteht gem. Anm. zu Nr. 1010 VV die Zusatzgebühr für den durch besonders umfangreiche Beweisaufnahmen anfallenden Mehraufwand. Voraussetzung der Zusatzgebühr sind mindestens drei gerichtliche Termine, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen werden.

II. Sinn und Zweck der Regelung

Mit der Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV soll der Wegfall der nach der BRAGO noch vorgesehenen Beweisgebühr in bestimmten Ausnahmenfällen kompensiert werden, namentlich in umfangreichen Bau- oder Arzthaftungssachen. Die Gebühr soll den mit besonders umfangreichen Beweisaufnahmen anfallenden Mehraufwand durch eine zusätzliche Gebühr bzw. durch eine Anhebung der Terminsgebühr ausgleichen.

Nach dem Wortlaut der Gesetzesbegründung[1] soll die Zusatzgebühr bzw. die Erhöhung der Terminsgebühr:

 
Hinweis

"den besonderen Aufwand bei sehr umfangreichen Beweisaufnahmen ausgleichen. Durch diese Gebühr sollen aber keine Fehlanreize gesetzt werden, die dazu animieren könnten, zusätzliche Beweisaufnahmetermine zu provozieren. Die Hürde bis zu einem dritten Beweistermin erscheint hierfür ausreichend."

[1] BT-Drucks 17/11471, 272.

III. Anwendungsbereich

Anwendung findet die Zusatzgebühr ausschließlich in Verfahren nach Teil 3 VV. Um welche Art Verfahren es sich dabei handelt, ist unerheblich. Sie gilt sowohl für Verfahren, in denen nach dem Gegenstandswert abgerechnet wird (§ 2 Abs. 1 RVG), als auch in Verfahren, in denen nach Betragsrahmen abzurechnen ist (§ 3 Abs. 1 RVG).

Nr. 1010 VV ist dabei nicht auf Erkenntnisverfahren beschränkt, sondern kann auch in anderen Verfahren greifen, z.B. in einem selbstständigen Beweisverfahren. Sie gilt auch für einen Terminsvertreter oder einen Beweisanwalt (Nr. 3401 VV), wenn diese an den genannten Beweisterminen teilnehmen. Für den Verkehrsanwalt (Nr. 3400 VV) ist Nr. 1010 VV dagegen nicht anzuwenden, da er tatbestandlich nicht an der Beweisaufnahme teilnehmen kann.

IV. Voraussetzungen

1. Überblick

Voraussetzungen der Zusatzgebühr bzw. der Gebührenerhöhung sind

eine besonders umfangreiche Beweisaufnahme einerseits und
mindestens drei gerichtliche Termine, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen werden, andererseits.

Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.

2. Besonderer Umfang

Zunächst einmal ist Voraussetzung, dass eine "besonders umfangreiche Beweisaufnahme" stattgefunden hat. Eine bloß umfangreiche Beweisaufnahme genügt nicht. Sie muss besonders umfangreich gewesen sein.

Rechtsprechung zu dieser Tatbestandsvoraussetzung gibt es bislang nicht. Zur Orientierung kann man sich gegebenenfalls an die §§ 42 und 51 RVG anlehnen, die ebenfalls einen "besonderen Umfang" voraussetzen.

Klargestellt ist jedenfalls durch das Tatbestandsmerkmal der "besonders umfangreichen Beweisaufnahme", dass drei gerichtliche Termine zur Vernehmung von Sachverständigen oder Zeugen für sich allein nicht ausreichen, um einen besonderen Umfang anzunehmen.

 

Beispiel

In einem Verfahren kommt es zu drei Beweisterminen, in denen jeweils ein Zeuge für jeweils zehn Minuten vernommen wird.

Von einem besonderen Umfang der Beweisaufnahme kann nicht ausgegangen werden. Eine Zusatzgebühr entsteht nicht.

Andererseits fordert der Wortlaut nicht, dass sich der besondere Umfang gerade aus der Vernehmung von Sachverständigen oder Zeugen ergeben muss. Es genügt, dass die Beweisaufnahme insgesamt besonders umfangreich war.

 

Beispiel

Wie vorangegangenes Beispiel. Vor der Vernehmung der Zeugen war es zu zahlreichen und umfangreichen Sachverständigenterminen und mehreren Gutachten gekommen.

Jetzt kann ein besonderer Umfang vorliegen, sodass durch die drei Zeugenvernehmungstermine die Zusatzgebühr ausgelöst wird.

3. Mindestens drei gerichtliche Termine zur Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen

a) Überblick

Zum besonderen Umfang hinzukommen muss, dass mindestens drei gerichtliche Termine zur Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen stattgefunden haben.

Dass die Termine in derselben Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG stattgefunden haben müssen, also insbesondere im selben Rechtszug (siehe § 17 Nr. 1 RVG), ist selbstverständlich.

Zu beachten ist allerdings, dass das selbstständige Beweisverfahren und das Hauptsacheverfahren oder ein Verfahren vor und nach Zurückverweisung jeweils gesonderte Angelegenheiten darstellen, sodass jeweils gesondert gezählt werden muss. Die Anrechnung der Verfahrensgebühr in diesen Fällen (Vorbem. 3 Abs. 5 u. 6 VV) ist unerheblich.

b) Zeugenvernehmungstermine

Termine zur Vernehmung eines Zeugen müssen solche nach den §§ 394 ff. ZPO oder nach vergleichbaren Vorschriften anderer Verfahrensordnungen sein. Schriftliche Zeugenaussagen nach § 377 Abs. 3 ZPO ...

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