1. Ausgangspunkt[1] der Diskussion auf der 63. und 64. Tagung der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern war die Ausschreibung von Vertretungsmandaten in sozialgerichtlichen Verfahren durch die Agentur für Arbeit in Berlin. In der Ausschreibung wurde mitgeteilt, dass es um ca. 1.400 Fälle im Jahr gehe.

2. Gem. § 2 BRAO übt der Rechtsanwalt einen freien Beruf aus, der Zugang zur Berufsausübung ist gem. Art. 12 GG zulässigerweise durch die §§ 4 ff. BRAO an Voraussetzungen gebunden und damit eingeschränkt. Soweit gesetzliche Regeln für die Berufsausübung des Rechtsanwaltes keine zulässigen Einschränkungen i.S.v. Art. 12 GG enthalten, ist der Rechtsanwalt in seiner Berufsausübung, aber auch bei der Abrechnung seiner Vergütung grundsätzlich frei.

3. Gem. § 49b BRAO ist der Rechtsanwalt hinsichtlich seiner Vergütungsforderungen grundsätzlich an das RVG gebunden; abweichende Vereinbarungen sind nur im Rahmen des vom RVG Erlaubten zulässig.

4. In gerichtlichen Angelegenheiten dürfen keine niedrigeren als die gesetzlichen Vergütungen vereinbart werden, argumentum e contrario aus § 4 Abs. 1 S. 1 RVG. § 4 Abs. 1 S. 1 RVG bezieht sich nur auf die außergerichtlichen Angelegenheiten und die dortigen Vereinbarungen.

5. Gerichtliche Verfahren der Arbeitsverwaltung gehören zu den sozialrechtlichen Angelegenheiten gem. § 3 RVG – abgerechnet wird nach Betragsrahmengebühren.

6. Die Angemessenheit der Betragsrahmengebühr ist nach § 14 RVG zu bewerten; es handelt sich im Wesentlichen um die sattsam bekannten Kriterien Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung für den Mandanten, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten sowie Haftungsrisiko des Anwaltes.

7. Die Ausschreibung von Dienstleistungen, zu denen auch Anwaltsleistungen gehören, ist bei einem Volumen von einem den Schwellenwert für 2012 von 200.000,00 EUR überschreitenden Betrag europarechtlich vorgeschrieben; Grundlage der Verpflichtung ist die auf der Dienstleistungsrichtlinie basierende Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF).[2],[3]

In der Anlage I Teil B VOF ist unter der laufenden Nr. 21 die Rechtsberatung ausdrücklich aufgeführt, wobei der Begriff Rechtsberatung als Oberbegriff auch die Vertretung mit umfasst.

Bei 1.400 Verfahren im Jahr wird der Schwellenwert von 200.000,00 EUR dann erreicht, wenn im Einzelfall ein Betrag von 142,86 EUR abzurechnen wäre, was entsprechend der nachfolgenden Darstellung grundsätzlich möglich ist:

8. In einem sozialgerichtlichen Verfahren 1. Instanz fallen normalerweise folgende Gebühren an:

 
Praxis-Beispiel
 
VV-Nr. Mindestgebühr EUR Mittelgebühr EUR Höchstgebühr EUR
  3102 40,00 250,00 460,00
  3106 20,00 200,00 380,00
  7002 12,00 20,00 20,00
  7008 13,68 89,30 163,40
Gesamt ohne Einigungsgebühr
  85,68 559,30 1.023,40
  evtl. 1005 30,00 190,00 350,00
  evtl. 7002 6,00 0,00 0,00
  evtl. 7008 6,84 36,10 66,50
Zwischensumme   42,84 226,10 416,50
Gesamt bei Einigungsgebühr
  128,52 785,40 1.439,90

9. Bei 1.400 Mandaten pro Jahr besteht also bei Ansatz allein die Mindestgebühr um 12 % überschreitender Gebühren (142,86 EUR je Fall) bei Anfall aller drei Gebühren Verfahrensgebühr, Terminsgebühr und Einigungsgebühr eine Ausschreibungsverpflichtung; von einer durchschnittlich über 142,86 EUR liegenden Gebühr je Fall muss an sich die Arbeitsverwaltung grundsätzlich ausgehen.

Unabhängig hiervon kann ein Ausschreibungsrecht nicht bestritten werden, wenn es ab einer bestimmten Wertgrenze eine Ausschreibungspflicht gibt.

10. Darf der Rechtsanwalt an einer Ausschreibung teilnehmen?

a) Soweit aufgrund europarechtlicher Regelungen gesetzlich durch Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) vorgeschrieben: Ja, vgl. hierzu OLG Düsseldorf.[4]

b) Soweit mangels Erreichens des Schwellenwertes 200.000,00 EUR nicht vorgeschrieben: Auch ja, denn warum sollten für im Wesentlichen gleiche Konstellationen unterschiedliche Ergebnisse herauskommen?

11. Berücksichtigt werden müssen §§ 49b BRAO und 14 RVG.

a) Was ist der Einzelfall i.S.v. § 14 RVG? Bei einem Auftraggeber ist dies die Gesamtzahl der zu vergebenden Mandate, wenn die Zahl von Anfang an Gegenstand der Ausschreibung ist (ca. 1.400 Fälle).

b) Der Anbieter muss für sich den Durchschnittsfall unter den Kriterien des § 14 RVG durchrechnen und dann mit der Zahl der angebotenen Fälle multiplizieren; im Rahmen einer Quersubventionierung sind auf diese Art und Weise minderschwere und schwerere Fälle ausgeglichen.

Bei Abgabe eines Angebotes verbleibt dem Anwalt immerhin ein größerer Ermessensspielraum bei der Bewertung aller Mandate, als dies bei sog. Rationalisierungsabkommen mit Rechtsschutzversicherern der Fall ist – und diese Abkommen werden von LG Bamberg[5] und von Kilian[6] grundsätzlich für zulässig erachtet.

c) Wenn lediglich die Mittelgebühr als Ausgangspunkt angenommen wird, läge der Anbieter nach der allgemeinen Auffassung, wonach Ausgangspunkt der Bewertung gem. § 14 RVG die Mittelgebühr ist, richtig, wenn er diese hochrechnet, also 1.400 Fälle x 559,30 EUR = 783...

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